Schwanengesang (eBook)
282 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
9783841217745 (ISBN)
'Es wäre zu schön', sagte Joan verträumt, 'wenn wir ihn nur ein ganz kleines bisschen vergiften könnten - nur so, dass er nicht mehr singen kann.'
England in den 40er Jahren. Beim Oxforder Opernensemble steht die erste Aufführung von Wagners Meistersingern nach dem 2. Weltkrieg auf dem Plan. Eine der Hauptrollen übernimmt der überaus begabte, aber ebenso unbeliebte Sänger Edwin Shorthouse. Jedenfalls, bis man ihn nach einer Probe erhängt in seiner Garderobe findet. Selbstmord? Wohl kaum. Schon bald danach kommt es zu einem zweiten Mord. Der Tote war ein junger Chorsänger und aufstrebender Opernkomponist. Oxford Professor und Amateurdetektiv Gervase Fen ist ratlos und steht vor einem Rätsel: Kann eine Leiche einen Mord begehen? Was als Opera buffa begann, wird bald zur Opera seria ...
Edmund Crispin, geboren 1921, war das Pseudonym des englischen Krimiautors und Komponisten Robert Bruce Montgomery. 1944 erschien der erste Band seiner Reihe um den Ermittler Gervase Fen, Professor für englische Literatur in Oxford. Crispins Kriminalromane zeichnen sich durch ihren humoristischen Stil, der bis ins Absurde reicht, und gleichzeitig einen hohen literarischen Anspruch aus. Er verstarb 1978. Alle neun Romane der Krimireihe um Gervase Fen sind bei Aufbau Digital verfügbar.
Kapitel 2
Die Ehe wäre nicht bemerkenswerter gewesen als zehntausende andere, wäre nicht noch ein Dritter mittelbar an ihr beteiligt gewesen.
Edwin Shorthouse sang den Ochs im Rosenkavalier. Ebenso wie Adam machte er während der Proben Elizabeths Bekanntschaft. Und auch er verliebte sich in sie.
In diesem Zusammenhang das Wort »Liebe« zu benutzen ist größtenteils ein Euphemismus für körperliches Begehren. Wie alle genau wussten, war Edwin Shorthouse in seinen Beziehungen zu Frauen über diese Ebene nie hinausgekommen. Seine Gepflogenheiten ließen in der Tat vermuten, er mache sich für eine späte Wiedereinführung des droit de seigneur stark, und seine Ähnlichkeit mit dem feisten, ältlichen Lebemann aus Strauss’ Oper war verblüffend genug, um in Opernkreisen für fortgesetztes Erstaunen darüber zu sorgen, dass er die Rolle so ungenügend interpretierte. Möglicherweise war ihm die Ähnlichkeit dunkel bewusst, und vielleicht empfand er die durch und durch gehende Dummheit dieser Hofmannsthalschen Figur als Karikatur seines eigenen Lebenswandels. Empfindsamkeit war jedoch keine von Edwin Shorthouses Stärken, und es ist wahrscheinlich, dass seine Abneigung gegen die Rolle rein instinktiver Natur war.
Sein Interesse an Elizabeth mag jedoch durch mehr hervorgerufen worden sein als durch bloße Sinnlichkeit. Ansonsten wäre es ziemlich schwierig, die rege Boshaftigkeit, die Elizabeths Heirat mit Adam in ihm weckte, zu erklären. Joan Davis war der Ansicht, dass er hauptsächlich in seiner Eitelkeit getroffen sei. Auf der einen Seite war da Edwin (sagte sie); ungehobelt, im mittleren Alter, hässlich, eingebildet und fast immer betrunken; und auf der anderen Adam. Für jeden Menschen – außer Shorthouse selbst – war die zu treffende Wahl eine ausgemachte Sache; ihn muss sie zweifellos überrascht haben wie ein verheerender Schlag.
»Aber zerbrecht euch nicht den Kopf, meine Lieben«, fügte Joan hinzu. »Edwin lockt das Weib als solches – nicht eine bestimmte Frau. Sobald das nächste gut gebaute Mädchen vorbeikommt – und die Welt ist voll davon – wird seine Wut verraucht sein.«
Elizabeth selbst brachte Frustration als Grund für Edwins ungerechtfertigten Ärger ins Gespräch. Sie hatte ihn bei den Proben nicht oft gesehen, obwohl er bei jeder ihrer Begegnungen ausgesprochen aufmerksam gewesen war.
