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Via Appia (eBook)

Auf der Suche nach einer verlorenen Straße

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
336 Seiten
Folio Verlag
978-3-99037-096-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Via Appia -  Paolo Rumiz
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Eine Entdeckungsreise auf der Königin der Straßen - von Rom bis zum Herzen des Mittelmeers. Die Via Appia wiederentdecken, Europas erste große Straße erwandern - davon träumte Italiens berühmtester Reisender schon lange. Über 540 km führt die legendäre Römerstraße, 1000 Jahre älter als der Jakobsweg, vom Zentrum der Antike nach Brindisi, dem Tor zum Osten. Jahrhunderte der Vernachlässigung und Ignoranz haben sie beinahe aus dem Gedächtnis gelöscht. Mit einer Handvoll passionierter Reisegenossen folgt Rumiz den Spuren von Horaz und dem hl. Petrus, der Langobarden, Sarazenen und Normannen: Sie stoßen auf antike Villen und überwucherte Baudenkmäler, erkunden mittelalterliche Kirchen und Burgen, aber auch die Wunder der Gastfreundschaft, die Düfte und Genüsse des Südens. Selbst wo endlose Kornfelder und Autobahnen die Via Appia verbergen, ist sie noch da und weist den Weg zum Herzen des Mittelmeers.

Paolo Rumiz, geboren 1947 in Triest. Er berichtete für die Tageszeitung 'La Repubblica' über den Afghanistan- und den Jugoslawien-Krieg. Zahlreiche Essays, Romane und Erzählungen über seine Reisen an die entlegensten Orte Europas. Seine Bücher stehen kontinuierlich auf den italienischen Bestsellerlisten. Bei Folio sind erschienen: Der Leuchtturm (2017), Die Seele des Flusses (2018).

Paolo Rumiz, geboren 1947 in Triest. Er berichtete für die Tageszeitung "La Repubblica" über den Afghanistan- und den Jugoslawien-Krieg. Zahlreiche Essays, Romane und Erzählungen über seine Reisen an die entlegensten Orte Europas. Seine Bücher stehen kontinuierlich auf den italienischen Bestsellerlisten. Bei Folio sind erschienen: Der Leuchtturm (2017), Die Seele des Flusses (2018).

Incipit
Die erste Straße Roms
STEIN - Von Rom nach Capua Vetere
WIND - Von Capua Vetere nach Venosa
WEIZEN - Von Venosa nach Brindisi
Boots on the ground

Die erste Straße Roms


Das erste Mal sahen wir sie bei Meile 22, direkt hinter einer im Schilf versteckten Furt. Dann geschah es immer öfter. Hinter einem Steinbruch, einem Dornbusch oder einem Weizenfeld war der verschwundene Weg plötzlich wieder da, bildete eine Achse mit der Straße, die wir in einem Wirrwarr von Wegen, Asphalt und Schilf gerade verloren hatten, und vor allem geschah es, wenn gut zwanzig Satelliten über uns die Verlängerung auf dem GPS-Schirm bestätigten. In diesem Augenblick wurde die verschwundene Straße auf magische Weise auf der Karte wiedergeboren, und Spuren, die wir auf den ersten Blick für unbedeutend gehalten hatten, bekamen plötzlich einen Sinn. Aber vor allem wurde auch in uns etwas zurechtgerückt, und eine wunderbare Euphorie erfasste die Wandergruppe.

Guter Gott, wir gingen nicht nur über die Appia Antica. Wir waren dabei, sie wiederzuentdecken! Sie tauchte auf, rief uns unter den Schuhsohlen. Sogar das Wort „Kulturerbe“ schien aus unbekannten Tiefen aufzutauchen. Das war nicht das Familiensilber, das man an Feiertagen auf den Tisch stellt. Das war keine käufliche Ware, kein Prestigeprojekt für einen Sponsor und auch keine Ausrede, noch mehr zuzubetonieren. Sondern die Erde der Väter, unser aller Wurzeln. Genau das suchten wir. Und zwar mit den Füßen, die für uns keine Extremitäten sind – was für ein schreckliches Wort –, sondern hochsensible Sinnesorgane. Sie waren unser Seismograf, unser Metalldetektor, unsere Wünschelrute. Unser Aufbegehren gegen den Gedächtnisverlust einer ganzen Nation hatte ein Zeichen, ein universales und starkes Symbol gefunden: die erste Straße Roms, die vergessene Mutter der Straßen Europas.

