Jerry Cotton Sonder-Edition 87 (eBook)
80 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-6847-5 (ISBN)
Die Sache ließ sich eigentlich gut an. Phil und ich führten im Sequoia, einem Skihotel der internationalen Spitzenklasse im Squaw Valley, das Leben amüsierwütiger, sorgenfreier Playboys - undercover selbstverständlich. Doch plötzlich änderte sich alles. Seltsame Gestalten tauchten im Hotel auf. Ein Mann wurde erschossen, eine Gangstertruppe überfiel das Sequoia. Und dann passierte noch etwas. An jenem Donnerstag, dem tödlichen Donnerstag.
1
Wir waren an der Reihe. Er trat in die Spur, sah sich um und machte eine einladende Geste. Ich nahm die Stöcke in die rechte Hand und trat rasch neben ihn. Der Liftwart holte den Bügel herunter. Gleichzeitig griffen wir nach dem Mittelträger. Unsere Hände in den dicken Handschuhen berührten sich. Mit leisem Zischen setzten sich unsere Skier in Bewegung. Der doppelarmige Bügel des Skilifts zog uns nebeneinander nach oben.
»Wunderbares Wetter, nicht wahr?«, meinte er.
»Erstklassig. Sind Sie schon lange hier?«
Ich wusste genau, wie lange er hier war: sieben Tage. Ich kannte seine Zimmernummer. Ich hatte die Zahl seiner Drinks an der Bar mitgezählt. Ich wusste, dass er die dritte und die vierte Nacht seines Aufenthalts mit der rothaarigen Stenotypistin aus Detroit verbracht hatte, die gestern abgereist war. Seinen richtigen Namen kannte ich nicht, aber den kannte wahrscheinlich niemand.
»Seit sieben Tagen«, beantwortete er meine Frage. »Wohnen Sie auch im Sequoia Hotel?«
»Gibt es überhaupt eine andere Möglichkeit hier oben?«
»Nein, aber Sie hätten von unten heraufkommen können.«
Die Liftspur führte an der Squaw-Peak-Hütte vorbei. Auf der Terrasse lagen die Frauen in Doppelreihen in der Sonne, cremeglänzend und zu achtzig Prozent in strandknappen Bikinis, aber alle mit schweren Skistiefeln an den Füßen. Bunte Pullover, Anoraks, Stretchhosen garnierten die Balustrade.
»An Wochenenden kommen sogar die Nightclub Girls aus Reno herauf«, sagte mein Liftpartner. »Skilaufen können die wenigsten. Sie wollen braun werden.«
Über unsere Köpfe glitten die Gondelkabinen der Seilbahn, die die Läufer von der Talstation bis zur Hütte brachten. Von dort aus führten die Schlepplifte zum Gipfel des Peak.
»Laufen Sie gut?«, fragte er.
»Mäßig. New York ist ein schlechtes Pflaster für die Aufzucht von Skiläufern. Ich bin New Yorker.«
Er lachte. »Ich habe es im alten Europa gelernt, in der Schweiz. Man sagt, dort kommen die Kinder mit Skiern an den Füßen zur Welt.«
Er log nicht. In der Schweiz hatte er vor rund zwanzig Jahren die Schmuckschatullen alleinstehender und meistens ältlicher Ladys erleichtert. Vermutlich waren die Damen dutzendweise unter dem Blick seiner schwarzen Augen hingeschmolzen. Er sah immer noch erstklassig aus.
Obwohl er ungefähr fünfundvierzig Jahre alt sein musste, hatte sein Körper nichts an Straffheit verloren. Er war so groß wie ich, hielt sich ein wenig vornübergebeugt und bewegte sich mit nachlässiger Geschmeidigkeit. Sein pechschwarzes Haar zeigte silberne Fäden an den Schläfen. Unter dem linken Wangenknochen zeichnete sich eine zolllange Narbe weißlich in der sonnengebräunten Haut ab.
Ein Skiläufer in rotem Anorak kam in Schussfahrt aus der Einschnürung zwischen zwei Felsblöcken hervor, verfehlte den Abschwung und wurde von der eigenen Geschwindigkeit aus der Piste getragen. Er verlor das Gleichgewicht, überschlug sich und verschwand im tiefen Schnee, der beim Sturz des Mannes aufstäubte wie unter einem Granateinschlag. Wir blickten uns nach dem Gestürzten um.
