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Diese goldenen Jahre (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
352 Seiten
Atlantik Verlag
978-3-455-00545-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Diese goldenen Jahre -  Naomi Wood
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 »Wood liefert mit  Diese goldenen Jahre  ein spannendes Porträt der gleißenden 20er Jahre ab.«   Madame  Es ist die Zeit ihres Lebens: 1922 beginnen sechs junge Menschen ihr Studium am neugegründeten Bauhaus in Weimar. Für sie beginnen Jahre voller Glanz, Ekstase und dem Rausch der Freiheit. Sie glühen für die Ideale dieser jungen Kunstwelt und können es kaum erwarten, sich selbst darin zu verlieren.  Doch so intensiv die Freundschaft zwischen Paul, Walter, Jenö, Irmi und Charlotte auch scheint, sie ist durchwirkt von Geheimnissen, Intrigen und unglücklicher Liebe. Als diese goldenen Jahre in die düstersten übergehen, bricht all das so sorgsam Verborgene hervor - und zieht die Freunde in einen tiefen Abgrund. In ihrem hinreißenden Roman erzählt Naomi Wood eine Geschichte von bedingungsloser Liebe, tiefer Freundschaft und dem größten Verrat.

Naomi Wood, geboren 1983, studierte in Cambridge und promovierte an der University of East Anglia. Mit ihrem vielgelobten Roman Als Hemingway mich liebte (2016) gelang ihr der internationale Durchbruch. Sie lebt mit ihrer Familie in Norwich.

Naomi Wood, geboren 1983, studierte in Cambridge und promovierte an der University of East Anglia. Mit ihrem vielgelobten Roman Als Hemingway mich liebte (2016) gelang ihr der internationale Durchbruch. Sie lebt mit ihrer Familie in Norwich.

Cover
Titelseite
Für Joan, Ari und [...]
»Wieder ist es erstaunlich, [...]
Eins
Weimar 1922
Dessau 1929
Berlin 1932
Dank
Biographien
Impressum

Weimar 1922


Zwei


Unser erstes Jahr am Bauhaus – was für ein schillerndes Jahr! Damals waren wir zu sechst: Walter und Jenö, Kaspar und Irmi, Charlotte und ich. Schon von Anfang an in dieser Kombination. Wir waren achtzehn und Jenö zwanzig, als wir mit dem Vorkurs begannen. Uns wurde alles über Farbe und Form, Stofflichkeit und Materie beigebracht. Wir lernten das gesamte Wesen eines Objekts kennen: die Papierhaftigkeit von Papier, die Holzhaftigkeit von Holz, die Faserigkeit von Faden und Seil. Vor allem aber lernten wir zu fasten und wie das Fasten in unserem hungrigen Ich eine ganze Welt aus Glanz, Chaos und Genuss entstehen lassen konnte.

Vom ersten Tag des Semesters an war ich fasziniert von Charlotte. Ich begegnete ihr mittags in der schuleigenen Kantine. Die Septembersonne schien zwischen den Bäumen hindurch auf die langen Tische, und ihr Gesicht war eine Leinwand, auf der sich Licht und Schatten mischten. Vielleicht lag es daran, dass ihr Blick so schwer zu deuten war; er war zurückhaltend und zugleich intensiv.

Ich saß mit Walter und Jenö am einen Ende des Tisches. Ich hatte die beiden bei der Einführungsveranstaltung des Direktors kennengelernt, und wir hatten uns auf Anhieb gut verstanden. Charlotte saß am anderen Ende.

Walter und Jenö sprachen darüber, wo ihre Brüder während des Krieges gewesen waren. Ich hatte keine Lust, über meinen Bruder Peter zu sprechen – es war zu schmerzlich und zu kompliziert –, außerdem war ich abgelenkt von Charlotte. Ihr kinnlanges blondes Haar war in einer geraden Linie geschnitten, und sie hatte hübsche grüne Augen, die jedoch nichts preisgaben. Mit ihrem schlanken, geradezu knochigen Körper hatte sie etwas Jungenhaftes an sich. Sie lächelte kaum.

Als Walter und Jenö aufbrachen, um sich die Stadt anzusehen – Walter wollte Goethes Haus besichtigen –, blieb ich sitzen und sah zu, wie Charlotte einen Apfel aß, dessen Rot in der Nähe ihrer Augen noch mehr zu leuchten schien.

»Du bist in Meister Ittens Klasse«, sagte ich.

Sie errötete. »Sind wir das nicht alle?«

Ich fragte, ob ich mich zu ihr setzen könnte, und sie deutete auf den Stuhl ihr gegenüber.

