Liebe stirbt zuerst (eBook)
273 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
9783841217769 (ISBN)
Urkomisch und spannend zugleich - Ein Klassiker unter den Detektivromanen.
England Ende der 40er Jahre. In der Castrevenford School in Straford-upon-Avon steht das große Schulfest an. Mit dabei ist Gervase Fen, Englischprofessor, Exzentriker und Amateurdetektiv, dazu auserkoren einige Preise zu verleihen sowie eine Rede zu halten. Doch am Abend vor dem großen Tag nehmen ungewöhnliche Ereignisse ihren Lauf, an deren Ende zwei Mitglieder des Personals tot aufgefunden werden. Mord steht ganz offensichtlich neu auf dem Programm. Der Schuldirektor bittet Gervase Fen, sich des Falles anzunehmen. Im Laufe der verworrenen Ermittlungen muss dieser sich mit den Liebesangelegenheiten der Schüler, einer Entführung, sowie einem verschollen Shakespeare Manuskript herumschlagen ...
'Edmund Crispin in der Form seines Lebens.' Observer.
Edmund Crispin, geboren 1921, war das Pseudonym des englischen Krimiautors und Komponisten Robert Bruce Montgomery. 1944 erschien der erste Band seiner Reihe um den Ermittler Gervase Fen, Professor für englische Literatur in Oxford. Crispins Kriminalromane zeichnen sich durch ihren humoristischen Stil, der bis ins Absurde reicht, und gleichzeitig einen hohen literarischen Anspruch aus. Er verstarb 1978. Alle neun Romane der Krimireihe um Gervase Fen sind bei Aufbau Digital verfügbar.
2. Suchet Mondschein!
»Denn ich hab gelernt«, sagte Simblefield, ein kleiner, pickliger, feiger Junge, »auf die Natur zu schaun nicht wie in Stunden argloser Jugend sondern oftmals lauschend dem traurig leisen Lied der Menschlichkeit nicht harsch nicht schrill und doch von großer Kraft zu läutern und zu bändigen.«
Er hielt inne, und auf seinem unsympathischen Gesicht erschien ein Ausdruck der Zufriedenheit. Wenn es um Gedichtrezitationen ging, bestand Simblefields höchstes Ziel darin, die ihm zugeteilten Verse herunterzurasseln, ohne dabei das eine oder andere Wort auszulassen; und genau das war ihm gelungen. Zwar war ihm selbstverständlich dunkel bewusst, dass es weit über dieses bescheidene Ziel hinausgehende Feinheiten in der Interpretation gibt, doch im Rausch seines augenblicklichen Triumphes maß er dem keine Bedeutung bei.
In der Stille, die auf seine atemlose Intonation folgte, konnte man hören, wie im Nebenraum Mr. Hargrave, der strengste Verfechter von Disziplin an der Schule, seine verschreckte und ihm demütig ergebene Klasse auf Lateinisch andröhnte. Erwartungsvoll sah Simblefield Mr. Mathieson an, der mit verschränkten Armen dastand und zum Fenster des Klassenzimmers hinausstarrte. Da er ein außergewöhnlich naiver und einfältiger Junge war, nahm Simblefield an, Mr. Mathieson suche nach den passenden Worten, um seinen Vortrag zu würdigen. Mit dieser Annahme lag Simblefield jedoch falsch, denn tatsächlich war Mr. Mathieson in einen flüchtigen und unzusammenhängenden Tagtraum verfallen und hatte noch gar nicht bemerkt, dass Simblefield geendet hatte. Mr. Mathieson war ein ungepflegter, kräftiger Mann mittleren Alters, plump in seinen Bewegungen. Er trug ein altes Sportjackett mit Lederflicken an den Ellbogen und ausgebeulte graue Hosen.
Getuschel weckte ihn auf, und seine Träumereien vermischten sich auf das Ernüchterndste mit der trostlosen Realität des Klassenzimmers. Es handelte sich dabei um einen großen, schachtelartigen Raum, dessen Wände in ihren unteren Partien nach Herzenslust mit Tintenklecksen und Fingerabdrücken dekoriert worden waren. Das Lehrerpult, schwer und antik, stand neben einer zerschrammten, abblätternden Wandtafel auf einem Podium. Ringsum hingen einige freudlose Bilder mit undefinierbaren ländlichen und klassischen Szenen. Eine dünne Kreideschicht bedeckte alles. Und an die zwanzig Schüler saßen an ihren eigensinnigen Klapppulten und nutzten die kurze Unterbrechung, um sich verschiedenen, mehr oder minder destruktiven und sinnlosen Zeitvertreiben zu widmen.
