Als das Wünschen noch geholfen hat (eBook)
128 Seiten
Suhrkamp Verlag
9783518756638 (ISBN)
'Inhalt: Leben ohne Poesie; Was soll ich dazu sagen?; Die offenen Geheimnisse der Technokratie; Die Reise nach La Défense; Blaues Gedicht; Die Geborgenheit unter der Schädeldecke; Jemand anderer: Hermann Lenz; Eine Zwischenbemerkung über die Angst; Die Sinnlosigkeit und das Glück.'
<p>Peter Handke wird am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten) geboren. Die Familie mütterlicherseits gehört zur slowenischen Minderheit in Österreich; der Vater, ein Deutscher, war in Folge des Zweiten Weltkriegs nach Kärnten gekommen. Zwischen 1954 und 1959 besucht Handke das Gymnasium in Tanzenberg (Kärnten) und das dazugehörige Internat. Nach dem Abitur im Jahr 1961 studiert er in Graz Jura. Im März 1966, Peter Handke hat sein Studium vor der letzten und abschließenden Prüfung abgebrochen, erscheint sein erster Roman <em>Die Hornissen</em>. Im selben Jahr 1966 erfolgt die Inszenierung seines inzwischen legendären Theaterstücks <em>Publikumsbeschimpfung </em>in Frankfurt am Main in der Regie von Claus Peymann.</p> <p>Seitdem hat er mehr als dreißig Erzählungen und Prosawerke verfasst, erinnert sei an: <em>Die Angst des Tormanns beim Elfmeter </em>(1970), <em>Wunschloses Unglück</em> (1972), <em>Der kurze Brief zum langen Abschied </em>(1972), <em>Die linkshändige Frau </em>(1976), <em>Das Gewicht der Welt</em> (1977), <em>Langsame Heimkehr </em>(1979), <em>Die Lehre der Sainte-Victoire </em>(1980), <em>Der Chinese des Schmerzes </em>(1983),<em> Die Wiederholung </em>(1986), <em>Versuch über die Müdigkeit</em> (1989), <em>Versuch über die Jukebox</em> (1990), <em>Versuch über den geglückten Tag</em> (1991), <em>Mein Jahr in der Niemandsbucht </em>(1994), <em>Der Bildverlust </em>(2002), <em>Die Morawische Nacht</em> (2008), <em>Der Große Fall</em> (2011), <em>Versuch über den Stillen Ort</em> (2012), <em>Versuch über den Pilznarren</em> (2013). </p> <p>Auf die <em>Publikumsbeschimpfung </em>1966 folgt 1968, ebenfalls in Frankfurt am Main uraufgeführt, <em>Kaspar. V</em>on hier spannt sich der Bogen weiter über <em>Der Ritt über den Bodensee </em>1971), <em>Die Unvernünftigen sterben aus </em>(1974), <em>Über die Dörfer</em> (1981), <em>Das</em> <em>Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land </em>(1990), <em>Die Stunde da wir nichts voneinander wußten</em> (1992), über den <em>Untertagblues </em>(2004) und <em>Bis daß der Tag euch scheidet </em>(2009) über das dramatische Epos <em>Immer noch Sturm</em> (2011) bis zum Sommerdialog <em>Die schönen Tage von</em> <em>Aranjuez </em>(2012) zu <em>Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße</em> (...
Peter Handke wird am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten) geboren. Die Familie mütterlicherseits gehört zur slowenischen Minderheit in Österreich; der Vater, ein Deutscher, war in Folge des Zweiten Weltkriegs nach Kärnten gekommen. Zwischen 1954 und 1959 besucht Handke das Gymnasium in Tanzenberg (Kärnten) und das dazugehörige Internat. Nach dem Abitur im Jahr 1961 studiert er in Graz Jura. Im März 1966, Peter Handke hat sein Studium vor der letzten und abschließenden Prüfung abgebrochen, erscheint sein erster Roman Die Hornissen. Im selben Jahr 1966 erfolgt die Inszenierung seines inzwischen legendären Theaterstücks Publikumsbeschimpfung in Frankfurt am Main in der Regie von Claus Peymann. Seitdem hat er mehr als dreißig Erzählungen und Prosawerke verfaßt, erinnert sei an: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1970), Wunschloses Unglück (1972), Der kurze Brief zum langen Abschied (1972), Die linkshändige Frau (1976), Das Gewicht der Welt (1977), Langsame Heimkehr (1979), Die Lehre der Sainte-Victoire (1980), Der Chinese des Schmerzes (1983), Die Wiederholung (1986), Versuch über die Müdigkeit (1989), Versuch über die Jukebox (1990), Versuch über den geglückten Tag (1991), Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994), Der Bildverlust (2002), Die Morawische Nacht (2008), Der Große Fall (2011), Versuch über den Stillen Ort (2012), Versuch über den