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Die Fische schlafen noch (eBook)

Wie ich meinen Papa an den Alkohol verlor und ihn auf der Straße wiederfand

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
224 Seiten
mvg Verlag
9783961214143 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Fische schlafen noch -  Norman Wolf
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Als Kind unternimmt Norman mit seinem Vater Angelausflüge, gemeinsam hören sie stundenlang alte Platten und verbringen schöne Nachmittage auf Volksfesten. Doch dann kommt der Einschnitt: Normans Vater verliert seine Arbeit. Zwar schreibt er Bewerbungen und versucht wieder Fuß zu fassen, doch die Tage in der Dorfkneipe werden immer länger. Der Vater wird unberechenbarer und die Eltern streiten sich immer häufiger. Als Norman zwölf Jahre alt ist, sieht er ihn zum letzten Mal. Erst weitere zwölf Jahre später erhält er ein Lebenszeichen, das Norman komplett aus der Bahn wirft: Er muss feststellen, dass sein Vater sich für ein Leben auf der Straße entschieden hat. Norman beschließt, seinen Vater über Twitter zu suchen und löst damit ein enormes Echo aus. In dieser aufwühlenden Geschichte über die Suche nach dem verlorenen Vater stellt sich Norman seiner Vergangenheit und erzählt, wie das Familienglück langsam zerbrach. Und wie heilsam es ist, endlich über diesen Verlust zu sprechen.

Norman Wolf (Jahrgang 1993) studierte Psychologie in Marburg. Er twittert als @deinTherapeut zu Mental-Health-Themen und setzt über den Hashtag #undjetzt Denkimpulse für seine Follower. 2018 wurde er mit dem 'Goldenen Blogger' ausgezeichnet. Zuletzt lebte Norman zwei Jahre in Boston, wo er als Au-pair arbeitete. Mittlerweile wohnt er wieder in Frankfurt.

Norman Wolf (Jahrgang 1993) studierte Psychologie in Marburg. Er twittert als @deinTherapeut zu Mental-Health-Themen und setzt über den Hashtag #undjetzt Denkimpulse für seine Follower. 2018 wurde er mit dem "Goldenen Blogger" ausgezeichnet. Zuletzt lebte Norman zwei Jahre in Boston, wo er als Au-pair arbeitete. Mittlerweile wohnt er wieder in Frankfurt.

2
Der arme Mann und das Mädchen


11. Dezember 1999

»Warte, ich bin gleich so weit«, sage ich und suche alle Kuscheltiere auf dem Bett zusammen, um sie in ihrer üblichen Reihenfolge links des Kissens hinzusetzen. Das Licht hat Mama zwar schon ausgemacht, doch das Nachtlicht in der Steckdose und der LED-Kerzenständer auf dem Fensterbrett erhellen den Raum. Wie jedes Jahr hat Mama pünktlich zum ersten Dezember das Haus geschmückt. Meine Fenster sind mit dünnem weißem Klebeband in vier Quadrate geteilt. In jedem hängt ein anderes Weihnachtsbild: zwei Schneemänner mit Wollmützen, das Christkind beim Einpacken von Geschenken, ein bunt leuchtender Baum, ein Kind auf einem Schlitten. Den falschen Schnee, der um die Bilder glitzert, habe ich selbst draufgesprüht. Draußen ist es zwar schon richtig kalt, auf echten Schnee warten wir trotzdem noch.

Am oberen Rand des Kissens sitzt Susi, die Teddybärmama mit den drei Babys in der Brusttasche. Darunter kommen die zwei anderen Bären, ein Mädchen und ein Junge. Ganz unten liegt Bugs Bunny, den ich von meiner Cousine Jenny bekommen habe und der vom Kuscheln schon etwas zerfleddert ist.

