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Fräulein Nettes kurzer Sommer (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
592 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31741-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Fräulein Nettes kurzer Sommer -  Karen Duve
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Karen Duves trocken-lakonischer wie bitter-ironischer Roman über die junge Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Das historisch genaue Porträt einer jungen Frau in einer Welt, in der nichts so blieb, wie es war. Fräulein Nette ist eine Nervensäge! Dreiundzwanzig Jahre alt, heftig, störrisch und vorlaut, ist sie das schwarze Schaf, das nicht in die Herde ihrer adligen Verwandten passen will. Während ihre Tanten und Cousinen brav am Kamin sitzen und sticken, zieht sie mit einem Berghammer bewaffnet in die Mergelgruben, um nach Mineralien zu stöbern. Die Säume ihrer Kleider sind im Grunde immer verschmutzt! Das Schlimmste aber ist ihre scharfe Zunge. Wenn die Künstlerfreunde ihres Onkels August nach Bökerhof kommen, über Kunst und Politik sprechen, mischt sie sich ungefragt ein. Wilhelm Grimm bekommt bereits Panik, wenn er sie nur sieht.  Ein Enfant terrible ist sie, wohl aber nicht für alle. Heinrich Straube, genialischer Mittelpunkt der Göttinger Poetengilde, fühlt sich jedenfalls sehr hingezogen zu der Nichte seines besten Freundes. Seine Annäherungsversuche im Treibhaus der Familie bleiben durchaus nicht unerwidert. Allerdings ist er nicht der einzige. Was folgt ist eine Liebeskatastrophe mit familiärem Flächenbrand.

Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren, lebt in der Märkischen Schweiz. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Ihre Romane Regenroman (1999), Dies ist kein Liebeslied (2002), Die entführte Prinzessin (2005) und Taxi (2008) waren Bestseller und sind in 14 Sprachen übersetzt. 2011 erschien ihr Selbstversuch Anständig essen, 2014 ihre Streitschrift Warum die Sache schiefgeht. Die Verfilmung ihres Romans Taxi kam 2015 in die Kinos. 2016 sorgte sie mit ihrem Roman Macht für Aufruhr und wurde mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2017) ausgezeichnet. Für ihren Roman Fräulein Nettes kurzer Sommer (2018) wurde Karen Duve mit dem Carl-Amery-Preis, dem Düsseldorfer Literaturpreis und dem Solothurner Literaturpreis ausgezeichnet.

Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren, lebt in der Märkischen Schweiz. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Ihre Romane Regenroman (1999), Dies ist kein Liebeslied (2002), Die entführte Prinzessin (2005) und Taxi (2008) waren Bestseller und sind in 14 Sprachen übersetzt. 2011 erschien ihr Selbstversuch Anständig essen, 2014 ihre Streitschrift Warum die Sache schiefgeht. Die Verfilmung ihres Romans Taxi kam 2015 in die Kinos. 2016 sorgte sie mit ihrem Roman Macht für Aufruhr und wurde mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2017) ausgezeichnet. Für ihren Roman Fräulein Nettes kurzer Sommer (2018) wurde Karen Duve mit dem Carl-Amery-Preis, dem Düsseldorfer Literaturpreis und dem Solothurner Literaturpreis ausgezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel Zu früh geboren


