Mit Freuden begraben (eBook)
241 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
9783841217752 (ISBN)
'Im Grunde bin ich ein Naturwissenschaftler, den es reizt, Abstecher in die trügerische Literaturwissenschaft zu unternehmen. Das erkennen Sie auch an meinem klaren und präzisen Verstand.'
England Ende der 40er Jahre. Oxford-Professor und Exzentriker Gervase Fen, wie er selbst betont, der einzige Literaturwissenschaftler der Kriminalliteratur, der je Detektiv wurde, hat es sich in den Kopf gesetzt, Lokalpolitiker zu werden. Das Dörfchen Sanford, in das es ihn für seinen Wahlkampf verschlägt, erscheint zunächst ruhig und friedlich. Doch der Schein trügt. Der Ort verbirgt ein Geheimnis und wer der Wahrheit zu nahekommt, bereut es schnell. So ergeht es auch Fens unglücklichem Bekannten D.I. Bussy, der während geheimer Ermittlungen erstochen wird. Jetzt hat der Amateurdetektiv gleich zwei Probleme: Er muss nicht nur den Mörder finden, sondern ist obendrein auch noch zum aussichtsreichsten Kandidaten der anstehenden Wahl avanciert ...
Edmund Crispin, geboren 1921, war das Pseudonym des englischen Krimiautors und Komponisten Robert Bruce Montgomery. 1944 erschien der erste Band seiner Reihe um den Ermittler Gervase Fen, Professor für englische Literatur in Oxford. Crispins Kriminalromane zeichnen sich durch ihren humoristischen Stil, der bis ins Absurde reicht, und gleichzeitig einen hohen literarischen Anspruch aus. Er verstarb 1978. Alle neun Romane der Krimireihe um Gervase Fen sind bei Aufbau Digital verfügbar.
Kapitel 1
»Sanford Angelorum, alles aussteigen«, rief der Stationsvorsteher. »Sanford Angelorum, alles aussteigen.«
Nach einer kurzen Denkpause fügte er hinzu: »Endstation«, dann verschwand er durch eine Tür mit der Aufschrift PRIVAT von der Bildfläche.
Gervase Fen, der allein in einem engen, stickigen Abteil vor sich hingedöst hatte, aus dessen Polstersitzen bei jeder Berührung schwarze Staubwolken aufstiegen, erwachte und setzte sich auf.
Er spähte durchs Fenster in die sommerliche Dämmerung hinaus. Ein kümmerlicher, buckliger Bahnsteig bot sich ihm dar, auf dessen gegenüberliegender Seite unkrautartige Gewächse wucherten, was man mit etwas gutem Willen als gartenbaulichen Versuch hätte weiten können. Ein leerer Süßwarenautomat lag wie das Opfer eines Roboterkrieges umgekippt auf der Seite und rostete vor sich hin. Daneben stand eine Packkiste, aus der der Kopf eines kleinen Huhns hervorschaute, das ein leises, empörtes Gackern hören ließ. Doch keine Spur menschlichen Lebens war zu entdecken, und hinter dem Bahnhof lag nichts Einladenderes als schier endlose Felder und Wälder, die in der sinkenden Dämmerung bläulich schimmerten.
Dieser Ausblick missfiel Fen; er fand ihn nichtssagend und langweilig. Allerdings blieb ihm außer Murren nichts übrig. Er murrte kurz und verließ dann mit seinem Gepäck das Abteil. Zunächst schien es, als sei er der einzige Fahrgast, der hier ausstieg, aber kurz darauf bemerkte er, dass dem nicht so war. Ein blondes, adrett gekleidetes Mädchen um die zwanzig war aus einem der anderen Waggons gestiegen. Sie blickte sich unschlüssig um und ging dann auf den Ausgang zu, wo sie ein rechteckiges Stück grünen Kartons in einen Mülleimer fallen ließ, auf dem FAHRKAHRTEN stand; dann verschwand sie. Fen ließ sein Gepäck auf dem Bahnsteig liegen und folgte ihr.
Auf dem Bahnhofsvorplatz, einer nicht weiter umgrenzten Kiesfläche, standen jedoch keine Transportmittel bereit, und abgesehen von den sich entfernenden Schritten des Mädchens, das in der gekrümmten Bahnhofsauffahrt außer Sichtweite verschwunden war, machte sich eine entmutigende Stille breit. Fen ging zum Bahnsteig zurück und suchte das Büro des Stationsvorstehers auf, wo der Stationsvorsteher an einem Tisch saß und mit trübsinniger Miene eine kleine, ungeöffnete Flasche Bier anstarrte. Bei der Störung blickte er resigniert auf.
