Jerry Cotton 3200 (eBook)
64 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-6505-4 (ISBN)
Nachdem Don Lorenzo Cosentino, Oberhaupt einer der mächtigsten Mafiafamilien, die New York zurzeit zu bieten hatte, gestorben war, ordneten sich die Reihen der Mobster neu. Das FBI wollte diese Chance nicht vertun. Es schickte mich - mit Phil als einzigem Kontaktmann - auf einen gefährlichen Undercovereinsatz, um den Cosentino-Clan zu unterwandern. Ein mehr als heikler Job, denn ich musste nicht nur Tausende Menschen vor einem Bombenanschlag retten, sondern auch zusehen, dass meine Tarnung nicht aufflog. Doch dann erfuhr ich am eigenen Leib: Der wahre Feind lauerte in den eigenen Reihen ...
Ich erlaubte mir keine Schrecksekunde, brüllte zum Seitenfenster hinaus, dass die Halsschlagadern schwollen.
»Alarm! Bombendrohung! Da ist eine Bombe im Pferd!« Heftig fuchtelnd zeigte ich nach hinten.
»Anonymer Anruf«, präzisierte Phil in meinem Ohr. »Der Kerl muss uns mal zusammen gesehen haben. Jedenfalls wusste er verdammt genau über dein Pferd Bescheid.«
Mein Pferd!, dachte ich entnervt und wünschte das Bronzeross inbrünstig auf den Grund des Hudson River. Das lebendige Original hieß Caliméro und war zu Lebzeiten des verstorbenen Mafiabosses Don Lorenzo Cosentino dessen Lieblingsrennpferd gewesen.
Der Sergeant brüllte zurück. »Raus da! Und deine Hände will ich sehen, Amico. Los, los, beweg dich!«
»Der Kerl hat sofort aufgelegt«, fuhr Phil unbeirrt fort. »Kein Wort darüber, wann, wo und wie die Bombe hochgehen soll. Rufidentifizierung positiv, aber nutzlos. Ein Wegwerfhandy.«
Ich sah das Entsetzen in den Gesichtern der Menschen auf den Bürgersteigen. Nur der Sergeant ließ sich nicht beeindrucken.
Während er kommandierte, zog er seine Dienstwaffe, hob sie in den Beidhandanschlag, tat zwei Schritte rückwärts und blieb breitbeinig stehen.
Ich glaubte es nicht. Ich konnte einfach nicht glauben, dass ich das erlebte.
Mein Freund Phil, derzeit im Undercovereinsatz wie ich, hatte mir gerade knallhart gesagt, was Sache war. Wir hier im Trauerzug würden gleich alle in die Luft fliegen.
Und ausgerechnet jetzt drehten zwei Cops durch, spielten sich angesichts der Mafiaparade auf und nutzten ihren Streifenwagen als Barriere.
Meine Nackenhaare sträubten sich, weil ich wusste, dass Phil keine Witze machte. Eine Bombenwarnung ohne Grund würde es von ihm nicht geben.
Damit nicht genug, durfte ich in die Neun-Millimeter-Mündung einer Glock 19 blicken. Es war die Standard-Dienstpistole des New York Police Department, aber kein Trost für mich. Denn als FBI-Kollege konnte ich mich auf keinen Fall zu erkennen geben.
Zum Glück hörte Phil alles mit.
»Bleib ganz ruhig«, sagte er mir ins Ohr. »Ich regele das.«
Ich antwortete nicht, weil niemand mitbekommen musste, was ich hier im Gangland trieb. Auch die beiden forschen Kollegen vom NYPD nicht. Und ruhig bleiben konnte ich nur mit Mühe.
Ich war Ross Oliver. Hätte der Sergeant meine Papiere zu sehen bekommen, hätte er darin den Geburtsnamen Calogero Olivieri gelesen. Bei Phil, der irgendwo in der Nähe in seinem Chrysler saß, war es ähnlich. Matteo Vincente, amerikanisiert zu Matt Vincent. Es verstand sich von selbst, dass wir beide nicht mehr im Entferntesten aussahen wie Jerry Cotton und Phil Decker.
Noch stand ich auf dem Bremspedal, die Automatik auf Vorwärtsfahrt, Kriechgang. Wegen des Schritttempos.
