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Die Väter (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
463 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1870-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Väter - Willi Bredel
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Im Moskauer Exil veröffentlichte Willi Bredel 1941 mit 'Die Väter' den ersten Band seiner Romantrilogie 'Verwandte und Bekannte', um den Alltag und die Umwelt einer sozialdemokratischen Hamburger Arbeiterfamilie über drei Generationen hinweg, vom Kaiserreich bis hin zum Ende des Nationalsozialismus. 'Die Väter' erzählt von der Zeit zwischen der Gründung des Deutschen Kaiserreichs, bis hin zum Beginn des Ersten Weltkriegs. Im Zentrum stehen dabei die Geschicke des Hamburger Metallarbeiter Johann Hardekopf und seiner Familie. Gemeinsam mit seinem aus gehobenem bürgerlichem Milieu stammenden Schwiegersohn Carl Brenten engagiert sich Hardekopf begeistert für die neue sozialistische Bewegung. Sein Kampf gilt kleinbürgerlichem Denken ebenso, wie der führenden Partei- und Gewerkschaftsbürokratie. Mit Unterstützung seiner Frau Pauline steht er unerschüttert zu seiner sozialistischen Überzeugung, während seine Söhne Otto, Ludwig und Emil sich mehr und mehr von der politischen Lebenswelt des Vaters entfernen. Erst kurz vor seinem Tod gerät Hardekopfs unerschütterlicher Glaube an die sozialistische Bewegung ins Wanken: Begleitet von nationalistischer Euphorie beginnt der Krieg und die internationale Solidarität der Sozialisten zerbricht ... 'Alle in ihrer Weise typisch, sind Bredels 'Verwandte und Bekannte' nicht bloß als Typen gezeichnet, sondern (mit einem Wort Heinrich Manns) 'aus der Tiefe des wirklichen Lebens' hervorgehoben.' Max Schroeder.

Willi Bredel, geboren 1901, war ein deutscher Schriftsteller und gehörte zu den Pionieren der sozialistisch-realistischen Literatur. Als Sohn eines Hamburger Zigarrenmachers lernte er zunächst Dreher und engagierte sich außerdem in der Sozialistischen Arbeiterjugend sowie im Spartakusbund. 1919 trat er in die KPD ein. Während der Weimarer Republik wurde er politisch verfolgt und mehrfach verurteilt. 1933 ging er ins Exil u. a. nach Paris und Moskau und diente von 1937 bis 1939 als Kommissar in einer 'Internationalen Brigade' im Spanischen Bürgerkrieg. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil engagierte er sich als Kulturpolitiker beim Aufbau der DDR und wurde später Präsident der Akademie der Künste der DDR. Bredel verstarb 1964 an einem Herzinfarkt in Ost-Berlin. Bei Aufbau Digital ist seine herausragende Romantrilogie 'Verwandte und Bekannte' mit den Bänden 'Die Väter' (1941), 'Die Söhne' (1949) und 'Die Enkel' (1953) verfügbar.

Erstes Kapitel


I


»Nun aber raus! R–raus! Ist ja nicht auszuhalten!«

Die drei Frauen am Bett der Kreißenden drängen so eilig zur Tür, als erwarteten sie im nächsten Augenblick Prügel. Auch die krumme Frau Rüscher will hinaus.

»Rüscher! A–also Rüscher, du bleibst natürlich hier!« sagt Frau Hardekopf, schon wieder ruhiger. Eine schnelle Sekunde wundert sie sich über ihr »Du«. »Rüscher, du wartest hier bei Frieda; ich hol die Hebamme. Lass niemand rein!« Und schon ist Frau Hardekopf draußen.

Noch nie ist sie die steile Treppe so schnell hinuntergekommen. Mit langen Schritten eilt sie die Steinstraße entlang. Hat man so was schon erlebt: stehn händeringend herum und jammern! Die Rüscher ist auch so ein Trampeltier!