»Besteht die Möglichkeit, dass ich ein Taxi bekommen könnte?«, fragte Fen.
»Wohin wollen Sie denn, Sir?«
»Ins Dorf Sanford Angelorum. Zum ›Fish Inn‹.«
»Tja, vielleicht haben Sie Glück«, räumte der Stationsvorsteher ein. »Ich will sehen, was ich tun kann.«
Er ging zum Telefon und sprach hinein. Fen sah von der Türschwelle aus zu. Hinter ihm stieß der Zug, mit dem er gekommen war, ein schwaches, asthmatisches Pfeifen aus und rollte rückwärts an. Bald darauf war er, leer, in die Richtung verschwunden, aus der er gekommen war.
Der Stationsvorsteher beendete das Gespräch und schleppte sich zurück zu seinem Stuhl.
»Das geht in Ordnung, Sir«, sagte er, und sein Tonfall klang leicht selbstgefällig, so wie der einer Hebamme, die die Nachricht vom glücklichen Ausgang einer schwierigen Geburt überbringt. »Der Wagen wird in zehn Minuten hier sein.«
Fen bedankte sich bei ihm, gab ihm einen Schilling und ließ ihn weiterhin die Flasche Bier anstarrend zurück. Fen kam der Gedanke, der Stationsvorsteher könnte eventuell dem Alkohol abgeschworen haben und nun in wehmütigen Erinnerungen an verbotene Gelüste schwelgen.
Das Huhn hatte seinen Kopf durch eine besonders enge Öffnung in der Packkiste gesteckt und war nun nicht mehr in der Lage, ihn wieder einzuziehen. Verwirrt starrte es auf ein recht neues Wahlplakat mit einem unvorteilhaften Foto und der Aufschrift: »Eine Stimme für Strode ist eine Stimme für den Wohlstand.« Der Zug war außer Hörweite; eine Krähenkolonie war auf dem Nachhauseweg zu ihrem Schlafplatz, dunkle Umrisse vor einem grauen Himmel. Schemenhaft flatternd verfolgte eine Fledermaus im Zickzackkurs ihr Abendessen. Fen setzte sich auf einen seiner Koffer und wartete. Er hatte seine Zigarette ausgedrückt und war gerade dabei, sich eine weitere anzuzünden, als ihn das Motorengeräusch eines Autos in rege Betriebsamkeit versetzte. Mit seinen Koffern beladen kehrte er auf den Bahnhofsvorplatz zurück.
Entgegen aller Voraussicht erwies sich das Taxi als neu und komfortabel, und auch der Fahrer stellte sich als überraschend attraktiv heraus – eine schlanke, hübsche junge Frau mit schwarzen Haaren, die blaue Hosen und einen blauen Pullover trug.
»Tut mir leid, dass Sie warten mussten«, sagte sie freundlich. »Manchmal passe ich diesen Zug ab, nur für den Fall, dass jemand ein Taxi braucht, aber an manchen Abenden sitzen nicht einmal Fahrgäste darin, sodass es die Mühe kaum lohnt … Kommen Sie, ich helfe Ihnen mit Ihrem Gepäck.«
Die Koffer wurden verstaut. Fen bat um die Erlaubnis, vorn sitzen zu dürfen, was ihm gestattet wurde. Sie fuhren los. In der zunehmenden Dunkelheit gab es außerhalb des Wagens wenig, was seine Aufmerksamkeit verdient hätte, und Fen betrachtete stattdessen seine Begleiterin, bewunderte, was er im Schimmer des Armaturenbrettes von ihren großen grünen Augen, ihrem vollen Mund und ihrem seidig glänzenden Haar erkennen konnte.
»Taxi zu fahren«, wagte er sich vor, »ist für eine junge Frau doch ziemlich ungewöhnlich?«
Für einen Moment wendete sie ihren Blick von der Straße ab, um ihn anzusehen. Sie sah einen hoch gewachsenen, schlanken Mann mit einem geröteten, fröhlichen, glatt rasierten Gesicht und braunem Haar, das ihm in widerspenstigen Stacheln vom Kopf abstand. Seine Augen mochte sie besonders. Sie verrieten Nachsichtigkeit und Verständnis, außerdem eine Vorliebe für Unfug.
