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Widerspruch - Hartmut Wächtler

Widerspruch (eBook)

Als Strafverteidiger in politischen Prozessen
eBook Download: EPUB
2018 | 1., Originalausgabe
180 Seiten
Transit Buchverlag
978-3-88747-355-6 (ISBN)
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Wächtler berichtet spannend, fundiert und mit einer gepfefferten Prise Ironie von den ersten Verfahren während der 68er-Studentenproteste, von Prozessen gegen 'Rädelsführer' wie Rolf Pohle, gegen Feministinnen wie Ingrid Strobl, Bürgerinitiativen (Wackersdorf), antiautoritäre Zeitschriften (das BLATT), gegen Kollegen, die Berufsverbote bekommen sollten, gegen Studenten, die sich mit der heftig braunen Vergangenheit ihrer Professoren beschäftigten, oder West- und Ostspione nach der Wiedervereinigung. Manche dieser Prozesse liefen bis zum Bundesverfassungsgericht. In fast allen Fällen waren es 'Gesinnungen', also nicht in erster Linie Taten, um die es ging, sondern um unbequeme oder radikale politische Haltungen, die dem konservativen Gesellschaftsbild von Polizei und/oder Gerichten zuwiderliefen. 'Justizgeschichte ist Kulturgeschichte. Ein Blick in die Gerichtssäle zeichnet oft ein schärferes Bild der Gesellschaft als es ein ganzer Zirkel angesehenster Soziologen zustande bringen kann. In diesem Buch schreibe ich über Menschen, die seit dem Ende der 60er Jahre bis heute mit der Justiz aneinandergerieten und zu ?Fällen? wurden, die ich vor Gericht ausgefochten habe.'

Hartmut Wächtler, geboren 1944 in Bayreuth, studierte Jura in Berlin und München und arbeitete schon vor seiner Zulassung als Anwalt in der studentischen Rechtshilfe. Er lebt und arbeitet in München und in Niederbayern. 'Pfeifen und Johlen gehört zur Meinungsfreiheit', sagt er, 'und wenn er vor Gericht auftritt, lässt er sich nichts gefallen.' (Süddeutsche Zeitung).

Hartmut Wächtler, geboren 1944 in Bayreuth, studierte Jura in Berlin und München und arbeitete schon vor seiner Zulassung als Anwalt in der studentischen Rechtshilfe. Er lebt und arbeitet in München und in Niederba­yern. "Pfeifen und Johlen gehört zur Meinungsfreiheit", sagt er, "und wenn er vor Gericht auftritt, lässt er sich nichts gefallen." (Süddeutsche Zeitung).

Vorwort von Christian Ströbele

Warum ich Strafverteidiger wurde
Woher ich komme
Universitäten Berlin und München 1965 bis 1968
APO, Springer und ein Praktikum im Knast
Schellingstraße 52
Der Prozess gegen Rolf Pohle
Gertraud Will
Ulrike Meinhof
Staatsfromme Justiz in München
Das Verfahren gegen Hanns Marzini und andere
Das Verfahren gegen Rechtsanwalt Fritz Gildemeier
Der Tenno-Prozess in Bonn
Gegen Panzerknacker und das BLATT
Das Werkstattkino
Freizeit 81
Andrea Wolf
Gert Bastian
Der Widerstand gegen die WAA
Ingrid Strobl
Deutch-deutsche Spionage
Epilog: 1968 und die Folgen

APO, SPRINGER UND EIN PRAKTIKUM IM KNAST


In diese Zeit, 1967/1968, fällt meine Begegnung mit Rolf Pohle. Rolf war damals im Vorstand des LSD, er verkörperte in seiner Person den Wechsel von der FDP zur linken SPD. Gleichzeitig war er einer der Anführer der studentischen Protestbewegung. Vor meiner Zeit hatten die linken Studenten eine Aufsehen erregende Ausstellung »Braune Universität« organisiert, bei der die NS-Vergangenheit zahlreicher noch amtierender Münchner Professoren beleuchtet wurde, u.a. die von Theodor Maunz, der daraufhin als Kultusminister zurücktreten musste, aber als Hochschullehrer im Amt blieb wie alle anderen auch. Die Münchner Studentenschaft war demokratisch und staatsfrei organisiert. Der ASTA, der Allgemeine Studentenausschuss, nahm für sich das später abgeschaffte »politische Mandat« in Anspruch, d.h. das Recht, sich zu allen politischen Themen zu äußern, die an der Uni interessierten, also auch zu Vietnam, zu den gerade aktuellen Notstandsgesetzen und zur politischen Entwicklung in der BRD allgemein, damals wurde gerade die erste Große Koalition gebildet. Die SPD verlor für viele Studenten mit ihrer Regierungsbeteiligung – noch dazu unter dem Altnazi Kiesinger – ihre Attraktion als Sammelbecken der linken Opposition. Es entwickelte sich die APO, die Außerparlamentarische Opposition, und zwar als buntes Gemisch vielfältigster Alternativideen zur bestehenden christlichkonservativen Gesellschaft.

