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Das blaue Zimmer (eBook)

Heiter, besinnlich und anrührend erzählt Rosamunde Pilcher von den kleinen häuslichen Dramen, die die Welt bewegen.
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
142 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7485-9125-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das blaue Zimmer -  Rosamunde Pilcher
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Das blaue Zimmer Erzählungen Deutsch von Margarete Längsfeld und Ingrid Altrichter Rosamunde Pilcher wurde 1924 in Lelant, Comwall, geboren. Nach Tätigkeiten beim Foreign Office und, während des Kriegs, beim Women's Royal Naval Service heiratete sie I946 Graham Pilcher und zog nach Dundee, Schottland, wo sie seither wohnt. Rosamunde Pilcher schreibt seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr. Ihr Werk umfaßt bislang zwölf Romane, zahlreiche Kurzgeschichten und ein Theaterstück. Inhalt Toby Ein Tag zu Hause 'Spanish Ladies' Miss Camerons Weihnachtsfest Tee mit dem Professor Amita Das blaue Zimmer Gilbert Das Vorweihnachtsgeschenk Die weißen Vögel Der Baum Das Haus auf dem Hügel Ein unvergesslicher Abend Lalla

Autorin

Kapitel 1


Toby
An einem kalten Frühlingstag kurz vor Ostern trat Jemmy Todd, der Briefträger, in die Küche der Hardings, legte ihnen die Morgenpost auf den Frühstückstisch und teilte ihnen mit, daß ihr Nachbar, Mr. Sawcombe, am frühen Morgen an einem Herzinfarkt gestorben war.
Vier Hardings saßen am Tisch. Toby, acht Jahre alt, aß seine Cornflakes. Als er nun von Mr. Sawcombes Tod hörte, konnte er den Mundvoll Cornflakes, teils durchweicht, teils knusprig, nicht herunterbringen, weil er das Kauen vergessen hatte und sich zudem ein Kloß in seiner Kehle bildete, der ihm das Schlucken unmöglich machte.
Nur gut, daß die übrige Familie sich ebenso erschüttert und sprachlos zeigte. Sein Vater, der fürs Büro angezogen war und gerade aufstehen und zur Arbeit gehen wollte, stellte seine Kaffeetasse hin, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah Jemmy an.
„Bill Sawcombe ist tot? Wann hast du es erfahren?“
„Der Pfarrer hat’s mir gleich erzählt, gerade als ich mit meiner
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Runde anfing. Hab ihn getroffen, wie er aus der Kirche kam.“
Toby sah seine Mutter an, deren Augen von Tränen glänzten. „Ach herrje.“ Er konnte es nicht ertragen, sie weinen zu sehen. Er hatte sie schon einmal weinen sehen, als ihr alter Hund eingeschläfert werden mußte, und da war er tagelang das Gefühl nicht losgeworden, daß seine Welt in Stücke brach.
„Die arme Mrs. Sawcombe. Wie schrecklich für sie.“
„Er hatte vor ein paar Jahren schon mal einen Herzinfarkt, wie ihr wißt“, sagte Jemmy.
„Aber er hat es überstanden. Und es ging ihm so gut; er hatte Freude an seinem Garten und genoß es, Zeit für sich zu haben, nachdem er all die Jahre auf dem Hof geschuftet hatte.“
Vicky, neunzehn Jahre alt, fand die Sprache wieder. „Ich halt’s nicht aus. Ich glaub, ich halt’s einfach nicht aus.“
Vicky war über die Ostertage nach Hause gekommen. Sie arbeitete in London, wo sie sich mit zwei anderen Mädchen eine Wohnung teilte. In den Ferien zog Vicky sich zum Frühstück nie an, sie kam im Bademantel herunter, aus weißem Frottierstoff mit blauen Streifen. Die Streifen waren von demselben Blau wie Vickys Augen; sie hatte lange helle Haare, und manchmal sah sie sehr hübsch aus und manchmal sehr häßlich. Jetzt sah sie häßlich aus. Kummer machte sie häßlich; dann zogen sich ihre Mundwinkel nach unten, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen, was die spitzen Konturen ihres schmalen, knochigen Gesichts noch betonte. Der Vater sagte immer zu Vicky, sie sei viel zu dünn, aber da sie aß wie ein Scheunendrescher, konnte ihr niemand etwas vorwerfen, höchstens Gefräßigkeit.
