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Geschichten aus sieben Ghettos (eBook)

eBook Download: EPUB
2025 | 3., Überarbeitete Fassung
218 Seiten
Null Papier Verlag
978-3-96281-682-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Geschichten aus sieben Ghettos - Egon Erwin Kisch
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Fassung in aktueller Rechtschreibung Kisch, wieder unübertroffen in seinen Schilderungen von Menschen und Situationen - diesmal aber konzentriert auf Erlebnisse und Geschichten in jüdischen Ghettos. Auch hier kümmert sich die Feder Kischs' um die Außenseiter unter den Verstoßenen: Die Hochstapler, die Tore, die merkwürdigen Gestalten, wie sie besonders in schwierigen Zeiten gedeihen. Und die Zeiten waren die Schwierigsten und die Orte nicht selten die Menschenunwürdigsten. Mit 179 Fußnoten Null Papier Verlag

Egon Erwin Kisch (eigentlich Egon Kisch; 1885-1948) war ein deutschsprachiger Schriftsteller, Journalist und Reporter. Er gilt als einer der bedeutendsten Reporter in der Geschichte des Journalismus. Nach dem Titel eines seiner Reportagebände ist er auch als 'der Rasende Reporter' bekannt.

Egon Erwin Kisch (eigentlich Egon Kisch; 1885-1948) war ein deutschsprachiger Schriftsteller, Journalist und Reporter. Er gilt als einer der bedeutendsten Reporter in der Geschichte des Journalismus. Nach dem Titel eines seiner Reportagebände ist er auch als "der Rasende Reporter" bekannt.

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Auswanderer, derzeit Amsterdam


Vom Gie­bel der An­to­ni­us­kerk1 streckt Chris­tus die Arme dem Volk auf dem Wa­ter­loo-Plein2 ent­ge­gen. Mei­ne Herr­schaf­ten, ruft er, kom­men Sie doch zu mir. Ich füh­re die glei­che Ware, die Sie bis­her von Mo­ses & Aaron be­zo­gen ha­ben, nur ist mein Haus ele­gan­ter als das Ihres jet­zi­gen Lie­fe­ran­ten.

Die bei­den Schwur­zeu­gen an sei­ner Sei­te sind über­le­bens­große, voll­bär­ti­ge, jü­disch aus­se­hen­de Pries­ter­ge­stal­ten und kön­nen durch­aus als Mo­ses und Aaron gel­ten, wenn sie viel­leicht auch Pe­trus und Pau­lus sind. Je­den­falls ste­hen sie da, lin­ker Hand, rech­ter Hand, und pro­tes­tie­ren durch kei­ne Ges­te ge­gen die in gol­de­ner An­ti­qua be­haup­te­te Iden­ti­tät der bei­den Re­li­gio­nen: »Qua fuit a sae­clis sub Si­gno Moy­sis et Aaro­nis, stat sal­va­to­ri re­no­vata il­lus­tri­or aedes.«3 Zu Fü­ßen die­ser Wer­bung mark­tet der Adres­sat, das Ams­ter­da­mer Ghet­to, je­doch nie­mand hat Ohren, zu hö­ren, was der Mann in stei­ner­ner Ge­duld re­det, nie­mand Au­gen, zu se­hen, was auf der Kir­che an­ge­schrie­ben ist.

Noch be­schwö­ren­der als der Christ stre­cken die jü­di­schen Bu­den­be­sit­zer ihre Arme aus, noch lob­prei­sen­der, noch be­teu­ern­der, und der Passant ist vollauf mit der Prü­fung der feil­ge­hal­te­nen Ware be­schäf­tigt; Miss­bil­li­gung mar­kie­rend, fragt er nach dem Preis des von ihm aus­ge­wähl­ten Stücks, feilscht, geht, kommt wie­der.

