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Judith Kerr (eBook)

Die Frau, der Hitler das rosa Kaninchen stahl
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
256 Seiten
Theiss in der Verlag Herder GmbH
978-3-8062-3956-0 (ISBN)
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»Als Hitler das rosa Kaninchen stahl« begeisterte Generationen junger Leser. Judith Kerr verarbeitet darin die nationalsozialistische Machtergreifung und erzählt ihre eigene Geschichte: 1923 als Tochter des bekannten Theaterkritikers Alfred Kerr in Berlin geboren, musste die Zehnjährige 1933 mit ihrer jüdischen Familie nach England fliehen. Mit Kinderaugen betrachtet sie die Flucht vor allem als Abenteuer, findet sich rasch in ihrer neuen Heimat zurecht - und ist zeitlebens von einem Gefühl der Dankbarkeit geprägt. Erstmals liegt nun eine Biographie der Schriftstellerin vor, die sich selbst vor allem als Zeichnerin sah. Astrid van Nahl verbindet darin privates Leben, künstlerisches Schaffen und politisches Weltgeschehen zu dem faszinierenden, einfühlsam geschriebenen Porträt einer großartigen Frau, die sich trotz aller Widrigkeiten die Freude am Leben bewahrte.

Dr. Astrid van Nahl hat das Online-Magazin alliteratus.com gegründet, das Informationen, Beratung und Empfehlungen im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur bietet. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Bonn, Saarbrücken und Bochum. Heute ist sie Lehrbeauftragte für Isländische Sprache und Sprachgeschichte an der Universität Bonn und arbeitet als Autorin und Fachübersetzerin.

Dr. Astrid van Nahl hat das Online-Magazin alliteratus.com gegründet, das Informationen, Beratung und Empfehlungen im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur bietet. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Bonn, Saarbrücken und Bochum. Heute ist sie Lehrbeauftragte für Isländische Sprache und Sprachgeschichte an der Universität Bonn und arbeitet als Autorin und Fachübersetzerin.

INHALT
Vorwort 7
Eine Kindheit in Berlin (1923–1933) 12
Unruhige Zeiten 12
Alfred Kerr – Liebevoller Vater und scharfzüngiger Kritiker 19
Julia Weismann – Mutter mit schwieriger Familie 27
Judith Kerr – Eine Insel des Glücks und draußen das Chaos 32
Eine Heimat geht verloren 56
Im Exil (1933–1945) 64
Wenn die gleiche Sprache etwas anderes bedeutet 64
Ortswechsel – Und nichts ist, wie es war 86
In einem Land, das man nicht will 117
Die Angst vor den Verfolgern 128
Nach dem Krieg (1946–1970) 149
Erste Erfolge 149
Eine Lehrerin, die Literatur und die Liebe 164
Ein Kater wird geboren 180
Das rosa Kaninchen oder: Wie können Kinder das
Unfassbare fassen 197
Schriftstellerin und Zeichnerin (1970–2019) 205
Lebensstationen 240
Bibliografie 243
Register 249
Dank 254

Im Exil


(1933–1945)


Wenn die gleiche Sprache etwas anderes bedeutet


Die Schweiz sollte also die neue Heimat werden, denn: „Von hundert Schweizern reden sechzig deutsch. Fühlen sich als Halbgeschwister der Deutschen im Reiche. Deren Geschick verfolgen sie mit stärkstem Anteil ohne für die Methoden des Göring was übrig zu haben. Sie drücken bloß manchmal ein Auge zu … Wieviel Deutschland gerade denen verdankt, die heut auf der Flucht, in Haftlöchern und Folterkammern sind, das wissen die Schweizer.“ Aber Alfred Kerr sah auch „ein Gefühl der Ängstlichkeit. Ihre Blätter können in Deutschland beschlagnahmt werden. Man hängt auch wirtschaftlich etwas von dort ab; nicht zuletzt die Buchverleger. Niemand weiß, was kommt; auf welche Seite man fallen soll …“ (AK, Hausknecht, 34)

Der größte Anreiz, den die Schweiz bot, war die Sprache. Man sprach und verstand dort Deutsch, und das gab Alfred Kerr trotz der „Ängstlichkeit“ die Hoffnung, dort Arbeit zu finden, wieder schreiben zu können, den Lebensunterhalt zu verdienen, der nun nötiger war als je zuvor. Alles Vermögen, alle Sachwerte waren ja in Berlin geblieben bei der Abreise, die sich überstürzter vollzogen hatte als geplant. Julia Kerr hatte den Kindern ein schönes, beschauliches Leben in der Schweiz ausgemalt, mit einem angemieteten Haus und Heimpi, die den Haushalt führte. Aufregend hatte es für Judith geklungen. Später, im Rosa Kaninchen, wird Anna es sich ausmalen: ein Haus in den Bergen, Ziegen, Kühe, ländliche Idylle. Aber als das Gerücht ging, dass auch ihre Pässe eingezogen werden sollten, hieß es sofort handeln. Drei Tage nach Michaels Geburtstag, am Samstag, den 4. März, verließ Julia Kerr mit den Kindern Berlin.