Er tauchte aus dem lockeren Schnee auf und schickte sich an, sich wieder auf seine Bretter zu kämpfen. Es war nichts passiert.
»Er hat einen Kantenfehler gemacht«, stellte mein Nachbar fest. »Er verkantete seine Skier nach der falschen Seite ungefähr so.« Er zeigte es mir, knickte leicht in den Hüften ein und stellte die schweren Schnallenstiefel schräg.
Vom Skilaufen verstand er zweifellos mehr als ich. Er verstand viel von vielen Dingen. Wer war er? Südamerika, Europa, Afrika und die Staaten waren die Schauplätze seiner immer irgendwie anrüchigen Aktivität. Er hatte ein Dutzend Mal den Namen gewechselt. Jetzt trug er den Pass eines südamerikanischen Staats in der Tasche. Dieser Pass war zweifelsfrei echt, denn es gab viele Möglichkeiten, an einen echten Pass dieses Staats zu gelangen, ohne innerhalb seiner Grenzen geboren zu sein. Bestechung und Erpressung waren zwei dieser Möglichkeiten. Der Mann neben mir beherrschte beide meisterhaft.
Zweihundert Yards voraus wurde die Endstation des Lifts sichtbar. Phil und die Frauen standen links am Rand der Startebene. Pats knallroter Pullover leuchtete wie ein Signal. Sie sah mich, hob den Arm und schwenkte den Skistock.
Der Pass des Mannes lautete auf den Namen Richard Verton. Genau dieser Name stand auf dem Haftbefehl, den Phil und ich im Geheimfach eines Koffers verwahrten. Richard Verton – gesucht wegen ungesetzlicher Handlungen zum Schaden der USA. Und wegen Mord.
Wir erreichten das Liftende und traten aus der Spur. Pat stieß ein paar ziemlich schrille Laute aus.
Verton lächelte. »Ihre Freundin kann jodeln. Ist sie Schweizerin?«
»Nein, aber sie hat irgendein supervornehmes College in Europa besucht.«
»Also ein reiches Mädchen. Schweizer Colleges sind teuer.«
Er war ein schneller Rechner. Er hatte gelernt, den Wert der Geheimnisse, die er verkaufte, rasch und genau zu kalkulieren.
Verton rückte die Schneebrille aus der Stirn vor die Augen. »Danke für die Mitfahrt. Hals- und Beinbruch!« Er stemmte die Stöcke ein und sprang mit einem weiten Satz in die Falllinie. Mehr als hundert Yards ließ er die Skier schießen, bevor er mit kaum merklichem Schwung Geschwindigkeit und Richtung korrigierte.
Ich fuhr zu Phil und den Frauen hinüber. Pat und Barbara blickten Verton nach, dessen Gestalt jetzt zwischen den Felsblöcken am Eingang der Mittelschneise verschwand.
»Ein Ass«, sagte Patricia. »Erstklassiger Stil! Außerdem sah er aus wie ein Supermann. Kennst du ihn?«
»Er wohnt im Sequoia. Ich habe ihn an der Bar getroffen.«
»Richtig. Mit ’ner Rothaarigen«, rief Barbara. »Sie war so verrückt nach ihm, dass sie sich am liebsten auf der Stelle die Kleider vom Leib gerissen hätte.«
»Wahrscheinlich hat sie es getan – später«, sagte Patricia und lachte. Sie trug das lange blonde Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, keine Mütze, einen knallroten Pullover und so enge schwarze Skihosen, dass sie nur hineingelangen konnte, weil es Stretch war. »Gute Startchancen für dich, Barbie.«
Barbara war rothaarig. Sie stand ihrer Freundin in der Größe nur ein oder zwei Zoll nach. Ihre Kurven waren entweder noch ausgeprägter oder ihre Pullover und Hosen noch knapper.
»Los«, rief sie. »Sehen wir uns das Prachtexemplar aus der Nähe an!« Sie stürzte sich auf die Piste.
Pat raste ihr nach. Beide Frauen hielten sich auf einer Höhe. Ihre Hüften schwangen im gleichen Takt der Wedelschwünge. Die Bewegungen wirkten erotischer als das kunstvolle Beben einer Strip-Mieze, aber trotzdem nicht schwül.
