Orientalische Nächte (eBook)
130 Seiten
CORA Verlag
978-3-7337-5834-9 (ISBN)
Isabelle fürchtet, dass sie einen großen Fehler macht, als sie die Geliebte des geheimnisvollen Tony Kalinsky wird. Was sucht er in dem kleinen Dorf in Syrien, in dem sie Teppiche kaufen wollte? Ist Tony ein Drogenhändler? Fragen über Fragen, die dunkle Schatten aus Isabelles Glück werfen ...
1. KAPITEL
Der alte, bärtige Händler in dem langen weißen Gewand und der gewickelten Kopfbedeckung strich mit einem dunklen Finger über den Teppich und sagte energisch: „Nein, nein. Unmöglich. Dieser Preis würde mich ruinieren.“
Isabelle beobachtete verstohlen, aber trotzdem sehr genau, den Alten. Sie durfte sich nicht anmerken lassen, dass sie viel von Teppichen verstand und gerade diesen einen unbedingt haben wollte. Also spielte sie die harmlose Touristin und musterte scheinbar interessiert die übrigen Teppiche, die in verschiedenen Größen aufgestapelt waren. Dann schaute sie den Araber unschuldig und bittend aus großen grauen Augen an. Diesem Blick konnte kein Mann widerstehen – nicht einmal ihr Vater –, wie sie seit ihrer Kindheit wusste.
„Aber dieser Teppich ist mir zu teuer. Haben Sie keinen ähnlichen wie den hier, etwa in den gleichen Farben?“
Der Händler schüttelte den Kopf. „Nein. Das ist der Einzige. Ein sehr Besonderer.“
Und das stimmte in der Tat. Es war ein feiner türkischer Teppich von hervorragender Qualität. Isabelle hatte nicht damit gerechnet, so etwas in diesem kleinen syrischen Dorf vorzufinden. Sie musste ihn einfach erstehen.
„Könnten Sie mir einen anderen zeigen? Was ist mit dem dort?“ Sie zeigte auf einen halb aufgerollten Teppich und dachte: Wenn ich zusätzlich noch einen nehme, geht der Mann wahrscheinlich von dem hohen Preis für den türkischen Teppich herunter. Daheim im Geschäft würde sie sicherlich vier oder fünf Mal so viel dafür bekommen. Es kam auf geschicktes Handeln an.
„Den da meinen Sie?“ Der Alte schnippte auf ihr Nicken mit den Fingern und rief: „Hassan!“ Ein schmächtiger Junge sprang flink auf und breitete den zweiten Teppich vor Isabelle aus.
Sie trank langsam einen Schluck des tiefschwarzen, aromatischen Kaffees und lächelte scheinbar begeistert. Obwohl sie sich nicht sehr für diesen Teppich interessierte, würde sie ihn nehmen und weiterverkaufen – falls sie ihn zusammen mit dem Ersten günstig erstehen konnte. Sie und ihre Geschäftspartner brauchten dringend Bargeld. Ihr blieb gar nichts anderes übrig, als wahre Schnäppchen heimzubringen, denn sonst gäbe es die Firma „Zauberteppiche“ vielleicht bald nicht mehr. Zurzeit machten sie keinen großen Umsatz und hatten dadurch einige Finanzierungsprobleme.
„Gib bloß nicht zu viel Geld aus!“, hatte Melanie vor Isabelles Abflug bedrückt geraten. „Wir sind gezwungen, an jedem Teppich eine Menge zu verdienen, wenn wir die nächsten sechs Monate überleben wollen.“
„Wer hat denn die beste Witterung für ein echtes Schnäppchen?“, war Isabelles freche Antwort gewesen. „Hüte deine Zunge, Melanie, wenn du mit der Chefeinkäuferin sprichst. Rick könnte nicht einmal einen alten Belutschisten von einem billigen Vorleger aus der Fabrik unterscheiden. Und du auch erst, wenn ich ein Schildchen angeklebt habe.“
Beim Handeln mit den Verkäufern half es Isabelle sehr, dass sie nicht wie eine erfahrene, gewitzte Geschäftsfrau aussah, sondern eher wie eine unbedarfte, harmlose Touristin. Diesen Eindruck unterstrich sie noch, indem sie sich entsprechend kleidete. Sie trug auch jetzt weite gestreifte Hosen, ein loses T-Shirt und viele silberne und türkisfarbene Armreifen und Ringe, die alle keinen großen Wert hatten. Mit ihrer kurzhaarigen Ponyfrisur, der zarten Haut und der schlanken Gestalt wirkte Isabelle sowieso wie ein jungenhafter Teenager. Und der viele Schmuck sollte den Eindruck erwecken, dass sie gern Souvenirs sammelte.