Ich bin sechs Jahre alt, es ist Samstag und ich durfte länger aufbleiben. Wir – das sind Mama, Papa, mein zwei Jahre älterer Bruder Steven und ich – haben Pizza bestellt und zum Nachtisch durfte ich das elfte Türchen meines Adventskalenders öffnen. Das zehnte Türchen auch noch, weil ich das gestern vergessen hatte, und das musste ich richtig lange suchen. Dann haben wir alle Karten gespielt. Papa hatte eine Glückssträhne und hat dauernd gewonnen. Einmal hielt Mama ihre Dame für einen Buben und benutzte sie als Joker mit einem dicken Grinsen im Gesicht und Papa sagte: »Also, hm, das ist aber ein sehr weiblicher Bube.« Wir mussten alle lachen und Mama am lautesten, weil sie das gar nicht bemerkt hatte. Sie konnte gar nicht mehr aufhören, lachte Tränen und steckte uns andere immer wieder an.

Während wir spielten, hörten wir Weihnachtslieder. Doch Papa hatte irgendwann die Nase voll und machte das Radio aus. Da lief gerade »Last Christmas« und Mama beschwerte sich, weil sie das am liebsten mochte. Papa legte stattdessen eine der Mix-CDs ein, die er in seiner Werkstatt selbst aufnimmt. Ich wäre so gern mal dabei, wenn er das macht, aber ich sei noch zu jung für das ganze Equipment, sagt er immer. Manchmal gefiel mir ein Song und ich sagte: »Das Lied ist voll schön.« Dann grinste er und nickte wissend.

Mama sitzt am Bettrand und schaut mich geduldig an. »Weißt du noch, wann du die Teddymama bekommen hast?«

»Klar«, sage ich, »zu meinem zweiten Geburtstag!« Ich zähle an den Fingern ab, verzähle mich und fange neu an. »Sie ist jetzt also schon vier Jahre alt.«

Ich lege mich hin und Mama breitet die Decke über mir aus, zieht sie bis zum Hals und steckt sie links und rechts unter meine Schultern. Eng und kuschelig, wie ich es mag. »Du hast die Susi ausgepackt, gegrinst über beide Ohren, hast sie am Ärmel geschnappt und bist einfach weggelaufen.« Als sie daran denkt, muss sie unwillkürlich lächeln. »Dabei hattest du noch gar nicht alles ausgepackt und Kuchen hatten wir auch noch keinen gegessen.«

»Mama, erzählst du mir noch eine Gutenachtgeschichte?«

Sie nickt. »Welche möchtest du denn hören?«

»Der arme Mann und das Mädchen!«, rufe ich freudig. Das ist meine Lieblingsgeschichte und Mama ist die Beste darin, sie zu erzählen.

»Na, dann rück mal ein Stückchen zur Seite.« Sie streift ihre Hausschuhe ab und legt sich neben mich auf die Bettdecke, ihren Kopf an meinen.

Ich schließe die Augen. Mama streift mit zwei Fingern von meinem Nasenbein über meine Stirn bis zum Haaransatz.

»Es war einmal ein armer alter Mann …« Wenn sie ausatmet, fühle ich warme Luft an meiner Stirn bis zu meiner Nasenspitze hinuntergleiten. »Er lebte im Wald unter großen Bäumen, die ihm Schutz bei schlechtem Wetter gaben. Sein einziges Hab und Gut waren die Kleider, die er trug, und eine warme Jacke, die jemand weggeworfen hatte. Er aß das, was er im Wald fand, und obwohl es nicht viel war, teilte er es mit den Tieren des Waldes, die seine einzigen Freunde waren.«

»Welche Tiere hatte er als Freunde?«, frage ich.

»Hm«, macht Mama. »Da war ein Eichhörnchen namens Rita, ein Waschbär mit dem Namen Hubert und …« Sie stockt. »Sag du mir, welches das dritte war.«

»Hm«, mache jetzt ich. »Wie wäre es mit einem Häschen, das Fridolin heißt?«

»Und ein Häschen namens Fridolin«, ergänzt Mama also und nickt. »Eines Tages streifte der alte Mann durch den Wald, um Essen zu besorgen. Da sah er plötzlich hinter einem Gebüsch etwas liegen.« Kurz ist sie still – für die Spannung. Das macht sie an der Stelle immer, obwohl ich die Geschichte schon kenne und genau weiß, was der alte Mann findet. »Als er näher kam, sah er, dass es ein kleines Mädchen war.«

»Was, echt?«, frage ich überrascht. Das mache ich an der Stelle immer, obwohl Mama genau weiß, dass ich die Geschichte schon kenne.

