Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de
Der Büchersack -  W. Somerset Maugham

Der Büchersack (eBook)

und andere Erzählungen
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
480 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60937-0 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
10,99 inkl. MwSt
(CHF 10,70)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
In Der Büchersack, einer der bekanntesten Erzählungen von W. Somerset Maugham, reist der Ich-Erzähler nie ohne großen Büchervorrat durch die Welt aus Angst vor langweiligen Gesprächen. Doch in einem kleinen Outpost in den malaiischen Staaten braucht der Erzähler keines seiner Bücher, als sein Gastgeber Mark Featherstone ihm eine selbsterlebte Geschichte offenbart, die so schön und schrecklich ist, wie es nur die Liebe sein kann.

W. Somerset Maugham, geboren 1874, war früh von der Literatur angezogen. Er studierte zunächst Medizin, übte den Arztberuf aber nicht aus. Als Bühnenautor hatte er bald großen Erfolg, seinen literarischen Ruhm erlangte er jedoch als Romancier und Geschichtenerzähler. Zeitweise war er als britischer Geheimagent tätig. Er bereiste zahlreiche Länder, vor allem im Fernen Osten, dem Schauplatz vieler seiner Erzählungen, und starb 1965 in Cap Ferrat an der französischen Riviera.

W. Somerset Maugham, geboren 1874, war früh von der Literatur angezogen. Er studierte zunächst Medizin, übte den Arztberuf aber nicht aus. Als Bühnenautor hatte er bald großen Erfolg, seinen literarischen Ruhm erlangte er jedoch als Romancier und Geschichtenerzähler. Zeitweise war er als britischer Geheimagent tätig. Er bereiste zahlreiche Länder, vor allem im Fernen Osten, dem Schauplatz vieler seiner Erzählungen, und starb 1965 in Cap Ferrat an der französischen Riviera.

{7}Das ewig Menschliche


Mich scheint es immer nur während der toten Monate nach Rom zu verschlagen. Ich komme im August oder September hin, auf der Durchreise zu irgendeinem anderen Ort, und mache für ein paar Tage halt, um Plätze oder Bilder wiederzusehen, die mir durch alte Erinnerungen vertraut sind. Es ist dann sehr heiß, und die Stadtbewohner verbringen ihren Tag damit, unaufhörlich den Corso auf und ab zu schlendern. Das Caffè Nazionale ist voller Menschen, die stundenlang an kleinen Tischen sitzen, vor sich eine leere Kaffeetasse und ein Glas Wasser. In der Sixtinischen Kapelle sieht man blonde, sonnenverbrannte Deutsche mit kurzen Hosen und am Hals geöffneten Hemden, die mit schweren Rucksäcken die staubigen Straßen Italiens heruntergewandert sind; und im Petersdom kleine Gruppen frommer Pilger, müde, aber voll Glaubenseifer, die (zu einem günstigen Pauschalpreis) aus irgendeinem fernen Land hierhergekommen sind. Sie stehen unter der Obhut eines Priesters und sprechen fremde Sprachen. Das Hotel Plaza ist dann kühl und erholsam. Die Säle dort sind dunkel, still und geräumig. Zur Teestunde sind die einzigen Personen in der Halle ein junger, eleganter Offizier und eine Frau mit schönen Augen, die eisgekühlte Limonade trinken und eine angeregte Unterhaltung führen. Sie sprechen vertraulich und leise mit der unermüdlichen Geläufigkeit ihres Menschenschlags. Man {8}geht in sein Zimmer, liest, schreibt Briefe, und wenn man zwei Stunden später wieder hinunterkommt, sitzen sie immer noch da und sprechen. Vor dem Abendessen finden sich in der Bar ein paar Leute ein, aber den ganzen übrigen Tag ist sie leer, und der Barmann hat Zeit, uns von seiner Mutter in der Schweiz und von seinen Erfahrungen in New York zu erzählen. Man unterhält sich über das Leben und die Liebe und über die hohen Alkoholpreise.

