Jerry Cotton Sonder-Edition 81 (eBook)
80 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-6620-4 (ISBN)
Als Mr High während der Einsatzbesprechung an die Karte trat und den Zeigefinger auf Honolulu legte, zuckten Phil und ich wie elektrisiert zusammen. Honolulu! Wir dachten an schlanke, braun gebrannte junge Frauen, an Palmen und weißen Sandstrand vor blauem Meer. Aber es kam ganz anders. Statt mit den Blumenkränzen der Hula Hula Girls bekamen wir es mit Millionen von 'Blüten' zu tun, die sich in den Taschen brutaler Mörder befanden. Und statt nach hawaiianischen Klängen tanzten wir einen wahren Teufelstanz zum Stakkato hämmernder Maschinenpistolen ...
1
Der Name stand in nüchternen Schreibmaschinenbuchstaben auf dem Aktendeckel: Glendon Gardiner. Der Aktenordner war schmal, ein sicheres Zeichen dafür, dass wir wenig über den Mann wussten. Gardiner vermietete sich und seine Gang an Bosse, die entweder nicht über genug Leute verfügten oder die aus irgendwelchen Gründen in einem bestimmten Fall die eigenen Leute nicht einsetzen wollten. Seine Auftraggeber wechselten ebenso häufig wie der Schauplatz seiner Tätigkeit, aber sein Standquartier blieb New York. Er kehrte immer wieder in die luxuriöse Dreihundert-Quadratyard-Wohnung im sechzehnten und letzten Stockwerk eines Wolkenkratzers an der Paladino Avenue zurück.
War Glendon Gardiner ein Berufskiller? Wir glaubten, dass auch Mord auf seinem Lieferprogramm stand, aber wir hielten ihn für mehr als einen gewöhnlichen Auftragskiller. Bei ihm konnte man jede Art Verbrechen bestellen, vom illegalen Transport schwarzgebrannten Schnapses bis zum Mordanschlag auf einen Konkurrenten. Wenn unsere Vermutungen stimmten, dann musste Gardiner schon für mindestens ein Dutzend Gangsterbosse gearbeitet haben. Und wenn wir ihn fassen konnten, gingen mit ihm zwei Dutzend …
Ich legte den Aktenordner in das Schreibtischfach zurück. Niemand vom FBI hatte jemals mit Glendon Gardiner gesprochen. Ich hielt es für wichtig, mir den Mann, den ich jagen sollte, aus der Nähe anzusehen. Seine Telefonnummer stand in den Akten. Ich nahm den Hörer ab und wählte.
Drei- oder viermal hörte ich das Summen des ankommenden Rufs. Dann meldete sich eine Männerstimme mit einem »Hallo«.
»Sind Sie Mister Gardiner?«
»Ja. Wer sind Sie?«
»Cotton vom FBI. Ich will mit Ihnen sprechen, Gardiner.«
»Wollen Sie mich vorladen?«
»Zu einer Vorladung langt’s noch nicht.«
»Was liegt gegen mich vor?«, wollte der Mann wissen.
»Denken Sie mal selbst darüber nach. Sicher wird Ihnen das ein oder andere einfallen. Wann können Sie ins FBI-Hauptquartier kommen?«
»Zum Teufel, ich habe meine Zeit nicht gestohlen und kann es mir nicht leisten, sie in einem sinnlosen Geschwätz mit Ihnen zu vergeuden. Ich muss jetzt auflegen, G-man. An meiner Tür wird geklingelt.«
»Tut mir wirklich leid, Gardiner, aber ich muss unbedingt erfahren, was Sie im Februar in Alabama und im März in Salt Lake City getan haben.«
Er schwieg einige Sekunden lang, und in das Schweigen hörte ich das Läuten seiner Türklingel.
»Okay, ich weiß, dass man einen Schnüffler nur loswird, wenn man seine Nasenlöcher mit Alibis zukleistert. Verdammt, lassen Sie mich diese Tür öffnen, Agent. Der Kerl macht mich mit seinem Läuten verrückt.«
»Ich warte, Gardiner!«
Er überlegte es sich anders. »Sie bestehen darauf, mit mir zu sprechen, nicht wahr? Warum soll ich mich durch das miese Wetter in eure schäbige Bude bemühen? Wenn Sie mich sehen wollen, machen Sie sich auf die Socken und kommen Sie her.«
»Wann?«
»Meinetwegen sofort. Ich stehe zu Ihrer Verfügung, sobald ich diesen hartnäckigen Klingler in den Fahrstuhlschacht geworfen haben werde, wer immer es sein mag.« Er trennte die Verbindung.
