Eric Van Lustbader ist Autor zahlreicher Bestseller (u.a. 'Der Ninja', 'French Kiss', 'Weißer Engel'), die alle im Heyne Verlag erschienen sind. Er lebt mit seiner Frau Victoria auf Long Island.
EINS
Morgana Roy ging um genau 8.36 Uhr zur Arbeit. Als Gewohnheitsmensch marschierte sie täglich die eineinhalb Kilometer von der öffentlichen Parkgarage zu ihrem Büro in einem heruntergekommenen Gebäude an der nicht gerade prächtigen Hauptstraße von Bowie, Maryland. Bowie lag südwestlich von Fort Meade, wo sich der schwarze Glaspalast der NSA wie aus dem Nichts erhob. Wie üblich war sie um sechs Uhr aufgestanden und direkt zu dem Dojo gefahren, in dem sie seit sieben Jahren Mitglied war. Dort trainierte sie intensiv je fünfundvierzig Minuten mit Meistern zweier verschiedener Kampfsportarten, bevor sie sich duschte und ihre Arbeitskleidung anzog.
Ihre Wohnung, die etwa fünfunddreißig Kilometer südwestlich des Büros lag, würde einem Außenstehenden allzu wohlgeordnet, fast steril erscheinen. Abgesehen von den Haushaltsgeräten gab es alle Einrichtungsgegenstände in gerader Anzahl: Sofas, Stühle, Lampen, Beistelltische, Laptops an zwei verschiedenen Arbeitsplätzen. Auf dem Esstisch standen zwei Vasen in gleicher Entfernung zur Tischmitte. Sechs Stühle. Alles in perfekter Symmetrie. Sie führte ein vollkommen geordnetes Leben. Ordnung war überaus wichtig für sie. Chaos war für sie etwas Beunruhigendes, auch wenn ihr die Vorstellung davon manchmal verlockend erschien.
Sie ging diese Strecke in jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter, in einem Tempo, das die meisten ins Schnaufen bringen würde. Eine besondere Herausforderung war der Marsch in der Sommerhitze oder in einem winterlichen Schneesturm. Manche, die sie aus irgendeinem Grund begleiteten, sprachen hinterher vom »Todesmarsch von Bataan«, ein Vergleich, der natürlich scherzhaft gemeint und übertrieben war, aber durchaus einen düsteren Unterton hatte.
Morgana Roy arbeitete in einer kleinen Bürosuite, die an ein Fitnessstudio angrenzte. Vor allem die Neulinge in ihrer Einheit waren von dem Geruch nach abgestandenem Schweiß angewidert, der durch die Fußleisten der Wand hereindrang. Zweimal die Woche wurden die Schweißgerüche mit scharfen Desinfektionsmitteln übertüncht. Morgana schien die Geruchsbelästigung gar nicht zu bemerken; vielleicht hatte sie sich einfach daran gewöhnt.
Mit einer magnetischen Schlüsselkarte öffnete sie eine Tür, die mit einem kleinen, diskreten Schild versehen war: »MEME LLC« war auf ein einfaches Blatt Papier gedruckt, das bei schlechtem Wetter beinahe täglich gewechselt werden musste. Dennoch gab es keine Pläne für etwas Dauerhafteres. Auf der anderen Straßenseite befand sich das kleinste Postamt, das Morgana je gesehen hatte, in einem schmalen Klinkerbau mit einer Rollstuhlrampe, an deren eisernem Geländer ein kümmerliches Transparent mit der Aufschrift »MIETEN SIE HEUTE EIN POSTFACH« hing.
Als Morgana eintrat, stand eine füllige dreiundzwanzigjährige Frau in einem Gabardine-Anzug, der nicht unbedingt zum typischen Outfit einer Regierungsbehörde gehörte, von ihrem Schreibtisch auf, sagte »Guten Morgen«, und ging nach nebenan, um für sie beide einen Cappuccino zu holen.
»Guten Morgen, Rose«, erwiderte Morgana, als Rose zurückkam.