Ein Händ­ler, der He­rin­ge aus­wei­det und Pfef­fer­gur­ken schnei­det, tut so, als wäre er von ei­ner kauf­lüs­ter­nen Men­ge um­la­gert, die be­wun­dernd auf ihn weist, scheu sei­nen Na­men flüs­tert und de­rer er sich nun er­weh­ren muss. »Ja«, ruft er mit Sten­tor­stim­me,4 »ja, ich bin der Hei­mann, das weiß doch je­der! Hei­mann ist be­kennt! Ich bin ja so be­kennt.«

Nä­hen wirk­lich Käu­fer, und es gilt für Hei­mann zu han­deln, so über­nimmt es die Gat­tin, sei­nen Ruhm zu ver­kün­den. Sie trägt einen »Schei­tel« – Eu­phe­mis­mus für Perücke –, legt die Hän­de an den Mund und teilt der Welt mit, dass Hei­mann ja so be­kennt ist. »Al­les om een Dub­belt­je«,5 dröhnt ein Nach­bar-Sten­tor; er fal­tet mit weit aus­la­den­den, spitz­fing­ri­gen Be­we­gun­gen ein Pa­ket Brief­pa­pier und fügt einen Cray­on, eine gol­den schei­nen­de Uhr­ket­te und einen Bon­bon zu je­nem al­les, das für ein Dub­belt­je zu ha­ben ist. – »Nut­ti­ge Ka­do­ches« hörst du an­prei­sen, und das soll we­der ber­li­ne­risch noch jid­disch, son­dern hol­län­disch und fran­zö­sisch sein und be­deu­ten: nütz­li­che Ca­deaux.6

Um Ge­mü­se und Eier und Obst, um »Ko­scher Plan­ten-Mar­ga­ri­ne«, um Fisch und Ge­flü­gel und Fleisch, al­les »On­der Rab­bi­naal Toe­zicht«,7 krei­sen Han­del und Wan­del auf dem recht­wink­lig ge­knick­ten Wa­ter­loo-Plein; ros­ti­ge Ei­sen­be­stand­tei­le, fa­den­schei­ni­ge Klei­der, zer­bro­che­ne Mö­bel, ver­beul­tes Ge­schirr, Ver­ko­op van 2e Handsch Ge­reed­schap­pen en bruik­baa­re Ma­te­riaa­len8 – der Ab­fall der Nie­der­lan­de ist durch­aus markt­ba­res Gut.

So geht es von Mor­gen­däm­me­rung zu Abend­däm­merung, wo­chen­tags auf dem Wa­ter­loo-Plein, sonn­tags kir­mes­ar­tig auf der Oude Schans und in der Ui­len­burgstraat. Nur der Sab­bat gibt Ruhe. Am Frei­tagnach­mit­tag bricht Is­rael sei­ne Zel­te ab, die Pfos­ten, Pla­chen,9 Kis­ten und die un­ver­kauft ge­blie­be­ne Ware wer­den ent­we­der auf Hand­kar­ren fort­ge­schafft, wo­bei schwarz­lo­cki­ge, ma­ge­re Kna­ben die Wa­gen­hun­de sind, oder fah­ren auf dem Was­ser­weg von dan­nen. Zwa­nen­burg­wal, Wall der Schwa­nen­burg, so poe­tisch heißt der Kai, an dem Fracht­käh­ne voll mit al­ten Klei­dern und al­ter Wä­sche ver­täut lie­gen und Gon­deln mit Fahr­rad­t­ei­len (Ams­ter­dam ist die Stadt der Ju­den und der Rad­fah­rer und be­tei­lig­te sich den­noch nicht am Welt­krieg). Eine schau­keln­de Zil­le voll split­ter­nack­ter, de­fek­ter Schau­fens­ter­pup­pen er­weckt we­gen der un­züch­ti­gen Kon­stel­la­tio­nen der Fi­gu­ren das Hal­lo der Gaf­fer an den Grach­ten.

