Das Savoy - Aufbruch einer Familie (eBook)
416 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1687-8 (ISBN)
Glanzvolle Zeiten einer Londoner Familiendynastie.
England, 1932: Violet ist jung, emanzipiert und am Ziel ihrer Träume: Als eine der ersten weiblichen Autorinnen schreibt sie für die BBC. Als jüngster Spross einer Hotel-Dynastie ist Violet im traditionsreichen Savoy aufgewachsen. Umso mehr fasziniert sie die Dynamik, für die das moderne Medium Radio steht. Plötzlich erleidet Violets Großvater, Patriarch der Familie und Symbolfigur des Savoy, einen Schlaganfall. Er betraut ausgerechnet Violet damit, die Leitung des großen Hotels zu übernehmen. Violet gerät in die dramatische Verstrickung von Ereignissen, deren Ausgang sie nicht abzusehen vermag ...
Der Auftakt der großen 30er-Jahre-Trilogie über das berühmteste Hotel der Welt.
Hinter Maxim Wahl verbirgt sich ein deutscher Bestsellerautor, der mit seinen zahlreichen Romanen auch international Aufmerksamkeit erregte. Für seine Stoffe sucht sich Maxim Wahl große Schauplätze der europäischen Geschichte. Er lebt in Berlin und London - und am allerliebsten im Hotel Savoy.
Im Aufbau Taschenbuch sind bisher seine Romane 'Das Savoy. Aufbruch einer Familie', 'Das Savoy. Schicksal einer Familie', 'Das Savoy. Geheimnisse einer Familie', 'Das Savoy. Hoffnung einer Familie' sowie bei Rütten & Loening 'Stürmische Weihnacht in Cornwall' erschienen.
1
Revolution
Die Tür schwang auf. Poliertes Messing und geätztes Glas, dunkle Täfelung aus Mahagoni. Sir Laurence brauchte nicht stehenzubleiben, um die Flecken an den Messinggriffen zu registrieren, das musste heute noch behoben werden. Marmorverkleidete Säulen, halb schwarz, halb Elfenbein, die Goldblatt-Tapete war vor zwei Jahren erst erneuert worden. Über der getäfelten Treppe zog sich ein Fries mit jugendlichen Gottheiten.
Sir Laurence Wilder war der König dieses Palastes und wie so mancher König beschlich er sein Reich mitunter heimlich, ohne erkannt zu werden. Er registrierte, dass es dem Clerk, der die Schwingtür bediente, an Haltung fehlte und dem Butler neben dem Empfang an Aufmerksamkeit. Larrys Chefbutler hätte den Eintretenden längst bemerkt und mit unsichtbarem Wink einen Pagen zu ihm dirigieren müssen, der sich erkundigen würde, ob Zeitungen oder Zigaretten gewünscht seien, vielleicht Theaterkarten. Es gab noch überteuerte Tickets für das Sadler’s Wells, wo Gielgud Was ihr wollt spielte. Doch Mr Sykes, sein dienstältester Butler, hatte den Herren im Leinenanzug mit der Sonnenbrille nicht bemerkt und unterhielt sich stattdessen mit Lady Edith, der Herzogin von Londonderry. Eine Frau mit kohlrabenschwarzem Haar, hängenden Schultern und traurigen veilchenblauen Augen. Larry hätte Lady Edith gern seine Aufwartung gemacht, zog es aber vor, unerkannt zu bleiben. Sein tief in die Stirn gezogener Strohhut und die schwarz getönte Brille machten ihn sozusagen unsichtbar. Jeder kannte Sir Laurence im dunklen Cutaway mit grauer Weste und elfenbeinfarbener Krawatte. Man bewunderte sein stahlgraues Haar, den täglich gestutzten Schnäuzer und die bernsteinfarbenen Augen, scheinbar stets ein wenig feucht, als ob er den Tränen nahe sei. Das kam von der lästigen Augenentzündung, er trug Tropfen zur Linderung in seiner Tasche. Obwohl diese Augen ihm den Anschein von Güte gaben, entging ihnen kein Detail, er war dafür berüchtigt, dass er aus fünfzig Yards Entfernung feststellen konnte, ob ein Bild schief hing.