Neben Roses Schreibtisch glänzten die Blätter eines Gummibaums, als würden sie täglich poliert. Auf der rechten Seite stand ein verschlossener Schrank, der völlig leer war. Zur Linken waren Stühle aufgereiht, auf denen noch nie jemand gesessen hatte. Auf einem niedrigen Tisch lagen Ausgaben von Vanity Fair und Wired, die nie gelesen, aber dennoch laufend aktualisiert wurden. Die Einzigen, die die Büros von MEME LLC je betraten, waren die eigenen Mitarbeiter.
Mit dreißig Jahren war Morgana die Älteste im Team. Sieben Leute arbeiteten hier im Büro unter ihrer Leitung, sieben weitere draußen im Feldeinsatz. Alle waren jung, draufgängerisch und hungrig, so wie Morgana sie haben wollte.
In der Wand hinter Rose gab es zwei Türen. Die rechte führte in einen Pausenraum, komplett mit Kühlschrank, Herd, Spüle, Küchenschränken, Kaffeemühle und Espressomaschine. Dahinter erstreckten sich mehrere Lagerräume, über die man in einen Keller gelangte.
Die Tür zur Linken war verschlossen und mit einem Netzhautscanner gesichert. Mit der Kaffeetasse in der Hand schaute Morgana in das Display, öffnete die Tür und wartete noch einen Moment, um einen Schluck von ihrem Cappuccino zu trinken.
Sie trat in einen großen, fensterlosen Raum. An der Wand zur Linken waren mehrere LED-Flachbildschirme installiert, die jedoch keine Kameraaufnahmen von Flughäfen oder Straßenecken in irgendeiner Stadt zeigten, auch keine Ansichten von feindlichen Lagern in der Wüste, die von einer Drohne übermittelt wurden, sondern lediglich Material von diversen Computern. Die Bilder wechselten ständig, oft so schnell, dass sie ineinander verschwammen. Der Text auf den Bildschirmen war oft auf Kyrillisch oder Mandarin, gelegentlich auch auf Hebräisch und Arabisch, einige wenige sogar auf Persisch, Urdu und Paschtunisch.
An der rechten Wand waren hochauflösende Luftaufnahmen der Schweizer Alpen zu sehen. In einer Stunde würden Bilder aus einem Boot in den Malediven hereinkommen, und eine weitere Stunde später Aufnahmen von den belebten Straßen Manhattans. Und so weiter. Niemand beklagte sich über das Fehlen von Fenstern. Niemand blickte auf, als Morgana eintrat, was ihr nur recht war. Ihr sechsköpfiges Team konzentrierte sich ausschließlich auf die Laptop-Bildschirme.
Es gab keine Trennwände zwischen den einzelnen Workstations. Von jedem Platz verliefen dicke Kabel nach oben zu Schienen, die an der Decke angebracht waren, was es Morganas Leuten ermöglichte, sich frei im Raum zu bewegen und zu spontanen Konferenzen zusammenzukommen, um wichtige Informationen auszutauschen. Alles, was auf den Bildschirmen zu sehen war, wurde in Echtzeit eingespielt. Immer auf dem Laufenden zu sein war für die Mitarbeiter von MEME LLC ein entscheidender Faktor. Ihre Aufgabe war es, in Gemeinschaftsarbeit verschlüsseltes Material zu entziffern. Alle Meme-Projekte beruhten auf enger Kooperation, was nicht nur sehr erfolgreich war, sondern auch ein kameradschaftliches Verhältnis zwischen den Mitarbeitern förderte, wie es in den verschiedenen staatlichen Geheimdiensten undenkbar war.
Morgana trat durch eine unscheinbare Tür in der gegenüberliegenden Wand. An der Tür war kein Namensschild angebracht. Dies war Morganas Refugium. Von hier aus konnte sie alles überblicken, was in dem großen Raum vor sich ging. Und sie hatte die Freiheit, alles abzuschalten und im Halbdunkel über Algorithmen und ihre eigene Zukunft nachzudenken.
