Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de
Siddharta geht in den Wald -  Heinz-Joachim Hackethal

Siddharta geht in den Wald (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
308 Seiten
Morawa Lesezirkel (Verlag)
978-3-99084-935-4 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
2,99 inkl. MwSt
(CHF 2,90)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Siddharta geht in den Wald um da, in meditativer Ruhe und Stille, zu sterben. Was geschieht in diesen letzten Stunden seines Lebens?

Heinz-Joachim Hackethal unterrichtet in Wien Meditation, Qi Gong, Tai Chi und östliche, speziell taoistische Philosophie. Er ist Autor von vier Büchern zu diesen Themen.

Ankunft im Wald

Kühl ist es im Wald. Es ist schattiger und angenehmer, als am Fluss. Und ruhiger, viel ruhiger. Am Fluss war es ein ständiges, meist hastiges Kommen und Gehen. Von Händlern, Geschäftsleuten und fahrendem Volk. Von Familien unterwegs zu Verwandten. Von Pilgern und Wanderern. Ein unermüdliches Vorbeiziehen von Gesichtern, aus denen die unterschiedlichsten Lebensläufe und Schicksale sprachen, begleitet vom wogenden Stimmengewirr und aufgeregt schwirrendem Geplapper der Reisenden.

Hier, im Wald, unter den Bäumen, ist eine völlig andere Stimmung. Weit weg, unhörbar weit weg, ist die immerzu bunte, flimmernde Ruhe- und Rastlosigkeit menschlicher Aktivitäten. Es herrscht, an diesem frühen Vormittag, eine angenehme, nach all den Jahren als Fährmann ungewohnte, daher umso deutlicher und eindringlicher empfundene Waldesruhe. Eine Stille aus Vogelgezwitscher und Rauschen der Äste.

Und es riecht auch völlig anders. Hier, im Wald, liegt eine aromatische Mischung aus frischem Blatt, erdigem, verwitterndem Unterholz und modrigem Laub in der Luft. An manchen Plätzen dominiert der herbe, schwere Duft von harzigem Holz, an anderen Stellen wiederum überwiegt der saftige, anregende Geruch von Beeren, Pilzen und frischen Waldfrüchten und vermischt sich, ein paar Schritte weiter, mit dem würzigen Aroma von verschiedenen Kräutern und Gräsern. Die feuchtschweren Gerüche von Wasser und die Ausdunste von Essen und staubigem Schweiß sind, in dieser wundervoll unschuldigen Waldluft, rasch vergessen.

Allesüberragende Bäume, mit nackten, glatten, schlanken Stämmen strecken sich weit hinauf in den Himmel. Ihre Kronen verschwinden meist vollständig unter dem dichten, vollen Blattwerk von sich kräftig ausbreitenden, halbhohen Sträuchern und dem Dickicht der hoch emporragenden, üppig wuchernden Büsche.

Immer wieder winden sich grobfaserige Lianen und andere Schlingpflanzen aus dem Unterholz. Klettern, sich vervielfach verzweigend, empor, in das Geäst der Bäume. Ringsum lichtes, wucherndes Gestrüpp, Flechten und holziges Geäst. In dem sich kräftige Zweige, einige mit hellroten, vereinzelt auch mit zarten dunkelblauen oder honigfarbigen Blüten bestückt, ausstrecken. Unter der Vielfalt von kleinen, feingliedrigen Blättern, manche dicht behaart, andere wiederum spiegelglatt schimmernd, auch immer wieder riesengroße, dicke, fette, fächerartige Exemplare. Und jedes Blatt hat seine eigenartige Form, sein ganz spezielles Aussehen.

Die Böden sind bedeckt mit niedrigem Gebüsch, mit zartglänzenden Farnen, schlanken, glänzenden Gräsern und Halmen und anderen blattreichen Gewächsen. Manch hoch aufgeschossene Pflanze ragt aus den bodendeckenden Gräsern heraus und wiegt sich bedächtig. Manchmal tauchen auch wundersame Waldblumen auf und entzücken durch ihre fantastischen, figuralen Formen und prächtigen Farben.