Larry schlenderte weiter Richtung Treppe. Der Lüster über ihm war ein goldener Ring aus Licht und konkurrierte mit der glitzernden Sonne, die er bei seinem Spaziergang entlang des Strand genossen hatte. Wie albern die englischen Gentlemen mit ihren untergehängten Regenschirmen bei dem herrlichen Wetter ausgesehen hatten. Der Klang der Halle umfing Sir Laurence, kein eindeutiger Akkord, eher ein Anstimmen und Verklingen, das Gläserklirren eines früh bestellten Brandys, das Knautschen der Ledersessel, glänzend von Sattelfett, jenes Geheimmittel, das Larry während seiner Lehrzeit als Page selbst entdeckt hatte. Im Tearoom schwoll das Jazztrio an und ab, je nachdem, ob eilende Kellner die Schwingtür bedienten. Die Geigen aus dem Wintergarten hingen träge in der Luft, er nahm sich vor, das Salonorchester zu ermuntern, endlich das Programm zu wechseln. Niemand ertrug Wiener Kitsch im Frühling. Ein zartes Singen von den Seidenkleidern der Frauen, das Rascheln der Trenchcoats und Schals. Larry erreichte die Treppe.
Spätestens jetzt hätte ihn ein Page oder Hausdiener anhalten und sich höflich erkundigen müssen, was zu Diensten stehe. Niemand durfte einfach so ins Savoy hineinspazieren, der hier nichts zu suchen hatte. Das Savoy war ein Kosmos für sich, der jeden Tag seinen eigenen Sonnenauf- und Untergang erlebte. Hier arbeiteten, bedienten, genossen und vergnügten sich Menschen, die nicht nur aus der ganzen Welt kamen, sondern auch für die ganze Welt standen. Das irische Blumenmädchen, das ein Verhältnis mit dem dalmatinischen Baron hatte, der indische Zigarettenverkäufer und sein Scotch Terrier, die Witwe des amerikanischen Rinderzüchters, die österreichische Gouvernante, der sizilianische Tenor, der jüdische Unterhändler, der einarmige Captain der Royal Airforce, die englische Autorin französischer Liebesromane, der deutsche Diplomat und in Gottes Namen auch die Stenotypistin, die gegen ein Extrahonorar nachts in das Zimmer des Generaldirektors schlüpfte.
Sir Laurence kannte viele von ihnen persönlich, die meisten waren nicht zum ersten Mal hier. Das Savoy war ein Hotel, in das man wiederkam. Für den, der es sich leisten konnte, war es Zuhause. Lloyd George hatte seine Regierung hierher zum Lunch geladen, King George liebte das Chocolate Chunk Shortbread, das im Tearoom gereicht wurde, und Theatergrößen galten erst als solche, wenn sich die Journalisten im gediegenen Clarence Room um sie scharten.
Während Sir Larry auf den Fahrstuhl wartete, drehte er sich noch einmal nach Lady Edith um. Sie war gewiss die schönste Frau, die dem Savoy derzeit die Ehre gab. Ihre Augen standen ein klein wenig zu weit auseinander, ihre Nase war um eine Winzigkeit zu kurz, ihr Mund hatte etwas knabenhaft Trotziges, aber gerade die Summe dieser Unvollkommenheiten verlieh der Duchess etwas Unwiderstehliches. Wenn Lady Edith im Haus war, durfte man damit rechnen, dass noch am selben Tag der Wagen des Premierministers vorfuhr. Meistens betrat Ramsey MacDonald das Savoy durch den Seiteneingang und ließ sich direkt zur Suite der Herzogin bringen. Mit dem Erkerblick auf die Themse galt die Zimmerflucht als die romantischste im ganzen Haus.
Der Fahrstuhl schwebte in die Lobby, der Liftboy öffnete, ohne Sir Laurence ins Gesicht zu blicken. So wurde es den Eleven antrainiert, der Gast sollte sich vom Personal unbeobachtet fühlen. Dieser Liftboy machte eine Ausnahme.
