Das Haus der Malerin (eBook)
480 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99168-1 (ISBN)
Judith Lennox, geboren 1953 in Salisbury, wuchs in Hampshire auf. Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen des modernen englischen Gesellschaftsromans und gelangt mit jedem neuen Buch auf die deutschen Bestsellerlisten. Judith Lennox liebt Gärtnern, ausgedehnte Wanderungen, alte Häuser und historische Stätten. Sie lebt mit ihrem Mann in Cambridge. Die beiden sind Eltern dreier erwachsener Söhne.
Judith Lennox, geboren 1953 in Salisbury, wuchs in Hampshire auf. Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen des modernen englischen Gesellschaftsromans und gelangt mit jedem neuen Buch auf die deutschen Bestsellerlisten. Judith Lennox liebt Gärtnern, ausgedehnte Wanderungen, alte Häuser und historische Stätten. Sie lebt mit ihrem Mann in Cambridge. Die beiden sind Eltern dreier erwachsener Söhne.
2
Sussex und Surrey, Mai 1970
DER SUSSEX HIGH WEALD IST eine bewaldete Hügellandschaft zwischen London und Englands Südküste. Rose erinnerte sich an lang vergangene Geografiestunden, in denen sie die geologischen Merkmale des High Weald mit Buntstiften hatte kenntlich machen müssen – Braun für die Tonböden der Täler, Orange für den Sandstein der hohen Berggrate, Blau für die Wasserläufe, die tiefe, steilwandige Täler durchströmten.
Sie hatte die Karte ausgebreitet neben sich auf dem Beifahrersitz liegen, und am Armaturenbrett klebte der Zettel, auf dem sie sich die Namen der Dörfer und Städte notiert hatte, die sie durchfahren musste. Dem starken Regen vom Vortag war Sonnenschein gefolgt, der in den verbliebenen Pfützen auf der Straße glitzerte, und sie spürte, wie ihre Stimmung sich auf der Fahrt durch das sanft gewellte maigrüne Land aufhellte. Als sie das Fenster herunterkurbelte, wehte Frühlingsduft zu ihr herein.
Sie lenkte den Wagen an den Straßenrand und stieg aus. Glockenblumen bedeckten mit lichtblauem Schleier den kupferfarbenen Boden zu Füßen der Bäume, die sich den Hang hinaufzogen. Ein Bach stürzte die Böschung hinunter zu einem Abfluss, über dem braune Blätter lagen. Rose aß einen Apfel und konnte sich kaum satthören am lärmenden Vogelgezwitscher. Dann brauste unter Hupengedröhn ein Lastwagen mit ein paar Männern vorbei, die ihr durchs offene Fenster zujohlten, und sie stieg wieder in den Mini und fuhr weiter.
Die Straßen schlängelten sich in immer engeren Windungen, je tiefer sie ins Land hineinfuhr. Manchmal zeigte sich zwischen den Bäumen ein strohgedecktes Haus oder ein See, in dessen Wasser sich das Himmelsblau spiegelte. Das Grau des Winters verblasste, darunter blühte es in kräftigen Farben.
Das Waldgebiet rund um The Egg trug den Namen Paley High Wood. Als Rose das Dörfchen Nutcombe erreichte, bremste sie ab, um sich in Ruhe umschauen zu können. Ein Pub, ein Lebensmittelgeschäft, eine kleine Sozialsiedlung und eine Zeile roter Backsteinbungalows. Strohgedeckte Häuser standen zwischen mehreren auffälligeren Bauten.
Die Straße neben der Kirche war schmal, kaum breiter als der Mini, und führte einen steilen Hang hinauf. Dort wurde sie zum Tunnel, da die Bäume so nahe zusammenrückten, dass ihre Äste einander berührten. Hin und wieder brach ein Sonnenstrahl ins Dunkel und fleckte die Straße mit blendenden Lichtsprenkeln.
An einer scharfen Kurve, deren Seitenstreifen eine ebene Fläche aus festgetretener Erde und Kies war, bremste sie ab und parkte. War dies die Stelle, die ihre Großmutter in dem Brief beschrieben hatte? Sie spähte durch das Dickicht. Wo war der Fußweg? Rundherum nichts als Bäume. Doch dann sah sie jenseits etwas Weißes aufblitzen, wie den Reflex eines hellen Kiesels auf dem Grund eines dunklen Sees.