Ich ließ den Hörer auf die Gabel gleiten, meldete mich über die Hausrufanlage bei der Einsatzleitung ab und verließ das Hauptquartier. Der Jaguar brachte mich in knapp zehn Minuten zur Paladino Avenue. Die aluminiumverkleidete Kabine des Selbstbedienungslifts schoss mich in die sechzehnte Etage hoch.
Diese Etage gehörte Glendon Gardiner allein. Der Eingang zu seiner Wohnung lag dem Lift unmittelbar gegenüber. Die Messingbuchstaben, die auf der weißen Türfüllung seinen Namen formten, glänzten wie poliertes Gold.
Ich klingelte. Niemand öffnete, und nach einer Minute klingelte ich wieder und nachdrücklicher. Mein Blick fiel auf einen runden Gegenstand vor meinen Füßen. Ich bückte mich und hob ihn auf. Es war ein schäbiger, mittelgroßer Mantelknopf. Als ich ihn zwischen den Fingern drehte, färbten sich meine Fingerkuppen rot.
Ich warf mich gegen die Tür. Sie gab nicht nach. Ich trat sechs- oder siebenmal gegen das Schloss, bis endlich die Lasche ausriss.
Der Anblick nahm mir den Atem. Glendon Gardiner lag in einer Blutlache. Die Wände, die Möbel, die weißen Türen zu den anderen Räumen waren blutbespritzt. Der Mörder hatte sich nicht damit begnügt, ihn zu töten. Er musste auf den längst toten Mann wie ein Rasender eingeschlagen haben.
Ich ging langsam um den Toten herum. Es war schwierig, nicht in Blut zu treten. Auf der Suche nach einem Telefon stieß ich der Reihe nach die Türen auf. Die vierte Tür führte in Gardiners Wohnraum, ein großes Zimmer mit überdimensionaler Fensterfront zur Dachterrasse.
Der Mann stand mitten im Raum. Er hatte tiefschwarzes, glattes Haar, ein braunes Gesicht mit einer breiten Nase, einem dicklippigen Mund und dunklen, feuchten Augen. In einem verzerrten, festgefrorenen Lächeln zeigte er ein makelloses Raubtiergebiss. In den Händen hielt er eine unterarmlange Machete. Von der nach innen gekrümmten Spitze tropfte das Blut. Der graue, offene Regenmantel, die zerfransten Leinenschuhe, die blaue Hose – alles war blutbespritzt, ja blutgetränkt. Es gab keinen Zweifel, dass ich Gardiners Mörder gegenüberstand.
Ich griff nicht nach dem 38er. Der Mann war ein Verrückter, den der Anblick eines Revolvers nicht einschüchtern konnte.
»Hallo«, sagte ich halblaut. »Ich glaube, es wäre besser für uns beide, wenn du das Haumesser fallen ließest.«
Er reagierte nicht.
»Ich hoffe, du verstehst Englisch?«
Jetzt nickte er. »Malaoh will gehen«, stieß er hervor. »Mister lässt Malaoh gehen, bitte!«
»Leg jetzt die Machete aus den Händen!«
Er war nur mittelgroß. Auf den ersten Blick schien er nicht besonders muskulös, sondern eher ein wenig fett zu sein, aber seine Bewegungen hatten die Kraft und die Geschmeidigkeit einer zustoßenden Schlange. Mit fürchterlichem Schwung zerschnitt die Machete die Luft. Ich rettete mich mit einem mächtigen Rückwärtssatz. Meine Hand fuhr zum Jackenausschnitt hoch.
Gardiners Mörder drang weiter auf mich ein. Immer noch lag auf seinem Gesicht das gefrorene Lächeln, als wolle er ausdrücken, es handele sich nur um ein Spiel, aber es war kein Spiel. Er handhabte das Haumesser mit solcher Wucht, dass ein Hieb genügt hätte, mir einen Arm abzutrennen oder auch den Kopf.