»Guten Morgen, Sir Laurence.« Sein Finger im weißen Handschuh schwebte über dem Armaturenbrett. »Fünfter, wie immer?«
Da er ohnehin erkannt worden war, nahm Larry die Sonnenbrille ab. Wie hieß der Junge noch mal, Emil oder Erich? Ein Deutscher, so viel wusste er, frech, hübsch, schlank. »Wie lange bist du schon bei uns?«
»Im Juli wird es ein Jahr, Sir.«
»Ein Jahr schon, ähm …?«
»Otto, Sir.«
»Ich weiß.«
Korrekt drehte der Junge ihm den Rücken zu. 1931 war Otto ins Savoy gekommen, ein übles Jahr, alles in allem. Die Weltwirtschaftskrise hatte auch vor dem Hotel nicht Halt gemacht. Die Übernachtungen waren zurückgegangen, für die Zimmer ohne Themseblick hatte Laurence die Preise senken müssen. Obwohl die Staatsausgaben drastisch reduziert worden waren, kriegte die Regierung den Schlamassel nicht in den Griff. Man hatte die Renten und das Arbeitslosengeld gekürzt, gewalttätige Streiks waren die Folge gewesen. Nicht nur die Gewerkschaften, sogar die Royal Navy streikte. Der Premierminister, selbst ein Labour-Mann, hatte den Regierungsauftrag zurückgelegt und einen neuen zur Bildung einer nationalen Regierung unter Einbeziehung der Konservativen erhalten, woraufhin ihn seine eigene Partei hinausgeworfen hatte. Im Juli einunddreißig hatte die Bank of England den Goldstandard aufgeben müssen. Seitdem befand sich das Pfund im freien Fall und war abhängig von Angebot und Nachfrage der Devisenbörsen.
Larry musterte den Flakon mit Eau de Cologne in der Kabinenecke. Während der warmen Jahreszeit stand das erfrischende Parfum auf einer winzigen Konsole bereit, daneben Tücher mit dem Monogramm des Hauses. Gewohnheitsmäßig nahm er ein Tüchlein, bediente den Spender und tupfte sich Kölnischwasser in den Nacken.
»Der Flakon muss ausgetauscht werden«, sagte er zu Otto. »Er ist fast leer.«
»Ich werde Mrs Drake Bescheid sagen.« Der Page öffnete die Glastür und das Scherengitter. »Fünfter, Sir.«
»Wann warst du das letzte Mal zu Hause, Otto?«, fragte Larry beim Aussteigen.
»Das ist ewig her, Sir.«
»Woher stammst du?«
»Aus München.«
»Dort ist jetzt einiges los, mit eurem neuen Mann in München, nicht wahr?«
»Was soll denn los sein, Sir?«
Larry nickte dem Jungen zu, wanderte den Korridor hinunter und schloss die Tür zu seinen Privaträumen auf. Wohnen im Hotel, dachte er jedes Mal, wenn er hier eintrat. Wohnen im Hotel.
»Frühstück, Sir Laurence?« Dorothy Pyke marschierte an ihm vorbei. Wieso konnte diese Frau nicht gehen, wie Frauen gingen? Es klang, als ob die Royal Army die Wohnung besetzt hätte.
»Frühstück?« Er zog die Jacke aus. »Es ist halb eins.«
»Lunch also.« Dorothys Kostüm war tailliert und blau gestreift. Als Zugeständnis an den Frühling trug sie heute eine fliederfarbene Bluse.
»Nichts, danke, nur Tee.« In Hemdsärmeln setzte sich Sir Laurence an den Schreibtisch und öffnete die Unterschriftenmappe. »Sagen Sie Mrs Drake, die Messinggriffe an den Eingangstüren müssen poliert werden. Sie soll das Zinkmittel verwenden lassen, sonst sind die Flecken morgen wieder da.«
»Sie müssen mehr essen«, rief Dorothy von nebenan. »Sie sollten wirklich tun, was der Doktor sagt.«
»Der Doktor sagt auch, dass ich was am Herzen hätte. Beides ist Unsinn.« Lächelnd sang Larry vor sich hin: »Kein Herz schlägt treuer als das deine.«
Sein Arbeitszimmer ging nach Westen, der Salon auf den Innenhof. Laurence hatte kein Interesse an dem berühmten London-View des Savoy. Wer den genießen wollte, musste teuer dafür bezahlen.
»Sie dürfen das nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
Larry blickte auf, da stand sie, Dorothy Pyke, die jüngste Assistentin, die das Savoy je gesehen hatte und die hübscheste. Hochgewachsen, das lange Haar streng nach hinten gescheitelt, verlor es sich am Hinterkopf in lustigen Locken. Bis auf die Lippen schminkte sie sich nicht. Mit der dampfenden Teetasse marschierte sie auf ihn zu.
»Schon fertig, der Tee?« Larry legte den Kopf schief. »Können Sie...
| Erscheint lt. Verlag | 16.8.2019 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Die SAVOY-Saga |
| Die SAVOY-Saga | Die SAVOY-Saga |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 30er Jahre • Adlon • Emanzipation • Hotel • Hotel Adlon • Hoteldynastie • Hotel Ritz • savoy |
| ISBN-10 | 3-8412-1687-0 / 3841216870 |
| ISBN-13 | 978-3-8412-1687-8 / 9783841216878 |
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