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Noch war es Nacht (eBook)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-30026-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Noch war es Nacht -  Antonella Lattanzi
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Ein düsteres, aufgeheiztes Rom. Eine Leidenschaft, die außer Kontrolle gerät. Es ist der dritte Geburtstag von Mara, der Tochter von Carla und Vito. Vito war der einzige Mann in Carlas Leben. Sie haben jung geheiratet, sind von Bari nach Rom gezogen, haben drei Kinder bekommen. Sie haben sich geliebt, aber Vitos Liebe war obsessiv, gewalttätig. Ein Lächeln, ein zu kurzes Kleid haben gereicht, damit Vito den Verstand verlor und sie schlug. Erst als die älteren beiden Kinder groß genug waren, um das Haus zu verlassen, hat Carla es geschafft, sich zu trennen und mit der jüngsten Tochter Mara in eine kleine Wohnung umzuziehen. Aber Vito hörte nicht auf, sie zu verfolgen, ihr zu drohen. An diesem dritten Geburtstag von Mara entscheidet Carla dennoch, dem Drängen ihrer Tochter nachzugeben und Vito zu der Feier einzuladen. Es kommen auch die beiden großen Kinder, Nicola und Rosa. Nach langer Zeit ist die Familie wieder vereint. Das Fest verläuft unerwartet glatt. Aber nach jenem Abend ist Vito spurlos verschwunden.

Antonella Lattanzi wurde 1979 in Bari geboren und studierte Literatur in Rom. Sie arbeitet als Drehbuchautorin für das Kino und ist für ihr Werk mit diversen Preisen ausgezeichnet worden. Die Filmrechte von «Noch war es Nacht» sind an die Produktionsfirma Lucky Red verkauft, die daraus eine TV-Serie herstellen wird. Das Drehbuch schreibt Lattanzi selbst. Seit 2010 unterrichtet Lattanzi an der von Alessandro Baricco und Carlo Feltrinelli gegründeten berühmtesten Schule Italiens für creative writing, der Scuola Holden. Antonella Lattanzi lebt in Rom.

Antonella Lattanzi wurde 1979 in Bari geboren und studierte Literatur in Rom. Sie arbeitet als Drehbuchautorin für das Kino und ist für ihr Werk mit diversen Preisen ausgezeichnet worden. Die Filmrechte von «Noch war es Nacht» sind an die Produktionsfirma Lucky Red verkauft, die daraus eine TV-Serie herstellen wird. Das Drehbuch schreibt Lattanzi selbst. Seit 2010 unterrichtet Lattanzi an der von Alessandro Baricco und Carlo Feltrinelli gegründeten berühmtesten Schule Italiens für creative writing, der Scuola Holden. Antonella Lattanzi lebt in Rom.

3


Milena war vierzig und hatte eine sechzehnjährige Tochter. Am Tag darauf, dem 7. August, erschien sie in Vitos Wohnung, der Wohnung, in der er mit Carla und den gemeinsamen Kindern zwanzig Jahre lang zusammengewohnt hatte. Es war gegen zwei Uhr nachmittags. Milena wirkte schüchtern. Sie trug eine hochgeschlossene blassrosa Bluse und einen knielangen, dunkelgrauen Rock. Sie hatte ihre Tochter im Schlepptau. Nuccia, Vitos Zugehfrau, öffnete ihnen.

«Wer ist da?», fragte sie, als würde Milena nicht hier vor ihr stehen. Sie betrachtete sie mit gerunzelter Stirn.

Milena nahm den Geruch von gutem Essen und Putzmitteln wahr. Auf der Straße hupte ein Lastwagen. Eine Möwe kreischte, sie hackte mit ihrem harten Schnabel auf eine Taube ein, zerfledderte ihren Kopf, als wäre er aus Butter, und pickte darauf herum.

Im Fernsehen lief gerade eine Sendung über irgendeinen Rechtsstreit: «Also» – eine Frau machte ein konsterniertes Gesicht –, «ich sage nicht, dass ich meine Mutter aus dem Haus jagen will, aber …»

Nuccia konnte einen unendlich lange mit gerunzelter Stirn ansehen. Sie war klein, nervös, an ihren mageren Armen traten die Venen hervor. Sie könnte genauso gut siebzig sein wie fünfzig. Über ihrer Oberlippe und auf dem Kinn war ein ungepflegter Flaum zu erkennen. Sie trug Schlappen und einen blauen Arbeitskittel, der von oben bis unten zugeknöpft war. Kerzengerade stand sie da, die Hand auf der Türklinke. Milena senkte den Blick. Ihre Tochter Paola, die hinter ihr stand, war viel zu klein für ihr Alter. Sie schien noch ein Kind, höchstens zwölf, so zierlich, dass man sie umarmen wollte.

«Wer ist da?», wiederholte Nuccia und sah Milena weiter an. Sie hatte einen übertrieben süditalienischen Akzent. Wenn man den Dialekt von Massafra nicht kannte, hätte man meinen können, sie sei aus Sizilien. Sie machte Anstalten, Milena die Tür vor der Nase zuzuschlagen, als die fragte:

«Ist Signor Vito da?»

