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Sündengarten. Thriller -  Ronnie Bresich

Sündengarten. Thriller (eBook)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
338 Seiten
Verlagshaus Hernals
978-3-902975-93-5 (ISBN)
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Der Journalist Jakob Habanek verursacht einen tödlichen Verkehrsunfall. Sein Versuch, sich deshalb das Leben zu nehmen, wird vereitelt. Habaneks zweite Chance entwickelt sich immer mehr zu einem Albtraum, aus dem er zu erwachen versucht, bis er erkennen muss, dass es kein Entrinnen mehr gibt.

Kapitel 1


Nirgendwo


»Sag es noch einmal, Jakob, sonst kann ich es nicht glauben.«

Das war die Reaktion meiner Frau auf mein Versprechen, nie wieder im Leben eine Zigarette anzufassen. Und als ich es ihr auch noch hoch und heilig schwor, war sie so aufgekratzt, dass ich glaubte, sie würde sich jeden Moment ins Höschen machen. Denn für die brave Anita, die biologisch abbaubare Möbel kaufte, ihren Toyota Hybrid vergötterte und uneingeschränkt hypervegan lebte, war jeder einzelne Glimmstengel grausamster Mord an meiner Lunge (und an der Umwelt sowieso).

»Du könntest genauso gut den Asphalt auf der Straße abschlecken, so viel Teer ist da drinnen«, hatte sie mir zuvor schon unzählige Male vorgehalten. Und wissen Sie was? Als sie mich als Gegenleistung für Sex ein Januarwochenende lang auf Entzug gesetzt hat, habe ich das sogar ernsthaft erwogen. Gerettet hat mich damals nur unser Terrier, den ich allein am Sonntag fünf Mal hinausgeführt habe, bloß um hinter der nächsten Mauerecke eine schnelle Zigarette durchzuziehen.

Klar wusste ich immer, dass es weit bessere Ehemänner auf dieser Welt gab. Männer, die nicht das Geschenk am dritten Hochzeitstag vergaßen und stattdessen mit gekreuzten Fingern hinter dem Rücken versprachen, das Rauchen aufzugeben. Männer, die Blumen am Valentinstag heimbrachten und mit der Liebsten fein ausgingen, anstatt mit Kumpels in der Bar einen zu heben und es danach auf den stressigen Job zu schieben. Männer, die auch einmal etwas anderes – beispielsweise ihre Frau - als nur ihr Ego befriedigten.

Ich hielt mich in meiner Rolle als Ehemann aber für durchaus akzeptabel, nicht perfekt, freilich, zumal ich dem abgedroschenen Klischee gerecht wurde, dass ich jedem Rock hinterher sah. Aber ich verbrannte mir nur selten die Finger, bis auf zweimal, und da würde ich es eine zwanghafte Affaire nennen, eine einmalige Gelegenheit, die sich kein Mann entgehen lassen konnte - so wie man sich unbedingt kratzen muss, wenn es einen fürchterlich juckt.

Anita wäre so ein Seitensprung natürlich nie im Leben passiert und ich bin mir nicht sicher, wie sie reagiert hätte, wenn sie von meinen erfahren hätte. Vermutlich hätte sie versucht, die Ehe bis zur Selbstaufgabe zu erhalten, bloß um ihrem Vater nicht eingestehen zu müssen, dass er völlig recht hatte, als er ihr von einer Ehe mit diesem Nichtsnutz abgeraten hatte. Deshalb dachte ich, es gäbe nichts auf dieser Welt, das Anita mir nicht verzeihen würde. Aber glauben Sie mir, es gibt immer eine Grenze, auch für eine sich selbstaufopfernde Frau. Es brauchte eine rasend schnelle Scheidung, damit ich das kapierte.