Schauer von Regentropfen fielen auf sie herab, als sie den Wald betrat, zuerst von den Büschen am äußeren Rand, dann vom frischen Laub der Bäume. Ihre Füße versanken fast im Matsch, und sie war froh, dass sie daran gedacht hatte, ihre Gummistiefel mitzunehmen. Auf dem braunen Waldboden leuchteten kleine Blumenbüschel, und nun konnte sie auch einen Pfad erkennen: eine schmale, dunkle Bahn unter den hohen, schlanken Bäumen. Vogelgezwitscher umgab sie, durchbrochen vom beharrlichen Ruf eines Kuckucks, der immer wieder aus einer anderen Richtung kam.
Die gelegentlichen weißen Schimmer verdichteten sich zu einem Haus: Ediths Haus, früher Sadies und jetzt ihres. Obwohl mehr als vierzig Jahre vergangen waren, seit Edward Lawless seine Meisterwerke vollendet hatte, wirkte das Haus unglaublich modern, ein herausfordernder Gegensatz zu der uralten englischen Waldlandschaft. Man hätte es mit Kinderbauklötzen nachbauen können: hinten standen zwei quadratische Blöcke aufeinandergetürmt, vorn lag quer ein längerer Block. Die glatte Betonoberfläche erinnerte tatsächlich an Eierschale – zudem war es kleiner, als sie erwartet hatte, in eine Lichtung eingebettet.
Beim Näherkommen sah sie, dass die beiden flachen Dächer mit welkem Laub übersät waren, als wollte der Wald den bleichen Eindringling in seiner Mitte tilgen. Langsam ging sie um das Haus herum. Auf einer Seite, die nahezu ganz aus Glas bestand, schloss sich eine rechteckige Terrasse an. Die Bodenplatten wirkten dunkel und feucht unter den Häufchen zusammengewirbelten Laubs. Ziemlich optimistisch, diese Terrasse. Hatte ihr Urgroßvater sich vorgestellt, dass die Bewohner des Hauses sich hier in Liegestühlen in der Sonne rekeln würden? Die Bäume mussten in die Höhe geschossen sein, seitdem Edward Lawless den Bau fertiggestellt hatte; jetzt nämlich warfen sie ihre Schatten über den gesamten Außenbereich.
Sie überquerte die Terrasse und spähte durchs Glas ins Innere. Das Bild verschwamm unter den zitternden Spiegelungen der Bäume, die Schatten überlagerten die Formen im Inneren – Sofa, Tisch, Sessel.
Die Haustür fand sie auf der anderen Seite. Rose sperrte auf und drückte den Schalter neben der Tür. Das Deckenlicht erhellte einen schmalen Flur, und sie sah sich blinzelnd um. Das erdige Aroma des Waldes war hier überdeckt von einem muffigen Geruch, der an Trödelmärkte und feuchte Schränke erinnerte. Sie fröstelte in der klammen Kälte des Hauses, das zu lange unbewohnt gewesen war.
Auf einer Seite des Flurs befanden sich drei Türen aus hellem, fein gemasertem Holz. Die erste führte in eine Garderobe mit hölzernen Kleiderhaken und einem schmalen Bord darin, das vermutlich für Hüte und Handschuhe gedacht war. Hinter der zweiten verbarg sich eine Abstellkammer mit Besen und Trittleitern und hinter der dritten eine Toilette, in der ein fadenscheiniges Handtuch von einem Haken herabhing und im Waschbecken der Rest eines Seifenstücks dahinschmolz. Der Hahn tropfte; sie drehte ihn energisch zu, aber er tropfte weiter.
Am Ende des Flurs öffnete sich zur Linken ein schmucker Küchenbereich, der abgesehen von Kühlschrank und Herd, so vermutete Rose, noch mit den ursprünglichen Einbauten ausgestattet war. Bei den ökonomisch eingepassten Schränken und den drei runden Fenstern unter der Decke musste sie an die Kabine eines Ozeandampfers denken. Es war, als durchpflügte The Egg einen Unterwasserwald.
An die Küche schloss sich ein Wohnzimmer an, das ihr wahrhaft den Atem raubte. Die Schatten der Bäume, die durch die großen Fenster fielen, schienen mit den Sonnenkringeln auf den hellen Bodenfliesen zu tanzen. In diesem rein weißen Kubus würde man behaglich in der Wärme des eisernen Ofens sitzen und der Natur zusehen können, wenn Sturm und Regen losbrachen. In der Sommerhitze würde man die Glastüren zur Terrasse öffnen und die kühle Waldluft hereinströmen lassen.