Zehn Häuser weiter wohnt die Hebamme Niehus, Henriette Niehus, staatlich geschulte und geprüfte Hebamme, die auch Frau Hardekopf bei ihrem Letzten Geburtshilfe geleistet hatte und deren Rat vor Geburten ebenfalls etwas wert war.

Frau Hardekopf reißt an der Klingelschnur. Es hallt wie Kuhglockengebimmel in der Wohnung, aber niemand kommt, um zu öffnen. Abermals wird von ihr die Klingel in Bewegung gesetzt. Niemand meldet sich. »Ist doch ein Skandal!« knurrt sie vor sich hin. »Bei Hebammen hat ständig jemand zu Hause zu sein. Na a–also, der werd ich ja einen Tanz machen.«

Was nun? Wieder auf die Straße eilend, überlegt sie, was zu tun ist. Schon befreundet sie sich mit dem Gedanken, es schließlich selber zu versuchen. So ganz unerfahren ist sie nicht. Aber wie leicht konnte eine Komplikation eintreten, vor der man dann ratlos dastand. Nein, eine Hilfe musste aufgetrieben werden. Natürlich wohnten in der Nähe noch andere Hebammen; sie erinnert sich unklar an Schilder mit der Aufschrift »Geburtshilfe«, aber sie kann sich im Augenblick nicht besinnen, wo sie die gesehen hat. Sie hatte sich nicht sonderlich darum gekümmert. Sie würde hoffentlich keine mehr brauchen. Da gewahrt sie einen Schutzmann. Der müsste es doch wissen!

Schutzmann Christian Martens, in der Steinstraße, seinem Revier, allgemein der »dicke Krischon« genannt, galt den einen als eine »Seele von Mensch«, den anderen war er ein »brutaler Wüterich«. Er konnte gemütlich an der Straßenecke plaudern und scherzen, auch in bester Laune ein Glas Bier bei Sternberg trinken und im nächsten Augenblick, sofern er glaubte, seine Pflicht erfordere es, wütend dazwischenschlagen, arretieren und seine Opfer auf die Polizeiwache schleppen. Er besaß zupackende Fäuste; wo sie indes nicht ausreichten, zögerte er durchaus nicht, seine Plempe zu ziehen. So flößte er mehr Angst als Vertrauen ein. Sah man, dass er gut gelaunt war, nickte man ihm zu, grüßte ihn. Blickte er jedoch verdrossen vor sich hin, ging man ihm gern aus dem Wege oder schlich eiligst vorüber.

Frau Hardekopf kümmert sich den Teufel um seinen Gemütszustand; als des Schutzmanns markante Erscheinung vor ihr auftaucht, steuert sie kurz entschlossen auf ihn zu und bestürmt ihn mit Fragen.

»Wie? Was? Was wollen Sie?«

»Eine Hebamme brauche ich!« wiederholt Frau Hardekopf ärgerlich. »Wo wohnen hier in der Nähe Hebammen?«

Der dicke Krischon funkelt sie halb verblüfft, halb unwillig an, erwidert aber kein Wort mehr; er macht nur eine abwehrende Handbewegung und will an ihr vorübergehen. So leicht gibt ihn Frau Hardekopf nicht frei; sie hält ihn am Ärmel seines Uniformrocks zurück und ruft aufgebracht: »Mein Gott, Sie müssen doch wissen, wo Hebammen wohnen?«

Die Steinstraße war damals eine der bevölkertsten Straßen Hamburgs; insbesondere an der Kreuzung Mohlenhofstraße bewegte sich der Hauptverkehr vom Hafen herauf ins Innere der Stadt. In den Abendstunden, vor allem an nebligen Tagen, trieb sich in dieser Gegend allerlei lichtscheues Volk herum: Bummler, Taschendiebe, Zuhälter, Strichmädchen, denn in der Mohlenhofstraße und in der Springeltwiete befanden sich mehrere Bordelle und recht fragwürdige Kellerwirtschaften. Frau Hardekopfs lautes, erregtes Sprechen, das verblüffte Schweigen des Polizisten – das alles war so ungewöhnlich, dass die Leute zusammenliefen. Im Nu hatten einige Dutzend Menschen Frau Hardekopf und den dicken Krischon umringt. Der ganze Verkehr geriet ins Stocken.

