Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Feiertagskinder - Späte Romane (eBook)

Schwabinger Ausgabe, Band 2 - Herausgegeben und kommentiert - von Horst Lauinger, mit einem Nachwort von Daniela Strigl
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
720 Seiten
Manesse (Verlag)
978-3-641-25404-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Feiertagskinder - Späte Romane -  Eduard Keyserling
Systemvoraussetzungen
19,99 inkl. MwSt
(CHF 19,50)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
«Wer Keyserling liest, geht in Ferien.» Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung
Längst ist Eduard von Keyserling in aller Munde - als bemerkenswerteste Wiederentdeckung der modernen deutschsprachigen Literatur. Keiner beschreibt das Farbenspiel der Natur sinnlicher, suggestiver, keiner geht jedoch auch raffinierter mit seinen Figuren ins Gericht. Die Renaissance des genialen Seelenzeichners und Stimmungskünstlers verdankt sich ganz entscheidend dem Engagement des Manesse Verlags, zuletzt mit «Landpartie», dem vielbeachteten Jubiläumsband 2018. Nach den gesammelten Erzählungen folgt nun der nächste Streich: die späten Romane in einer umfassend kommentierten Edition. Sie enthält die glänzenden Höhepunkte aus dem letzten Lebensjahrzehnt Keyserlings, neben «Wellen» (1911) noch «Abendliche Häuser» (1914), «Fürstinnen» (1917) und «Feiertagskinder» (1918/19).

Eduard von Keyserling (1855-1918) stammt aus altem baltischem Geschlecht, studierte Kunst und Jura und begann schon früh mit dem Schreiben. Als freier Schriftsteller lebte er zunächst in Wien, später in Italien und München, wo er der Schwabinger Boheme angehörte. Durch eine Krankheit erblindet, vereinsamte Keyserling in den letzten Lebensjahren zunehmend.

«Gewiss, meine Liebe», erwiderte er und richtete sich mit einem Ruck strammer auf, «was gibt es denn?» Er folgte seiner Frau ins Esszimmer, und die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss.

Die Generalin schüttelte unzufrieden den Kopf und bemerkte: «Bella überschätzt von jeher die Wirkung von Auseinandersetzungen. » Das Gespräch des Ehepaares dauerte ziemlich lange. Man hörte die Stimme des Barons, die pathetisch wurde, und Wedig flüsterte Nini zu: «Hör, eben hat der Papa gesagt: ‹poetisches Bedürfnis›.»

Hilmar und Lolo wurden sehr zerstreut bei ihrem Spiel. Endlich ging die Esszimmertür wieder auf, Frau von Buttlär kam in das Wohnzimmer, setzte sich schweigend an den Tisch und nahm ihre Häkelarbeit auf. Sie war blass, man sah es ihr an, dass sie geweint hatte.

Der Baron aber war in der Tür stehen geblieben und sagte feierlich: «Hilmar, bitte auf ein Wort.»

«Zu Befehl», erwiderte Hilmar und sprang auf. Er zog dabei die Augenbrauen zusammen, und sein Gesicht nahm einen Augenblick einen so zornigen Ausdruck an, dass Lolo ihn erschrocken anschaute. Dann verschwanden die beiden Herren hinter der Esszimmertür. Die Generalin zog die Augenbrauen hinauf und sagte: «Wozu diese Konferenzen gut sind, weiß ich nicht, zur Gemütlichkeit tragen sie nicht bei.»

«Nein, liebe Mutter», erwiderte die Baronin, indem sie eifrig forthäkelte, «ich bin ungemütlich und prosaisch, das habe ich eben gehört. Andere können gemütlich und poetisch sein, ich nicht. Ich bin wie der Gendarm, den jeder braucht und den keiner mag.»

«Aber Bella», wandte die Generalin ein. Fräulein Bork jedoch fand das schön. Sie fand das schön, die Mutterliebe als die Polizei für das Glück der anderen.

«Sie haben gut reden, liebe Bork», meinte die Baronin, und die Generalin wurde ärgerlich: «Ich sage nicht, dass einmal tüchtig dreinfahren nicht ganz nützlich sein kann, aber immer besser kurz und scharf, als lang und sauer.»

