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Das Kino am Jungfernstieg (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
368 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-22940-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Kino am Jungfernstieg -  Micaela Jary
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Band 1 der großen Kino-Saga aus der deutschen Nachkriegszeit.
November 1946: Die Film-Cutterin Lili Paal kehrt aus Berlin in ihre Heimatstadt Hamburg zurück. In der im Krieg zerbombten Innenstadt besitzt ihre Mutter ein ehemals glamouröses, nun wenig erfolgreiches Kino, das Lilis Halbschwester Hilde und deren Mann unbedingt schließen möchten. Lili will keinesfalls aufgeben, wurde im elterlichen Lichtspielhaus doch ihre Leidenschaft für den Film geweckt. Gleichzeitig sucht sie nach den Negativen eines im Krieg verschollenen Streifens, den sie restaurieren möchte. Dabei lernt Lili sowohl den smarten britischen Offizier John Fontaine als auch den charismatischen Regisseur Leon Caspari kennen. Bringt der gesuchte Film Licht in einen mysteriösen Todesfall, der Lili mehr betrifft, als sie ahnt?

Micaela Jary stammt aus Hamburg und wuchs im Tessin auf. Sie arbeitete lange als Journalistin, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete. Nach einem langjährigen Aufenthalt in Paris lebt sie heute mit Mann und Hund in Berlin und München. Zum Schreiben begibt sie sich aber auch in ein kleines Landhaus nahe Rostock.

Hamburg

Februar 1929

Prolog

Alles um sie her funkelte und glitzerte wie in einem Palast. Lili meinte, nie einen schöneren Raum gesehen zu haben als diesen Saal. Kein Wunder, dass ihr Vater mit stolzgeschwellter Brust herumlief. Wüsste sie es nicht besser, würde sie annehmen, er habe die Wandbespannungen aus schwerem rot-goldenem Brokat persönlich angebracht und die Kristalle an den schweren Lüstern und Appliken eigenhändig auf Hochglanz poliert, ebenso wie die im Licht schimmernde warme Mahagonieinfassung der Bestuhlung. Natürlich war er begeistert von seinem Filmtheater. Lili konnte sich nicht erinnern, ihn jemals so glücklich erlebt zu haben. Und gleichzeitig irgendwie majestätisch. Ihr Vater wirkte an diesem Nachmittag, an dem er seiner Frau und den Töchtern den Neubau im Erdgeschoss des Kontorhauses am Jungfernstieg zeigte, tatsächlich wie ein König in seinem Schloss.

Robert Wartenberg machte eine einladende Geste. »Bitte, nehmt Platz, meine Lieben. Ich habe eine Privatvorstellung für euch arrangiert. Ihr bekommt einen ganz neuen Film zu sehen, der gerade in Berlin Premiere gefeiert hat.«

»Wundervoll«, rief Lilis Mutter aus.

»Hoffentlich ist der Film auch jugendfrei«, zischte Hilde.

»Also, bitte!«, ermahnte Sophie Wartenberg ihre ältere Tochter.

»Ich meine ja nur, dass es für mich wohl besser wäre, wenn es sich nicht um einen Kinderfilm handeln würde«, rechtfertigte sich Hilde. »Wenn sich die Kleine amüsiert, langweile ich mich zu Tode, und wenn ich mich gut unterhalte, wird sie quengeln.« Hinter dem Rücken der Eltern zog sie Lili kurz und heftig an einem der blonden Zöpfe.

Lili biss die Zähne zusammen. Sie war es gewohnt, von Hilde schlecht behandelt zu werden. Die Zwanzigjährige stammte aus der ersten Ehe ihrer Mutter, ihr leiblicher Vater war im Großen Krieg gefallen, und manchmal meinte Lili zu verstehen, dass die Ältere ihr deswegen gram war. Hildes Vater war tot, Lilis Mama hatte einen neuen Mann gefunden, und Lilis Papa lebte. Einen anderen Grund für die deutliche Missgunst konnte es nicht geben. Die Ältere ärgerte ihre kleine Halbschwester, seit Lili denken konnte, und selbst Sophies gelegentliche Standpauken blieben wirkungslos. Mutti meinte, die Distanz zwischen ihren Töchtern sei eine Folge des Altersunterschieds von elf Jahren, doch Lili wollte sich mit dieser Erklärung nicht abfinden. Neulich hatte sie die Erwachsenen davon reden hören, dass Hilde mit einem jungen Mann ausging, der eine vielversprechende Karriere im Hotelgewerbe vor sich hatte. Hoffentlich heiratete der Verehrer sie schnell, damit Hilde aus dem Haus kam – und Lili endlich ihre Ruhe und die Eltern ganz für sich hatte. Allerdings musste das ein ziemlich dummer Mensch sein, wenn er sich in eine wie Hilde verguckte. Sie sah zwar hübsch aus, aber im Kopf hatte sie nichts als Stroh, fand Lili.