»Ja, das mag schon sein«, stimmte sie zu. »Es ist aber gar nicht so übel, wenn man sein eigenes Taxi besitzt, so wie ich. Es war eine gute Investition.«
»Dann machen Sie das schon länger?«
»Nein. Eine Zeit lang habe ich bei Boots gearbeitet – in der Leihbücherei. Aber aus irgendeinem Grund war es nicht das Richtige für mich. Meine Haut wurde dort so trocken wie Pergament.«
»Ich fürchte, das ist unvermeidlich, wenn man den ganzen Tag von Büchern umgeben ist.«
Aus der Finsternis vor ihnen tauchte ein umgestürzter Baum auf. Er blockierte die Fahrbahn zur Hälfte. Die junge Frau stieß einen harmlosen Fluch aus, bremste ab und umfuhr das Hindernis vorsichtig.
»Ich vergesse jedes Mal, dass das blöde Ding da liegt«, erklärte sie. »Ein Sturm hat ihn umgeweht, und Shooter hätte ihn schon vor Tagen aus dem Weg räumen sollen. Es ist sein Baum, also ist es auch seine Pflicht. Aber seine Nachlässigkeit ist wirklich unverantwortlich.« Während sie wieder beschleunigte, fragte sie: »Waren Sie schon einmal in dieser Gegend?«
»Noch nie«, sagte Fen. »Sie scheint mir ziemlich abgelegen«, fügte er vorwurfsvoll hinzu. Er hatte für das Ländliche nichts übrig.
»Sie wohnen im ›Fish Inn‹?«
»Ja.«
»Nun, vielleicht sollte ich Sie lieber warnen …« Die junge Frau unterbrach sich. »Nein, schon gut.«
»Was soll das bedeuten?«, hakte Fen besorgt nach. »Was wollten Sie eben sagen?«
»Gar nichts … Wie lange werden Sie bleiben?«
»Es kann doch nicht gar nichts gewesen sein.«
»Nun, es macht ohnehin keinen Unterschied. Sie können nirgendwo anders unterkommen, selbst wenn Sie es wollten.«
»Werde ich es denn wollen?«
»Ja. Nein. Ich will damit sagen, es handelt sich wirklich um eine sehr nette Gaststätte, nur … Ach, verdammt, Sie werden es ja selbst sehen. Wie lange bleiben Sie?«
Da offensichtlich war, dass er keine weiteren Erklärungen erwarten konnte, beantwortete Fen die Frage. »Bis nach dem Wahltag«, sagte er.
»Oh! … Sie sind doch nicht etwa Gervase Fen?«
»Doch.«
Neugierig sah sie ihn an. »Ja, das hätte ich mir denken können …«
Nach einer Weile fuhr sie fort:
»Sie beginnen reichlich spät mit Ihrem Wahlkampf, wissen Sie das? Es bleibt nur noch eine Woche, und ich habe nicht ein einziges Flugblatt von Ihnen gesehen, oder ein Plakat oder sonst was.«
»Mein Agent«, sagte Fen, »kümmert sich darum.«
Über diese Antwort dachte die junge Frau schweigend nach.
»Hören Sie«, meinte sie, »Sie sind doch ein Professor aus Oxford, nicht wahr?«
»Für englische Literatur.«
»Nun, für was auch immer … Ich meine, warum lassen Sie sich zu den Parlamentswahlen aufstellen? Wie sind Sie auf den Gedanken gekommen?«
Sogar sich selbst konnte Fen nicht immer erklären, warum er tat, was er tat, und ihm fiel keine überzeugende Antwort ein.
»Es ist mein Wunsch«, sagte er...
| Erscheint lt. Verlag | 31.10.2019 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Professor Gervase Fen ermittelt | Professor Gervase Fen ermittelt |
| Übersetzer | Eva Sobottka |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Buried for Pleasure |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Agatha Christie • Carola Dunn • Cosy Crime • Cosy Krimi • Edmund Crispin • England • england krimi • Erpressung • Gervase Fen • Krimiklassiker • Michael Innes • Oxford • Parlament • P.G. Wodehouse • Politik • Professor • Provinz • Wahlkampf |
| ISBN-13 | 9783841217752 / 9783841217752 |
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