Wenn ein Händ­ler nur ein klei­nes Wa­ren­la­ger hat, ei­nes, des­sen Rest schnell ein­ge­packt und in ei­nem Kof­fer weg­trans­por­tiert wer­den kann, harrt er noch aus auf Wa­ter­loo. Jetzt, da die Kon­kur­renz ab­rollt oder ab­schwimmt, hofft er sein Ge­schäft zu ma­chen, Nach­bör­se, Schleu­der­prei­se, Aus­ver­kauf, Son­der­an­ge­bo­te, Re­stan­ten, Koopjes,10 Me­zi­jes.11 Hei­mann ist noch im­mer da, die Men­ge ist noch im­mer nicht da, de­ren An­sturm er schrei­end zu­rück­weist: »Ja, ja, Hei­mann ist be­kennt.«

Die drah­tum­frie­de­te Mit­te von Wa­ter­loo-Plein ist ein Ju­gend­spiel­platz, zur Markt­zeit und nach Markt­schluss spie­len hier Kin­der, wäh­rend ihre är­me­ren Al­ters­ge­nos­sen Kar­ren ab­schie­ben oder die weg­ge­wor­fe­nen Wa­ren­res­te, al­les, was auf dem Pflas­ter blieb, durch­wüh­len. Die zum Fina­le an­schwel­len­den Rufe Hei­manns, »Ich bin ja so be­kennt«, tö­nen her­über, aber es kann un­mög­lich sein Ei­gen­lob al­lein sein, was die­sen ins Markt­ge­trie­be ein­ge­bet­te­ten, ty­pi­schen Groß­stadt­spiel­platz mit Wel­len von Ge­stank er­füllt.

Für die kleins­ten Kin­der sind Sand­hü­gel zum Bud­deln da, für die grö­ße­ren Schau­keln, für die noch grö­ße­ren Turn­ge­rä­te. Die größ­ten kämp­fen ein Wett­spiel aus, in je einen Korb auf ho­her Stan­ge ist der Ball zu lan­den; in bei­den Mann­schaf­ten spie­len Bur­schen und Mäd­chen, kurz­berock­te Mäd­chen, das Tem­po ist flugs, die Ge­schick­lich­keit be­trächt­lich, und die Markt­gän­ger, be­packt mit Ein­käu­fen, blei­ben am Draht­netz ste­hen, vom Sport­fie­ber er­grif­fen.

Selbst wenn die Turm­uhr schlägt, blickt nie­mand auf, ge­schwei­ge denn zum Chris­tus, der un­er­müd­lich die Arme nach sol­chen aus­streckt, die wil­lens wä­ren, an­zu­er­ken­nen, dass sei­ne Kir­che nichts an­de­res ist als das, was jahr­hun­dert­lang un­ter dem Zei­chen von Mo­ses und Aaron stand und nun zu ei­nem herr­li­chen Bau schöp­fe­risch er­neu­ert ward.

Du lie­ber Gott, Be­keh­rungs­ver­su­che hat man bei den Ams­ter­da­mer Ju­den schon un­ter­nom­men, als sie noch kei­ne Ams­ter­da­mer Ju­den wa­ren. In Po­len und Russ­land kam man ih­nen mit ganz an­de­ren Mis­si­ons­me­tho­den, mit Plün­de­run­gen, Schän­dun­gen und Po­gro­men, in Spa­ni­en und Por­tu­gal mit Ker­ker­ver­lies und Fol­ter­bank und Flam­men­tod, und hat nichts, gar nichts aus­ge­rich­tet.

Die Ka­the­dra­le von To­le­do, wahr­lich ein ge­wal­ti­ger lo­cken­des, ein ge­wal­ti­ger ver­wir­ren­des und ge­wal­ti­ger ein­schüch­tern­des Bau­werk als die­se An­to­ni­us­kerk, steht seit­her in ei­ner ju­den­lee­ren Stra­ße; das hat sie nicht da­vor ge­schützt, heu­te »Cal­le Car­los Marx«12 zu hei­ßen, und die Stra­ßen­ta­fel mit die­sem Na­men ist just auf dem Palast des Tor­que­ma­da13 und sei­ner erz­bi­schöf­li­chen...

Erscheint lt. Verlag 1.7.2025
Reihe/Serie Kisch bei Null Papier
Kisch bei Null Papier
Verlagsort Neuss
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerika • Bericht • Erich Maria Remarque • Ernest Hemingways • Im Westen nichts Neues • In einem anderen Land • Journalismus • Kurt • New York • Reportage • Reporter • USA
ISBN-10 3-96281-682-8 / 3962816828
ISBN-13 978-3-96281-682-7 / 9783962816827
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