Bis jetzt hatte noch kein Händler vermutet, dass sie in Wirklichkeit eine 23-jährige gerissene Geschäftsfrau war; vor allem nicht, wenn sie mit Tränen in den Augen – wegen angeblich zu hoher Preise – vor ihnen stand. Dabei war der größte Teil des Geldes, das in die Firma floss, Isabelles Geschick zu verdanken, überall die besten Gelegenheitskäufe ausfindig zu machen. Zum Glück ahnte niemand, welch hohe Intelligenz und geradezu geniale Begabung, stets die Preise zu drücken, sich hinter dem unschuldigen Aussehen verbargen.
Der syrische Händler schaute Isabelle an, und sie unverwandt ihn. „Dieser gefällt Ihnen?“, fragte er in recht gutem Englisch.
„Oh ja.“ Scheinbar bewundernd befühlte sie den Teppich. Doch das tat sie nur, um ihn auf Fehler und die Anzahl der Knoten zu überprüfen. Es war ein durchaus guter Teppich, ihr aber lag vor allem an dem anderen. Selbst zu dem Preis, den der Alte dafür verlangte, wäre es eine Gelegenheit, wie sie sich im Leben nur sehr selten bot.
Dass sie dieses Theater spielte, bedrückte Isabelles Gewissen nicht. Wenn sie dieses Schnäppchen nicht machte, würde es ein anderer tun. Und sie konnte sich bei dem schlechten Zustand ihrer Firma wahrlich keine Gefühlsduseleien leisten.
„Freunde daheim haben mich gebeten“, fing Isabelle zu lügen an, „ihnen einen hübschen Teppich zu besorgen. Der da würde ihnen sicherlich gefallen. Doch sie können nicht viel Geld dafür ausgeben. Also, was verlangen Sie?“
Er nannte eine Summe.
Scheinbar erschrocken rief Isabelle: „Nein, das ist viel zu viel.“ Nun nannte sie eine niedrigere Zahl und lachte, als der Syrer wieder behauptete, sie würde ihn ruinieren. „Ich verstehe zwar nichts von Teppichen“, schwindelte sie mit unschuldigem Blick, „aber Ihr Preis kommt mir schrecklich hoch vor. Und ich möchte meinen Freunden so gern sagen, wie gut ich für sie eingekauft habe.“
Der Syrer sah auf einmal irgendwie misstrauisch aus, und sie beschloss, ihre Schauspielerei nicht zu übertreiben. Schließlich hatte sie den absolut schönsten und feinsten Teppich herausgesucht, und der Alte würde womöglich nicht an einen Zufall glauben.
In diesem Moment merkte Isabelle, dass ihnen noch jemand zuhörte und zuschaute. Nur wenige Schritte entfernt stand vor der verfallenen Hütte mit dem Teppichladen ein hochgewachsener Mann. Trotz seines schwarzen Haars und der scharfgeschnittenen Gesichtszüge hielt sie ihn eigentlich nicht für einen Einheimischen.
Isabelle hatte nicht vermutet, in diesem abgelegenen Dorf einen Fremden vorzufinden. Sie wusste nicht einmal genau, wo sie sich eigentlich befand. Höchstens, dass der Ort – laut Karte – einige Meilen östlich von Aleppo lag. Ein älterer Araber hatte sie in seinem Auto bis hierher mitgenommen. Er war ihr durch den Manager des kleinen Hotels, in dem sie in Aleppo übernachtet hatte, vermittelt worden. Sie fuhr öfter mit jemandem mit, weil das die Reisekosten sehr verringerte.