»Hat er irgendeinen Verdacht?«, fragte Phil.
Ich schüttelte den Kopf. »Reiner Zufall, dass wir auf denselben Bügel geraten sind.«
»Wie lange geben wir ihm noch?«
»Die CIA wünscht Aufschluss über seine Kontaktmänner, besonders über den Lieferanten. Seit sie Ende Januar seine Fährte fanden, wurde er nicht aus den Augen gelassen. Bis Ende Februar hatte er keinen Kontakt mit fragwürdigen Personen. Jetzt sind wir an der Reihe. Man vermutet, dass er einen Mord in Virginia begangen hat. Anscheinend erschoss er jemanden in Yorktown, der an einem geheimen Marineprojekt gearbeitet hat, und räumte den Tresor aus. Verton wurde zu dieser Zeit in der Gegend gesehen, aber das fanden die CIA und unsere Virginia-Kollegen zu spät heraus.
Phil nickte.
»Für fast zwei Monate geriet er ihnen aus dem Blickfeld, und der Henker mag wissen, was er während dieser Zeit getrieben hat. Die ganze Sache passt auf Richard Verton wie nach Maß gemacht. Die Arbeit, an der in Yorktown gebastelt wurde, ist auch für Industriefirmen wertvoll, und Verton hat niemals im Auftrag einer feindlichen Macht oder einer Spionageorganisation gearbeitet, sondern immer auf eigene Rechnung. Er beschafft und verkauft dann meistbietend. Erinnere dich daran, wie sehr der CIA-Chef betonte, Vertons Beute wäre ihm wichtiger als Verton selbst.«
Phil bückte sich und prüfte die Bindung seiner Skier. »Er hat die Papiere längst zu Geld gemacht. Jetzt erholt er sich, und die einzigen Personen, zu denen er Kontakt aufnimmt, sind Frauen. Was bei solchen Kontakten passiert, sollte nicht einmal die CIA interessieren. Go on, Jerry. Irgendwie bin ich dagegen, dass Mister Verton diese Sorte Kontakt mit Barbie Droth knüpft.«
Wir jagten den Frauen nach, die längst außer Sicht waren. Pat und Barbara fuhren schnell, stilistisch einwandfrei und mit tänzerischer Leichtigkeit. Erst kurz vor der Hütte holten wir sie ein.
»Lahmer New Yorker«, rief Pat. »Nimm die Untergrundbahn.«
»Wo ist euer Opfer?«, fragte Phil.
»An der Schneebar. Barbie schleicht sich schon an.«
Verton stand an der aus Schneeblöcken zusammengebauten Bar, hinter der zwei Keeper mit Shakern hantierten. Barbara stieg aus den Bindungen, rammte die Skier in den Schnee und hängte die Stöcke mit den Schlaufen an die Spitzen. Als Patricia, Phil und ich an die Bar traten, hatten Verton und die junge Frau schon die ersten Worte gewechselt.
Er hob die Hand. »Hallo, Liftpartner. Ihr Mädchen?«
»Die Besitzverhältnisse sind noch völlig ungeklärt«, sagte Patricia.
Verton musterte ihre Gestalt mit einem Blick. Mit einem kleinen Lächeln deutete er Hochachtung und Bewunderung an. »Sollten Sie in einer Kommune leben, würde ich mich um die Mitgliedschaft bewerben.«
»Ihre Rothaarige müssten Sie dann ebenfalls der Allgemeinheit...
| Erscheint lt. Verlag | 11.9.2018 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Jerry Cotton Sonder-Edition | Jerry Cotton Sonder-Edition |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Deutsch • e Book • eBook • E-Book • e books • eBooks • erste fälle • erste-fälle • Fall • gman • G-Man • Hamburg • Horst-Bosetzky • international • Kindle • Krimi • Krimiautoren • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Krimis • krimis&thriller • letzte fälle • martin-barkawitz • morland • nick-carter • Polizeiroman • Reihe • Roman-Heft • schwerste fälle • schwerste-fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • Spannungsroman • stefan-wollschläger • Stefan Wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • uksak • Urlaub • Wegner |
| ISBN-10 | 3-7325-6847-4 / 3732568474 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-6847-5 / 9783732568475 |
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