«Wer ist denn sauer?», fragte die Baronin, worauf die Generalin nichts erwiderte. Lolo ging währenddessen im Zimmer unruhig auf und ab, blieb an der Glastür stehen und schaute in die Dunkelheit hinein, dann öffnete sie die Tür und trat auf die Veranda hinaus. Der Wind, als hätte er auf sie gewartet, fiel sie sofort an, zerrte an ihrem Kleide, wühlte in ihrem Haar. Lautes Tönen flog durch die Finsternis wie Sausen großer, hastiger Flügel, ein hastiges, ausgelassenes Leben trieb hier in der Nacht sein Wesen, und Lolo stand da und atmete tief und angestrengt. Sie litt, aber da drinnen im Schein der Lampe war ihr Schmerz eine unerträglich nagende Qual gewesen, hier draußen konnte sie ihn als groß, fast als schön empfinden. Als sie dann hörte, dass die Esszimmertür ging und die beiden Herren wieder in das Wohnzimmer gekommen waren, öffnete sie ein wenig die Glastür und rief Hilmar. Hilmar trat zu ihr auf die Veranda hinaus. Sie standen einen Augenblick im Dunkelen still beieinander, Lolo hatte Hilmars Arm genommen und lehnte sich fest an ihn. Endlich sagte sie leise: «Hat er dir meinetwegen Vorwürfe gemacht?»

«Ach, er hat ja recht», erwiderte Hilmar, und seine Stimme klang gepresst und mutlos. «Alle haben sie recht, wenn du um meinetwillen leidest, dann bin ich ein gemeiner Hund. Ich durfte nicht zu dir kommen, du musst sicher und glücklich sein.»

Lolo begann jetzt wieder zu sprechen ganz sanft und tröstend: «Nein, du kannst nichts dafür, wir können beide nichts dafür. Es gibt manches in der Welt, das stärker ist als wir beide. Ich habe das jetzt verstanden. O, ich habe jetzt sehr viel verstanden. Früher glaubte ich, sich lieben ist Hand in Hand sitzen und sich lange Briefe schreiben. Aber jetzt weiß ich, sich lieben ist eine furchtbar große Sache, und da muss man auch die ganz großen Dinge tun können und – warum soll ich nicht auch leiden? Du leidest auch, und so viele, viele leiden. Nein, mein armer Hilmar, wenn ich auch keinen schicksalsvollen Mund habe, mit dem blauen Sonntagskittel ist es doch nichts. Aber sei ruhig, wir werden schon den richtigen Weg finden.» Und sie strich sanft mit der Hand über seinen Ärmel hin.

«Lolo! Lolo!», rief die Baronin, und der Baron klopfte an die Fensterscheiben. «Sie rufen, wir müssen hinein», sagte Lolo.

«Da hinein kann ich jetzt nicht», stöhnte Hilmar, «aber du, du musst sicher und glücklich sein, und ich – ich bin ein gemeiner Hund.» Dann beugte er sich über sie und drückte seine heißen, trockenen Lippen fest auf ihre Augen, schob sie dann von sich und lief in die Dunkelheit hinaus. Lolo stand noch einen Augenblick da, sie legte beide Hände auf ihre Brust und schaute mit heißen fanatischen Augen in die Nacht hinein und berauschte sich an ihrem großen Schmerz.

Aus der Küchentür an der Schmalseite des Hauses schlichen drei in Mäntel gehüllte Gestalten dem Strande zu. Es waren Nini und Wedig, die sich aus dem Wohnzimmer fortgestohlen hatten und nun unter Ernestinens Führung ihrem Lieblingsabenteuer nachgingen, die Gräfin sehen. Dazu mussten sie die Düne hinaufsteigen, um auf der Rückseite des Wardeinschen Anwesens an das rechte Fenster zu gelangen. Es war ein Genuss aus der dumpfen Luft der Wohnstube herauszukommen, die heute ohnehin schwer von Missstimmung und Langeweile war, und sich mit dem Winde herumzuschlagen, die steilen Sandwände hinanzuklettern, mitten durch die nassen Wacholderbüsche hindurch und sich vor allem zu fürchten, was ihnen in der Dunkelheit begegnen könnte. Jetzt sahen sie schon das kleine helle Viereck des Fensters, sie brauchten nur noch vorsichtig die Sandlehne herunterzusteigen, um dann leise heranzuschleichen, als Ernestine Alarm zischte. Sofort duckten alle drei hinter einem Wacholderbusche nieder. Dort vor dem kleinen hellen Viereck stand schon einer, eine kleine, schiefe Gestalt und ein langes, regelmäßiges Profil hob sich scharf von den gelbbeleuchteten Fensterscheiben ab. «Exzellenz», flüsterte Ernestine. Sie wagten sich nicht zu regen. Dieser kleine Mann dort in der Dunkelheit vor dem Fenster stehend erschien ihnen entsetzlich unheimlich. Dann plötzlich war er nicht mehr da, war in die Nacht untergetaucht. Aber die drei Kinder wagten sich noch nicht vor, sondern kauerten still hinter ihrem Wacholderbusch. Und wieder tauchte eine Gestalt aus der Nacht auf und stand vor dem Fenster, eine schmale Gestalt, ein dunkeler Kopf, ein feines Profil, das wie ein Schattenriss gegen die helle Scheibe stand. «Hilmar», erklärte Wedig. Es schien ihnen, dass sie dieses Mal lange warten mussten, bis auch diese Gestalt in der Dunkelheit verschwand. Da erst trauten sie sich aus ihrem Verstecke heraus, an das Fenster heran und sahen Hans Grill am Tische sitzen und einen Brief schreiben, sahen Doralice in ihrem Sessel, den Kopf zurückgelehnt, mit weit offenen Augen verträumt vor sich hin sehend. Als Nini später oben in ihrem Schlafzimmer im Bett Lolo ihre Erlebnisse erzählte, sagte sie: «Weißt du, sie sah aus, als machte es sie furchtbar müde so schön zu sein.»