Mama nickt und mein Kopf wackelt mit. »Er hob das Mädchen auf und nahm es mit zu sich«, erzählt sie weiter. »Es schlief so fest, dass es nicht merkte, als der alte Mann es auf das weiche Moos legte und mit seiner Jacke zudeckte.« Sie streicht die Decke über mir glatt. Und noch einmal. »Als es später wach wurde und nicht mehr weinte, erfuhr er, dass es von seinen Eltern ausgesetzt worden war und schon seit Tagen im Wald herumirrte. Also nahm er das Mädchen in Obhut, beschützte es, teilte sein Essen mit ihm und gab ihm nachts die warme Jacke, damit es nicht fror.«

»Mama, würdest du das auch für mich machen?«, flüstere ich. »Mir nachts die warme Jacke geben?«

Sie gibt mir einen Kuss auf die Stirn. »Ich würde alles für dich machen, mein Schatz.«

Ein wohliges Gefühl entsteht in meiner Stirn, zieht durch meinen Oberkörper und breitet sich durch Arme und Beine bis in die Finger und Zehen aus. Ich glaube ihr. Letztens war mir ganz schlimm schlecht und ich dachte, dass ich mich übergeben muss, also hing ich über der Kloschüssel und habe geweint. Mama saß die ganze Zeit neben mir. Und als ich dahockte, weinte und sagte: »Das tut so weh, das tut so weh«, da hat Mama gesagt: »Ich wünschte, ich könnte dir das abnehmen.« Das ging natürlich nicht. Aber ein bisschen besser war es danach, weil ich wusste, dass Mama da ist und lieber selbst Bauchweh hätte, als dass ich Bauchweh haben muss.

»Irgendwann nachts erschien ihm eine gute Fee und sagte …« Sie räuspert sich und spricht mit hoher Stimme weiter: »Du bist so ein guter Mensch. Du hast drei Wünsche frei!«

Ich muss kichern.

»Er überlegte nicht lange und sagte Folgendes …« Wieder räuspert sie sich. Als sie weiterspricht, ist ihre Stimme deutlich tiefer als sonst: »Meine drei größten Wünsche wären ein kleines Haus, das uns Schutz bietet, ein Ofen, der uns wärmt, und so viel Essen, dass wir nie wieder hungrig einschlafen müssen.«

»Und dann, Mama?«, flüstere ich. »Was sagte die gute Fee zu den Wünschen?«

»Sie sagte gar nichts. Aber ehe sichs der alte Mann versah, stand da ein kleines Häuschen mit zwei kuscheligen Betten, einem Ofen, der sie wärmte, und einem Regal voll mit köstlichen Sachen zum Essen und Trinken, das sich immer wieder von selbst füllte.«

»Boah«, sage ich.

»Boah«, antwortet Mama. »Da war die Freude groß. So glücklich waren sie noch nie!«

»Halt, Mama!«, sage ich ein bisschen zu laut. »Ich will das Ende erzählen! Darf ich?«

»Na klar.«

Ich räuspere mich, wie sie es immer macht. »Der alte Mann und das Mädchen lebten noch viele Jahre glücklich und zufrieden in ihrem Häuschen im Wald.«

Mama will sich aufrichten, doch ich halte sie fest. »Eine Frage habe ich noch, Mama. Warum wünscht sich der arme Mann keine Million Mark?«

Sie streicht mir mit den Fingern durch die Haare bis ganz nach hinten in den Nacken. »Weil er keine Million Mark braucht. Menschen brauchen keine Million Mark. Sie müssen es nur warm haben. Sie brauchen genug zu essen und zu trinken und einen sicheren Ort zum Schlafen. Und sie müssen jemanden haben, der sie lieb hat.«

Ich nicke stumm. »Toll, dass ich das alles habe«, sage ich dann. »Und ich habe sogar ganz viele, die mich lieb haben. Der Papa hat mich lieb, der Opa hat mich lieb, der Steven hat mich lieb, obwohl...

Erscheint lt. Verlag 19.8.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
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ISBN-13 9783961214143 / 9783961214143
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