Während sie am Fenster stand und hinausblickte, stellte sie sich vor, wie sie mit Robert und den Kindern an den Wochenenden herkommen würde. Katherine und Eve könnten auf Bäume klettern und sich im Wald ein Lager bauen; sie würden alle zusammen wandern gehen. Sie würden hier übernachten und morgens von Sonnenschein und Vogelgezwitscher geweckt werden – wie traumhaft das würde! Die Möbel – die geblümte Couchgarnitur, das billige Fichtenholzregal samt Sideboard und Tisch, die Ediths verstorbenem Mieter, Mr. Manners, gehört haben mussten – würde sie durch Stücke ersetzen, die dem modernen Stil des Hauses entsprachen.
Sie sah die Schränke im Wohnzimmer und in der Küche durch, entdeckte aber nur ein Puzzlespiel, einen braun verfärbten Henkelbecher und ein Päckchen Tee, eine Flasche Scheuermilch und einen steif getrockneten grauen Putzlappen. Sie wusste selbst nicht, was sie zu finden gehofft hatte – irgendein Zeugnis von Sadie vielleicht, einen Hinweis darauf, warum sie aus dem Haus geflohen war und es Edith geschenkt hatte. Aber das Haus war nicht sonderlich groß und von beinahe klösterlicher Einfachheit; es ließ Unordnung nicht zu, bot keine Verstecke, etwa unter einer losen Diele, in denen man Liebesbriefe oder geheime Tagebücher hätte aufbewahren können. Es gab nirgends dunkle Winkel, alles war dem Licht preisgegeben.
Sie ging hinauf ins obere Stockwerk, das, weniger großzügig, aus zwei Räumen und einem Badezimmer bestand. Der kleinere Raum, mit Blick nach hinten, war leer. Ein paar Fliegen hatten hier den Tod gefunden und lagen wie eine Handvoll verstreuter Rosinen auf dem Fensterbrett. Als sie zum Fenster hinaussah, bemerkte sie eine rechteckige Betonplatte – eine Sickergrube vermutlich – und, nicht weit entfernt, einen Weg, der den Hügelhang hinunterführte.
Im größeren der beiden Zimmer stand ein abgezogenes Bett mit durchgelegener Matratze, eine Erinnerung an den unbekannten Mr. Manners. Der Raum befand sich auf einer Höhe mit den unteren Ästen der Bäume, und Rose fragte sich, ob ihr Urgroßvater das Haus deshalb The Egg genannt hatte: nicht wegen seiner äußeren Erscheinung, sondern weil es ins Geäst der Bäume gebettet war wie in ein Nest.
Die hohen Fenster blickten zum tiefer liegenden der beiden Flachdächer hinaus. Bei schönem Wetter hatte Sadie es vielleicht als Sonnenterrasse genutzt. Rose stellte sich vor, wie sie das Fenster öffnete und hinausstieg, eine Decke auf dem Asphalt ausbreitete, um sich, einen Cocktail zur Hand, der Sonne hinzugeben – in einem züchtigen Badeanzug aus den 1930er-Jahren, minzgrün vielleicht oder pink. War Sadie Lawless der Typ Frau gewesen, der sich in Pink gekleidet hätte?
Sie konnte The Egg nicht verkaufen. Dieses Haus war ein Teil ihrer Familiengeschichte, ihres Erbes. Hierher musste Sadie sich nach den Katastrophen geflüchtet haben, die über ihr Leben...
| Erscheint lt. Verlag | 2.11.2018 |
|---|---|
| Übersetzer | Mechtild Ciletti |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Hidden Lives |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | Buch • Bücher • Corina Bomann • Das Winterhaus • Die Frau des Juweliers • Die Mondschwester • Dreißigerjahre • Ein letzter Tanz • England • Englische Autorin • Erbschaft • Familie • Familiengeheimnis • Familiengeheimnisroman • Frauenroman • Geheimnis • Kate Morton • Künstlerin • Liebesroman • Lucinda Riley • Roman für Frauen • Roman Neuerscheinung 2019 • Schmöker • Schwestern • Schwesterngeschichte • Siebzigerjahre • Sommerlektüre • Spiegel-Bestsellerautorin • Strandlektüre • Sussex • Urlauslektüre • Vermisste Schwester • Zweiter Weltkrieg • zwei Zeitebenen |
| ISBN-10 | 3-492-99168-8 / 3492991688 |
| ISBN-13 | 978-3-492-99168-1 / 9783492991681 |
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