Blutrote Hand (eBook)
hansanord Verlag
978-3-947145-27-0 (ISBN)
Verzweifelt sucht sie nun für sich und ihre Geschwister in den Labyrinthen Londons Zuflucht und Vergessen.
Doch die Vergangenheit ist alles andere als vergangen.
Ein Freund versagt, ein alter Gegner wird zum Vertrauten und eine tödliche Bedrohung kehrt zurück.
'Blutrote Hand' ist der furiose Abschluss des Horror-Thrillers 'Schneeweiße Hand' in einer Neuauflage.
Alexandra Huß studierte Creative Writing und absolvierte verschiedene Praktika in der Buchbranche. Sie schreibt Kolumnen für eine spanische Zeitung. <br><br> Sie lebt mit ihrer Familie im schaurig-schönen Ruhrgebiet und verfasst unter anderem Texte für das Mallorca Magazin. In Spanien, ihrer zweiten Heimat, tankt sie Energie für neue Projekte.
Hannah Holmes – Erste Spuren
Ich habe drei Wochen Urlaub genommen und beginne am nächsten Morgen mit der Recherche. Motiviert ziehe ich die Sporthose und den übergroßen Strickpulli an. Krame im Schlafzimmer nach dicken Wollsocken, die ich dann unter viel zu vielen Klamotten von Caja finde. Ich drehe mich zu ihr um und erkenne unter dem Federbett nur ihre braunen, langen Haare, die in schönen Wellen darunter hervorlugen.
Die Küche ist der letzte Raum am Ende des Korridors. Über das knarzende Parkett verschwinde ich darin, stelle die Kaffeemaschine an und mache die Tür zu. Der kleine Balkon, der zur Straßenseite zeigt, auf dem verschiedene Kräuter in glasüberdachten Blumenkästen stehen, ist völlig zugeschneit. Ich öffne das Fenster ein wenig, sofort dringt die eisige Luft in die Stube und lässt mich schaudern. Noch scheinen ein paar Sonnenstrahlen ihren Kampf gegen die Wolken ausfechten zu wollen, aber diese Bemühung wird aussichtslos sein.
Ich ziehe den Kragen des Pullis über meine Nase, setzte mich auf den Stuhl am Küchentisch und protokolliere in einem Notizblock, wo genau ich die Jungs gesehen habe.
Und die exakte Uhrzeit.
Dann gieße ich mir heißen Kaffee ein und überlege weiter. Der alte Mann ... oder waren es zwei Männer? Ich bin mir nicht mehr sicher und setze ein Fragezeichen dahinter. Sie alle trugen blaue Arbeitsanzüge. Sauber waren die nicht. Entweder hatten die da am Hafen etwas zu besorgen oder sie arbeiteten dort. Ich selbst habe an dem Morgen Fisch besorgt, Mister Snyles hat den besten und frischesten Hecht in ganz London. Als ich am Kofferraum gewesen bin, habe ich jemanden lachen gehört, laut und albern.
Nur aus diesem Grund habe ich aufgesehen. Und da waren die Jungs.
Sie unterhielten sich mit Mister Snyles. Ich habe mich geduckt, mir wurde schlecht. Vor meinen Augen tanzten Funken und das Herz hämmerte wie verrückt.
Snyles. Zuerst werde ich Mister Snyles befragen, und wenn die sich tatsächlich in London aufhalten, dann Gnade ihnen Gott.
»Guten Morgen, Honey. Was machst du da?«, fragt Caja, die ohne Schlafkleidung in die Küche kommt und den Block vom Tisch nimmt. Ihre Haare stehen zu Berge, die Liegefalten machen sie noch niedlicher. Ich ziehe sie auf den Schoß und denke, die Ermittlungen können warten.
***
Gegen zehn verabschiedet sich Caja. Noch wohnen wir nicht zusammen. Sie hat einen Job in New Cross, unterrichtet Geschichte an der Pepys School.
Von meinen drei Wochen Urlaub habe ich ihr rein gar nichts erzählt, denn das muss ich alleine erledigen. Irgendwann haben wir vor, ein Loft in Kensington zu mieten, aber wir wollen nichts überstürzen. Nach der Sache in Dumfries stand sie plötzlich wie ein rettender Engel vor mir. Ein Pub am Ende der Straße, eine Einladung ihrerseits zu einem Guinness und seitdem sind wir ein Paar.