Annette von Droste-Hülshoff war eine Nervensäge. Schon ihre Geburt hatte den Eltern Kummer bereitet. An einem klirrend kalten Januarmorgen des Jahres 1797 war ihre schwangere Mutter, Therese von Droste-Hülshoff – eine Autorität in Anstandsfragen, die normalerweise jedes auffällige Benehmen, dieses bürgerliche Verhalten, wie den Tod scheute –, auf die fixe Idee gekommen, ganz allein auf dem zugefrorenen Burggraben einmal rund um das Hülshoff’sche Wasserschloss zu schliddern, und prompt gestürzt. Mit hochrotem Kopf nach allen Seiten äugend, ob jemand das peinliche Missgeschick beobachtet haben könnte, rappelte sie sich wieder auf, klopfte sich den Schnee vom Rock und verfügte sich beschämt in ihre Gemächer. Kurz darauf setzten die Wehen ein, zwei Monate zu früh, und Therese gebar ein winziges, kümmerliches Geschöpf mit noch winzigeren Händchen, die Finger wie Spatzenkrallen und die Nägel daran kaum wahrnehmbare Häutchen. Man hatte auf einen Sohn gehofft. Eine Tochter – Jenny – gab es ja bereits, wozu also noch eine? Clemens-August II. von Droste-Hülshoff, der wenig glückliche Vater, durfte das ererbte Schloss samt Teehaus, Parkanlage und Pachteinnahmen von etwa hundert umliegenden Bauernhöfen auf insgesamt 750 Hektar Land nur behalten, wenn er mit einer katholischen Frau einen Sohn zeugte. So waren die Bedingungen. Weswegen er sich nach dem frühen Tod seiner ersten Frau auch nur eine kurze Trauerzeit erlaubt und schon bald alle Damenstifte der Umgebung abgeklappert hatte, um sich schließlich mit Therese an das Zeugungsgeschäft zu machen. Und nun dieser weibliche Wurm. Niemand glaubte, dass das Kind überleben würde. Die Mutter war zu schwach, um es zu stillen. Zum Glück gab es im nahen Altenberge eine Webersfrau, Katharina Plettendorf, die ebenfalls gerade niedergekommen war, ungerechterweise mit einem Sohn, aber was sollte man machen. Die Plettendorf zog ins Schloss und rettete der kleinen Freiin das Leben. Allerdings blieb das Kind stets schwächlich und von zarter Gesundheit. Da fehlten eben zwei Monate, und von den ständig wallenden Nebeln rund um die westfälische Wasserburg bekam man auch nicht gerade rote Backen.

Als Annette heranwuchs, gesellte sich zu der zerbrechlichen Konstitution ein heftiges und störrisches Wesen. Sie zeigte wenig Neigung, sich mit angemessenen Beschäftigungen aufzuhalten, stromerte in der matschigen Moorlandschaft herum, kam mit verkrusteten Stiefeln und Kleidersäumen zurück und schwänzte den Unterricht, den sie gemeinsam mit ihrer Schwester und den beiden zur allseitigen Erleichterung schließlich doch noch geborenen Brüdern bei einem Hauslehrer nehmen durfte. Mathematik, Latein, Griechisch und Französisch waren keine selbstverständliche Ausbildung für junge Damen – Französisch ging gerade noch durch, Mathematik aber auf gar keinen Fall. Der Unterricht von Mädchen bestand normalerweise darin, sie in sittsamer Langeweile aufwachsen zu lassen und durch möglichst stumpfsinnige Handarbeiten geistig zu verstümmeln. Schon Rousseau hatte das empfohlen. Frömmigkeit und Unschuld anstelle von Wissen, Sanftmut statt Algebra. Außerdem sollte man ihnen so viel wie möglich verbieten. So kamen die jungen Damen gar nicht erst auf dumme Ideen und entwickelten jene vollkommene Gefügigkeit und allduldende Schicksalsergebenheit, die sie ein Leben lang benötigen würden. Doch der Adel sah das nicht ganz so eng, und Annettes Mutter las außer Rousseau auch noch die Schriften des Reformpädagogen Overberg. Sie kannte Overberg persönlich, hatte mit ihm schon das eine oder andere Kännchen Kaffee geleert und pflegte einen für die ausgehende Feudalzeit ausgesprochen modernen Erziehungsstil. Die Geschwister durften ihre Eltern sogar mit Du anreden. Mitunter fragte sich Therese von Droste-Hülshoff, ob sie dadurch vielleicht unbeabsichtigt die Saat zur Unangepasstheit, zur Aufdringlichkeit, zum Vorlauten und Heftigen in Annettes Wesen gelegt haben könnte. Zweifellos: Das Kind besaß auch kleine Begabungen, spielte recht passabel Klavier und reimte hübsche Sächelchen, die sich an Geburts- und Feiertagen nett vortragen ließen. Aber musste denn eine Zwölfjährige unbedingt in Hexametern dichten und den Erwachsenen, die sie dafür lobten, so einen gelangweilten und besserwisserischen Blick zuwerfen? Die Freifrau versuchte, der Seltsamkeit ihrer Tochter durch stille Beschäftigungen wie Sticken, Häkeln oder Malen entgegenzuwirken. Und als eines Tages der Brief eines gewissen Herrn Raßmann eintraf, darin er Annette um einen Beitrag zu seinem Poetischen Tagebuch auf das Jahr 1810 bat, beschloss Therese von Droste-Hülshoff sofort, den Brief verschwinden zu lassen und niemandem etwas davon zu erzählen – schon gar nicht Annette. Overberg, der gerade mit am Kaffeetisch saß, als der Brief eintraf, stimmte zu.