Vorsitzender des ASTA in München war zunächst der eher linksliberale Eberhard Büssem, der später zum Bayerischen Rundfunk ging. Er trat, wie intern vereinbart, in der Mitte seiner Amtszeit 1967 zurück und machte einem neuen ASTA Platz, der von Rolf Pohle geleitet wurde. Rolf, selber Sohn eines renommierten Münchner Professors für Zivilprozessrecht, provozierte die Talargesellschaft der Hochschule, indem er bei offiziellen Anlässen in Jeans und Rollkragenpullover auftrat und unkonventionelle Reden hielt. Seinem ASTA gehörte Julia von Behr an, die sich als »Pillen Jule« einen Namen machte, weil sie Listen von Ärzten verteilen ließ, die unverheirateten Frauen die Anti-Baby-Pille verschrieben, etwas, was damals im tiefkatholischen Bayern großes Aufsehen erregte. Nach Deutschland geflüchtete linke Oppositionelle, unter ihnen viele griechische Intellektuelle, die vor der durch einen Putsch 1967 an die Macht gekommenen Militärjunta geflohen waren, erhielten Beistand gegen die Schikanen des Ausländeramts, das sie am liebsten gleich wieder zurückgeschickt hätte, ebenso Personen, die sich vor der Geheimpolizei des Schahs von Persien abgesetzt hatten. Es gab erste gut besuchte »Teach-ins«, die gegen den von den Amerikanern forcierten Vietnamkrieg protestierten. Vor allem aber begann man sich kritisch mit der autoritären Struktur der Münchner Universität und den Lehrinhalten auseinanderzusetzen. Es regte sich Widerspruch in vielen Vorlesungen.

Die Treffs Dienstag nachts in der »Nachteule« entwickelten sich zum Ort für das Planen von Aktionen. In den Mitgliederversammlungen des LSD wurde die Theorie diskutiert, am Dienstag wurde besprochen, was man tun wollte. In der Barerstraße 46 im Hinterhaus hatten wir ein kleines, feuchtes Büro mit einer per Hand zu bedienenden Druckmaschine. Man beschrieb eine Wachsmatrize mit einer Schreibmaschine, besserte die Fehler mit einer widerlichen, scharf riechenden Flüssigkeit aus, spannte die Matrize in die Maschine und drehte mit einer Kurbel. Heraus kamen frisch und feucht gedruckte Flugblätter, die schnell unter die Leute gebracht werden mussten. Ich erinnere mich, dass ich morgens um 2 oder 3 Uhr aus der Barerstraße nach Hause in meine Studentenbude, inzwischen in der Elisabethstraße, ging, erfüllt von dem Gefühl: »Jetzt hast du was Sinnvolles geschafft«. Das war unendlich befriedigender als alles, was mit dem Studium zusammenhing. Dort hatte ich inzwischen verstanden, was klügere Kommilitonen schon im ersten Semester wussten, dass es nämlich keinen Sinn machte, die Vorlesungen zu besuchen. Das Wissen, das man brauchte, um das erste Staatsexamen zu bestehen, erwarb man nicht in den Vorlesungen, sondern beim Repetitor. So ging ich wie viele Generationen von Jurastudenten vor mir und nachher morgens um 8 Uhr zum Repetitor Haedtke in der Adalbertstraße und nachmittags zum Repetitor Scholz, der uns durch seine rasend schnelle Rede und seinen Zigarettenkonsum beeindruckte.

Die Universität interessierte mich nur noch, wenn Klausuren und Hausarbeiten geschrieben werden mussten, und natürlich, wenn studentische Teach-ins stattfanden, was ziemlich oft geschah. Die Studenten wurden langsam unruhig. Viele fühlten, dass es nicht so weitergehen konnte mit der Universität und mit der Gesellschaft. Dazu kamen die täglichen Nachrichten aus Vietnam mit den schrecklichen Bildern. Die Kruste der deutschen Nachkriegsgesellschaft wurde brüchig. Adenauer starb 1967 und Erhard war 1966 abgewählt worden, beide Symbole für Wirtschaftswunder, Neuanfang ohne Reue und unbeirrte und unbeirrbare Westbindung, deren Leitbild USA gerade in einen schmutzigen Krieg verwickelt war. Erstmals nach ’45 machte sich eine Generation Studenten Gedanken über Alternativen. Die einzige Universität, die an die linken und aufklärerischen Traditionen vor ’33 anknüpfte, war Frankfurt und die Frankfurter Schule mit Adorno und Habermas. Beide waren nicht gerade leicht zu verstehen, viel besser ging es mit Marcuse, der vielleicht wegen seiner langen Lehrtätigkeit in den USA gewohnt war, sich verständlich auszudrücken. Es entstand etwas, was sich ohne Ironie »antiautoritäre Bewegung« nannte, sie war links und bunt und noch ohne feste Strukturen oder Parteibindung.