«Nein.» Wieder wollte Nuccia die Tür schließen.

«Entschuldigen Sie.» Milena setzte einen Fuß in die Tür, wirkte dabei jedoch so gefügig, dass dieser Akt mehr als Zufall erschien. «Wissen Sie, wo er ist?»

«Nein.» Nuccia sah auf Milenas Fuß.

«Sein Handy ist seit Stunden ausgeschaltet. Entschuldigen Sie, Signora, wirklich, es ist nur … ich sollte ihn heute früh treffen, wir wollten …» Sie schüttelte den Kopf. «Es kommt mir so seltsam vor.»

Nuccia sah auf die Uhr. Paola spähte ins Haus und bemerkte, dass im Esszimmer gedeckt war. Ein langer Tisch, wahrscheinlich aus Holz, ein weißes, handbesticktes Tischtuch, das aus einer Aussteuer zu stammen schien. Aber es waren nur ein einziger Teller und ein einziges Besteck gedeckt, am Tischende.

«Woher soll ich das wissen?» Nuccia warf einen mitleidigen oder verachtenden Blick auf das Mädchen und schloss die Tür, indem sie Milenas Fuß wegdrückte.

Milena und ihrer Tochter wurde die Tür ins Gesicht geschlagen. Sie machten einen Schritt zurück.

 

Nuccia wischte sich die Hände an dem Kittel ab. In ihrer Tasche klingelte es.

«Hallo, Gianni», sagte sie. «Ich bin noch da. Signor Vito ist bisher nicht gekommen.»

Sie ging in die Küche, drehte die Lautstärke des Fernsehers zurück. Es war eine große Küche, für viele Leute, nach altem Stil eingerichtet, wie man sie in den Dörfern im Süden findet. Sie hatte auch den typischen Geruch alter Häuser aus dem Süden, den man nicht wegkriegt. Der Mann, den Nuccia mit «Gianni» angesprochen hatte, schien ihr etwas zu sagen zu haben, denn sie hörte ihm lange zu. Dann sagte sie:

«Er bat mich, das Essen um eins fertig zu haben. Und wie spät ist es jetzt?» Nuccia sah erneut auf die Uhr. Sie zeigte zehn nach zwei. «Er hat gesagt: ‹Und bitte pünktlich um eins.› Um halb zwei wollte er wieder los.»

Wieder hörte sie zu.

«Ja, ich weiß.»

Und hörte weiter zu.

«Wenn er nicht bald kommt, gehe ich nach Hause.»

Kurz darauf klingelte das Festnetztelefon. Nuccia stand gerade vor den Ofen gebeugt, in dem sie die Speisen warm hielt. Sie schaffte es nicht rechtzeitig ranzugehen, sodass der Anrufbeantworter ansprang. Sie vernahm die Stimme am anderen Ende des Telefons.

«Ist Vito da, he, Nuccia?»

Die Stimme klang eisig, als wäre sie wütend auf sie.

«Guten Tag, Signora Mimma. Nein, hier ist er nicht», sagte Nuccia ehrerbietig.

«Er hat das Handy ausgeschaltet. Ich versuche ihn seit sechs Uhr morgens anzurufen», sagte die Stimme von Signora Mimma zu jemand anderem. Dann wieder zu Nuccia: «Ich telefoniere jeden Morgen nach dem Aufstehen mit meinem Bruder. Er schaltet sein Handy nie aus. Warum antwortet er heute nicht?»

«Was weiß ich? … Vielleicht ist die Batterie leer.»

«Er soll mich sofort anrufen, wenn er kommt.»

Aber es vergingen weitere zehn Minuten, dann zwanzig.

Nuccia zog sich im Bad aus. Nackt war sie klein, runzelig und unbehaart – was man angesichts ihres Damenbartes nicht erwarten würde. Sie war runzelig, aber muskulös. Der ganze Körper wirkte leicht gebräunt, nur die Brüste und die Schamgegend waren ein wenig heller. Auf der Haut waren da und dort Zeichen von kleinen Verbrennungen zu sehen, die eine oder andere winzige Narbe und eine größere, die länglich über den Bauch verlief. Sie legte den Arbeitskittel zusammen. Dann schlüpfte sie in den BH, die Unterhose, den schwarzen geflickten Unterrock, den Pulli mit Papageienmuster, den schwarzen Rock. Sie verließ das Bad, sah sich um, schrieb eine Nachricht auf ein Kärtchen und legte es unter den Teller am Tischende. Sie sammelte ihre Sachen zusammen, nahm die Tasche von der Eingangstür, zog die Schuhe an, die sie vor der Tür stehengelassen hatte, und ging.