Gerade noch rechtzeitig waren sie abgereist, denn bereits am Montag kam die Polizei in ihr Haus, um die Pässe einzufordern, sie trafen jedoch nur auf Heimpi. Sie sollte nachreisen und sah die Familie nie wieder. Ein trauriges Schicksal wartete auf sie. Das Vermögen der Kerrs war beschlagnahmt, die Familie hatte kein Geld mehr und konnte weder Heimpis Fahrt bezahlen noch ihren Lohn. Eine neue Stelle war – auch später – nicht leicht zu finden für Heimpi, da sie bei dem Juden und Staatsfeind Alfred Kerr gearbeitet hatte. Alle ihre Pläne, sich zu verändern, scheiterten.

Man musste den Eindruck erwecken, weder auf einer zu langen Fahrt noch gar auf der Flucht zu sein. Sie mieden daher große Bahnhöfe und reisten mit Unterbrechungen über Stuttgart in Richtung Schweiz, passierten die Grenze dann am frühen Sonntagmorgen in einem Lokalzug. Im Roman kann Anna es kaum glauben, dass sie wirklich in der Schweiz sind. Michael erinnert sich 70 Jahre später, wie sein Vater ihm später erzählte, wie er am Zürcher Bahnhof auf den Zug gewartet hatte, in banger Erwartung, weil er nicht wusste, ob sie ankommen würden oder nicht. Er selbst beschreibt die Fahrt als eine wunderbare Reise durch ein Deutschland, das er kaum kannte, erinnert sich an die Gefühle von Aufregung und Furcht und an die etwas verwirrte Erleichterung, als sie in Zürich aus dem Zug stiegen und den Vater, ein bisschen gebrechlich, blass und ängstlich, auf dem Bahnsteig stehen sahen.

Auch wenn sich Alfred Kerr in Prag erfolglos nach Arbeit umgesehen hatte, war das Exil noch nicht wirklich in seiner Wahrnehmung angekommen. Über die finanzielle Situation schien er sich keine großen Gedanken gemacht zu haben, denn er quartierte die Familie erst einmal in Zimmern des besten Hotels der Stadt ein; Judith (Anna) erinnert sich an eine Drehtür, dicke Teppiche und viel Gold. Die ersten zwei Tage ähnelten sorglosen, fröhlichen Urlaubstagen. Überhaupt hatten die Eltern, vor allem Mutter Julia, eine glückliche Hand, den Kindern den Beginn des Exils als ein großes Abenteuer zu vermitteln. Spaziergänge, Wanderungen, Fahrten mit der Zahnradbahn und einem Ausflugsschiff schufen schnell die typische Urlaubsatmosphäre. Nach wenigen Tagen in Zürich reisten die Kerrs innerhalb der Schweiz weiter nach Lugano-Cassarate nahe der italienischen Grenze im Kanton Tessin. Auch hier, am Luganer See, verbrachte die Familie gezwungenermaßen mehrere Wochen in einem guten Hotel: Judith war schwer erkrankt, vermutlich an einer Virusgrippe mit wochenlangen Fieberattacken, die ihr das Bewusstsein raubten. „Schwerste Wochen in Lugano; Puppi wird krank; Angina; Fieber; Lebensgefahr. Furchtbare Zeit“, notiert Alfred Kerr. (AK, Hausknecht, 34).Hotelzimmer, anfallende Arztkosten, Medikamente, all das vergrößerte neben der Angst um die Tochter die existenziellen Sorgen der Eltern.

Es war zugleich die Zeit der Wahl in Deutschland. Judith erlebte sie in ihren Fieberträumen, beschrieben Jahrzehnte später, als Anna:

„Dann schwankte der Raum wieder, und es war Anna, als triebe sie davon, während die Stimmen weiterklangen. Jemand sagte: ‚… Sie haben also die Mehrheit …‘ Dann verstummte die Stimme und eine andere (oder war es dieselbe Stimme?) sagte: ‚… Genug Stimmen, um zu tun, was er will …‘ Schließlich hörte sie unverkennbar Max in ganz unglücklichem Ton erklären: ‚Wir gehen also nicht nach Deutschland zurück … wir gehen also nicht nach Deutschland zurück … wir gehen also nicht nach Deutschland zurück …‘ Hatte er es wirklich dreimal gesagt?“ (JK, Kaninchen, 39f.)