An einigen dicht verhangenen Stellen leuchten saftig grüne Moose. Zwischen all dem bahnt sich das Wurzelwerk der Bäume energisch seine kreuz und quer verlaufenden Wege. Wie dickes, unheimlich zähes Aderwerk breiten sich die kräftigen Wurzeln, weiträumig verzweigt, aus und bohren sich dann tief in die fruchtbare, nährende Walderde.

Schmale Fußwege verlaufen sich im dicht verwachsenen Gebüsch. Jeder Schritt ist begleitet von einem leisen Knirschen und Rascheln. Manchmal auch ein jähes Knacken. Es sind ruhige, langsame, bedächtige Schritte, die hier gesetzt werden müssen, um voranzukommen. Und nicht über eine Wurzel oder eine tief herabhängende Liane zu stolpern.

In machen Abschnitten ist die Sichtweite arg eingeschränkt. Immer wieder stellen sich üppige Büsche und wildwachsendes Gestrüpp wie ein undurchdringlich scheinendes Bollwerk entgegen und behindern das Weitergehen. Und der Waldgänger muss Arme und Hände einsetzen, um den Körper gegen zähes, unnachgiebiges Geäst zu schützen. Doch trotz aller Vorsicht passiert es immer wieder, dass Äste schmerzhaft auf Hals und Gesicht peitschen.

Der Waldschatten ist kühl und angenehm. Das Sonnenlicht findet nur an ganz seltenen Stellen einen Weg zwischen dem Blattwerk hindurch bis hinunter zum Waldboden. Die wenigen Strahlen, die den Durchbruch schaffen, wirken daher umso heller und glanzvoller. Wie zauberhaftes, goldenes, blendendes Himmelslicht. Das den Waldschatten, auf seltsam funkelnde Weise, punktuell erhellt. Und in jedem der schmalen, flimmernden Lichtkegel tauchen, effektvoll beleuchtet, unzählige tanzende Insekten, langsam umhersegelnde Samen und hauchdünne Silberfäden auf. Und so waren auch die ersten Gedanken voll Freude und Erleichterung.

In den Wald gehen heißt nach Hause kommen. Die Heimkehr zum Ursprung, ins Freie, ins Natürliche. Fernab vom ungestümen Menschengeist. Im Wald findet sich das Unschuldige, das Absichtslose, das Reine, Heile, Friedvolle. Es fügt sich eines harmonisch, familiär ins andere. Kein Geschöpf hier, das Bedingungen an das Leben stellt, das etwas vom Schicksal verlangt oder erwartet. Es zählt hier nur das unschuldige Sein. Und dieses Sein ist ein dankbares Sein-Dürfen, die Freude darüber, existieren, dasein zu dürfen. Ohne Verlangen oder Bedauern, ohne Forderung und Haben-Wollen.

Es gibt kein Ich und kein Du. Keinen Selbstbezug, keinen Gedanken über den Tod und auch nicht den Willen, unbedingt weiterhin sein zu müssen. Denn wenn es das Leben verlangt, opfert sich eins willig dem anderen, um dessen Überleben zu ermöglichen. Es geht, bei allem, nicht um die eigene Existenz oder um die Form, es geht vielmehr um etwas weit Größeres, es geht um das Leben und seinen Weiterbestand. Sie existieren, leben alle hier nicht des Eigensinns, sondern nur des Daseins, des Lebens wegen.

Der Ankömmling wirkte nun sehr erleichtert. So ist hier alles Ruhe und Frieden. Alles ist Freund und Geborgenheit. Ein Eintauchen in den Schoß der Unschuld, die Rückkehr in die heile, gerechte Familie des Ursprungs, in die natürliche seelische Gemeinschaft. Die dich bald schon herzlich willkommen heißt. Und dir Obhut, Nest, Nahrung und Heimat bieten wird. Auch wenn sie dich, zunächst, mit Dornen, Disteln und peitschenden Äste empfängt. Doch du nimmst es gerne an. Und genießt, danach, erleichtert und mit ganzem Herzen, deine Ankunft.