»Euer Vater hat sicher das Richtige ausgewählt«, sagte Sophie kühl.

Robert Wartenberg ignorierte die kleine Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter. »Ihr werdet gleich erleben, wie gut die moderne Technik funktioniert«, erklärte der stolze Kinobesitzer. »Ich küsse Ihre Hand, Madame – so der Titel – ist der erste deutsche Spielfilm mit einer Tonsequenz. Auch wenn es viele Kritiker gibt, der Tonfilm ist im Kommen, sage ich euch. Dafür lohnte es sich, ein bisschen mehr Geld für die Ausstattung auszugeben.«

Glücklicherweise sorgte Sophie dafür, dass Hilde zuerst in eine der Reihen in der Mitte des Kinosaals trat und sich in der Mitte auf einen der mit rotem Samt bezogenen Sessel setzte. Die Mutter folgte ihr, dann der Vater, der verstohlen nach Lilis Hand griff und sie auf diese Weise liebevoll hinter sich herzog. Das Beste aber war an der Sitzordnung, dass Lili weit entfernt von Hilde Platz nehmen durfte.

Während es sich die Neunjährige bequem machte, wurde der Vorhang an der Stirnseite des Raums wie von Zauberhand aufgezogen. Das Licht erlosch, und im nächsten Moment erklang Musik, Streicher spielten eine Melodie, und es kam Lili vor, als würde das Orchester hinter ihr stehen. Sie wandte den Kopf, aber da erstreckte sich nur ein endloses Halbdunkel. Das war wohl die Technik, von der ihr Vater gesprochen hatte.

Plötzlich flimmerten Bilder über die Wand, die der Bühnenvorhang freigegeben hatte. Lili saß zum ersten Mal in einem Lichtspielhaus. Sie sei noch zu klein, um einen Film anzusehen, hatte ihre Mutter bisher behauptet. Doch das war nun anscheinend anders, da ihr Papa, der sonst eigentlich mit Tee handelte, ein eigenes Kino besaß. Und Lili starrte auf die Leinwand, registrierte den Wechsel der Szenen, die Stimmen, die aus denselben Lautsprechern hallten wie die Musik, nahm Geräusche wahr, die etwa von dem Auto zu stammen schienen, das gerade durchs Bild fuhr, und sich doch nicht richtig einordnen ließen. Meist bewegten die Schauspieler nur die Lippen, was Lili verwunderte, weil man den netten jungen Mann doch singen und Klavier spielen hörte. Aber als die schöne dunkelhaarige Frau mit den großen Augen, die ihm hinter einem Vorhang offenbar lauschte, etwas sagte, blieb die Tonanlage stumm. Wie machten die Leute vom Film das bloß?

Lilis Augen folgten den bewegten Bildern. Es war, als schüttete ein Zauberer leuchtende Sterne über ihr aus. Atemlos schaute sie auf ein Wunder und wünschte sich zu wissen, was dahintersteckte. Über dieser wichtigen Frage vergaß sie die Zeit, auch die Handlung glitt unbeachtet an ihr vorbei. Sie bemerkte kaum, wie ihre Mutter und Hilde hin und wieder lachten. Währenddessen zerbrach sie sich den Kopf darüber, wieso echt wirkende Menschen sich benahmen, als befänden sie sich mit ihr und ihrer Familie im Kinosaal, aber gleich darauf über eine Straße gingen, in einem Kaffeehaus saßen oder durch eine Wohnung spazierten. Irgendwann fiel ihr ein, dass das vermutlich so ähnlich war wie die Sache mit dem Fotografieren: Man war da und gleichzeitig nicht da. Wie Lili mit ihrer Schultüte in dem silbernen Rahmen auf Muttis Flügel. Ob es sich beim Film um eine Aneinanderreihung von Fotos handelte? So viele Bilder zusammenzukleben musste schwierig sein, aber es war bestimmt auch eine ziemlich aufregende Tätigkeit. Lili, die geschickte Hände besaß und gern bastelte, konnte sich das lebhaft vorstellen.