»Das ist mir nicht entgangen«, sagte Joan. »Er hat dich immer ›mit den Augen ausgezogen‹, wie man so schön sagt.«
Elizabeth musste zustimmen. Aber, so fügte sie hinzu, es sei ihr schwer gefallen, mit seinem Verhalten zurechtzukommen – bis zu jenem Abend, als Shorthouse einen Versuch wagte, diesen freudlosen, seiner Fantasie vorbehaltenen Zeitvertreib in die Tat umzusetzen.
»Natürlich«, schloss Elizabeth sittsam, »habe ich ihm keine Hoffnungen gemacht … Deswegen ist er, wie ich schon sagte, frustriert. Das ist die Erklärung.«
Adam hatte aber noch eine andere Theorie. Seiner Meinung nach war Shorthouse wirklich verliebt; tief im Innern seiner feisten und wenig anziehenden Gestalt, behauptete Adam, brannte dieselbe Flamme, die Ilium zerstört und Antonius als Gefangenen seiner eigenen Genusssucht am Nil festgehalten hatte. »Mit anderen Worten, l’amour«, sagte Adam. »Eher von der sinnlichen als von der spirituellen Sorte, das gebe ich zu, aber nichtsdestoweniger das echte Gefühl.«
Wie es schien, gab es keine wirklich befriedigende Erklärung, und für eine Weile beobachteten sie das Phänomen mit einem Gefühl, das über schwaches Interesse nicht hinausging. Langsam wurde es jedoch lästig, und zum Schluss ein echtes Ärgernis. Adam war gezwungen, relativ viel Zeit in Shorthouses Gesellschaft zu verbringen. Es gibt kaum etwas Schlimmeres, als ein Verhalten tolerieren zu müssen, das zum Großteil aus Hohn und Spott besteht – in diesem Fall war das Verhalten umso beunruhigender, da sich dahinter echter Hass verbarg. In der ersten Zeit nach der Verlobung musste Adam zudem feststellen, dass in seinem Bekanntenkreis diverse dunkle und schändliche Gerüchte über ihn kursierten. In einem Fall fielen sie auf dermaßen fruchtbaren Boden, dass sich eine Familie, mit der er seit vielen Jahren auf das Engste befreundet war, ohne eine Erklärung von ihm abwandte. In seiner Naivität brachte Adam Shorthouse mit diesen neuen Kümmernissen zunächst gar nicht in Verbindung, und es bedurfte eines zufällig fallen gelassenen Kommentars, um ihn aufzuklären. Und selbst dann hielt er sich im Zaum und tat so, als sei nichts vorgefallen. Adam liebte seine Arbeit und war entschlossen, sie, wenn möglich, nicht durch einen offenen Bruch mit Shorthouse zu verkomplizieren.
Die Hochzeitsreise, die sich an die Aufführung des Rosenkavalier anschloss, bot ihm die Möglichkeit, sich zu erholen, und als er und Elizabeth aus der Schweiz zurückkehrten, um sich in Turnbridge Wells häuslich niederzulassen, waren sie zu sehr mit der Einrichtung ihres gemeinsamen Haushaltes beschäftigt, um sich um andere Dinge zu kümmern. Vermutlich hatte Shorthouse sich mittlerweile abgekühlt; und glücklicherweise wurden die beiden Männer durch verschiedene Engagements bis November getrennt, als beide für den Don Pasquale verpflichtet wurden. Adam besuchte die erste Probe mit einem leichten Widerwillen und kam verblüfft nach Hause zurück.
»Und?«, fragte Elizabeth, als sie ihm aus dem Mantel half.
»Die Antwort fällt positiv aus. Edwin scheint geheilt. Und doch …« Adam setzte sich geistesabwesend den Hut wieder auf, den er eben erst abgenommen hatte. »Und doch …«
»Liebling, was tust du da? War er nett zu dir? Du hörst dich nicht besonders überzeugend an.« Sie gingen ins Wohnzimmer hinüber, wo ein riesiges Kaminfeuer loderte. Elizabeth schenkte für sie beide Sherry ein.