»Was sagt sie?« – »Er will sie verhaften?« – »Warum will er sie verhaften?« – »Hebamme? Was hat 'ne Hebamme damit zu tun?« – »Gib's ihm ordentlich, er hat wohl wieder seinen sauren Tag!« – »Er soll die Frau in Ruhe lassen!« – »Passt auf, dass er nicht den Sabul zieht!«

Die Volksstimmung, anfangs scherzend, neckend, wird zusehends bedrohlicher für den dicken Krischon, und das lässt ihn schnell die Sprache wiederfinden. Mit weithin schallender Stimme ruft er: »Wer weiß, wo eine Hebamme wohnt? Eine Hebamme wird dringend gesucht!«

Lautes Gelächter der Umstehenden antwortet ihm. Scherzhafte Zurufe fliegen von einer Straßenseite zur andern. Einige Halbwüchsige johlen: »Immer rut mit datt Gör in de Freujorsluft …«

Ein Strichmädel drängt sich durch die Menge. »Die Erna ist mal Hebamme gewesen«, ruft sie. Ein zweites Mädel versucht, sie zurückzuhalten. »Das kannst du doch nicht machen.« – »Warum denn nicht, wenn es doch eilig ist.«

»Und es ist sehr eilig, Fräulein«, wirft Frau Hardekopf ein, die sonst niemals eine Prostituierte angeredet, geschweige denn »Fräulein« genannt hätte. Sie geht mit den beiden in die Springeltwiete, gefolgt von einem Haufen sensationslüsterner Nichtstuer.

»Mein Gott, eine Aufregung«, stöhnt Frau Hardekopf, ist aber doch froh, dass sie eine Hilfe gefunden hat. Na – a–also, an diesen Abend werde ich noch lange denken, sagt sie sich im stillen.

Vor kaum einer halben Stunde noch hatte sie am Herd ihrer kleinen Küche gestanden, unschlüssig und beunruhigt. Sie hatte die Nachbarin zu ihrer Tochter geschickt. Verlass aber war auf die unselbständige Rüscher nicht. Frau Hardekopf hatte immer wieder auf die Uhr geblickt. Längst hätten ihre »Männer« dasein müssen. Die hatte sie noch abfüttern wollen. Und wiederum, sie wusste wohl, wartete sie noch – in einer halben Stunde konnte viel geschehen. Sie hatte so gestanden und überlegt, und schließlich sich an Fritz, ihren Jüngsten, gewandt: »A–also höre, Junge, ich gehe! Vielleicht bin ich in einer Stunde zurück, vielleicht auch schon früher. Vadder soll euch die Suppe auffüllen. Für ihn zwei Knackwürste, für Ludwig, Otto und dich je eine. Hörst du?« – Fritz hatte zustimmend geprustet. Bis zum Gürtel nackt, seifte er sich vor einer Holzkumme dampfenden Wassers ab. »Und erst essen, wenn Vadder kommt. Hörst du? Und nicht naschen.« – »Nee, nee! Bring mir den Groschen mit!« – »Was für 'n Groschen?« hatte seine Mutter gefragt. – »Den Frieda mir versprochen hat.« – »Frieda ist sehr krank!« – »Krank?« Der Junge hatte verwundert seinen eingeseiften Kopf aus der Kumme gehoben. »Ich denk, sie kriegt 'n Kind?« – »Lausejunge!« Frau Hardekopf hatte die Tür hinter sich zugeschlagen.