Wenn man an den wirklich wichtigen Gabelungen im Leben steht, sieht man die Dinge klarer. So ging es auch mir acht lange Monate später, als ich da mit meinem Auto auf dem Bahngleis parkte und mir eine Lucky-Strike aus der zerknitterten Packung klopfte. Ich steckte sie mir zwischen die trockenen Lippen und zog instinktiv daran, wie ich es schon tausendmal zuvor getan hatte. Ich kann aber nicht sagen, dass mir die Zigarette schmeckte, denn sie hinterließ einen schalen Beigeschmack. Vermutlich lag das in erster Linie daran, dass einem praktisch nichts mehr so richtig schmecken will, wenn man glaubt, dass man nur mehr zehn Minuten zu leben hat. Immerhin erleichterte es mir aber so die Entscheidung, die Packung (mit nicht mehr als drei übrigen Zigaretten, wenn überhaupt) aus dem Fenster zu werfen. Nach einigen kühnen Überschlägen kam sie auf dem Bahngleis zu liegen.

Es war ein gutes Gefühl, das Richtige zu tun. Ich schonte damit meine Lunge und die Umwelt natürlich auch. Und Anita wäre sicherlich stolz auf mich gewesen, dass ich für den (wenngleich nur mehr vergleichbar kurzen) verblieben Lebensabschnitt Nichtraucher geworden war. Exakt das waren meine Gedanken in diesen Sekunden – und allein das zeigt schon, dass der blassblaue Dunst noch mein geringstes Problem darstellte.

Denn seit der Scheidung von Anita hatte sich auch noch dieses kleine Alkoholproblem eingenistet. Ja, so nennen es die Gutmenschen dieser Welt - ein Problem, als wäre es eine lösbare Angelegenheit, als müsste man nur die Flasche mit etwas anderem auffüllen, laktosefreie Sojamilch mit künstlichem Vanillearoma etwa, und alles wäre wieder in bester Ordnung. Aber so einen unglaublichen Unsinn kann nur jemand verzapfen, der noch nie so tief gesunken ist, dass er sein Auto auf dem Bahngleis parkt und auf den letzten Zug nach Nirgendwo wartet. Aber immerhin: Ich hatte zumindest in meinen letzten zehn Minuten nur mehr die besten Vorsätze.

Ein allerletztes Mal setzte ich auch die Wodkaflasche an und nahm einen festen Schluck daraus, bei dem ich zu gierig zulangte und mich ziemlich hässlich verschluckte. Hustend und fluchend schleuderte ich die viereckige Flasche aus dem Seitenfenster und diese landete ziemlich genau dort, wo zuvor die Zigarettenpackung aufgeschlagen war, nur dass das Glas nun spektakulär auf der scharfen Gleiskante in tausend Stücke zerbrach. Zu guter Letzt schnippte ich die bis auf den Filter abgebrannte Zigarette hinterher.

Er starb als Nichtraucher und Antialkoholiker.

Wenigstens etwas, das ich zusammengebracht hatte, auch wenn es Anita vermutlich nie erfahren würde. Wenn überhaupt, würde sie morgen bei ihrem Cornflakesfrühstück und dem mit einem Stück Würfelzucker gesüßten Englischen Tee aus den Lokalnachrichten von einem tragischen Unfall hören, der sich in der Nacht im Nordburgenland ereignet hatte.

»Aus bisher ungeklärten Umständen ist heute, kurz nach Mitternacht, der Wagen des Journalisten Jakob Habanek auf einem Bahnübergang im Ortsgebiet von Neusiedl am See zum Erliegen gekommen. Ein Güterzug konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und rammte den Volvo Kombi auf der Fahrerseite. Für Habanek kam bedauerlicherweise jede Hilfe zu spät.«

So oder so ähnlich würde es die künstlich betrübte Nachrichtensprecherin bringen, kurz innehalten und dann freudig erregt den Wetterbericht verkünden (drückend schwül mit aussichtsreicher Chance auf heftige Gewitter am späten Nachmittag).

Wahrscheinlich würde der guten Anita dann kurz der Appetit auf die in Biomilch ertränkten Flocken vergehen, weil all die Erinnerungen wieder nach oben drängten. Der erste Kuss in der Scheune ihres Vaters, die Hochzeit in Venedig und – natürlich – unser dritter Hochzeitstag. Vielleicht würde sie verstohlen vor ihrem neuen Mann eine Träne zerdrücken, die aber sicher nicht mir galt. Mehr Emotionen waren von Anita nach allem, was damals an unserem dritten Hochzeitstag geschehen ist, nicht zu erwarten.