*

Aus Siddharta war nun ein greiser, alter Mann geworden. Rasch war alles gekommen. Allzu rasch. Der Verfall des Körpers. Eines verbrauchten, abgelebten, von den Aktivitäten des Lebens bereits arg gezeichneten Körpers. Matt, erschöpft, gebrechlich, mehr und mehr geschwächt. Und in seinen Fähigkeiten ziemlich eingeschränkt und behindert.

Nach der letzten Begegnung mit dem Freund und Lebensbegleiter Govinda dauerte es nicht lange und Siddhartas Bewegungen wurden schwerfälliger, die Gelenke schmerzten und selbst kurze Wege waren dem Alten beschwerlich. Nach und nach versagten die Körperkräfte und es fiel ihm schwer und immer schwerer, die Notwendigkeiten des Lebens zu verrichten.

Dazu war Siddharta auch noch im Laufe der Zeit schwerhörig geworden. Und es hatte sich, bald, auf einem Ohr eine völlige Taubheit eingestellt. Daher konnte er, sehr zu seinem Leidwesen, den Fluss, seinen geliebten, gesprächigen Gefährten und weisen Lehrmeister, der in schwierigen Zeiten oft ein zuverlässiger Tröster und geduldiger Beistand gewesen war, kaum mehr hören. Und seinen Geschichten lauschen. Wie sehr fehlte ihm doch die kluge, niemals müde Stimme, sein vertrautes, vielsagendes Geflüster!

Ein zahnloser Mund, der sich mit der Nahrungsaufnahme ziemlich schwer tat, die immer zittriger werdenden Hände, das nachlassende Augenlicht und der krumme Rücken: Der abgelebte, schmerzvolle Körper machte dem gebrechlichen Alten das alltägliche Leben zur ständigen Plage. Und manche wichtige Tätigkeit immer unmöglicher.

Das war nun aus Siddharta, dem prächtigen Brahmanensohn mit leuchtender Stirne, dem einst so kraftstrotzenden, von vielen, wegen seines schönen, makellosen Aussehens und seines perfekten Körpers, Bewunderten, geworden: ein alter, zittriger, in seinen Lebensumstanden arg eingeschränkter Mensch. Ein bemitleidenswerter, krummer, armseliger Greis. Der zur Arbeit als Fährmann längst nicht mehr fähig war.

Für diese wichtige Tätigkeit war ein Junger gekommen. Ein kantiger, rauer Bursche. Von grober, kräftiger Gestalt und mit harten Gesichtszügen. Ein äußerst ehrgeiziger, nur am Geschäft und am schnellen Gelde interessierter junger Mann. Der mit den Fahrgasten um jeden Groschen Fuhrlohn zu feilscht. Und dabei allzu oft in Streit gerät.

Um den greisen Siddharta und seine Versorgung kümmerte sich der unsensible Bursche nur recht wenig. Tat für den alten, arbeitsunfähigen Kollegen bloß das Allernotwendigste. Und das nur mit widerwilligen Gesten und in mürrischem Tone, dem nur allzu deutlich anzumerken war, wie lästig...

Erscheint lt. Verlag 31.7.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-99084-935-2 / 3990849352
ISBN-13 978-3-99084-935-4 / 9783990849354
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)
Größe: 620 KB

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Kurzgeschichten

von Katrin Sobotha-Heidelk

eBook Download (2023)
Lehmanns Media (Verlag)
CHF 9,75

von Bram Stoker

eBook Download (2022)
Steidl Verlag
CHF 24,40
Kein Ende ohne Anfang

von Katharina Levashova

eBook Download (2023)
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
CHF 9,75