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Der Morgen davor und das Leben danach (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
416 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-24495-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Morgen davor und das Leben danach -  Ann Napolitano
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An einem Sommermorgen besteigen der zwölfjährige Edward und seine Familie ein Flugzeug, das sie von New York nach Los Angeles bringen soll. Auf halbem Weg über das Land, stürzt das Flugzeug ab. Edward ist von einhundertsiebenundachtzig Passagieren der einzige Überlebende. Was geschah in den Stunden davor? Wie geht sein Leben nach dem schmerzvollen Verlust weiter?
Die atemberaubende Odyssee eines Jungen, dessen einsames Herz wieder lernen muss zu lieben.

Ann Napolitano studierte an der New York University und unterrichtet heute an verschiedenen Universitäten Literatur. Darüber hinaus ist sie Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift »One Story« und wurde im November 2019 für den Simpson/Joyce-Carol-Oates-Literaturpreis nominiert. »Der Morgen davor und das Leben danach« ist Ann Napolitanos dritter Roman, er stand wochenlang auf der New-York-Times-Bestsellerliste. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Brooklyn.

12. Juni 2013

07:45 Uhr

Der kürzlich renovierte Flughafen Newark Liberty International erstrahlt in neuem Glanz. Topfpflanzen an jeder Biegung der Absperrbänder sollen die Passagiere von langen Wartezeiten vor der Sicherheitskontrolle ablenken. Die Menschen lehnen an der Wand oder sitzen auf ihren Koffern. Sie sind alle vor dem Morgengrauen aufgestanden, jetzt schnaufen sie laut und prusten vor Anstrengung.

Als Familie Adler die Sicherheitskontrolle erreicht, legen sie ihre Computer und ihre Schuhe in die dafür vorgesehenen Behälter. Bruce Adler nimmt seinen Gürtel ab, rollt ihn auf und legt ihn ordentlich neben seine braunen Schuhe. Seine Söhne sind nachlässiger, werfen ihre Sneakers auf Laptops und Geldbeutel. Schnürsenkel hängen über den Rand des grauen Behälters. Bruce kann sich nicht zurückhalten und stopft die losen Bänder ins Innere.

Neben ihnen steht ein großes rechteckiges Schild: Brieftaschen, Schlüssel, Handys, Schmuck, elektronische Geräte, Computer, Tablets, Metallgegenstände, Schuhe, Gürtel und Nahrungsmittel müssen in die bereitgestellten Behälter gelegt werden. Flüssigkeiten und verbotene Gegenstände müssen weggeworfen werden.

Bruce und Jane Adler gehen rechts und links neben ihrem zwölfjährigen Sohn Eddie auf den Körperscanner zu. Ihr fünfzehnjähriger Sohn Jordan bleibt zurück, bis seine Familie durch den Check gegangen ist.

Jordan sagt zu dem Sicherheitsbeamtem am Scanner: »Ich geh da nicht durch.«

Der Beamte sieht ihn überrascht an. »Was hast du gesagt?«

Der Junge steckt die Hände in die Hosentaschen und sagt: »Ich möchte von meinem Recht Gebrauch machen und nicht durch den Körperscanner gehen.«

Der Beamte ruft in die Menge: »Wir haben einen männlichen Aussteiger!«

»Jordan«, sagt sein Vater von der anderen Seite des Geräts. »Was machst du da?«

Der Junge zuckt die Achseln. »Das ist ein Ganzkörper-Röntgenscanner, Dad. Das ist das gefährlichste und am wenigsten effiziente Gerät, das es auf dem Markt gibt. Ich habe einiges darüber gelesen, und ich gehe da nicht durch.«

Bruce, der einige Meter entfernt steht und weiß, dass man ihm nicht erlauben wird, zurück zu seinem Sohn zu gehen, erwidert nichts. Er will nicht, dass Jordan noch ein einziges weiteres Wort sagt.

»Geh zur Seite, Junge«, sagt der Beamte. »Du hältst die Leute auf.«

Nachdem der Junge seine Anweisung befolgt hat, fügt der Beamte hinzu: »Ich kann dir nur sagen, dass es wirklich einfacher und sehr viel angenehmer ist, durch diesen Scanner zu gehen, als sich von meinem Kollegen von oben bis unten abtasten zu lassen. Diese Leibesvisitationen sind gründlich, wenn du verstehst, was ich meine.«

Der Junge streicht sich die Haare aus der Stirn. Im letzten Jahr ist er gut fünfzehn Zentimeter gewachsen und spindeldürr. Er hat die gleichen Locken wie seine Mutter und sein Bruder, und sein Haar wächst so schnell, dass er es nicht im Zaum halten kann. Die Haare seines Vaters sind kurz und weiß. Bruce bekam mit siebenundzwanzig weiße Haare, im selben Jahr, als Jordan geboren wurde. Oft zeigt Bruce auf seinen Kopf und sagt zu seinem Sohn: Sieh nur, was du mir angetan hast. Dem Jungen ist bewusst, dass sein Vater ihn in diesem Moment durchdringend anstarrt, als wolle er ihm eine Portion gesunden Menschenverstand zuschicken.

Jordan sagt: »Ich habe vier Gründe, warum ich nicht durch diesen Scanner gehe. Möchten Sie die hören?«

Der Sicherheitsbeamte schaut amüsiert drein. Inzwischen ist er nicht mehr der Einzige, der sich für den Jungen interessiert, alle Passagiere in seiner Nähe lauschen seinen Worten.

»Ach du meine Güte«, flüstert Bruce.