»Wie heißt du?«

»Charlotte«, sagte sie.

Sie hatte einen leichten Akzent. »Woher kommst du, Charlotte?«

»Aus Prag. Und du?«, fragte sie. »Ich meine, wie heißt du?«

»Paul. Paul Beckermann.«

Manchmal überkommt einen das Glück mit solcher Wucht, dass einem schwindelig wird, und in diesem Moment musste ich mich buchstäblich am Stuhl festhalten. »Ich habe Lust auf einen Spaziergang. Kommst du mit?«

Sie lächelte, und da war es endgültig um mich geschehen. Während ich neben ihr herging, dachte ich: Sag ihr nicht, dass du sie liebst. Nicht fünf Minuten nachdem du sie kennengelernt hast.

 

Wir gingen zum Ilmpark, und Charlotte erzählte mir, dass sie mit dem Segen ihrer Mutter bereits an der Karls-Universität in Prag gewesen war. Dort hatten sie Marmorbüsten kopiert und die Muskulatur von lebenden Modellen gezeichnet. »Als ob wir Chirurgen wären, die sich anschickten, die Leute aufzuschneiden«, sagte sie verächtlich. Ihre Eltern waren außer sich gewesen, als sie ans Bauhaus gewechselt hatte. Sie wollten, dass sie Familienporträts malte oder, noch besser, eine gute Partie machte. »Mein Vater spricht immer noch nicht mit mir«, sagte sie, als wir zum Fluss kamen. »Er dachte, er hätte meine Zukunft bereits sicher geplant. Er ist nicht einfach nur wütend, sondern regelrecht verbittert.«

Dieses ernste Mädchen, das da neben mir durch den Park lief. Vielleicht hätte ich mich in dem Moment von ihr abwenden und flüchten sollen, als es noch möglich war.

»Das Bauhaus!«, sagte sie mit einem Anflug von Panik. »Was um alles in der Welt sollen wir hier tun?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich, denn seltsamerweise war mir die Frage gar nicht in den Sinn gekommen. Seit ich Kirchners Badende bei Moritzburg gesehen hatte, wusste ich, dass ich nirgendwo anders sein wollte.

»Ich wohne da drüben.« Sie deutete auf ein rosafarbenes Haus. »Oben in der Mansarde. Gleich neben der Bibliothek. Ich kann fast den Rokokosaal sehen.«

»Und das Schloss.«

»Ja. Manchmal rieche ich sogar den Mist aus den Pferdeställen.«

Wir kamen an Goethes Gartenhaus vorbei, hellblau mit einem Schindeldach, das wie ein umgedrehtes V aussah, und ein kleines Stück weiter arbeiteten ein paar Studenten in einem Beet. Sie winkten uns zu. Irgendwie schienen sie bereits zu wissen, dass wir zu ihnen gehörten. An der Brücke entdeckte ich Walter und Jenö, und wir gingen am Fluss entlang zu ihnen. Die Ilm floss langsam, und an der Oberfläche bildeten sich lauter kleine Strudel, als wäre alles Mögliche hineingeworfen worden. Jenö grinste von der Brücke auf uns hinunter, vielleicht dachte er sich schon seinen Teil.

Die Bäume spiegelten sich verzerrt im Wasser, nur die Spitzen fehlten. Es war noch warm, und wir badeten unsere Füße an einem flachen Abschnitt, wo junge Weidenschößlinge wuchsen. Nur Walter blieb ein Stück zurück, er konnte nicht schwimmen, erklärte er uns mit misstrauischem Blick auf die Strudel. Wir sprachen hauptsächlich über uns, woher wir kamen und aus welcher spießigen Enge wir geflohen waren. Keiner von uns war im Krieg gewesen. Uns war bewusst, welches Glück wir hatten, und im sanften Schein des Nachmittags schimmerte unser Leben wie Gold.

 

Es gab noch weitere Einführungsveranstaltungen an diesem Nachmittag, und so kehrten wir gemeinsam zurück zur Schule, begierig darauf, Meister Klee und Meister Kandinsky kennenzulernen, die Stars der Malerei. Viele von uns waren vor allem ihretwegen gekommen, aber wie sich zeigte, hatten die beiden wenig mit den Erstsemestern zu tun oder mit den Bauhaus-Babys, wie wir genannt wurden.