Auch dieses Mal hatte ich das Hotel fast ausschließlich für mich allein. Der Portier beteuerte zwar, als er mir mein Zimmer anwies, daß sie ziemlich ausgebucht seien, doch als ich gebadet und mich umgezogen hatte und wieder in die Halle hinunterkam, eröffnete mir der Liftboy, ein alter Bekannter, daß kaum ein Dutzend Personen im Plaza logierten. Ich war müde nach der langen, heißen Reise durch Italien und hatte mir vorgenommen, still im Hotel zu essen und bald schlafen zu gehen. Es war schon spät, als ich den geräumigen Speisesaal betrat. Er war hell erleuchtet; trotzdem waren nicht mehr als drei, vier Tische besetzt. Ich blickte mich zufrieden um. Es ist sehr angenehm, allein in einer großen Stadt zu sein, die einem dennoch nicht völlig fremd ist, und in einem fast leeren Hotel zu wohnen. Es gibt einem ein köstliches Gefühl von Freiheit. Ich war beglückt. Ich hatte mich zehn Minuten in der Bar aufgehalten und einen Martini getrunken. Nun bestellte ich mir eine gute Flasche Rotwein. Meine Glieder waren müde, aber meine Seele reagierte wunderbar auf Speise und Trank. Es wurde mir seltsam leicht ums Herz. Ich aß meine Suppe und meinen Fisch, und angenehme Gedanken zogen mir durch den Sinn. Dialogfetzen fielen mir ein, und meine Phantasie spielte glücklich mit {9}den Personen eines Romans, den ich gerade in Arbeit hatte. Ich rollte einen Satz auf der Zunge herum, und er schmeckte besser als Wein. Ich fing an, über die Schwierigkeit nachzudenken, Menschen so zu beschreiben, daß der Leser imstande ist, sie genauso zu sehen, wie man selbst sie sieht. Für mich hat dies immer zu den schwersten Aufgaben der Schriftstellerei gehört. Was wird dem Leser wirklich vermittelt, wenn man ein Gesicht Zug um Zug beschreibt? Ich möchte sagen: nichts. Die andere Methode wiederum, sich an irgendein hervorstechendes Merkmal zu halten, an ein schiefes Lächeln etwa oder an einen verschlagenen Blick, und es immer wieder herauszustreichen, ist zwar wirkungsvoll, umgeht jedoch das Problem, anstatt es zu lösen. Ich ließ meine Blicke durch den Saal schweifen und überlegte, wie ich die Leute an den Tischen ringsumher beschreiben würde. Mir direkt gegenüber saß ein Mann, und rein zur Übung fragte ich mich, wie ich mit ihm verfahren würde. Er war ein hochgewachsener, schmaler Mensch – man würde ihn wohl am ehesten schlaksig nennen. Er trug einen Smoking und ein gestärktes Hemd. Er hatte ein ziemlich langes Gesicht und helle Augen; sein Haar war blond und gewellt, aber es fing an, spärlich zu werden, und die Geheimratsecken verliehen ihm einen vornehmen Kopf. Seine Züge waren unbedeutend. Mund und Nase sahen aus wie bei jedem x-beliebigen Menschen; er war glattrasiert; seine Haut war von Natur aus blaß, aber im Augenblick von der Sonne gebräunt. Sein Äußeres ließ auf eine intellektuelle, wenn auch leicht gewöhnliche Wesensart schließen. Er sah aus wie ein Rechtsanwalt oder wie ein Universitätsprofessor, der recht ordentlich Golf spielt. Ich vermutete, daß er Geschmack {10}besaß, viel von Büchern wußte und auf einer Lunchparty in Chelsea ein angenehmer Gast wäre. Wie man ihn jedoch beschreiben sollte, um in wenigen Zeilen ein lebendiges, interessantes und treffendes Bild von ihm zu entwerfen, konnte ich mir wahrhaftig nicht vorstellen. Vielleicht sollte man alles übrige beiseite lassen und sich auf jene müde Vornehmheit beschränken, die ihn im Grunde am deutlichsten charakterisierte. Ich blickte ihn nachdenklich an. Mit einemmal beugte er sich vor und machte eine steife, aber höf‌liche kleine Verbeugung. Ich habe die lächerliche Angewohnheit, zu erröten, wenn ich überrascht werde, und fühlte auch diesmal, wie mir das Blut in die Wangen stieg. Ich war bestürzt. Ich hatte ihn minutenlang angestarrt, als wäre er eine Strohpuppe. Er mußte mich für äußerst ungezogen halten. Ich nickte verlegen und schaute fort. Glücklicherweise reichte mir der Kellner in diesem Augenblick mein Essen. – Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich den Menschen nie vorher gesehen. Ich fragte mich, ob seine Verbeugung auf mein beharrliches Hinstarren zurückzuführen war: er nahm vielleicht an, daß er mir schon irgendwo begegnet sein mußte; oder hatte ich ihn vielleicht einmal kennengelernt und wieder vollkommen vergessen? Ich habe ein schlechtes Gesichtergedächtnis und konnte in seinem Fall zu meiner Entschuldigung anführen, daß er genauso aussah wie viele andere Menschen auch. Auf jedem Golfplatz in der Umgebung von London sieht man an einem schönen Sonntag Dutzende Gestalten seiner Art.