Indessen fuhr Alfred Kerr immer wieder zwischen Cassarate und Zürich hin und her, versuchte, seine finanzielle Situation zu klären und zu festigen, die ihm anfangs nicht derart schlecht erschienen war. Schließlich war sein „alter ego“, wie er seine geliebte Reiseschreibmaschine zu nennen pflegte, mit den Koffern der Familie wieder bei ihm angekommen, und zu schreiben verstand er ja, wozu sich also allzu große elementare Sorgen machen. Ihren Einstieg in der Schweiz hatte Alfred Kerr vielleicht noch als den Urlaub gesehen, den die ersten Tage in Zürich verheißen hatten. Das Berliner Tageblatt, für das er seit Jahren schrieb, hatte die Schweizreise schließlich gebilligt, war insgeheim sicherlich auch erleichtert, dass ihr scharfer Kritiker zum Zeitpunkt der Wahlen gar nicht im Lande war.

Zwei Ereignisse trafen in diesen Tagen zusammen; das erste war eine Verschärfung des Asylrechts in der Schweiz. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung hatte die „neutrale“ Schweiz schnell zu den bevorzugten Fluchtzielen der politisch und „rassisch“ Verfolgten aus Deutschland gehört, sicherlich in erster Linie wegen der Sprache. Schließlich war es auch für Alfred Kerr naheliegend gewesen, nicht in der Tschechoslowakei zu bleiben, sondern aufgrund der Sprache in den deutschsprechenden Teil der Schweiz zu emigrieren. Die Tatsache, dass die ganze Familie deutschsprachig war, gab allen das Gefühl, dass nicht alle Brücken nach Deutschland, in die Heimat, abgebrochen waren. Allerdings sollte Michael später von den großen Schwierigkeiten berichten, das Schweizerdeutsch der Einheimischen zu verstehen und als Hochdeutsch Sprechender auch bei den Gefährten nicht als Außenseiter zu gelten.

Doch wie andere Exilanten enttäuschte die Schweiz nun auch Alfred Kerr: Die Behörden reagierten schnell auf die zahllosen Flüchtlinge und erließen neue Verordnungen über das Asylrecht. Das Bleiberecht war nun nur noch für Flüchtlinge gedacht, die aus politischen Gründen verfolgt wurden, und die Schweizer Bundesanwaltschaft entschied über ihre Anerkennung. „Rassische“ oder religiöse Verfolgung war kein anerkannter Asylgrund, sodass jüdische Flüchtlinge in der Schweiz bald keine längere Aufenthaltsgenehmigung mehr bekamen.

Das zweite gravierende Ereignis – diesmal persönlicher Art – war die Reaktion des Berliner Tageblatts auf die Wahl in Deutschland. Die Probleme hatten sich bereits angedeutet, als Alfred Kerr auf seine Nachfrage hin Nachzahlungen aus Artikeln, die vor seiner Flucht im nationalsozialistischen Deutschland erschienen waren, verweigert wurden. In einem Brief an seine Frau klagte er bereits im März 1933, dass Hans Lachmann-Mosse, sein Chef beim Berliner Tageblatt, ihm nichts zahlen wollte oder konnte, aus Angst vor den Nationalsozialisten. Hatte die Zeitung während der Weimarer Republik eine linksliberale Linie vertreten, so unterlag sie nun der sogenannten Gleichschaltung, durch die die Nationalsozialisten ihr erklärtes Ziel, alle Bereiche von Politik, Gesellschaft und Kultur gemäß ihren Vorstellungen neu zu organisieren, schneller erreichen wollten. Für den Verlag und die Zeitung bedeutete diese Gleichschaltung nicht nur die „Beseitigung demokratischer Strukturen zugunsten des ‚Führerprinzips‘“, sondern auch die „Implementierung antisemitischer Grundsätze, indem Juden aus leitenden Positionen entfernt oder gänzlich aus der Organisation verstoßen wurden“ (Grüttner, 45). Lachmann-Mosse hatte Angst vor den Nationalsozialisten, die mit der Beschlagnahmung seines Besitzes drohten, und setzte sich nicht mehr für seine betroffenen Mitarbeiter ein. Damit endete die 14-jährige Zusammenarbeit zwischen dem Verleger...

Erscheint lt. Verlag 12.8.2019
Verlagsort Darmstadt
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Als Hitler das rosa Kaninchen stahl • Biografie • Biographie • Caroline Link • Exil • Judenverfolgung • Judith Kerr • Justus von Dohnanyi • Kinderbuch • Kinderbuchautorin • Künstlerin • Lebensweg • Machtergreifung • Nationalsozialismus • Politisches Weltgeschehen • Poträt • private einblicke • Schriftstellerin • Verfilmung • Zeichnerin
ISBN-10 3-8062-3956-8 / 3806239568
ISBN-13 978-3-8062-3956-0 / 9783806239560
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