«Ja, weil es eine furchtbare Verantwortung ist so schön zu sein», klang es feierlich und weise aus Lolos Bett zurück.

Elftes Kapitel


Um Mitternacht war ein Gewitter niedergegangen, und ein plötzlicher Sturm hatte sich erhoben, stoßweise sich um sich selber drehend, als käme er von allen Seiten zugleich, so dass die Wellen sich hoch aufreckten und wie betrunken taumelten. Allein es dauerte nicht lange. So plötzlich, wie er gekommen war, ließ der Sturm nach; von Westen her kam ein sanftes Wehen, das die Wellen streichelte und beruhigte. Ein wolkenloser Tag brach an, die Sonne schien auf ein prächtig grünes Meer nieder, der Strand war von dem ausgeworfenen Seetang überdeckt wie von schwarzer Seide, und die Luft war ganz voll vom scharfen salzigen Dufte des Meeres.

Hans und Doralice waren schon zeitig am Vormittage zu ihrem Platz auf der Düne hinaufgezogen. Doralice lag dort auf ihrer Decke im Sande und sah auf das Meer hinaus. Hans malte, und zwar malte er die Großmutter Wardein, die regungslos auf einem Stuhle dasaß, die Hände im Schoße gefaltet. Die harte, runzelige Haut des Gesichts glänzte in der Sonne, als sei noch eine Spur alter Vergoldung an ihr haften geblieben, und die trüben, gelben Augen schauten in die Weite mit einem Blick, der starr auf eine sehr große gleichgültige Ferne hinaussieht. Hans sprach während des Malens über seine Kunst. Seit gestern sprach er viel und eifrig über seine Kunst und ihre praktischen Aussichten: «Es geht famos. Sie sind ein glänzendes Modell, Mutter Wardein. Einleuchtender kann ein Menschenschicksal nicht in Linien aufgehen, als in ihrem Gesicht. Na ja, natürlich, ein Porträt muss in uns die Vorstellung eines individuellen Lebens hervorbringen. Deshalb muss man auch Menschen malen, die man nicht kennt, sonst will man da zu viel hineinlegen. So zum Beispiel ist es mir deshalb schwer, dich zu malen, weil ich zu gut in dir Bescheid weiß.»

«Du weißt in mir Bescheid?», fragte Doralice.

«Natürlich.»

«Da weißt du mehr als ich», meinte Doralice.

Hans legte seinen Pinsel fort und schaute Doralice verwundert an: «Sag mal, seit einiger Zeit jetzt hast zu zuweilen solche Aussprüche unangenehmer Lebensweisheit wie der Geheimrat.»

Doralice seufzte: «Ach ja, angenehm ist es nicht, wenn man in sich die Ähnlichkeit mit dem Geheimrat wachsen fühlt.»

Hans zuckte mit den Achseln und griff nach dem Pinsel. Jetzt schwiegen sie. Doralice spähte aufmerksam zum Strande hinunter, als könnte dort unten etwas sich ereignen, das sie anginge. Karren standen dort unten und kleine struppige Pferde und Fischer, die den Seetang aufluden, um ihn auf ihre Äcker zu führen. Und eine kleine graue Gestalt mit wehendem Kopftuche ging ruhelos am Meere hin und...

Erscheint lt. Verlag 4.11.2019
Reihe/Serie Schwabinger Ausgabe
Nachwort Daniela Strigl
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte "Abendliche Häuser" • Adel • baltischer Fontane • cottagecore • eBooks • Ferienlektüre • "Fürstinnen" • Gesellschaftsroman • Impressionismus • Landpartie • Liebesromane • Moderne • Ostpreußen • Ostsee • Psychologischer Roman • Sinnlichkeit • "Wellen"
ISBN-10 3-641-25404-3 / 3641254043
ISBN-13 978-3-641-25404-9 / 9783641254049
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 6,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
CHF 20,50
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
CHF 12,65
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
CHF 12,65