Er beendete seine Mahlzeit eher als ich. Er stand auf, aber auf dem Weg zum Ausgang blieb er an meinem Tisch stehen. Er streckte mir die Hand hin.

{11}»Guten Abend«, sagte er. »Ich habe Sie nicht gleich erkannt. Ich hatte nicht die Absicht, Sie zu schneiden.«

Er hatte eine angenehme Stimme und sprach in dem Tonfall, der in Oxford kultiviert und von vielen, die niemals dort waren, nachgeahmt wird. Es stand fest, daß er mich kannte und gar nicht auf den Gedanken kam, ich könnte ihn nicht erkannt haben. Ich war aufgestanden, und da er um ein gutes Stück größer war als ich, blickte er auf mich herunter. In seiner Haltung lag etwas Kraftloses. Er hielt sich etwas gebeugt, was den Eindruck einer gewissen Unsicherheit, der sich mir aufdrängte, nur noch verstärkte. Sein Benehmen war ein wenig herablassend und zugleich ein wenig schüchtern.

»Haben Sie Lust, später Ihren Kaffee mit mir zu trinken?« fragte er. »Ich bin ganz allein.«

»Mit Vergnügen«, antwortete ich.

Er verließ mich, und ich hatte immer noch keine Ahnung, wer er war und wo ich ihm begegnet sein mochte. Ich hatte etwas Merkwürdiges an ihm bemerkt. Nicht ein einziges Mal – weder während der Sätze, die wir miteinander gewechselt hatten, noch bei unserer Begrüßung, noch als er sich mit einem leichten Nicken von mir verabschiedete – überflog auch nur der Schatten eines Lächelns sein Gesicht. Aus größerer Nähe hatte ich festgestellt, daß er auf seine Weise eigentlich gut aussah; seine Züge waren regelmäßig, er hatte schöne graue Augen, und seine Figur war schlank; aber sein ganzes Wesen schien mir uninteressant. Ich konnte mir vorstellen, daß eine bestimmte Sorte törichter Frauen ihn romantisch fand. Er erinnerte an einen Ritter von Burne-Jones, obgleich er größer war und nichts darauf hindeutete, {12}daß er an der chronischen Kolitis litt, die diese unglückseligen Geschöpfe gequält hat. Er gehörte zu den Männern, die man sich im Kostüm auf einem Maskenball ganz großartig vorstellt, die man aber, sieht man sie dann wirklich einmal kostümiert, lächerlich findet.

Ich beendete mein Essen und begab mich in die Halle. Er saß in einem großen Lehnstuhl und rief, als er mich erblickte, einen Kellner herbei. Ich setzte mich zu ihm. Der Kellner erschien, und er bestellte Kaffee und Drinks. Er sprach sehr gut Italienisch. Wie sollte ich ergründen, wer er war, ohne ihn zu beleidigen? Ich zerbrach mir den Kopf. Die meisten Menschen nehmen es krumm, wenn sie feststellen, daß man sie nicht wiedererkennt. Sie sind so durchdrungen von ihrer Wichtigkeit, daß sie es für selbstverständlich halten, von den anderen ebenso wichtig genommen zu werden. Sein glänzendes Italienisch gab mir einen Anhaltspunkt. Ich erinnerte mich plötzlich, wer er war, und erinnerte mich gleichzeitig, daß ich ihn nicht mochte. Er hieß Humphrey Carruthers. Er war im Auswärtigen Amt tätig und bekleidete eine nicht unwichtige Stellung. Er leitete irgendein Amt. Er war verschiedenen Botschaften zugeteilt gewesen, und ich mutmaßte, daß sein idiomatisches Italienisch auf einen längeren Aufenthalt in Rom zurückzuführen war. Es war dumm von mir gewesen, nicht sofort zu bemerken, daß er zur Diplomatie gehörte. Er vereinigte alle Merkmale seines Berufes in sich. Er hatte jene hochnäsige Höf‌lichkeit, die es so...

Erscheint lt. Verlag 29.11.2018
Übersetzer Mimi Zoff, Felix Gasbarra
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Anthologie • Büchervorrat • Bücherwurm • Erzählungen • Klassiker • Kurzgeschichten • Leseratte • Liebe • Malaysia • Reise • Sammlung
ISBN-10 3-257-60937-X / 325760937X
ISBN-13 978-3-257-60937-0 / 9783257609370
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von Iris Wolff

eBook Download (2024)
Klett-Cotta (Verlag)
CHF 18,55