„Er war so nett. Er wird uns fehlen.“ Die Mutter sah Toby an, der immer noch mit vollem Mund dasaß. Sie wußte – alle wußten –, daß Mr. Sawcombe Tobys bester Freund gewesen war. Sie beugte sich über den Tisch und legte ihre Hand auf die
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seine. „Wir werden ihn alle vermissen, Toby.“
Toby antwortete nicht. Aber als er Mutters Hand auf seiner spürte, schaffte er es, die Cornflakes vollends herunterzuschlucken. Seine Mutter räumte voller Verständnis die halbleere Schale fort, die vor ihm auf dem Tisch stand.
„Nur gut“, sagte Jemmy, „daß Tom den Hof übernimmt. So steht Mrs. Sawcombe jetzt wenigstens nicht allein da.“
Tom war Mr. Sawcombes Enkel, dreiundzwanzig Jahre alt. Toby und Vicky hatten ihn ihr Leben lang gekannt. Früher, als sie viel jünger waren, waren Vicky und Tom zusammen auf Feste gegangen, auf Bälle des Reitervereins und im Sommer ins Ghymkhana-Zeltlager. Aber dann besuchte Tom die Landwirtschaftsschule, und Vicky ließ sich zur Sekretärin ausbilden und ging nach London, und jetzt hatten sie sich anscheinend nicht mehr viel zu sagen.
Toby fand das schade. Vicky lernte eine Menge neue Freunde kennen, die sie manchmal mit nach Hause brachte. Aber keinen fand Toby so nett wie Tom Sawcombe. Einmal war einer, Philip hieß er, gekommen, um mit den Hardings Silvester zu feiern. Er war sehr groß und blond und fuhr einen Wagen, der wie ein glänzender schwarzer Torpedo aussah, doch irgendwie fügte Philip sich nicht recht in ein geordnetes Familienleben, und was noch irritierender war, in seiner Gegenwart fügte Vicky sich auch nicht. Sie sprach anders, sie lachte anders.
Am Silvesterabend veranstalteten sie eine kleine Party, und Tom war auch eingeladen, aber Vicky behandelte ihn von oben herab, und Tom war offenbar sehr gekränkt. Toby fand ihr Benehmen ekelhaft. Er hatte Tom sehr gern und konnte es nicht ertragen, ihn so bedrückt zu sehen, und als der gräßliche Abend um war, sagte er es seiner Mutter.
„Ich weiß genau, wie dir zumute ist“, erwiderte seine Mutter, „aber wir müssen Vicky zugestehen, daß sie ihr
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eigenes Leben lebt und ihre eigenen Entscheidungen trifft. Sie ist jetzt erwachsen, sie kann sich ihre eigenen Freunde aussuchen, ihre eigenen Fehler machen, ihre eigenen Wege gehen. Das ist in einer Familie ganz normal.“
„Ich will keine Familie mit Vicky, wenn sie so gräßlich ist.“
„Das sagst du vielleicht jetzt bloß so, aber sie ist und bleibt deine Schwester.“
„Ich kann Philip nicht ausstehen.“
Der unausstehliche Philip verschwand jedoch zum Glück aus Vickys Leben. Sie lud ihn nicht wieder nach Hause ein, und allmählich wurde sein Name in ihren Erzählungen durch andere ersetzt. Vickys Familie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, und alles ging wieder seinen gewohnten Gang, nur nicht für Tom. Seit jenem Abend hatte seine Beziehung zu Vicky einen Knacks bekommen, und Tom kam nicht mehr ins Haus.
„Nein, Mrs. Sawcombe steht gottlob nicht allein da“, sagte Mr. Harding. „Tom ist ein braver Kerl.“ Er sah auf seine Uhr und stand auf. „Ich muß los. Danke, daß du’s uns gesagt hast, Jemmy.“
„Tut mir leid, daß ich eine traurige Nachricht überbringen mußte“, erwiderte Jemmy und stieg in seinen kleinen roten Postlieferwagen, um die Neuigkeit in der übrigen Gemeinde zu verbreiten. Tobys Vater fuhr mit dem Auto ins Büro. Vicky ging nach oben, sich anziehen. Toby und seine Mutter blieben allein am Tisch zurück.
Er sah sie an, und sie lächelte, und er sagte: „Ich hab noch nie einen Freund gehabt, der gestorben ist.“
„Früher oder später erlebt das jeder einmal.“