Nachdem wir einige Tage unterwegs gewesen waren, mussten uns das römische Pflaster und die antiken Gehsteige, crepidines genannt, keine Beweise mehr liefen. Wir brauchten keine archäologischen Funde. Es genügte die sich machtvoll aufdrängende Richtung. Die Straße, über die wir erzählen wollten, war beileibe nicht nur eine Abfolge von Denkmälern, ein Gewirr von Einträgen im Notizheft; sie war die Idee, der Archetyp aller Straßen, die Linie schlechthin. Wichtig war der rote Faden der Höhenlinien, der geografischen Länge und Breite; er deckte sich mit der Straße, die den Apennin wie ein Schwert durchschnitt – wenn wir davon abkamen, wurden wir augenblicklich nervös. Er war die Spur, die unsere Sohlen errieten, indem wir alle fünfundsiebzig Zentimeter, mit dem Schritt der Legionäre, die Füße aufsetzten. Wir waren wie besessen.

„Die Appia ist eine starke Droge“, sagte ein Reisegefährte nach dem Abenteuer, mit geröteten Augen, weil er mehrere Tage damit zugebracht hatte, den Weg, den wir am Boden zurückgelegt hatten, auf Google Street View noch einmal aus der Vogelperspektive zu rekonstruieren. Auch ich kann sie mir nicht mehr aus dem Kopf schlagen. Die riesigen Windräder, die uns zu köpfen drohten wie die Windmühlen in Cervantes’ La Mancha, die Klagelaute der sechstausend unglücklichen Gefährten des Spartakus, die auf der windgepeitschten Straße gekreuzigt wurden, oder das graue brodelnde Tal des Todes namens Mefite. Und dann der Vollmond, dessen grünliches Licht auf den letzten Schnee in den Rinnen der Monti Alburni fällt, die durchscheinende Calore-Furt, die wir mit bis zu den Schenkeln aufgerollten Hosenbeinen durchquerten, Taranteln und Stachelschweine, der Triller der Schwalben in Venosa, die Gespräche der Samniten in den Schluchten zwischen dem wütenden Ofanto und dem stürmischen Volturno.

Die Landschaft hielt eine Überraschung nach der anderen bereit, bot dem Blick plötzliche Perspektivenwechsel, die auf dem Jakobsweg nach Santiago di Compostela undenkbar wären.

Um die Antike heraufzubeschwören, kann man auf die ersten Meilen, die von Bildungsreisenden mit Superlativen überschüttet worden sind, gut und gern verzichten. Das Offensichtliche haben wir links liegen lassen: die Priscilla-Katakomben, das Nymphäum der Egeria und das Grabmal der Caecilia Metella. Es genügt, bei den vergessenen Wundern der Albanerberge zu beginnen, bei den Meilensteinen in der Pontinischen Ebene. Dem Pflaster zwischen Fondi und Itri, über das man noch immer in aller Ruhe schreiten kann, ohne von Lkws gestört zu werden. Dem Cisternone di Formia, einem Wasserspeicher ähnlich Ali Babas Höhle, den man von der Straße her betritt und dessen Tür bloß mit einem Riegel verschlossen ist. Dem Teatro Augusteo, ebenfalls in Formia, das sich in einem bewohnten mittelalterlichen Gebäude versteckt, zwischen zum Trocknen aufgehängter Wäsche und dem Duft nach Ragù. Den Ruinen von Minturnae, ein paar Schritte vom Meer entfernt; die Abwasserkanäle allein zeugen von der großartigen Kultur des Römischen Reiches.

Wir werden Jahre brauchen, um zu verarbeiten, was wir gesehen haben: die Campania Felix, das glückliche Kampanien, ein äußerst fruchtbares Land, wo die Römische Republik ihre Genügsamkeit aufgab und Villen und Badebassins errichtete, wo gefressen und gesoffen wurde und die Dekadenz des Römerreichs begann. Santa Maria Capua Vetere, das antike Capua, dessen üppige Frauen Hannibals Soldaten köderten. In dieser Stadt sprechen die Steine, beziehungsweise sie schreien, für alle, die ihnen zuhören können, sie schreien in der blutigen Arena der Tiere und Gladiatoren oder in der furchterregenden Höhle des Mithräums. Wie in einem Film sehe ich die Archäologin Giuliana Tocco auf der Festung Montesarchio vor mir, die uns einen Keller wie den von Blaubart öffnet, mit von den LED-Lampen schwach beleuchteten griechischen Vasen. Im British Museum würden sich die Italiener stundenlang anstellen und Eintritt bezahlen, um solche Wunder zu bestaunen, hier sind es gerade mal ein paar Eingeweihte. Und dann der Trajansbogen in Benevent, glücklicherweise war er gerade eingerüstet und wir konnten ihn besteigen: Im heftigen Wind standen wir da oben, Auge in Auge mit den steinernen Legionären und Priestern. Und gleich daneben der Isistempel voller ägyptischer Schätze aus der Zeit der Römer.