Pilznarren (2013). Auf die Publikumsbeschimpfung 1966 folgt 1968, ebenfalls in Frankfurt am Main uraufgeführt, Kaspar. Von hier spannt sich der Bogen weiter über Der Ritt über den Bodensee 1971), Die Unvernünftigen sterben aus (1974), Über die Dörfer (1981), Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land (1990), Die Stunde da wir nichts voneinander wußten (1992), über den Untertagblues (2004) und Bis daß der Tag euch scheidet (2009) über das dramatische Epos Immer noch Sturm (2011) bis zum Sommerdialog Die schönen Tage von Aranjuez (2012) zu Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße (2016). Darüber hinaus hat Peter Handke viele Prosawerke und Stücke von Schriftsteller-Kollegen ins Deutsche übertragen: Aus dem Griechischen Stücke von Aischylos, Sophokles und Euripides, aus dem Französischen Emmanuel Bove (unter anderem Meine Freunde), René Char und Francis Ponge, aus dem Amerikanischen Walker Percy. Sein Werk wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Die Formenvielfalt, die Themenwechsel, die Verwendung unterschiedlichster Gattungen (auch als Lyriker, Essayist, Drehbuchautor und Regisseur ist Peter Handke aufgetreten) erklärte er selbst 2007 mit den Worten: »Ein Künstler ist nur dann ein exemplarischer Mensch, wenn man an seinen Werken erkennen kann, wie das Leben verläuft. Er muß durch drei, vier, zeitweise qualvolle Verwandlungen gehen.«
Leben ohne Poesie
Für A., für später
In diesem Herbst ist die Zeit fast ohne mich vergangen
und mein Leben stand so still wie damals
als ich aus Mißmut Schreibmaschine lernen wollte
und abends in dem fensterlosen Vorraum auf
den Beginn des Kurses wartete
Die Neonröhren haben gedröhnt
und am Ende der Stunde wurden die
Plastikhüllen wieder über die Schreibmaschinen gezogen
Ich bin gekommen und gegangen und hätte
nichts über mich sagen können
Ich nahm mich so ernst daß mir das auffiel
Ich war nicht verzweifelt nur unzufrieden
Ich hatte kein Selbstgefühl und kein Gefühl für
etwas anderes
Ich ging und stand unentschieden herum
wechselte oft den Schritt und die Richtung
Ein Tagebuch das ich schreiben wollte
bestand aus einem einzigen Satz
»Ich möchte mich in einen Regenschirm stürzen«
und das noch versteckte ich in Kurzschrift
Vier Wochen lang hat jetzt die Sonne geschienen
und ich bin auf der Terrasse gesessen
und zu allem was mir durch den Kopf ging
und zu allem was ich sah
habe ich nur »ja, ja« gesagt
Die Tage gingen wirklich ins Land
und Freunde die sonst arbeiten
haben mich besucht und sind mit mir
auf der Terrasse gesessen
»Wir haben bei der Arbeit schon ganz auf das
Leben vergessen«
sagten sie
aber ich habe die Rolle des Lebenskünstlers vor
ihnen nicht spielen können
und sie sind von ihrem Ausflug zufriedener an
ihre Arbeit zurückgekehrt
Es war die Zeit der Natur
und nicht nur die Müßiggänger sind naturfromm
geworden
Auch die Geschäftsleute begleiteten den
Austausch von Ware und Geld
mit Worten der Unlust darüber
daß sie »an einem Tag wie heute auf das
Geschäft aufpassen« mußten
und ich glaubte ihnen dabei
(mehr als sie sich selber)
Doch als dem Mietwagenfahrer vor mir über
dem Farbenspiel in der Landschaft das Herz aufging
habe ich ihm mürrisch vorgehalten daß es
unzulässig ist
bei Mietwagen die Anfahrt mitzuberechnen
Ich lebte in den Tag hinein und zum Tag hinaus
hatte Augen für nichts
Ich beneidete auch niemanden um seine Tätigkeit
nicht aus Faulheit
nicht aus Gleichgültigkeit
sondern weil mir mein Nichtstun im Vergleich
noch vernünftig vorkam
In meinem Stumpfsinn habe ich mich den
anderen überlegen gefühlt
ohne daß mir das freilich half
denn obwohl ich meinen Zustand für ein Symptom hielt
ging es nur um mich
und darum daß ich nicht wußte was ich wollte
und daß ich den ganzen Tag nur ein schlechtes
Gefühl hatte —
Vor allem habe ich die Augen zu Boden geschlagen
Der Kopf hat mir immer wieder die alten
Gedanken vorgespielt
»Basel SBB« las ich auf einer Zuganzeigetafel
im Hauptbahnhof
»Scheiß-Basel« habe ich sofort gedacht und bin
mit der Rolltreppe zur Post hinauf gefahren
ohne auch nur einen einzigen eigenen Schritt zu tun
Ein warmer Tag
Eine kalte kalte Nacht