Sie stellte die Tasse auf ihren Schreibtisch, zog die Jacke aus, hängte sie über ihren ergonomischen Stuhl und setzte sich. Im selben Moment erwachte der Bildschirm ihres Laptops zum Leben. Ihr Daumenabdruck wurde eingescannt, und schon war sie drin.
Im Posteingang des E-Mail-Programms erwarteten sie die üblichen unwichtigen Nachrichten. Eine jedoch war besonders hervorgehoben.
Schau an, dachte sie. Black Star.
»Black Star« stand für außergewöhnliche Angelegenheiten.
Sie klickte das Icon an und wurde direkt mit dem Büro von General Arthur MacQuerrie verbunden. Sein wettergegerbtes Gesicht füllte den Bildschirm aus. Mit seinen babyblauen Augen erinnerte er sie an Doctor Strange, der zusammen mit Wonder Woman ihr liebster Comic-Held war. Der Vergleich war durchaus passend. Ihr Chef von der NSA war tatsächlich so etwas wie ein Zauberer. Es war ihr ein Rätsel, wie es ihm gelang, ihre Einheit vor all den Spezialisten geheim zu halten, die sich in der Buchstabensuppe der Bundesbehörden herumtrieben – von NSA und CIA bis zu FBI, DOD und DHS. Und das war nur einer seiner vielen Tricks. Meme verfügte über großzügige Mittel. Es war noch kein einziges Mal vorgekommen, dass Morgana etwas gewollt und der General es ihr verweigert hätte. Sie verfügten über die allerneueste Technologie – ihre Ausrüstung wurde zweimal jährlich erneuert. Morgana hatte keine Ahnung, wie er es schaffte, die dafür nötigen Mittel von Marshall Fulmer zu bekommen, dem Ex-Senator, der dem Joint Armed Services Appropriations Committee (JASAC) vorstand und nun vom Kongress als künftiger Nationaler Sicherheitsberater des Präsidenten bestätigt worden war.
»Morgen, Mac«, sagte sie und nahm einen Schluck Cappuccino. »Was gibt’s?«
Der General hatte eine breite Stirn und vorstehende Augenbrauen, die seinem diamantförmigen Gesicht eine besondere Ausdrucksstärke verliehen. »Wie es aussieht, ist unser alter Freund Boris Iljitsch Karpow wieder unter uns Lebenden.«
»General Karpow ist tot«, erwiderte Morgana. »Bei seiner Hochzeit letztes Jahr in Moskau wurde ihm die Kehle aufgeschlitzt.«
»Und dennoch sucht er uns wieder heim.« Der General schüttelte den Kopf. »Wie Sie wissen, hat sich Boris Karpow auf einem schmalen Grat bewegt, zwischen dem, was ihm der Kreml vorgab, und dem, was er selbst für richtig hielt. Das ist in Russland schwieriger als irgendwo sonst auf der Welt, abgesehen vielleicht von Nordkorea. Jedenfalls scheint Karpow in seinen letzten Monaten an verschiedenen geheimen Initiativen gearbeitet zu haben.«
Morganas Bildschirm teilte sich. MacQuerrie füllte die eine Hälfte aus, während Zeile für Zeile eines Computercodes erschien, der so komplex war, dass es ihr den Atem verschlug.
»Was in aller Welt ist das?«
»Keine Ahnung«, sagte MacQuerrie. »Deshalb wende ich mich an Sie.«
»Wir kümmern uns sofort darum.«
»Genau...
| Erscheint lt. Verlag | 8.7.2019 |
|---|---|
| Reihe/Serie | JASON BOURNE | JASON BOURNE |
| Übersetzer | Norbert Jakober |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | The Bourne Initiative |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | action • Agententhriller • eBooks • Geheimdienst • James Bond • Jason Bourne • Kino • Matt Damon • Politthriller • Russland • Serien • Thriller • USA |
| ISBN-13 | 9783641195625 / 9783641195625 |
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