Auf der Treppe aber hatte sie doch schmunzeln müssen. Diese Buttjes! Ja, die Kinder wuchsen heran, eh man sich's versah. Und nun sollte sie gar schon Großmutter werden. Das kam früh, ihr viel zu früh. Und dann: Ja, dieser unmögliche Schwiegersohn, dieser »Grünschnabel« und »Liederjan«, passte ganz und gar nicht in die Hardekopf-Familie; der war ein großer Missgriff, mehr noch: ein Skandal, eine Schande …

Dachte sie an den Schwiegersohn, dann geriet sie in Zorn und wurde feindlich. Sie malte sich tollkühne Szenen aus, in denen sie den Ungeratenen demütigte, duckte, zerschmetterte. Bei solchen Vorstellungen konnte sie ihre Umwelt völlig vergessen; hatte sie ihren Schwiegersohn vor sich, da ward jedes Wort besonders gewählt und von schwerstem Kaliber.

Rasch, energiegeladen war sie über den Hinterhof auf die Steinstraße hinausgegangen, unternehmungslustig wie eine Dreißigerin. Nicht groß von Wuchs, hielt sie sich dennoch so kerzengerade, trug den Kopf so aufrecht und so selbstbewusst, dass sie größer schien, als sie tatsächlich war. Arbeiterfrauen, die viele Kinder geboren und womöglich noch mehr abgetrieben haben, werden mit den Jahren gewöhnlich unförmig. Ihr ruheloses Naturell, ihr rastloses Herumwirtschaften mochten dazu beigetragen haben, überflüssiges Fett fernzuhalten. Auch hielt sie trotz ihrer vierzig Jahre auf Kleidung. Gemeinsam mit der Rüscher, ihrer Nachbarin, schnitt sie ihre Kleidungsstücke nach Schnittmusterbeilagen der »Hamburger Hausfrau« zu und nähte sie auf einer gegen Monatsraten gekauften »Singer«-Nähmaschine. So konnte sie etwas mit der Mode gehen. An diesem Frühlingstag trug sie ein Kleid aus billigem, dunkelgeblümtem Stoff mit Schulterbüffchen, weißer Plisseerüsche am Halsausschnitt und an den Ärmeln, fest an der korsettierten Taille anliegend, in den Hüften ein wenig gerafft und dann weit bis auf die Füße fallend. Dazu um die Schultern, des nebligen Regenwetters wegen, ein wollenes Umschlagetuch. Auch ihre Frisur war modern; die vordere toupierte Partie hatte sie mit einem Hornkamm vorgeschoben, und dahinter thronte ein kunstvoll aufgesteckter dunkelblonder Dutt.

Auf dem Wege zu ihrer Tochter war Frau Hardekopf wiederholt von Bekannten gegrüßt worden, was sie indessen nicht bemerkt hatte, denn in ihrem Kopf hatten sich kleine Giftblasen gebildet. Ihre Gedanken hatten ausschließlich dem Herrn Schwiegersohn, diesem »Luftikus«, diesem »Scheusal« gegolten, der ihre Tochter bestimmt noch ins Unglück treiben würde, der selbst ihr Trotz zu...

Erscheint lt. Verlag 12.7.2019
Reihe/Serie Verwandte und Bekannte
Verwandte und Bekannte
Verwandte und Bekannte
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Arbeiter • Arbeiterbewegung • Arbeiterfamilie • August Bebel • Familiengeschichte • Familiensaga • Hamburg • Kaiserreich • Proletariat • Sozialdemokrat • Sozialdemokratie • Sozialdemokratische Partei • Sozialismus • Sozialistische Literatur • Sozialistischer Realismus • Verwandte und Bekannte • Weimarer Republik • Wilhelminische Ära • Willi Bredel
ISBN-10 3-8412-1870-9 / 3841218709
ISBN-13 978-3-8412-1870-4 / 9783841218704
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