»Verdammt, Mann!«, bellte der Sarge. »Was habe ich gerade gesagt? Hoch die Hände! Und zwar presto, sonst …« Er unterbrach sich, denn ihm fiel Wichtigeres ein. Nur kurz ruckte sein Gesicht in Richtung Streifenwagen, und er rief: »Hey, Partner, gib zehn-fünfzig durch. Der Kerl macht Ärger.«
Ich sah, dass der Cop am Lenkrad das Funkmikro schon in der Hand hatte. Zehn-fünfzig war der Funkcode für »ungebührliches Benehmen«. Keine Straftat, aber es konnte schnell eine daraus werden, wenn die Dinge aus dem Ruder liefen.
Der Sergeant fixierte mich sofort wieder mit zornig-strengem Blick. Auf den Bürgersteigen entstand Bewegung. Ich hörte, dass sich das Wort »Bombe« fortpflanzte.
Leute, die es mitbekamen, drängten sich an denen vorbei, die noch nichts begriffen hatten. Es gab Rempeleien. Flüche wurden laut. Lange würde es nicht mehr dauern, dann brach Panik aus. Ich spürte, wie meine Nerven zu vibrieren begannen. Die Zeit zerrann mir unter den Fingern, so kam es mir vor.
»Ich habe mit Steve geredet«, sagte Phil, nur für mich hörbar. »Er hat das Police Department schon in der Leitung.«
Ich sah den Fahrer des Streifenwagens ins Mikro sprechen.
Für mich blieb die Lage unverändert. Und mit jeder vertickenden Sekunde kam ich der Explosion näher – wenn die Bombenbauer einen Zeitzünder installiert hatten. Falls sie einen Fernzünder verwendeten, mussten sie meinen Truck beobachten.
Ich befürchtete, dass Steve Dillaggio, unser alter Freund und Kollege und heutiger Chef des FBI Field Office New York, kaum noch rechtzeitig etwas ausrichten konnte. Außerdem war Fingerspitzengefühl angesagt, damit wir nicht vorzeitig aufflogen. Für mich hätte das ein Ende im Kugelhagel der Mafia bedeutet, bevor mir die Bronzebrocken um die Ohren flogen.
»Letzte Warnung«, rief sich der Sergeant in Erinnerung. »Sonst wird’s ernst, Freundchen.« Seine Stimme zitterte vor erzwungener Ruhe. »Raus aus der Kiste. Und die Hände hoch.«
Der Fahrer redete immer noch. Die Menschen wurden lauter. Erste Schreie gellten aus der Menge. Ich reagierte so, wie es Ross Olivers Naturell entsprach.
»Hast du was an den Ohren, Mann?«, fuhr ich den Sergeant an. »Ich habe eine Bombe an Bord! Kapiert? Ich muss hier weg, verdammt noch mal.«
Er starrte mich nur an.
»Den Streifenwagen weg!«, schrie ich.
Der Sergeant reagierte nicht. Auch sein Kollege nicht.
Mir riss der Faden.
Ich gab Gas.
Donnergrollen brach vorne unter der langen Haube aus. Das ganze riesige Geschütz schüttelte sich unter der bevorstehenden Anstrengung. Die 510 PS des Kenworth T680 erwachten zu röhrendem Leben. Ich wechselte von der Bremse aufs Gaspedal, trat es durch. Ein Rucken lief durch die Zugmaschine und ihre Anhängelast. Es war, als sträubte sich der Bronzegaul hinter mir wie ein Esel. Doch nur für einen Atemzug.
Denn dann packte der Sechszylinder zu wie eine Herde Büffel im Zuggeschirr. Mit voller Kraft nahm das Gespann Fahrt auf. Ich zog ein Stück nach rechts, nur so weit, dass ich die Bordsteinkante nicht touchierte.
Der wummernde Motor übertönte alles – das Gebrüll des Sergeants und die Schreie der Menschen. Rechts vor mir rannten sie, was sie konnten. Viele nutzten die freie Straßenfläche zur Flucht. Der vordere Teil des Trauerzugs war immerhin schon zweihundert Yards entfernt.
Ich setzte dem Lärm noch eins drauf und löste die Fanfare aus. Vom Dach des Fahrerhauses trompetete es wie vor den Mauern von Jericho. Der Fahrer des Streifenwagens hatte sein Funkmikro weggeworfen und schaltete die Sirene ein. Gegen meine Fanfare klang sie dünn. Gleichzeitig versuchte er, die Automatik auf Rückwärts zu reißen und den Streifenwagen in Sicherheit zu bringen. Es war zu viel auf einmal. Es klappte nicht.