Neugierig betrachtete Isabelle den Fremden. Er trug helle Jeans und ein loses Jackett und musste Anfang dreißig sein. Aber vor allem fiel ihr die Augenklappe auf, die sein linkes Auge bedeckte. Das rechte, von einem seltsamen Blaugrün wie altes Flaschenglas, starrte sie an. Der Mann lächelte weder noch grüßte er, worüber sie sich wunderte. Nach einigen Sekunden wandte sie sich wieder dem Händler zu.
„Lassen Sie mich noch einmal die anderen Teppiche sehen“, bat sie und spielte die unentschlossene Touristin. Insgeheim bewunderte sie die Geduld des Syrers, denn Isabelle hasste die unentschlossenen Kunden, mit denen sie manchmal in ihrem Londoner Geschäft zu tun hatte. Doch daran sollte sie jetzt nicht denken, sondern sich auf den nächsten Schritt ihres Verhandelns konzentrieren. Wieder rief der Alte den Jungen herbei, der gleich sämtliche Teppiche vor ihr ausbreitete.
Isabelle bemühte sich, nicht auf den einen zu blicken, der ihr besonders am Herzen lag, denn sie durfte sich nicht verraten. „Ach, ich weiß nicht so recht“, sagte sie dann. „Dieser vielleicht … oder nein, diesen hier.“ Das war der zweitbeste und ebenfalls ein recht guter. Falls sie beide Teppiche kaufte, würde es ihr schwerfallen, sich später von ihnen zu trennen. Dass ging ihr immer so.
„Angenommen, ich kaufe beide, einen für meine Freunde und den anderen für mich“, schien sie laut zu denken. „Dann können meine Freunde sich einen aussuchen, und ich behalte den zweiten. Mir steht allerdings nur ein bestimmter Betrag zur Verfügung, doch…“
„Kann ich Ihnen helfen?“, mischte sich auf einmal der Fremde ein. Isabelle, die auf dem Boden hockte, blickte an schier endlosen Beinen hinauf zum Gesicht mit der Augenklappe.
„Vielen Dank, aber alles ist okay.“ Isabelle lächelte ihn liebenswürdig an, obwohl sie sich furchtbar ärgerte. Warum musste sich dieser Typ ausgerechnet jetzt einschalten und ihr womöglich alles verderben. „Ich bin Ihnen gern behilflich, denn ich habe einige Erfahrung in solchen Dingen.“ Der Mann schätzte sie mit seinem gesunden Auge ab, wie sie deutlich merkte. Sein Englisch war perfekt.
Sie zögerte, weil sie ja kaum erwidern konnte: Ich auch. Damit wäre sie sich selbst in den Rücken gefallen. Schließlich versicherte sie ihm: „Das brauchen Sie wirklich nicht. Alles ist bestens.“ Sie musterte ihn genauer. Komisch, dass ein Auge viel bedrohlicher wirkte als zwei. Und was mochte mit dem bedeckten sein? Woher stammte dieser Mann mit dem perfekten Englisch? Trotz seines scharfgeschnittenen Profils und des blauschwarzen Haares war er bestimmt kein Araber.
„Wie viel würden Sie für den Teppich bieten?“, erkundigte sich der Fremde beiläufig.
Weil sein Benehmen und seine Einmischung Isabelle aufregten, vergaß sie sich und platzte unbedacht heraus: „Das geht Sie nichts an.“ Aber sofort riss sie sich zusammen. Sie musste doch die unerfahrene Touristin spielen. „Ah … ich meine … also, vielen Dank, aber ich denke, ich komme schon allein zurecht.“ Sie hoffte inbrünstig, dass es nicht zu unecht geklungen...
| Erscheint lt. Verlag | 28.7.2018 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Digital Edition |
| Digital Edition | Digital Edition |
| Verlagsort | Hamburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
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| ISBN-10 | 3-7337-5834-X / 373375834X |
| ISBN-13 | 978-3-7337-5834-9 / 9783733758349 |
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