Mathieson bemerkte, dass Simblefield nicht mehr sprach, sondern ihn stattdessen selbstgefällig ansah.
»Simblefield«, sagte er, »hast du überhaupt irgendeine Vorstellung von der Bedeutung dieses Gedichtes?«
»Oh, Sir«, sagte Simblefield kraftlos.
»Was genau kennzeichnet denn in den Stunden unserer arglosen Jugend unsere Einstellung zur Natur, Simblefield? Du müsstest doch qualifiziert sein, diese Frage zu beantworten.«
Höhnisches Gelächter erhob sich. »Blödmann Simblefield«, sagte jemand.
»Nun, Simblefield? Ich warte auf eine Antwort.«
»Oh, Sir, ich weiß nicht, Sir.«
»Natürlich weißt du es. Denk nach, Junge. Du schenkst der Natur nicht viel Beachtung, was?«
»Oh doch, Sir.«
»Nein, tust du nicht, Simblefield. Für dich dient sie lediglich als Hintergrund deiner Person.«
»Ja, Sir, jetzt verstehe ich, Sir«, sagte Simblefield ein wenig zu bereitwillig.
»Ich hege große Zweifel daran, ob du wirklich verstehst, Simblefield. Aber vielleicht tun es ja einige der anderen.«
Augenblicklich wurden Rufe laut. »Ich verstehe, Sir.« »Nur ein Dummkopf wie Simblefield versteht das nicht.« »Sir, es ist so, als ob man spazieren geht, Sir, und die Bäume gar nicht richtig bemerkt.« »Sir, wozu müssen wir Wordsworth lesen, Sir?«
»Ruhe«, sagte Mr. Mathieson streng. Betretenes Schweigen machte sich breit. »Nun, das ist genau die Art und Weise, auf die Wordsworth die Natur nicht betrachtete.«
»Wordsworth war ein doofer Blödmann«, meinte einer sotto voce.
Mr. Mathieson überlegte kurz, ob er diese Bemerkung bis an ihren Quell zurückverfolgen solle, entschied sich dagegen und fuhr fort:
»Ich will damit sagen, dass die Natur für Wordsworth mehr war als bloße Kulisse.«
»Sir!«
»Ja?«
»Wurde Wordsworth während der Französischen Revolution nicht beinahe geköpft, Sir?«
»Zumindest hat er Frankreich kurz nach der Revolution besucht. Wie ich eben sagte …«
»Sir, wieso werden die Leute in Frankreich geköpft und in England gehängt?«
»Und in Amerika auf den elektrischen Stuhl gesetzt, Sir?«
»Und in Russland erschossen, Sir?«
Erneut erhob sich ein babylonisches Stimmengewirr. »In Russland erschießt man die Leute nicht, du Blödmann, man schlägt ihnen mit einer Axt den Kopf ab.« »Sir, ist es wahr, dass das Herz eines Erhängten noch weiterschlägt, wenn er schon längst tot ist?« »Ach Bagshaw, was bist du für ein Idiot.« »Ja, du Blödmann, wie soll er denn tot sein, wenn sein Herz noch schlägt?«
Mathieson schlug auf sein Pult.
»Wenn noch irgendeiner redet, ohne aufgerufen worden zu sein, werde ich den Betreffenden seinem Hausleiter melden.«
Das wirkte sofort – war es doch tatsächlich ein unfehlbares Mittel gegen jede Form von Durcheinander. Dem Hausleiter gemeldet zu werden war in Castrevenford eine ernste Angelegenheit.