Glücklich stehe ich auf und ziehe mich an. Ich verlasse ca. eine halbe Stunde nach ihr die Wohnung und fahre zum Bankside Pier am Queens Walk.
Am Hafen sind wenige Menschen unterwegs. Lediglich ein paar Touristen, die trotz des Wetters eine Tour über die Themse erleben möchten, stehen vor einem Schiff in der Schlange.
Ich parke mein Auto hinter zwei Anlieferungswagen, steige aus und gehe über den gestreuten Weg hinüber zu dem Mann, den alle nur Snyles nennen. Ich hebe die Hand zum Gruß, denn er hat mich schon erkannt und kommt mir entgegen. Wenn ich ihn beschreiben müsste, würde mir zuerst ein waschechter Seefahrer einfallen: groß und kräftig, mit einem schwarzen Bart und einer Fischermütze auf dem Kopf. Den speckigen Regenmantel, den er trägt, scheint er nie zu reinigen. Und der feuchte Zigarrenstummel in seinem Mundwinkel, der mehr Rauch als London absondert, passt zu ihm.
Auch wenn Snyles Lächeln wenige Zähne aufweist, ist es unschlagbar. Ich frage ihn, ob er mir freundlicherweise ein paar Dinge beantworten könnte und er nickt mir zu.
Wir gehen in seine Hütte, eine typische Fischerhütte mit Netzen und Fanggeräten. Die Einrichtung besteht größtenteils aus Holz, nur die Kiste für die Katze Lucie ist aus weißem Kunststoff. Er bietet mir ein Bier an, und obwohl es viel zu früh für Alkohol ist und ich noch fahren muss, sage ich ja. Er gibt mir die braune Flasche, ich öffne sie und nehme einen großen Schluck. Snyles trinkt ebenfalls, nur dass die Flasche anschließend so gut wie leer ist. Er wartet ab und sieht mich fragend an. Seine dunkelgrünen Augen gleichen meinen, bloß glänzen sie wahrscheinlich nicht mehr so wie in seiner Jugend. Ich ziehe den Block aus der Winterjacke und fange an, meine Fragen zu stellen.
Die erste bezieht sich auf die Zwillinge. Er ist sich sicher, sie nicht zu kennen. Als ich ihm von den unverkennbar roten Haaren erzähle, fängt er an zu grübeln. Er streicht mit einer Hand durch seine Barthaare, es knistert und raschelt wie altes Laub. Dann scheint ihm etwas einzufallen, er steht auf und läuft durch die Hütte. Er berichtet mir, dass ein gewisser Boyl und sein Bruder Carson oft am Hafen sind.
Mir fällt der alte Mann ein, Mister Fitch, und ich hake nach. Doch die Nachnahmen kennt er nicht, man begrüßt sich immer mit dem Vornamen. Rothaarige Burschen sind dauernd dabei, fleißige Kerle, sagt er.
Ich notiere mir die Zeitpunkte ihrer Besuche und frage nach dem Wohnort. Den kennt er auch nicht genau, sagt er, und unterstreicht seine Aussage mit einem kräftigen Kopfschütteln. Sie müssten ganz aus der Nähe sein, denn einer der Jungen kommt meist zu Fuß.
Er öffnet eine neue Flasche Bier und hockt sich neben mich, beäugt den Block, auf dem ich alles festhalte. Wozu ich dies wissen möchte, fragt Snyles mich langsam und ich bemerke sein Misstrauen. Die Wahrheit werde ich ihm sicher nicht verkünden, doch die Story vom Erbe irgendeines Verwandten, der ebendiese Kinder sucht, wird ihn wohl zufriedenstellen . Ich mag Snyles und lüge ihn ungern an, aber im Moment geht es nicht anders.
In meiner nächsten Frage kommen Scout und das Jüngste der Kinder vor, Locky. Sofort bin ich wieder in der Folterkammer, sehe den Jungen am Boden liegen. Als sie damals in Mac Dollyns Kombi weggefahren sind, hat er sich nochmal nach mir umgedreht und gewunken. Vielleicht mache ich die ganze Sache auch nur für ihn.