Welche antike Straße in Europa hätte uns so reich beschenken können?

Sind die Italiener reif für die Via Appia? Das fragten wir uns bereits am Abend vor dem Aufbruch, bei einem Umtrunk im Hause Cederna, als in Rom ein Wolkenbruch niederging. Wir gedachten des Vaters der Hausherrin, des berühmten Publizisten und Denkmalschützers Antonio Cederna, Schutzpatron der Straße, dessen Vorstellungen der Mafia ein Dorn im Auge sind. Als wir bei heftigem Regen von der Porta San Sebastiano aufbrachen, offenbarte sich augenblicklich das Italien der Schlitzohren: Luxuswohnungen auf antiken Ruinen, Locations für vulgäre Partys, ein illegaler Autoverschrotter, ein Restaurant mit einem Saal für Hochzeiten. Augenblicklich verstanden wir, was für einen einsamen Stellungskrieg die Archäologen des römischen Denkmalamts wohl führen, die vom Staat oft völlig alleingelassen werden; wir spürten am eigenen Leib die Überheblichkeit der Reichen und die Faust der Banden im Nacken Roms. Und das war nur der Auftakt zu einer Reise, die uns zuerst quer durch die Albanerberge führte, und dann – weil die Straßenschilder kaputt waren, mussten wir immer wieder über Zäune klettern – bis zu der schnurgeraden Straße nach Terracina, die die antike Straße über fünfzig Kilometer zur Rennbahn und zu einer Rinne zwischen zwei Pinienreihen degradiert hat.

Vom ersten Tag an mischten sich in den Zauber auch Ärger und Empörung. Beim Anblick der Villa der Quintilier bei Meile 3 konnten wir gar nicht glauben, dass die wunderbaren rötlichen, einsamen Ruinen unter einem schwarzen Himmel die Überreste einer Orgie der Zerstörung waren, die Jahrhunderte gedauert hatte und an der neben Päpsten und römischen Adeligen auch Minister, Sänger, berühmte Regisseure, Baulöwen und andere Verächter der Antike teilgenommen hatten. Wir wollten uns nicht mit dem Gedanken abfinden, dass keineswegs nur die Barbaren, sondern die Italiener selbst das Land geplündert hatten, und dass der Höhepunkt dieser Plünderung nicht im Mittelalter, nicht in der dunklen Zeit der Partikularismen und der Pestepidemien, stattgefunden hatte, sondern in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts, als alle Hemmschwellen des guten Geschmacks und des Respekts vor der Vergangenheit gefallen waren. Es ist bitter, feststellen zu müssen, dass der Faschismus die antiken Denkmäler besser geschützt hat, als es das zeitgenössische Italien tut.

Ab der ersten Meile mussten wir uns die Schönheit hart erkämpfen. Mit wenigen Ausnahmen war unsere Reise genau das: ein Kampf. Von den Albanerbergen bis Formia, Mondragone, Santa Maria Capua Vetere und weiter war sie eine Konfrontation. An all diesen Orten hatten die Einheimischen so gut wie vergessen, dass sie an der „Königin der Straßen“ wohnten, und die „Appia-Antica-Komitees“ schützten oft nicht die Straße, sondern sich selbst vor der Straße, umgingen Denkmalschutz und Auflagen, um...

Erscheint lt. Verlag 16.4.2019
Reihe/Serie Transfer Bibliothek
Übersetzer Karin Fleischanderl
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Antike • Appia • Brindisi • Europa • Freilichtmuseum • Geschichte • Italien • Mittelmeer • Reise • Rom • Römerstraße • Wandern
ISBN-10 3-99037-096-0 / 3990370960
ISBN-13 978-3-99037-096-4 / 9783990370964
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