Pohle war in dieser Zeit der führende Kopf der Studenten an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, er bemühte sich allerdings, so viel Teamwork wie möglich zu organisieren. Alles was nach »Führung« und Autorität aussah, war verpönt. Natürlich war er eitel, seine klare und durchdringende Stimme schaffte sogleich Distanz und stellte eine Aura her, zugleich versuchte er, seine Stellung zu hinterfragen und zu reflektieren. Er war kein Theoretiker. Für die Theorie bemühte er seinen Freund Reiner Jendis vom Münchner SDS, einen scheuen und freundlichen Jungen, der selten in der Öffentlichkeit auftrat, aber auf Rolf erheblichen Einfluss hatte. Pohle war zugewandt im persönlichen Gespräch, witzig und schlagfertig und hatte alle Anlagen, ein brillanter Anwalt zu werden. Ich habe seine tragische Geschichte – und hier passt der Ausdruck! – begleitet, bis er 2004 in Athen starb.

Im LSD hatte sich ein fester Freundeskreis gebildet. Dazu gehörten außer mir Wolfgang Bendler, Wolfgang Kisch, Wolf Leipold, das Ehepaar Ortmann und vor allem das Ehepaar Lo und Eggert »Rüb« Langmann. Beide etwas älter als wir, hatten sie gerade das zweite juristische Staatsexamen abgelegt und waren als Anhänger der Sozialdemokratie darauf bedacht, uns nicht ins linksradikale Lager abrutschen zu lassen. Wir lasen zusammen in ihrer Wohnung aktuelle nichtmarxistische Soziologen wie den Briten Runciman, mit beiden diskutierten wir nächtelang, ob eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft mit oder ohne Revolution möglich wäre. Zum LSD stießen unterschiedliche Leute, das machte die Diskussionen interessant. Wir hatten noch Reste der alten FDP-Jugend, die ihre liberale Fahne hochhielten, wir waren auch noch im bundesweiten Verband organisiert, der sich gerade im Eiltempo nach links entwickelte und von seiner Mutterpartei alsbald abgestoßen wurde. Neben den schon erwähnten linken Sozialdemokraten kamen auch noch nicht dogmatische Linke, denen der SDS zu ideologisch war. Der SDS in München war zudem in mindestens zwei Gruppen gespalten, die orthodoxen Marxisten, die den Kurs der UdSSR hochhielten, und die Antiautoritären, die die freiheitlichen Traditionen des Marxismus propagierten. Ich wurde Zeuge einer gespenstischen Stellvertreterdiskussion beider Lager, bei der es um die Einschätzung des Kronstädter Aufstands der Matrosen gegen Lenin ging. Die einen sahen darin die konterrevolutionäre Subversion, die anderen den gerechtfertigten Widerstand gegen die zunehmende Starre des revolutionären Systems. Für mich und sicher viele andere war das viel zu weit weg.

Damals kam zu uns der Jurastudent Heiner Lübbert, der es bei seiner Vorstellung für angebracht hielt, auf seine soeben abgeschlossene Laufbahn als Reserveoffizier bei der Bundeswehr hinzuweisen. Das hätte ihn fast die Aufnahme in den LSD gekostet. Ich war damals schon im Vorstand und konnte das gerade noch verhindern, weil ich merkte, dass Heiner eine Verstärkung für uns war. Er kam aus einer Mittelstandsfamilie, fuhr einen alten VW Cabrio und führte mich das erste Mal in meinem Leben in ein italienisches Restaurant an der Leopoldstraße, wo ich redlich mit Spaghetti kämpfte. Er kleidete sich bei MicMac ein, einer Boutiquenkette, die Gunther Sachs gegründet hatte und die mir natürlich viel zu teuer war. Später trug er nur schwarz, was ihm bei seinem Blondschopf sehr gut stand. Er arbeitete sich unter der Anleitung von Hanfried Brenner, einem der Ideologen der Münchner Studentenbewegung, in die Philosophie von Marx...

Erscheint lt. Verlag 15.8.2018
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte AKW-Proteste • Autobiografie • Bürgerinitiativen • Justizgeschichte • Kriminalisierung • Kulturgeschichte • RAF-Prozesse • Rechtshilfe • Strafrecht • Studentenunruhen
ISBN-10 3-88747-355-8 / 3887473558
ISBN-13 978-3-88747-355-6 / 9783887473556
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