»Er war schon nett«, erklärte Adam, »auf vollkommen übertriebene Art und Weise. Das gefällt mir nicht. Früher bestand Edwins Auffassung von Freundschaft darin, einen andauernd mit verworrenen, sinnlosen Anekdoten über seine Karriere zu langweilen. Das tut er nicht mehr – jedenfalls nicht mit mir.«
»Vielleicht schämt er sich.«
»Das ist ziemlich unwahrscheinlich.«
»Wieso denn? Auch er muss menschliche Gefühle haben. Vermutlich hatte er einmal eine Mutter.«
»Auch Heliogabal hatte eine Mutter. Wir alle hatten eine … Ich wollte damit nur sagen, dass mir irgendetwas an Edwins Veränderung aufgesetzt vorkommt. Er meint es ganz sicher nicht ehrlich.«
»Aber lieber das, sollte man meinen, als offener Krieg.«
»Ich weiß nicht«, sagte Adam betrübt. »Ich bin mir da nicht so sicher. Es ist ein Judaskuss, wenn du mich fragst.«
»Jetzt sei nicht theatralisch, mein Liebling, und vor allem: Verschütte deinen Sherry bitte nicht auf den Teppich.«
»Das habe ich gar nicht gemerkt«, sagte Adam.
»Jedenfalls«, redete Elizabeth weiter, »kann ich mir nicht vorstellen, an welche Hohepriester Edwin dich verraten haben sollte.«
»Vielleicht an Levi.«
»Seine Rasse wäre das einzige, was Levi für diese Rolle qualifiziert. Außerdem würde er Edwin ebenso gern loswerden wie du.«
»Natürlich hast du vollkommen Recht.« Adam runzelte die Stirn. »Tja, ich werde im Auge behalten, wie die Dinge sich entwickeln. Irgendetwas Neues?«
»Ein Auftrag, mein Liebling, und ein sehr lukrativer noch dazu. Kam heute mit der Post.«
»Oh! Glückwunsch. Ein neuer Roman?«
»Nein, eine Interviewreihe in einer Sonntagszeitung.«
»Interviews mit wem?«
»Privatdetektiven.«
»Detektiven?« Adam war verdutzt.
Elizabeth gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Nasenspitze. »Mein Schatz, du musst immer noch viel über mich lernen. Wusstest du nicht, dass ich mich in meinen ersten Büchern mit Populärkriminologie beschäftigt habe? Die Leute sind der Ansicht, dass ich davon eine Menge verstehe.«
»Und tust du das?«
»Ja«, sagte Elizabeth. »Das tue ich … Leider bedeutet es, dass ich eine Unzahl von Türklinken putzen muss, und ich werde mich gleich morgen früh mit dem Who’s Who hinsetzen und eine Menge langweiliger Briefe schreiben müssen. Kennst du nicht irgendwelche Privatdetektive?«
»Nur einen.« Adam schien unschlüssig. »Einen Mann namens Fen.«
»Ich erinnere mich. Da gab es einmal so eine Geschichte mit einem Spielzeugladen, das war noch vor dem Krieg. Wo lebt er?«
»In Oxford. Er arbeitet dort als Dozent für Englische Literatur.«
»Du musst mich ihm vorstellen.«
»Er ist ziemlich unberechenbar«, sagte Adam, »in mancherlei Hinsicht jedenfalls. Hast du es mit diesen Artikeln sehr eilig?«
»Nicht besonders.«
»Na ja«, sagte Adam, »im neuen Jahr sollen die Meistersinger in Oxford gegeben werden. Wenn es dir Recht ist, werden wir ihn dann besuchen.«
...
| Erscheint lt. Verlag | 31.10.2019 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Professor Gervase Fen ermittelt | Professor Gervase Fen ermittelt |
| Übersetzer | Eva Sobottka |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Swan Song |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2. Weltkrieg • 40er Jahre • Agatha Christie • Carola Dunn • College Krimi • Cosy Crime • Cosy Krimi • Edmund Crispin • England • england krimi • Gervase Fen • Krimiklassiker • Meistersinger • Michael Innes • Oper • Oxford • Patricia Highsmith • Professor • Richard Wagner • Sänger |
| ISBN-13 | 9783841217745 / 9783841217745 |
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