„Er war erst zweiundsechzig. Er hat’s mir vorgestern gesagt. Das ist nicht alt.“
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„Ein Herzanfall ist eine komische Sache. Wenigstens war er nicht krank oder gebrechlich. Er hätte es gehaßt, bettlägerig und auf seine Familie angewiesen zu sein – allen eine Last. Wenn jemand stirbt, Toby, mußt du an die guten Dinge denken, dich an die schönen Zeiten erinnern und dafür dankbar sein.“
„Ich bin nicht dankbar, daß Mr. Sawcombe tot ist.“
„Der Tod ist ein Teil des Lebens.“
„Er war erst zweiundsechzig.“
„Möchtest du Eier mit Speck?“
„Will ich nicht.“
„Was möchtest du denn?“
„Weiß ich nicht.“
„Magst du nicht ins Dorf gehen und David fragen, ob er mit dir spielen will?“ David Harker war Tobys Ferienfreund. Sein Vater war der Wirt der Dorfkneipe, und manchmal bekam Toby eine Brause oder eine Packung Chips geschenkt.
Toby überlegte. Es war vielleicht besser als nichts. „Ist gut.“ Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Er hatte ein schrecklich beklemmendes Gefühl in der Brust, als hätte jemand sein Herz verwundet.
„… und sei nicht zu traurig wegen Mr. Sawcombe. Er würde nicht wollen, daß du traurig bist.“
Er ging aus dem Haus und den Feldweg entlang. Zwischen dem Weg und der Kuhweide, die zu Mr. Sawcombes Bauernhof gehörte, lag eine kleine Koppel, auf der Vicky früher ihr Pony gehalten hatte. Aber das Pony gab es längst nicht mehr, und Tobys Vater hatte Mr. Sawcombe das Weideland für Mrs. Sawcombes vier Jacob-Mutterschafe verpachtet. Sie waren ihre Lieblinge, gehörnt und gefleckt, und hatten altmodische Namen wie Daisy oder Emily.
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An einem kalten Morgen Ende Oktober war Toby hergekommen, um die Schafe zu sehen, und hatte mitten unter ihnen einen mächtigen gehörnten Widder angetroffen. Der Widder war eine Weile geblieben und dann von seinem Besitzer würdelos im Laderaum eines ramponierten Lieferwagens nach Hause verfrachtet worden.
Aber er hatte seine Pflicht getan. Schon waren drei Lämmerzwillingspaare geboren, und nur Daisy wartete noch auf ihre Niederkunft. Toby lehnte sich über den Zaun und rief nach ihr. Sie kam langsam, würdevoll, liebkoste mit ihrer edlen Nase seine Hand und gestattete ihm, ihr den wolligen Schädel zwischen den stolzen, gebogenen Hörnern zu kraulen.
Toby besah sie mit Kennerblick, so wie Tom sie zu begutachten pflegte. Sie war riesenhaft; das lange, weiche Vlies ließ den Leib noch massiger wirken.
„Kriegst du heute deine Zwillinge?“ fragte er sie.
Wenn Daisy auch Zwillinge kriegt, hatte Mr. Sawcombe erst vorige Tage gesagt, bekommen wir eine Lammung von zweihundert Prozent, Toby. Zweihundert Prozent. Das ist das Beste, was ein Schafzüchter verlangen kann. Es würde mich freuen. Für Mrs. Sawcombe würde es mich freuen.
Es war unvorstellbar, daß er nie mehr mit Mr. Sawcombe sprechen würde. Unvorstellbar, daß er tot war, daß er einfach nicht da war. Viele Menschen waren gestorben, aber noch keiner, der Toby so nahestand wie Mr. Sawcombe. Tobys Großvater war gestorben, doch das war schon so lange her, daß Toby sich nicht mal mehr an ihn erinnern konnte. Er kannte nur die Fotografie am Bett der Großmutter und die Geschichten, die Granny ihm erzählt hatte. Nach dem Tod seines Großvaters war Granny in dem alten, leeren Haus wohnen geblieben, bis ihr die Arbeit zuviel wurde. Darauf hatte Tobys Vater den hinteren Flügel seines Hauses zu einer...

Erscheint lt. Verlag 22.4.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Cornwall • Edinburgh • England • Heiligabend • London • Oxford • Pilcher • Rosamunde • Schottland • Weihnachten
ISBN-10 3-7485-9125-X / 374859125X
ISBN-13 978-3-7485-9125-2 / 9783748591252
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