»Jeden Tag kommen meine Kinder aus dem
Kindergarten mit einem neuen Lied nach Hause«
sagte ein Nachbar
»Ich habe heute noch ein großes Programm«
sagte ein anderer Nachbar
»Je länger ich nachdenke desto sibirischer
wird der Wind der durch mein Gehirn bläst«
las ich bei James Hadley Chase
In den Zeitungen stand alles schon schwarz auf weiß
und jede Erscheinung erschien von vornherein
als ein Begriff
Nur in den Feuilletons wurde noch aufgefordert
die Begriffe doch anzustrengen
aber die Begriffsanstrengungen der Feuilletonisten
waren nur ein Schleiertanz vor anderen
tanzenden Schleiern
Die Romane sollten »gewalttätig« sein und die
Gedichte »Aktionen«
Söldner hatten sich in die Sprache verirrt und
hielten jedes Wort besetzt
erpreßten sich untereinander
indem sie die Begriffe als Losungsworte gebrauchten
und ich wurde immer sprachloser
Ich hatte das Bedürfnis jemanden zu lieben
aber wenn ich mir vorstellte wie das im einzelnen wäre
wurde ich mutlos
Im »Mann ohne Eigenschaften« bin ich bis zu
dem Satz gekommen
»Ulrich sah sich den Menschen an«
(Auch »den Menschen« meinte Musil verächtlich)
da habe ich vor Ekel nicht weiterlesen können
Das war vielleicht ein Zeichen daß es mir schon besser ging
Manchmal ist mir mein Kind eingefallen
und ich bin zu ihm hingegangen
nur um ihm zu zeigen daß ich noch da war
Vor lauter schlechtem Gewissen
habe ich besonders deutlich zu ihm gesprochen
Einmal habe ich es umarmt
als es in einem längeren Satz das Wort
»sondern« gebrauchte
dann wieder fuhr ich es an
weil es Schluckauf bekam
Damals im Sommer
als das Gras noch dicht und lang war
lag buntes Spielzeug drin verstreut
und jemand sagte
»Das liegt im Gras wie der Traum von einem Kind«
(Bevor ich das schrieb
habe ich ganz innerlich lachen müssen
Aber es entsprach den Tatsachen — ohne
Begriffsanstrengung)
»Ich bin oft glücklich gewesen«
sagte eine schöne ältere Frau
die gern auf dem Teppich saß
und sich mit der Hand unter der Bluse die Schulter strich
WIE oft?
Meine Schwester kam aus Österreich
und fing sofort an
das Haus zu putzen und aufzuräumen
Unwillig bemerkte ich wie sie mir den Tee bis
zum Rand voll schenkte
Dann ist mir eingefallen daß das alle ärmeren
Leute mit ihren Gästen so machten
und vor Traurigkeit bin ich mir fremd geworden
(Gleich darauf erlebte ich wieder
wie ich meine Mutter einmal böse angeschaut hatte
als sie zu einer Platte der Beatles ein bißchen
den Kopf wiegte)
Ich war nicht ganz untätig
gründete mit andern zusammen einen Kindergarten
beantragte eine Eintragung in das Vereinsregister
aber das sind nur Ornamente meines Dösens gewesen
wie wenn ein Kind seinen Kot auf dem Boden verschmiert
Ich unterhielt mich auch mit einigen Leuten
wir wiederholten immer wieder was wir gleich
anfangs einander gesagt hatten
einer frischte die Erinnerungen des andern auf
ich sprach als ob ich einem Lauscher immerzu
meine Harmlosigkeit beweisen wollte
Der Hals ist mir steif geworden
und wenn mir alles über war
wendete ich mich nicht weg
sondern schaute bloß ein kleines bißchen zur Seite
»Nun hör dir das an« sagte der Ben aus
»Schau heimwärts, Engel«
in den leeren Raum hinein
Genau so war es
und vor lauter kopflosem Reden
war ich so zerstreut daß ich nachher kein Buch lesen konnte
In dieser eintönig strahlenden Herbstwelt
ist mir auch das Schreiben unsinnig vorgekommen
Alles drängte sich so auf daß ich phantasielos wurde
Vor der äußeren Pracht der Natur gab es keine
Vorstellung von etwas anderem mehr
und in den täglich gleichen Gesamteindrücken
...| Erscheint lt. Verlag | 23.10.2018 |
|---|---|
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Essays / Feuilleton |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 20. Jahrhundert • Angst • Aufsätze • Essay • Essays • Fotos • Gedichte • Hermann Lenz • illustriert • Kärntner Landesorden in Gold 2018 • Literatur • Lyrik • mit Illustrationen • Nestroy-Preis 2018 • Nestroy-Preis 2018 • Nobelpreis für Literatur 2019 • Österreich • Paris • Peter Handke • Poesie • ST 208 • ST208 • suhrkamp taschenbuch 208 • Technokratie • Texte |
| ISBN-13 | 9783518756638 / 9783518756638 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.