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Kudos (eBook)

Roman | Eine weibliche Odyssee im 21. Jahrhundert

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
224 Seiten
Suhrkamp Verlag
9783518756942 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kudos - Rachel Cusk
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Was verbergen wir, indem wir uns zeigen? Und warum wissen wir am wenigsten über das, was uns am meisten bewegt? Rachel Cusk ist die spannendste Schriftstellerin unserer Zeit und Kudos der Abschluss ihres Meisterwerks, ein lebenskluger, beziehungsreicher Roman, erzählt mit schlichter Eleganz und abgründigem Witz.

Faye ist Schriftstellerin und unterwegs, ihren neuen Roman vorzustellen. Für sie scheint diese Reise lebensentscheidend. Nicht nur hofft sie, endlich die ihr gebührende öffentliche Anerkennung zu finden, sie sucht vor allem Abstand zu einer privaten Katastrophe. Sie begegnet Kollegen, die sich um Kopf und Kragen reden, sie bestreitet Bühnengespräche, in denen man ihr nicht zuhört, und sie gibt Interviews, ohne wirklich selbst zu Wort zu kommen. Doch je mehr sie sich auf die anderen einlässt, umso deutlicher wird Faye, was jenseits all der Geschichten und Fiktionen liegt, mit denen die Menschen sich fast obsessiv wappnen. Die Konsequenz, die Faye für sich daraus zieht, ist einleuchtend - führt sie aber geradewegs zurück in die Bodenlosigkeit ihrer persönlichen Situation.



Rachel Cusk, 1967 in Kanada geboren, hat die international gefeierte <em>Outline</em>-Trilogie, die autobiografischen Bücher <em>Lebenswerk</em> und <em>Danach</em> sowie zahlreiche weitere Romane und Sachbücher geschrieben. Sie ist Guggenheim-Stipendiatin, Trägerin des Malaparte-Preises und mit dem Titel Chevalier de l'ordre des arts et des lettres ausgezeichnet. Sie lebt in Paris.

Rachel Cusk, 1967 in Kanada geboren, lebt in England, hat acht Romane sowie drei Sachbücher geschrieben und ist dafür vielfach ausgezeichnet worden. Transit ist nach Outline der zweite Teil einer Trilogie, einer »weiblichen Odyssee im 21. Jahrhundert«.

Der Mann neben mir im Flugzeug


Der Mann neben mir im Flugzeug war so groß, dass er nicht auf den Platz passte. Seine Ellenbogen ragten über die Armlehnen hinaus und seine Knie stießen gegen den Sitz des Vordermanns, der sich bei jeder Berührung verärgert umdrehte. Mein Nachbar wand sich, schlug umständlich die Beine übereinander und versetzte der Person zu seiner Rechten versehentlich einen Tritt.

»Entschuldigung«, sagte er.

Er atmete tief durch die Nase ein, legte die Fäuste in den Schoß und hielt inne, doch schon nach kurzer Zeit wurde er unruhig und bewegte die Beine, so dass die Sitzreihe vor uns zu wackeln anfing. Irgendwann fragte ich ihn, ob er meinen Gangplatz haben wolle. Er nahm das Angebot, ohne zu zögern, an, als hätte ich ihm ein gutes Geschäft vorgeschlagen.

»Normalerweise fliege ich Business«, erklärte er, während wir die Plätze tauschten. »Da hat man sehr viel mehr Beinfreiheit.«

Er streckte die Füße in den Gang und ließ erleichtert den Kopf zurücksinken.

»Ich danke Ihnen vielmals«, sagte er.

Das Flugzeug bewegte sich langsam über das Rollfeld. Der Mann seufzte zufrieden und schien fast augenblicklich einzuschlafen. Eine Flugbegleiterin näherte sich und blieb vor seinen Füßen stehen.

»Sir?«, sagte sie. »Sir?«

Der Mann schreckte auf und zog die Beine unbeholfen in die enge Nische, um die Frau durchzulassen. Das Flugzeug stoppte minutenlang, fuhr mit einem Ruck wieder an, blieb erneut stehen. Durchs Fenster war eine Reihe von Maschinen zu sehen, die auf Starterlaubnis warteten. Der Kopf des Mannes kippte nach vorn, und bald lagen seine Beine ausgestreckt im Gang. Die Flugbegleiterin kehrte zurück.

»Sir?«, sagte sie. »Der Gang muss während des Starts frei bleiben.«

Er setzte sich auf.

