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Die Frauen vom Alexanderplatz (eBook)

Roman

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eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
448 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-24740-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Frauen vom Alexanderplatz -  Elke Schneefuß
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Berlin im Aufbruch: Drei Frauen. Drei Schicksale. Drei Wege, die sich kreuzen.
Berlin 1918: Das Land ist erschüttert von den Folgen des Ersten Weltkrieges. In Berlin tobt die Novemberrevolution. In diesen Tagen begegnen sich der Matrose Benno und die Schneiderstochter Vera und verlieben sich sofort ineinander. Was Benno nicht ahnt: Seine Jugendliebe Fritzi ist auf der Suche nach ihm und will ihn zurückholen. Auch die Fabrikantentochter Hanna reist in diesen Tagen in die verschneite Hauptstadt und schmiedet Pläne für eine selbstbestimmte Zukunft. Die drei Frauen sind davon überzeugt, dass endlich besser Zeiten vor ihnen liegen und sie sind bereit, alles dafür zu tun, ihre Träume zu verwirklichen.

Elke Schneefuß wurde 1960 in Lüneburg geboren. Sie hat Rechtswissenschaft studiert und schreibt für regionale und überregionale Tageszeitungen. Sie lebt mit ihrer Familie in Lüneburg und begeistert sich seit Jahren für die spannenden historischen Umbrüche in der Zeit der Weimarer Republik, besonders in Berlin und Umgebung.

1. Kapitel


Heiligabend 1918


Zum ersten Mal in ihrem Leben steckten ihre Beine in zwei engen Röhren aus Stoff: Komisch sah das aus. Trotzdem, Georgs Hose anzuziehen war eine gute Idee gewesen. Die Beine fühlten sich überraschend warm darin an. Ärgerlich waren nur die Hosenträger, die Vera dauernd von den Schultern rutschten. Energisch rückte sie die Dinger ein weiteres Mal gerade, dann schob sie die Haare zurück unter die Schiebermütze. Natürlich waren ihr die Kleider ihres Bruders zu groß, aber sie fiel hoffentlich nicht auf in der Montur. Es war ohnehin kaum jemand unterwegs. Sie ließ die Blicke schweifen, doch in der gesamten Gertraudenstraße rührte sich nichts.

Ob sie wirklich alleine war hier draußen?

Vera spitzte die Ohren, die Stille fühlte sich eigenartig und bedrückend an. Vielleicht lagen Soldaten in den Hauseingängen, die sie aus ihren Verstecken heraus beobachteten? Möglich war es, Soldaten waren inzwischen überall. Vor Kurzem hatten Truppen der ehemaligen Reichswehr das Stadtschloss unter Beschuss genommen, um die sogenannte Volksmarine zum Teufel zu jagen. Die Kerle hatten sich im Schloss verschanzt, Meuterer aus dem Norden, versprengte Matrosen aus Kiel und Wilhelmshaven waren das. Konnten diese Idioten nicht wenigstens über die Weihnachtsfeiertage Frieden halten? Die Berliner hatten genug vom Krieg, trotzdem stand zu befürchten, dass die Soldaten mit ihren Schießereien das noble Viertel rund ums Schloss dem Erdboden gleichmachen würden. Schade drum. Früher war in der Gertraudenstraße immer etwas los gewesen. Spaziergänger, Fuhrwerke und mittendrin die Elektrische. Jetzt unheilvolle Stille, die Winterluft eisig und ungewohnt klar. War diese Leere nicht verdächtig? Da konnte man froh sein, wenn man etwas weiter im Norden zu Hause war, in den Gassen hinter dem Alexanderplatz war es bisher ruhig geblieben. Natürlich konnte sich das jederzeit ändern. Die instabile Regierung hatte die Lage nicht im Griff. Aufruhr, Straßenschlachten zwischen den Kommunisten und der Reichswehr, die Roten gegen die Regierung Ebert, die Oberste Heeresleitung gegen die Roten, jeder gegen jeden. Eine Schande war das.