Enttäuscht las sie das Wörtchen »Ende« auf der Leinwand. War das Wunderwerk schon vorbei? Es hatte doch gerade erst angefangen. Im nächsten Moment gingen die Lichter im Kinosaal wieder an, und Sophie Wartenberg klatschte Beifall.

»Ein wunderbarer Film«, schwärmte sie. »Und diese Tonsequenz … hach!« Sie seufzte beseelt.

»Es ist fast, als würde Richard Tauber ›Ich küsse Ihre Hand, Madame‹ singen«, meinte Hilde, und Lili staunte, dass sogar die ewig besserwisserische Halbschwester endlich einmal beeindruckt zu sein schien.

Sophie nickte. »Ja, es ist wirklich ganz wunderbar.«

»Aber natürlich ist es der Schauspieler Harry Liedtke, der sich am Klavier selbst begleitet«, fügte Hilde gönnerhaft hinzu.

»Nein, meine Liebe«, widersprach der Vater schmunzelnd, »du hast Richard Tauber tatsächlich singen hören. Die Szene mit Harry Liedtke wurde mit Taubers Gesang unterlegt.«

»So etwas kann man machen?« Hilde schnappte nach Luft. »Ist das nicht Betrug?«

»Es ist Illusion. Das ist der Kintopp.«

»Oh!«

»Papa«, Lili zupfte an seinem Ärmel. »Papa …« Als er sich zu ihr umwandte, fragte sie: »Kann ich so etwas auch mal machen?«

»Was denn?«

»Einen Film. Ich meine …« Lili suchte nach dem Wort, das ihr Vater eben benutzt hatte: »Kintopp.«

Hilde lachte schallend. »Wie hätte es anders sein sollen? Die Prinzessin möchte ein Filmstar werden.« Ihr Ton sagte ganz deutlich, dass sie Lili keineswegs für etwas Besonderes hielt.

»Lass doch das Kind«, seufzte Sophie, während sie sich von ihrem Sitz erhob. »Ich schlage vor, wir gehen jetzt einen Kaffee trinken. Was meinst du, Robert?«

»Einverstanden. Ich habe bereits gegenüber im Alsterpavillon einen Tisch für uns reservieren lassen. Also, kommt, meine Lieben. Lasst uns unsere erste Vorstellung im eigenen Haus feiern.«

Robert drehte sich um und rief in den Hintergrund: »Danke, Hans, das haben Sie sehr gut gemacht.« An seine Familie gewandt erklärte er: »Hans Seifert ist hier der Vorführer. Er sorgt dafür, dass die Filmrollen in der richtigen Reihenfolge in den Projektor eingelegt und ordentlich abgespielt werden.«

»Danke schön, Herr Seifert.« Sophie winkte dem unsichtbaren guten Geist zu.

Während Lili von ihrem Sitz rutschte, fasste sie einen Entschluss. Sie wollte mehr erfahren über die Menschen, die in einem Kino arbeiteten. Und über Filme. Sie erinnerte sich an Hildes bissige Bemerkung und fand es an der Zeit, das dumme Gerede der Älteren richtigzustellen. Auch wenn sie sich einen Tadel einhandeln sollte, weil sie vorlaut war und die Erwachsenen womöglich aufhielt.

»Papa!« Sie zupfte noch einmal am Ärmel ihres Vaters. »Papa, ich will keine Schauspielerin werden. Ich will einen Film machen. Das ist etwas anderes, als in einem Film zu spielen, oder?«

Hilde stieß einen entnervten Seufzer aus.

»Liebes, einen Film zu machen ist kein Beruf für eine Frau«, wandte ihre Mutter ein.

Ihr Vater beugte sich zu ihr herunter und strich ihr über den Blondschopf. »Es gibt Regisseure, Kameramänner und Drehbuchautoren, das sind sehr wichtige Leute bei einer Produktion, aber für ein hübsches junges Mädchen ist da kein Platz.«

Lili sah ihn...

Erscheint lt. Verlag 15.7.2019
Reihe/Serie Die Kino-Saga
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte eBooks • Familiensaga • Filmproduktion • Frauenroman • Frauenromane • Hamburg • Liebesromane • Mademoiselle Coco • Michelle Marly • Nachkriegsdeutschland • Romane für Frauen • Wiederaufbau
ISBN-10 3-641-22940-5 / 3641229405
ISBN-13 978-3-641-22940-5 / 9783641229405
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