»Und jetzt«, sagte Mr. Mathieson, »wollen wir uns wieder dem eigentlichen Thema zuwenden. Was, Simblefield, meinte Wordsworth deiner Ansicht nach mit dem traurig leisen Lied der Menschlichkeit?«
»Oh Sir.« Simblefield war über diese erneute Anforderung an seine mageren intellektuellen Ressourcen eindeutig verzweifelt. »Nun, Sir, ich glaube, er meinte … Sehen Sie mal, Sir, angenommen ein Berg oder ein Vogel oder sonst was…«
Simblefield, dessen Unfähigkeit, sein Unwissen zu verbergen, vom Rest der Klasse zu Recht mit Verachtung gestraft wurde, brauchte zu seinem großen Glück nicht weiterzusprechen, denn just in diesem Moment betrat der Direktor den Raum.
Eilig sprangen die Schüler auf, wobei Pulte verschoben und Stühle umgeworfen worden. Nur selten besuchte der Direktor eine Klasse während des Unterrichts, und die Neugier der Jungen wurde von einer eilig und mit großer Angst zusammengestellten gedanklichen Auflistung kürzlich begangener Missetaten gedämpft.
»Setzen Sie sich, meine Herren«, sagte der Direktor wohlwollend. »Mr. Mathieson, könnte ich Sie für einen Moment sprechen?«
»Natürlich, Herr Direktor«, sagte Mathieson, und an die Jungen gewandt: »Lest weiter, bis ich wiederkomme.«
Die beiden Männer traten nach draußen auf den Korridor. Er war kahl, und es hallte laut; der Holzfußboden war uneben. Außerdem war die Beleuchtung aufgrund der Tatsache, dass der Trakt mit den Klassenzimmern nicht zu seiner gegenwärtigen Verwendung erbaut worden, sondern eigentlich ein umfunktioniertes Irrenhaus war (ein Umstand, der immer wieder Anlass zu mäßigen Scherzen bot), nur unzureichend. An diesem Tag hatte der Korridor jedoch den Vorteil, vergleichsweise kühl zu sein.
»Aequam memento rebus in arduis servare mentem«, sagte Mr. Hargrave im angrenzenden Raum, »bedeutet nicht: ›Vergiss nicht, auf den harten Straßen Wasser für einen Monat mitzunehmen und nur ein Dummkopf wie du, Hewitt, kann Horaz eine derart schwachsinnige Bemerkung zutrauen.«
Der Schuldirektor sagte:
»Wie lief die Probe gestern Abend, Mathieson?«
»Oh … ganz gut, Herr Direktor. Ich denke, wir werden eine ordentliche Vorstellung geben.«
»Keine Probleme oder Verzögerungen irgendwelcher Art?«
»Nein. Nicht, dass ich wüsste.«
»Aha.« Der Direktor schien auf die Geräusche zu lauschen, die aus der neusprachlichen Untersekunda zu ihnen drangen – plötzliche Ausbrüche von Getuschel, die wie im Wechselgesang von panischem Zischeln unterbrochen wurden. Nachdenklich legte er seinen Zeigefinger mitten auf seine Unterlippe.
»Dieses Mädchen, das die Katharina spielt«, begann er von neuem. »Was für einen Eindruck macht sie auf Sie?«
»Sie spielt gut«, sagte Mathieson.
»Aber abgesehen davon – als Person.«
Mathieson zögerte, bevor er eine Antwort gab. »Um ehrlich zu sein, Herr Direktor, scheint sie ein ziemlich frühreifes Ding zu sein.«
»Ja. Ich bin froh, dass Sie diese Einschätzung teilen. So wie es aussieht, kehrte sie von der Probe gestern Abend in einem völlig aufgelösten Zustand nach Hause zurück, und wir können nicht herausfinden, was sie so aufgebracht hat.«
»Während der Probe war...
| Erscheint lt. Verlag | 31.10.2019 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Professor Gervase Fen ermittelt | Professor Gervase Fen ermittelt |
| Übersetzer | Eva Sobottka |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Love Lies Bleeding |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2. Weltkrieg • 40er Jahre • Agatha Christie • Carola Dunn • College Krimi • Cosy Crime • Cosy Krimi • Edmund Crispin • England • england krimi • Gervase Fen • Krimiklassiker • Love's Labour's Won • Manuskript • Michael Innes • Nachkriegszeit • Professor • Schule • Schulfest • Shakespeare • stratford • Theater • Theaterstück |
| ISBN-13 | 9783841217769 / 9783841217769 |
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