Eddie Adler lässt seine Hand in die seiner Mutter gleiten, zum ersten Mal seit über einem Jahr. Der Anblick seiner Eltern, wie sie für diesen Umzug von New York nach Los Angeles packten – der Große Umbruch hatte sein Vater es genannt –, war ihm auf den Magen geschlagen. Jetzt rumoren seine Eingeweide, und er fragt sich, ob es in der Nähe eine Toilette gibt. Er sagt: »Wir hätten bei ihm bleiben sollen.«

»Er schafft das schon«, sagt Jane, mehr zu sich selbst als zu ihrem Sohn. Der Blick ihres Ehemanns ist fest auf Jordan geheftet, aber sie wagt es nicht hinzusehen. Stattdessen konzentriert sie sich auf das angenehme Gefühl der Hand ihres Sohns in ihrer eigenen. Sie hat diese Berührung vermisst. So vieles wäre leichter, denkt sie, wenn wir uns einfach nur öfter an den Händen halten würden.

Der Beamte holt tief Luft. »Schieß los, Junge.«

Jordan reckt seine Finger in die Höhe, bereit zum Zählen. »Erstens möchte ich mich so wenig Röntgenstrahlen aussetzen wie möglich. Zweitens glaube ich nicht, dass diese Technologie einen Terroranschlag verhindern kann. Drittens finde ich es widerlich, dass die Regierung Bilder von meinen Eiern machen will. Und viertens …«, er atmet tief durch, »glaube ich, dass der Untersuchte sich durch die Haltung, die man in diesem Scanner einnehmen muss – Hände erhoben, als ob man ausgeraubt würde –, machtlos und erniedrigt fühlen soll.«

Der Sicherheitsbeamte lächelt nicht mehr, er schaut sich um. Er ist sich nicht sicher, ob der Junge sich über ihn lustig machen will.

In der Nähe sitzt Crispin Cox in einem Rollstuhl und wartet darauf, dass die Kontrolleure sein Fortbewegungsmittel auf Sprengstoff untersuchen. Der alte Mann regt sich furchtbar darüber auf. Seinen Rollstuhl auf Sprengstoff zu testen! Wenn er noch etwas mehr Puste hätte, würde er sich weigern. Für wen halten sich diese Idioten eigentlich? Für wen halten sie ihn? Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, dass er in diesem Rollstuhl sitzen und in Begleitung einer Krankenschwester reisen muss. »In drei Teufels Namen, machen Sie endlich diese Leibesvisitation bei dem Jungen«, knurrt er.

Der alte Mann hat schon sein Leben lang Forderungen erhoben, die auch fast immer erfüllt wurden. Der Ton seiner Stimme durchbricht die Unentschlossenheit des Kontrolleurs so schnell, wie die Hand eines Schwarzgürtelträgers ein zentimeterdickes Brett. Er verweist Jordan an einen anderen Beamten, der ihm befiehlt, sich breitbeinig hinzustellen und die Arme auszustrecken. Jordans Familie sieht mit Entsetzen, wie der Beamte dem Jungen grob zwischen die Beine fasst.

»Wie alt bist du?«, fragt der Beamte, als er kurz innehält, um seine Gummihandschuhe zurechtzuziehen.

»Fünfzehn.«

Er verzieht das Gesicht. »Ich hab fast nie Kinder, die das machen lassen wollen.«

»Wen dann?«

»Meistens Hippies.« Er denkt einen Augenblick nach. »Oder Menschen, die früher einmal Hippies waren.«

Jordan muss sich zwingen, still zu stehen. Der Beamte tastet seine Taille entlang der Jeans ab, und es kitzelt. »Vielleicht werde ich ein Hippie, wenn ich erwachsen bin.«

»Ich bin fertig, Fünfzehnjähriger«, sagt der Mann. »Verschwinde.«

Lächelnd geht Jordan zu seiner Familie und nimmt die Turnschuhe entgegen, die ihm sein Bruder hinhält. »Gehen wir«, sagt Jordan. »Sonst verpassen wir noch unseren Flug.«

»Wir reden später noch darüber«, entgegnet Bruce.

Die beiden Jungen laufen voraus. Durch die Fenster des Ganges sieht man in der Ferne die Wolkenkratzer von New York City – von Menschenhand erschaffene Berge aus Stahl und Glas ragen in den blauen Himmel. Jane und Bruce können nicht anders, als mit den Augen den Ort zu suchen, wo die Zwillingstürme standen. So wie die Zunge das Loch findet, wo ein Zahn gezogen wurde. Ihre Söhne, die beide noch kleine Kinder waren, als die Türme einstürzten, akzeptieren die Skyline, wie sie ist.

»Eddie«, sagt Jordan und die beiden Jungen tauschen einen Blick aus.

Die Brüder können mühelos die Gedanken des anderen lesen. Ihre Eltern sind häufig zutiefst erstaunt, wenn sich herausstellt, dass Jordan und Eddie ein ganzes Gespräch geführt haben und zu einer Entscheidung gelangt sind, ohne ein einziges Wort miteinander gewechselt zu haben. Sie waren schon immer eine Einheit und haben immer alles gemeinsam gemacht. Obwohl sich Jordan im Laufe des letzten Jahres zurückgezogen hat. Die Art, wie er jetzt den Namen seines Bruders ausspricht, soll Eddie sagen: Ich bin immer noch da. Ich komme immer wieder zurück.

Eddie boxt seinen Bruder auf den Arm und läuft voraus.

Jane geht langsam hinterher. In der Hand, die ihr jüngerer Sohn losgelassen hat, spürt sie ein Kribbeln....

Erscheint lt. Verlag 1.5.2021
Übersetzer Carola Fischer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Dear Edward
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Coming of Age • eBooks • Flugzeugabsturz • Junge Liebe • Lebenskrise • Neuanfang • Roman • Romane • Trauma nach Unfall • Unfallopfer
ISBN-10 3-641-24495-1 / 3641244951
ISBN-13 978-3-641-24495-8 / 9783641244958
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