Ich bekam etwas Luft, als ich den Schreibtisch zwischen ihn und mich bringen konnte. Im passenden Augenblick benutzte ich ihn als Rammbock. Die Kante traf den Fremden in Höhe der Magengrube. Er knickte zusammen. Die Luft blieb ihm für Sekunden weg. Ich ließ den Tisch los, packte mit beiden Fäusten den Schreibtischsessel und ging auf den Mann mit der Machete los.
»Ich glaube, du solltest jetzt aufgeben«, sagte ich ruhig.
Er sprang mich an. Das schwere Buschmesser sauste nieder. Ich wich nicht mehr aus, sondern fing den Hieb mit dem Stuhl ab. Holz krachte, als die Machete eine Querleiste durchschnitt. Er riss die Waffe zurück, aber ich ließ ihm nicht die Zeit für einen neuen Hieb. Ich schlug ihm den Schreibtischsessel um die Ohren. Die Machete klirrte auf den Boden. Der Mann taumelte, stürzte. Ich ließ den Stuhl fallen. Als er sich aufrichtete, stand ich schon vor ihm. Meine Faust explodierte an seinem Kinn. Er wurde herumgeschleudert, krachte auf den Rücken und blieb mit ausgebreiteten Armen liegen.
Ich legte das Haumesser auf die Mahagoniplatte des Schreibtischs. Das Telefon lag auf dem Boden, aber es funktionierte noch. Ich rief das Hauptquartier an und ließ mich mit Phil verbinden.
»Komm zur Paladino Avenue, Dresher House, sechzehnter Stock, Wohnung von Glendon Gardiner.«
»Der Mann, der zurzeit auf deinem Jagdprogramm steht?«, fragte mein Partner.
»Die Jagd ist zu Ende. Gardiner wurde vor zehn Minuten ermordet. Der Mörder hat eine Machete benutzt.«
»Eine was?«
»Ein Haumesser.«
»Verdammt exotische Waffe für einen Mord in New York.«
»Der Mörder ist ein Exote, Phil.«
»Kennst du ihn?«
»Er war noch da, als ich kam, und er ist auch jetzt noch hier. Ich fürchte, er wird erneut verrücktspielen, sobald er wieder zu sich gekommen ist. Also beeil dich!«
Ich legte auf. Ich hätte mir gern das Blut von den Händen gewaschen, aber ich fürchtete, die Bewusstlosigkeit des Machetenmörders würde nicht lange anhalten. Schon zuckten seine Augenlider.
Die Tür zur Diele stand offen. Von Gardiners Körper konnte ich die Beine sehen und dahinter den Flur. Der Lift kam nach oben. Ich hörte die Stimmen von Männern.
Drei Männer erschienen in der Türöffnung. Beim Anblick von Gardiners Körper geriet ihr Gespräch ins Stocken. Sekundenlang starrten sie auf den Toten.
»Das ist Glen«, sagte einer halblaut.
Gardiners Mörder machte eine Bewegung und lenkte damit meine Aufmerksamkeit auf sich. Er richtete den Oberkörper auf.
»Bleib, wo du bist«, befahl ich. »Steh nicht auf!«
Als ich den Kopf hob, standen die drei Männer in der Türöffnung. Jeder hielt eine Waffe in der Hand.
»Beweg dich nicht«, verlangte der vorderste Mann. Er war ungefähr so groß wie ich, dreißig Jahre alt, mit dichtem blondem Haar und einem scharf geschnittenen Gesicht. »Hast du Glen gekillt?«
»Unsinn! Du bist Art Ranger?«
Er nickte. Über Arthur Ranger wussten wir, dass er als Gardiners rechte Hand galt. Als Jugendlicher hatte er sich an einer Serie von Verbrechen beteiligt, die sich durch ungewöhnliche...
| Erscheint lt. Verlag | 19.6.2018 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Jerry Cotton Sonder-Edition | Jerry Cotton Sonder-Edition |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • erste fälle • erste-fälle • gman • G-Man • Hamburg • Horst-Bosetzky • international • Kindle • Krimi • Krimiautoren • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Krimis • krimis&thriller • letzte fälle • martin-barkawitz • nick-carter • Polizeiroman • Reihe • Roman-Heft • schwerste fälle • schwerste-fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • Spannungsroman • stefan-wollschläger • Stefan Wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • uksak • Wegner |
| ISBN-10 | 3-7325-6620-X / 373256620X |
| ISBN-13 | 978-3-7325-6620-4 / 9783732566204 |
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