Wie aus dem Nichts breitete sich plötzlich Unruhe in mir aus. Nein, ich hatte keine Zweifel an meinem Entschluss, ganz im Gegenteil. Denn mit einem Mal fragte ich mich in meinem Delirium, ob ich wirklich richtig geparkt hatte. Vielleicht war ich ja ein Stück zu weit gefahren (nur einen Meter) und der Zug würde bloß das kantige Heck des Wagens streifen, ihn herumwirbeln wie einen Kreisel, mich selbst aber unversehrt lassen.

Dieser Gedanke ließ mir bald keine Ruhe mehr. Ich stieg aus dem Volvo aus und torkelte einige Schritte weg vom Wagen. Mein Vater hatte den Kombi Mitte der Siebziger brandneu gekauft, als ich gerade erst drei Jahre alt war. Er war ein praktisch veranlagter Mann und deswegen wollte er als junger Vater mehr Sicherheit für seine Familie und Platz für den Kinderwagen – und der Kombi hatte genug von beidem. Mit den Jahren wurde der Volvo ein richtiges Familienmitglied und als mein Vater vor fünf Jahren starb, ging der Wagen in meinen Besitz über.

Ich vermisste meinen Vater damals sehr - und das obwohl wir seit der Trennung meiner Eltern unüberbrückbare Differenzen hatten und ich ihn nicht mehr als ein oder zwei Mal im Jahr sah. Sein Wagen erinnerte mich aber an die längst vergangenen besseren Zeiten (die gemeinsamen Ausflüge zum Fischen und die Urlaubsreisen) und den himmelblauen Lack habe ich sowieso immer geliebt. Wenn ich schon von dieser Bühne abtrat, dann nur in genau diesem Auto!

Nun kaschierte das gelbe Neonlicht der Straßenlaterne die Roststellen um die Radkästen herum und verwandelte den himmelblauen Lack in ein freundliches, lichtes Moosgrün. Wobei ich dazu anmerken sollte, dass ich noch genau weiß, welche Farbe der Lack in diesem diffusgelben Licht hatte. In meiner Erinnerung sehe ich diese Nacht aber nur mehr in kontrastreichem Schwarzweiß, vornehmlich Pechschwarz, wie beim Blick in ein schwarzes Loch, aus dem nichts mehr wiederkehrt.

Ich starrte auf die zwei – in meinem Dusel sogar vier – parallel verlaufenden Bahnschienen. Der Schienenstrang führte kerzengerade unter dem Auto hindurch. Normalerweise würde dieses Bild beunruhigend wirken. Ich lachte aber bei dem Anblick nur heiser über meinen Kontrollfummel und krabbelte wieder hinters Steuer.

Einige Minuten später überkam mich eine leise Unsicherheit. Klar, ich hatte die Gleise gesehen, die unter dem Kombi durchführten. Da es draußen ziemlich düster war, übermannten mich jedoch neuerliche Zweifel.

Ich verließ den Wagen ein zweites Mal und absolvierte das gleiche Prozedere wie zuvor, nur fasste ich nun die Schienen mit beiden Händen an, als könnten sie bloß ein Trugbild sein. Ich fühlte die Kälte des abgeschliffenen Stahls und fuhr die Schienen bis unter den Volvo entlang. Erst dann setzte ich mich wieder auf den Fahrersitz und schüttelte den Kopf über meinen neuen Spleen.

Er starb als Nichtraucher, Antialkoholiker und Neurotiker.

Oh Gott, was hätte ich jetzt für eine Zigarette gegeben!

 

Damals an unserem dritten Hochzeitstag auf der Rückfahrt von dem schicken Restaurant in den Wachauer Weinbergen hätte ich für eine Zigarette auch beinahe alles...

Erscheint lt. Verlag 4.3.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-902975-93-8 / 3902975938
ISBN-13 978-3-902975-93-5 / 9783902975935
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