Die Stoßfänger der Kenworth-Front waren tief genug, um den blau-weißen Chevrolet unterhalb seiner Gürtellinie zu fassen zu kriegen. Das Schmettern der Fanfare und das Heulen der Sirene vereinten sich zu wahrem Höllenlärm, als der Kenworth-Stahl den Kotflügel des Chevy quetschte und Widerstand am oberen Viertel von Vorderrad und Felge fand.
Der Streifenwagen fing zu rutschen an. Schräg von oben sah ich das entsetzte Gesicht des Cops hinter dem Lenkrad. Er tat mir leid, doch ich wusste, dass ihm nichts Ernsthaftes passieren würde. Es sei denn, mein Bronzepferd flog schon jetzt in die Luft, in den nächsten Sekunden.
Ich gab mehr Gas. Den Streifenwagen schob es beiseite wie ein Spielzeugauto. Die Reifen radierten über den Asphalt. Ihr Kreischen bildete die dritte Stimme zum Duett von Fanfare und Sirene. Links von mir klatschte es. Ich spürte einen sengenden Luftzug. Im selben Moment sah ich ein Loch in der Windschutzscheibe, links oben.
Ich duckte mich nach rechts. In der Seitenscheibe, untere Hälfte, gab es ein weiteres Loch. Der Sergeant hatte tatsächlich auf mich gefeuert. All right, aus seiner Sicht gerechtfertigt. Mein ungebührliches Benehmen war in Fahrerflucht übergegangen. Und schon hatten es die Cops mit einer Straftat zu tun.
Ich beschleunigte weiter. Links unter mir schrammte und schepperte die wund gescheuerte Flanke des Streifenwagens. Eine weitere Kugel klatschte in die Dachkante des Fahrerhauses. Den Schuss hörte ich auch diesmal nicht. Das Sirenengeheul und meine lärmende Fanfare übertönten alles. Ich schaltete sie auf Dauerbetrieb. Die Reifen des Streifenwagens kreischten nicht mehr.
Die weiß-blaue Limousine mit der Warnlichtbatterie blieb hinter mir zurück. Endlich hatte ich die freie Fahrbahn vor mir. Ich erhöhte das Tempo. Die digitale Tachoanzeige stand mittlerweile bei dreißig Meilen pro Stunde. In den Spiegeln schwankte die Pferdestatue wie auf einem Lastkahn im Seegang.
Der Kenworth rumpelte voran. Auf einer Avenue in New York unterwegs zu sein, bedeutete nicht immer, auf einer ebenen Fahrbahn dahinzugleiten. Bodenwellen und Schlaglöcher waren keine Seltenheit.
Einen Slalomkurs brauchte ich gar nicht erst zu fahren, denn dann hätte sich das bronzene Kunstwerk hinter mir garantiert aus seinen Verzurrungen gerissen und womöglich Menschen auf dem Bürgersteig erschlagen.
Ob es noch seinen vorgesehenen Platz neben dem Mausoleum der Familie Cosentino finden würde, war mehr als fraglich. Es sei denn, die Bombendrohung entpuppte sich als blinder Alarm.
Auf den Bürgersteigen zu beiden Seiten war inzwischen Panik ausgebrochen. In wilder Hast flohen die Leute in alle Richtungen. Viele rannten sich gegenseitig über den Haufen. Keine Frage, dass der Fanfarenton meines Kenworth das Chaos anheizte.
Die Schreckensmeldung von der Bombe im Bronzepferd hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Und alle sahen, dass der Fahrer des Sattelschleppers mit ebenjener Statue an Bord offenbar...
| Erscheint lt. Verlag | 16.10.2018 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Jerry Cotton | Jerry Cotton |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Action Abenteuer • action romane • action thriller • action thriller deutsch • alfred-bekker • Bastei • bastei hefte • bastei heftromane • bastei romane • bastei romane hefte • Bestseller • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • erste fälle • Fall • gman • G-Man • Hamburg • Heft • Heftchen • Heftroman • heftromane bastei • Kindle • Krimi • Krimiautoren • Krimi deutsch • krimi ebook • Krimi kindle • Kriminalfälle • Kriminalgeschichte • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Kriminalromane • kriminalromane 2018 • kriminalromane deutsch • Krimi Reihe • Krimireihen • krimi romane • Krimis • krimis&thriller • krimis und thriller kindle • Krimi Urlaub • letzte fälle • martin-barkawitz • Polizeiroman • Romanheft • Roman-Heft • schwerste fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • spannende Thriller • Spannungsroman • Stefan Wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • Wegner |
| ISBN-10 | 3-7325-6505-X / 373256505X |
| ISBN-13 | 978-3-7325-6505-4 / 9783732565054 |
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