Snyles sieht mich kopfschüttelnd an, lediglich die Zwillinge und die Brüder Boyl und Carson kommen hierher. Und wenn, dann habe er eine junge Frau mir roten Haaren nicht erkannt. Denn bei dem, wie er sich ausdrückt, Mistwetter tragen alle Mützen oder sonstige Kopfbedeckung. Zu alledem verändern junge Menschen ständig ihr Äußeres, schimpft er, seine Nichte hätte nun eine Kurzhaarfrisur in grüner Farbe. Ein Auge werde er darauf haben und mich anrufen, käme ihm etwas verdächtig vor, verspricht er mir und ich reiche Snyles meine Karte.
Zu Locky meint er bloß, und steht auf, kleine Kinder sehe er nur in Begleitung Erwachsener. Das Wasser der Themse sei gefährlich. Da werde doch wohl niemand unter fünfzehn Jahren auf die Idee kommen, erbost er sich und reckt die Faust zur Zimmerdecke.
Mister Snyles trinkt die Flasche aus, rülpst und öffnet die Tür. Dann geht er raus vor die Hütte. Sofort kriecht mir die feuchte Kälte in die Knochen.
Ich greife den Block, ziehe den Reißverschluss meiner Jacke hoch und binde mir den Schal fester um den Hals. Dann trete ich hinter Snyles hinaus und verfolge seinen Blick. Dieser geht zuerst hinauf in den grauen Himmel der Stadt, anschließend nach links zum Pier. Es beginnt zu schneien, wir legen schützend eine Hand über die Augen und schauen weiter.
»Dort drüben«, sagt Snyles und deutet auf ein Objekt im Wasser.
Da die Flocken aber mittlerweile so dicht hinunterfallen, erkenne ich es nicht. Auf die Frage, was denn dort sei, weiß Snyles eine Antwort.
»Nur ein Hausboot. Die Jungen beschäftigen sich damit, während die Alten an kaputten Autos herumschrauben.«
Ich gehe mehrere Schritte voran und kann es nun auch sehen.
Verrostet, braun angestrichen und nicht sehr groß.
»Was sie wohl vorhaben?«, frage ich Snyles. Doch er schüttelt den Kopf.
›Womöglich verschwinden sie bald aus London‹, denke ich, stopfe die Unterlagen in die Jacke und verabschiede mich von Snyles. Nachdenklich laufe ich am Pier entlang, noch einen letzten Blick auf das Boot gerichtet.
Mein Auto ist völlig mit Schnee bedeckt, die Sonnenstrahlen von heute Morgen eine weit entfernte Erinnerung.
Ich setze mich hinein, will eben die Scheibenwischer anschalten, um freie Sicht zu haben, da bekomme ich eine solchen Schrecken, dass ich aus dem Sitz springe und an das Heckfenster des Autos haste. Bevor der Wischer alles Weiße wegfegen kann, lese ich in Druckbuchstaben zwei Worte:
›Miese Schlampe‹.
Aufgewühlt schaue ich mich um und sehe zu meinem Entsetzen frische Fußspuren, die von dem Wagen wegführen. Ich folge ihnen mit den Augen, sie enden am Hafenbecken der Themse. Doch da liegen nur das verrostete Boot und der Kahn von Mister Snyles. Erschrocken setze ich mich ins Auto zurück, verriegele die Türen und fahre los.
Über einige Abkürzungen lande ich schließlich auf der Walworth Road und werde in zehn Minuten zu Hause sein. Die Hände kleben am Lenkrad fest und ich stinke nach Schweiß. Ich muss nachdenken und werde erst zur Ruhe kommen, wenn der Wagen auf dem Parkplatz steht.
›Miese Schlampe.‹
Wer macht sowas? Ich fische mit einer Hand die Wasserflasche unter dem Sitz hervor und trinke einen großen Schluck. Vielleicht ist es bloß ein Zufall, jemand, der sich einen schlechten Scherz erlaubt hat.
Ich biege links ab, bugsiere das Auto in eine freie Parklücke und ziehe den Schlüssel ab, atme tief durch, dann steige ich aus....
| Erscheint lt. Verlag | 8.1.2021 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Abgrund • Angst • Gefühle • Hass • Intimität • London • Psycho • Schottland • Schrecken • Sex • Spannung • Thriller • Wald |
| ISBN-10 | 3-947145-27-6 / 3947145276 |
| ISBN-13 | 978-3-947145-27-0 / 9783947145270 |
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