»Entschuldigung«, sagte er.

Sie entfernte sich, und ihm sank das Kinn auf die Brust. Draußen stand Nebel über der flachen, grauen Landschaft, die in horizontalen Streifen aus feinsten Farbnuancen in den bewölkten Himmel überging und aussah wie das Meer. In der Reihe vor uns unterhielten sich eine Frau und ein Mann. Es ist so traurig, sagte die Frau, und der Mann grunzte zustimmend. Einfach richtig traurig, wiederholte sie. Schritte klopften über den Teppich des Gangs, und die Flugbegleiterin war wieder da. Sie legte meinem Sitznachbarn eine Hand auf die Schulter und rüttelte ihn.

»Ich muss Sie leider bitten, Ihre Beine aus dem Weg zu nehmen«, sagte sie.

»Entschuldigen Sie«, sagte der Mann. »Ich kann wohl die Augen nicht offen halten.«

»Ich muss Sie aber bitten, das zu tun«, sagte sie.

»Ich habe letzte Nacht überhaupt nicht geschlafen«, sagte er.

»Das ist leider nicht mein Problem«, sagte die Flugbegleiterin. »Wenn Sie den Gang blockieren, gefährden Sie die Sicherheit der übrigen Passagiere.«

Er rieb sich das Gesicht und setzte sich bequemer hin. Er zog sein Handy aus der Tasche, schaute drauf, steckte es wieder ein. Sie wartete und beobachtete ihn, als müsste sie sich, bevor sie weiterging, von seinem Gehorsam überzeugen. Er schüttelte den Kopf und machte eine verständnislose Gebärde wie zu einem unsichtbaren Publikum. Er war irgendwo in den Vierzigern und sein Gesicht ebenso attraktiv wie durchschnittlich. Die gepflegte, glattgebügelte Neutralität seiner Kleidung verriet den Geschäftsmann auf Wochenendausflug. Er trug eine schwere silberne Uhr am Handgelenk, neu aussehende Halbschuhe und strahlte die anonyme, geborgte Männlichkeit eines Soldaten in Uniform aus. Inzwischen hatte das Flugzeug sich stockend an den Anfang der Warteschlange geschoben und rollte nun in einem weiten Halbkreis auf die Startbahn zu. Aus dem Nebel war Regen geworden, Tropfen liefen über die Fensterscheibe. Der Mann starrte erschöpft auf die nassglänzende Piste. Ringsum schwoll der Lärm der Triebwerke an, das Flugzeug drängte vor, neigte sich aufwärts und bohrte sich unter Geklapper in Schichten dichter, bauschiger Wolken. Durch sporadische Risse im Grau war unter uns ein eintönig grünes Netzwerk aus Feldern mit Häuserwürfeln und gedrängten Baumgruppen zu sehen, aber nach einer Weile schloss die Wolkendecke sich vollständig. Der Mann stieß einen weiteren tiefen Seufzer aus und war innerhalb von Minuten wieder eingeschlafen, das Kinn sank ihm auf die Brust. Das Kabinenlicht sprang flackernd an, und man hörte die einsetzende Geschäftigkeit. Es dauerte nicht lange, bis die Flugbegleiterin erneut an unserer Sitzreihe stand. Der Mann hatte seine Beine abermals in den Gang ausgestreckt.

»Sir?«, sagte sie. »Verzeihung, Sir?«

Er hob den Kopf und schaute sich verwirrt um. Als er die Flugbegleiterin und den Servierwagen sah, zog er langsam und schwerfällig die Knie an, um sie vorbeizulassen. Sie wartete mit geschürzten Lippen und hochgezogenen Augenbrauen.

»Danke sehr«, sagte sie mit kaum verhohlenem Sarkasmus.

»Ich kann nichts dafür«, erwiderte er.

Kurz richtete sie die geschminkten Augen auf ihn. Ihr Blick war kalt.

»Ich mache hier nur meine Arbeit«, sagte sie.

»Das ist mir klar«, antwortete er. »Aber ich kann nichts dafür, dass der Sitzabstand zu klein ist.«

Schweigend sahen sie einander an.

»Da müssen Sie sich an die Fluggesellschaft wenden«, sagte sie.

»Ich wende mich aber an Sie«, sagte er.

Sie verschränkte die Arme und hob das Kinn.

»Normalerweise fliege ich Business«, ergänzte er, »da habe ich das Problem nicht.«

»Auf dieser Strecke bieten wir keine Business Class an«, sagte sie, »anders als viele andere Fluggesellschaften.«

»Sie schlagen mir also vor, das nächste Mal mit einer anderen zu fliegen?«

»Ganz genau«, sagte sie.