Schluss jetzt, die Zeit drängte, sie musste sich sputen. Noch konnte Vera sich im Windschatten der Häuser halten, aber wenn sie gleich die Straße betrat, wurde sie zum Freiwild für Heckenschützen. Es war gefährlich weiterzugehen, aber umkehren konnte sie auch nicht. Mutter hatte es mal wieder am Herzen und brauchte einen Arzt. Die letzte Nacht war furchtbar gewesen, dieses Würgen, das Japsen nach Luft, so lange, bis sie blau wurde im Gesicht. Nicht zum Aushalten, zumal, wenn man nur danebenstand und nichts tun konnte. Vera musste zum Doktor und zumindest Mutters Tabletten besorgen, jetzt gleich. Einmal noch tief durchatmen, dann rannte sie los, auf die Straße hinaus. Das Echo ihrer Schritte hallte in ihren Ohren. Hastig und mit großen Schritten überquerte sie das Kopfsteinpflaster, doch schon nach ein paar Metern keuchte sie. Schweiß stand ihr auf der Stirn, der Kälte zum Trotz. Zum Glück kam endlich das Haus des Doktors in Sicht. In gebückter Haltung eilte sie darauf zu und war gerade am Zigarrenladen vorbei, da knallte es plötzlich – war das ein Schuss gewesen? Die Angst packte sie, doch sie durfte nicht stehen bleiben, auch wenn ihre Beine sich anfühlten wie Fahrradschläuche ohne Luft. Vielleicht besser Schutz suchen in einem Hauseingang? Die Lage überprüfen, bevor sie weiterhastete? Eine Toreinfahrt tat sich rechts von ihr auf, die kam wie gerufen. Mit einem großen Satz ging Vera hinter dem Torpfosten in Deckung. Ihr Herz pochte, sie versuchte, nicht drauf zu achten, sie lauschte angestrengt: Kam da wer, waren Bewaffnete in der Nähe? Zum Glück blieb es still auf der Straße, vielleicht hatte sie sich den Schuss bloß eingebildet. Vielleicht war nur ein Aschekübel umgefallen. Oder irgendwer hatte heftig eine Tür zugeschlagen. Vorsichtig spähte sie am Torbogen vorbei, auf die Straße hinaus. Niemand zu sehen. Verlassen lag das Viertel im bleichen Winterlicht. Falscher Alarm vermutlich, aber trotzdem würde sie noch einen Augenblick abwarten und versuchen, zu Atem zu kommen. Die Gertraudenstraße war im Moment ein heißes Pflaster. Früher war sie gerne hier gewesen, hatte die eleganten Geschäfte und Cafés bestaunt, heute jedoch waren die Schaufenster mit Gittern verrammelt, die Türen zugesperrt. Wozu auch die Läden öffnen? Zu kaufen gab es nach vier Jahren Krieg sowieso nichts mehr, nicht mal an Weihnachten.

Vera richtete sich auf, alles ruhig, immer noch, also schlich sie zum Bürgersteig zurück, sie lief weiter und huschte kurz darauf die Freitreppe vor dem Haus des Doktors hinauf. Das Messingschild seiner Praxis blinkte wie frisch poliert, schon drückte sie den Klingelknopf. Sie wartete, doch es blieb still im Haus, niemand kam. Erstaunt trat sie einen Schritt zurück und musterte die Fassade des Hauses: Alle Fensterläden waren verrammelt. Das Gebäude wirkte verlassen, nur eine große, rote Fahne hing schlapp von einem Balkon im ersten Stock. Was sollte das denn, seit wann war der Doktor bei den Roten? Komisch, und wie weiter jetzt?

Während Vera noch grübelte, näherten sich auf dem Pflaster hinter ihr auf einmal Schritte. Sie fuhr herum und entdeckte zwei Männer, der eine noch jung, der andere schon grauhaarig. Ein Matrose und ein Feldgrauer, beide mit roten Armbinden an den Ärmeln ihrer Joppe. Der Seemann hatte ein Gewehr dabei, es baumelte an einem Riemen über seiner Schulter. Revolutionäre, ohne Frage. Musste das sein, ausgerechnet jetzt? Hätten diese Kerle nicht ein paar Minuten später hier auftauchen können? Die Männer blieben am Fuß der Treppe stehen und starrten zu ihr herauf. Der kalte Schweiß brach ihr aus beim Anblick der beiden, ihre Knie zitterten, aber zeigen durfte sie ihre Angst jetzt nicht.

Der Feldgraue tippte sich grüßend an die Mütze.

»Frohe Weihnachten, Kamerad. Willste auch zum Doktor?«

Sie nickte bloß.

»Haste schon geklingelt?«

»Ja, hab ich, aber es macht keiner auf.«

»So, so.«

Der ältere der beiden Soldaten musterte sie forschend. Recht hatte er, ihre Stimme musste tiefer klingen, wenn sie als Knabe durchgehen wollte. Darum ging es schließlich bei dieser Maskerade, wozu sonst hatte sie Georgs Klamotten aus dem Schrank geholt? Der Feldgraue kam die Treppe herauf.