Stattdessen erteilte uns Meister Itten, ein Schweizer Maler, unsere erste Lektion. Er hatte eine dunkelrote Kutte an, war kahl geschoren und trug eine runde Brille, die bisweilen so spiegelte, dass man seine Augen dahinter nicht sehen konnte. Als meine Eltern hergekommen waren, um sich die Schule anzusehen, hatten sie dem Direktor freundlich nickend gelauscht, denn diesen Typ Mann, gepflegt mit Anzug und Krawatte, kannten sie. Ich wünschte, sie hätten jetzt Meister Itten sehen können, der aussah wie ein Mönch und in dessen ganzem Wesen das Feuer der Hingabe brannte.

Er verzichtete auf eine Einleitung, sagte nur, es gebe nicht genug Geld für Stühle, und wir sollten uns auf den Fußboden setzen. Nachdem er uns in Gruppen eingeteilt hatte, arrangierte er jeweils in der Mitte ein paar Bücher und eine Zitrone und wies uns an, ein Stillleben zu zeichnen. Dann verließ er den Raum.

In der Schule war ich immer gut in naturgetreuer Wiedergabe gewesen, und ich war so vertieft in die Aufgabe, dass ich gar nicht merkte, wie viel Zeit vergangen war, als Meister Itten wieder hereinkam. Ich zeigte Charlotte mein Skizzenbuch, und sie nickte, mochte mir ihres aber nicht zeigen. Itten sah sich die Zeichnungen von jedem Einzelnen an, und er bewegte sich so leise, dass ich mich fragte, ob er überhaupt Schuhe anhatte. Alle wirkten verunsichert. Bei mir waren die Bücher eckig und die Zitrone rund, aber wir befanden uns am Bauhaus, und das war bestimmt nicht richtig.

»Nein«, sagte er schließlich und bestätigte damit unsere Befürchtungen. Er nahm eine der Zitronen, ging damit nach vorne und schnitt sie mit einem Taschenmesser durch, sodass sich ihr Duft zart im Raum ausbreitete. Dann biss er hinein, und alle verzogen das Gesicht. »Wie können Sie eine Zitrone zeichnen, ohne zuvor ihr Fleisch zu kosten? Sie zeichnen mit Ihrem ganzen Körper. Ihrem Mund, Ihrem Bauch, Ihrer Lunge. Wenn Sie denken, es geht nur um die Hand und die Augen und das Hirn, sind Sie tot, und Ihr Bild ist es auch. Eine Zitrone ist nicht einfach nur eine Zitrone: Sie ist ihre Säure, ihre Adstringenz, ihre Kerne, ihre Segmente, ihr pyramidenförmiges Inneres. Sie ist nicht mit Luft gefüllte gelbe Haut oder Bleistiftstriche auf Papier. Die Zitrone ist eine Odaliske. Sie müssen sie verführen. Sich von ihr verführen lassen

Er warf die Frucht in den Raum, und Walter fing sie auf.

Itten begann, auf und ab zu gehen, ganz von seinem Thema gefangen. »Eine Zeichnung ist keine Vorarbeit. Sie ist das Ziel. Schon Vasari wusste das: Was wir tun, wenn wir zeichnen, ist ein Akt des furor, der Leidenschaft. Erst als Leonardo Papier statt Papyrus zur Verfügung hatte, konnte er nicht nur zeichnen, sondern erfinden. Die Denker der Renaissance forderten die Künstler auf, ein Gleichgewicht zwischen decorum und licenza zu finden. Die Zeichnung ist Freiheit, weil sie alle Möglichkeiten eröffnet: Die Zitrone kann eine Brust sein, ein Mund, ein Tumor, oder« – er breitete die geöffneten Hände aus – »die Zitrone ist in Wirklichkeit gar nicht da. Fangen Sie noch einmal von neuem an. Aber mit licenza«, sagte er und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Licenza! Licenza! Licenza!«

Der Meister sah zu, wie wir die Zitrone zu erforschen begannen, an ihr schnupperten, sie schälten und kosteten. Später legte er seine Hände auf Charlottes Schultern. »Ihnen sitzt noch der Schlaf im Nacken«, sagte er. »Den müssen Sie abschütteln.«

 

Es war bereits dunkel, als wir zu unserem Willkommensfest kamen. Irgendwann nach dem Mittagessen waren die Fenster der Kantine mit Zeitungen verhüllt worden. Leute aus der Stadt versuchten hineinzuspähen, aber außer ein paar schmalen Lichtstreifen war nichts zu...

Erscheint lt. Verlag 5.8.2019
Übersetzer Claudia Feldmann
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bauhaus • Goldene Zwanziger • Kunst • Kunstakademie • Naomi Wood • Weimar • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-455-00545-4 / 3455005454
ISBN-13 978-3-455-00545-5 / 9783455005455
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