»Wunderbar«, sagte er. »Vielen Dank.«

Sie kehrte ihm den Rücken zu, er schickte ihr ein verbittertes Lachen hinterher. Eine Zeitlang lächelte er verunsichert weiter wie jemand, der versehentlich auf eine Bühne geraten ist, und wie um sein Gefühl des Bloßgestelltseins zu überspielen, wandte er sich schließlich an mich und fragte nach dem Anlass meiner Reise auf den Kontinent.

Ich sagte, ich sei Schriftstellerin und auf dem Weg zu einem Literaturfestival.

Sofort nahm sein Gesicht einen Ausdruck höflichen Interesses an.

»Meine Frau ist eine begeisterte Leserin«, sagte er. »Sie ist sogar in einem von diesen Buchclubs.«

Ein Schweigen entstand.

»Was schreiben Sie denn so?«, fragte er nach einer Weile.

Ich sagte, das sei schwierig zu erklären, und er nickte. Er trommelte sich mit beiden Händen auf die Knie, während er mit den Schuhen einen abweichenden Takt auf den mit Teppich bezogenen Boden schlug. Er wiegte den Kopf hin und her und rieb sich energisch die Kopfhaut.

»Wenn ich mich nicht unterhalten kann«, sagte er schließlich, »schlafe ich sofort wieder ein.«

Er stellte das ganz nüchtern fest, als wäre er es gewohnt, Probleme auf Kosten seines persönlichen Wohlbefindens zu lösen; doch als ich mich ihm zuwandte, überraschte mich sein flehentlicher Gesichtsausdruck. Das Weiß seiner rot umrandeten Augen schimmerte gelblich, das akkurat geschnittene Haar stand ihm dort, wo er es gerauft hatte, vom Kopf ab.

»Angeblich senken sie vor dem Start den Sauerstoffgehalt der Kabinenluft, damit die Leute schläfrig werden«, sagte er. »Die sollten sich also wirklich nicht beschweren, wenn es funktioniert. Ich habe«, fügte er hinzu, »einen Freund, der solche Dinger fliegt. Der hat mir das erzählt.«

Seltsamerweise sei der Freund trotz seines Berufes ein fanatischer Naturschützer. Er fahre ein winziges Elektroauto und beziehe den Strom für sein Haus ausschließlich aus Solarzellen und Windkraftanlagen.

»Wenn er bei uns zum Abendessen eingeladen ist«, sagte der Mann, »steht er anschließend draußen an den Recyclingtonnen und trennt den Müll, während alle anderen sich drinnen die Kante geben. Seine Idealvorstellung von Urlaub sieht so aus, dass er seine Campingausrüstung auf einen walisischen Berg schleppt, zwei Wochen lang bei strömendem Regen im Zelt hockt und mit den Schafen redet.«

Und doch legte derselbe Mann regelmäßig seine Uniform an und setzte sich ins Cockpit einer zweihundert Tonnen schweren, Rauch speienden Maschine, um eine...

Erscheint lt. Verlag 11.7.2018
Reihe/Serie Die Outline-Trilogie
Die Outline-Trilogie
Übersetzer Eva Bonné
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Kudos
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Autofiktion • Autorenlesung • Autorin • Beziehung • Beziehungen • Bühnengespräche • Ehe • Eleganz • Familie • Faye • Feminismus • Fiktion • Frau • Frauen im Literaturbetrieb • Frau und Gesellschaft • Geschlechterverhältnis • Gespräche • Heimat • Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis 2022 • Identität • Identitätsfindung • Introspektion • Kinder • Kudos deutsch • Lebensentwurf • Lebensgeschichte • Lebensgeschichten • Lesung • Literaturbetrieb • Literaturfestival • Mann und Frau • narrative • Outline • Paarbeziehungen • Partnerschaft • private Katastrophe • Prosa • Satire • Scheidung • Schriftstellerin • Selbstbestimmung • Selbstoptimierung • ST 5065 • ST5065 • suhrkamp taschenbuch 5065 • The Goldsmiths Prize 2024 • Transit • Verletzung • Vermarktungsstrategien • Voyeurismus • Weibliche Odyssee • weibliche Perspektive • weiblicher Heroismus • Weibliches Sehen • Witz • Zuhören
ISBN-13 9783518756942 / 9783518756942
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