 

Vitos Mutter, Signora Titina, war vor einem Jahr gestorben. Die Musikkapelle spielte auf, als die trauernden Frauen in ihr Haus in Massafra kamen. Allen im Dorf flößte die Familie Semeraro großen Respekt ein und auch noch etwas anderes. Die Abwesenheit von Carla und Mara beim Begräbnis hatte damals mehr Aufsehen erregt als die Todesnachricht. Rosa hingegen war da, am Kopfende des Bettes der Großmutter, und hörte nicht auf zu weinen. Sie sah ihren Vater an, der von Kummer gebeugt auf einem Stuhl saß. Nicola stand abseits und beobachtete die Szene mit ernstem, unergründlichem Gesicht. Vitos Vater, Don Peppino, «der General», hatte vor fünf Jahren einen Schlaganfall erlitten und war seitdem nicht mehr aus dem Bett aufgestanden. Das Einzige, was er noch machte, war sabbern und die Augen verdrehen. Er war der Erste aus der Familie, der eine höhere Schule besucht hatte. Dann war er im Krieg gewesen und zum General ernannt worden. Nach seiner Heimkehr war er damit beschäftigt gewesen, Freundschaften zu knüpfen. Jahrelang war er Bürgermeister von Massafra gewesen.

Die Mutter war tot, der Vater krank. Vito war mit zweiundvierzig das jüngste Kind. Blieben seine vier Schwestern. Mimma, die älteste, war dreiundfünfzig. Sie war mit einem Mann verheiratet, den Don Peppino in die «Geschäfte» eingeführt hatte. Im Unterschied zu den Schwestern war er, seit Vito für den Militärdienst nach Rom gegangen war, sehr oft zwischen Massafra und Rom hin und her gefahren.

Die Stunden vergingen, und Mimmas Bruder tauchte nicht auf. Sie benachrichtigte die Freunde des Generals, packte ihren Koffer und stieg in den Regionalzug von Massafra nach Bari. Von da wollte sie den Frecciargento in die Hauptstadt nehmen. Doch der Zufall wollte es, dass schon kurz vor Modugno ihr Handy klingelte. Don Peppinos Zustand hat sich verschlechtert. Komm zurück. Vielleicht hat er etwas bemerkt. Mimmas Schwester Angela traute sich nicht zu, alleine mit ihm fertig zu werden. Auf die anderen beiden – Lilliana und Fausta – konnte man sowieso nicht zählen, wie alle wussten. Also stieg Mimma in Modugno aus. Was sollte sie jetzt tun? Unter einer erbarmungslosen Sonne überquerte sie die Gleise. Selbst ihre flachen Schuhabsätze gruben sich in den Kies zwischen den Schienen. Das Bahnhofshäuschen war gelb mit einem roten Dach, die Wände waren beschmiert. Mit Mühe gelangte Mimma zu dem gegenüberliegenden Bahnsteig und kehrte nach Hause zurück.

Die Freunde waren bereits losgeschickt worden.

«Vito, dieser Drückeberger, wird schon rauskommen, wo auch immer er steckt», sagte Mimma zu ihrem Mann.

 

Es war immer noch der 7. August, abends. Nicola lag ausgestreckt auf seinem schmalen Bett. Die Wohnung, in der er mit seiner Schwester und anderen wohnte, war viel zu eng, aber sie konnten sich nichts anderes leisten. Nicolas Zimmer war winzig, was immer noch besser war, als sein Zimmer mit jemandem teilen zu müssen, wie es Rosa tat. Die Wohnung lag ebenerdig, auf der einen Seite ging sie auf einen kleinen Hof, auf der anderen Seite auf die Straße. Die Küche hatte schmutzige gelbe Fliesen, ein wenig dreckig war es eigentlich überall. Der Rollladen an der Balkontür war seit Ewigkeiten halb kaputt. Dahinter erahnte man den kleinen Hof, in dem sich Müll und Zigarettenstummel häuften. Von der Küche kam man in einen schmalen Flur, von dem vier Türen abgingen, plus die Badezimmertür. Insgesamt waren es sechs Bewohner, auf vier Zimmer verteilt. Die Miete wurde unerbittlich schwarz bezahlt, an eine nicht näher identifizierbare Witwe Sirone. Zum Kassieren kamen die Söhne der Witwe einmal im Monat vorbei. In bar, ohne Belege. An der Eingangstür hatte einer der Mitbewohner – ein Junge aus den Abbruzzen, der schon lange dort wohnte – auf ein altes Foto von Maradona zwei Zeiger montiert. Es sah tatsächlich wie eine...

Erscheint lt. Verlag 21.8.2018
Übersetzer Margit Knapp
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte August • Carla • Familie • Gewalt • Italien • Italienischer Krimi • ItalienKrimi • italien romane • Kepnes • Krimi • Leiche • Liebe • Manuel • Mara • Mord • Müllhalde • Nicola • Obsession • Prozess • Rache • Rom • Rosa • Sommer • Stalker • Vito • You
ISBN-10 3-644-30026-7 / 3644300267
ISBN-13 978-3-644-30026-2 / 9783644300262
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