»Bei Körner musste klingeln.«

»Weiß ich.«

»Na, denn geh mal beiseite, und lass Vatern machen.«

Der Uniformierte grinste, im nächsten Moment gab er ihr einen sanften Schubs. Vera griff eilig nach ihrer Kopfbedeckung, während der Feldgraue sich zum Klingelbrett vorbeugte. Seine Montur stank nach dem Schmutz der Straße, nach Zigarettenrauch und billigem Fusel. Mit krauser Stirn inspizierte er die Klingeltafel an der Wand. Sein Zeigefinger wanderte langsam über die Namensschilder, bis er plötzlich innehielt. Er wirkte verärgert, war wohl mit der Geduld schon am Ende. Auf einmal holte er mit dem rechten Bein aus, sein Stiefel knallte gegen die Haustür, einmal und noch einmal, das Holz ächzte, doch die Tür gab nicht nach. Erschrocken klammerte sich Vera an das Treppengeländer, sie wollte hier nur noch weg, der Kerl war anscheinend gefährlich. Mehrfach hatte sie in den letzten Tagen von Kriegsheimkehrern gehört, die nicht wiederzuerkennen waren, roh und gemein waren sie an der Front geworden, gerieten im Nu in Rage. Auch mit diesen beiden Kerlen hier war offensichtlich nicht gut Kirschen essen. Bloß weg, sie drehte sich um und wollte gerade die Treppe hinunter, als sie sich plötzlich dem Matrosen gegenübersah. Er hob seine Waffe an und lud sie durch, schon krachten Schüsse. Glas splitterte, der Geruch nach Schießpulver erfüllte die Luft, es regnete Glasscherben. Die Scheibe im oberen Teil der Haustür war geborsten, das Türschloss zerstört, sein Messingbeschlag hing nur noch an einem einzigen Nagel.

»Na also, geht doch. Schönen Dank auch, Kamerad.«

Der Feldgraue grinste, dann gab er der Haustür einen Stoß, quietschend öffnete sie sich, schon war der Soldat im Gebäude verschwunden. Fassungslos starrte Vera ihm hinterher: Der Weg zum Doktor war nun frei, aber sollte sie dem Soldaten wirklich ins Haus folgen? Was, wenn die beiden Burschen drinnen weiter randalierten und um sich schossen? Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre getürmt, doch Mutter brauchte ihre Medikamente. Wie zur Salzsäule erstarrt stand Vera an ihrem Platz vor der Türschwelle, als plötzlich der Matrose sie beim Arm nahm.

»So, Kleiner, das hätten wir. Jetzt verkrümeln wir uns. Du kommst mit mir, verstanden?«

Vera riss die Augen auf: Was redete der Matrose da, sie sollte mit ihm gehen? Wohin denn wohl? Vielleicht hatte er ihre Maskerade durchschaut – wenn er bemerkt hatte, dass sie eine Frau war, war sie geliefert. Ihr Körper zitterte, am liebsten hätte sie losgeheult, doch sie biss die Zähne zusammen und hielt dem Blick des Matrosen stand. Er zwinkerte ihr zu, doch sie konnte sein Getue nicht deuten, es machte ihr nur Angst – auch wenn er nicht schlecht aussah, der Revolutionär. Schlank, hochgewachsen, obendrein blonde Haare, wie es sich für einen Seemann gehörte. Nun gut, sein Aussehen war das eine, aber was für eine Sorte Mensch war er wohl? An seiner Gutmütigkeit durfte man Zweifel haben, so wie der eben mit der Flinte auf die Tür des Doktors gefeuert hatte. Ihr Blick tauchte ein in das tiefe Blau seiner Augen, suchend und tastend, nur nicht untergehen darin. Gleich darauf gab er ihr einen Wink.

»Komm schon, wir beide hauen ab.«

Vera schüttelte den Kopf, sie musste dagegenhalten, doch sie bekam kein Wort...

Erscheint lt. Verlag 13.1.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anne Jacobs • Berlin • eBooks • Erster Weltkrieg • Familiensaga • Frauenromane • Historische Liebesromane • Historische Romane • Historisches Berlin • Kieler Matrosenaufstand • Liebesromane • Novemberrevolution • Starke Frauen • Tuchvilla
ISBN-10 3-641-24740-3 / 3641247403
ISBN-13 978-3-641-24740-9 / 9783641247409
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4 Gefühlvolle Story über drei unterschiedliche Charaktere!

von (Düsseldorf), am 11.03.2020

Zum Inhalt: Der erste Weltkrieg ist vorbei und das Land ist erschüttert. In Berlin im Jahre 1918 tobt die Novemberrevolution. Die Schneiderstochter Vera begegnet dem Matrosen Benno und versteckt ihn in der ehemaligen Werkstatt Ihres Vaters. Die beiden jungen Leute kommen sich schnell näher. Zur gleichen Zeit sucht Fritzi nach Benno, dem Vater Ihres Kindes, der verschwunden ist. Außerdem gibt es da noch Hanna, die reiche Fabrikantentochter, die versucht Ihrer Familie zu erklären, dass Sie gerne Medizin studieren möchte und eine Beziehung zu einer Frau hat. Drei Frauenschicksale, die nicht unterschiedlicher in Ihrer Art sein könnten.
Meine Meinung: Ich war sehr gespannt auf die Story und auf die drei unterschiedlichen Frauen und wurde nicht enttäuscht. Die Charaktere sind alle in Ihrer Art Sympathieträger und starke Persönlichkeiten. Die Geschichte ist spannend geschrieben und voller Emotionen und passt in die beschriebene Zeit. Vielen Dank an die Autorin, die mir diese Charaktere näher gebracht hat.
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,6 MB

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