»Nein, das dürfen Sie nicht zulassen. Auf gar keinen Fall!«

Er stellte die Kaffeetasse energisch, aber geräuschlos auf dem Hülshoff’schen Tisch ab und versenkte das Kinn im Stehkragen seines rabenschwarzen Rocks.

»Halten Sie Ihre Tochter von jedem Lob ferne, ganz gleich wie vorzüglich die Fähigkeiten sind! Nicht einmal Sie selber dürfen sie loben – sonst wird sie hochmütig und träge.«

»Ich möchte nur wissen, wer diesem Raßmann von meiner Tochter erzählt hat«, schnaubte die Freifrau. »Wenn Gäste sich von Annettes impertinenten Auftritten blenden lassen – na gut, gegen Unverstand lässt sich nichts machen. Aber ich werde nicht zulassen, dass jemand in meiner Tochter die Einbildung erweckt, sie sei ein bedeutendes poetisches Talent. Denn das ist sie ja nun ganz gewiss nicht.«

»Ganz gewiss nicht«, echote Overberg, hob seine Tasse wieder an den Mund und spitzte schon mal die Oberlippe.

»Annette muss vor den Enttäuschungen, die eine solche Einbildung unweigerlich nach sich zieht, bewahrt werden.«

 

Doch dann trat Werner von Haxthausen auf den Plan. Werner war einer von Therese von Droste-Hülshoffs Stiefbrüdern. Ihre eigene Mutter war kurz nach der Geburt erst achtzehnjährig verstorben, aber ihr Vater, der alte Freiherr von Haxthausen – damals natürlich noch ein junger Freiherr von Haxthausen –, hatte kurz darauf wieder geheiratet und mit der neuen, robusteren Frau Jahr für Jahr Kinder in die Welt gesetzt, von denen vierzehn das Erwachsenenalter erreicht hatten. Sieben Schwestern und sieben Brüder.

Der zweiunddreißigjährige Werner war der vierte Sohn und galt als das Familiengenie, auch wenn er etwas zappelig war. Er hatte in Münster und Prag die Rechte studiert, in Paris und Göttingen die Klassischen und Orientalischen Sprachen und in Halle Medizin. Und weil er sich damit immer noch nicht ausgelastet gefühlt hatte, war er nebenher auch noch zu philosophischen und naturwissenschaftlichen Vorlesungen gegangen. Als Werner von Haxthausen sich nun von dem Talent seiner frühreifen Nichte beeindruckt zeigte, sie gar eine zweite Sappho nannte – »Aber ja doch, wir müssen das fördern, es gibt da kein Beispiel, nicht von den größten Dichtern, dass bereits in diesem Alter …« –, räumte Therese schließlich ein, dass es möglicherweise doch etwas mit dem poetischen Talent ihrer jüngsten Tochter auf sich haben könnte. Zwar vermied sie es auch weiterhin, sie zu loben, aber sie gestattete, dass Onkel Werner für Annette eine literarische Unterweisung bei einem netten älteren Herren in Münster arrangierte. Münster mit seinen prunkvollen Gebäuden galt nicht nur als die schönste Stadt des rückständigen und unwichtigen Westfalens, dort wusste man auch noch, was gutes Benehmen war. Die Menschen verbeugten sich, wenn sie der freiherrlichen Familie von Droste zu Hülshoff begegneten, und gingen noch eine ganze Weile so gebückt weiter. Dort konnte man das Kind ohne Bedenken hinschicken, zumal die Droste-Hülshoffs in Münster auch noch ein Stadthaus unterhielten. Praktischerweise wohnte der nette ältere Herr schräg gegenüber. Er hieß Anton Matthias Sprickmann, war ein Freund Goethes und des schwärmerischen Hainbundes gewesen, und man hatte ihm einmal eine große Zukunft als Dichter prophezeit. Allerdings nicht in Münster. In Münster hatte man ihn ausgelacht. Kurz hatte Sprickmann überlegt, nach Tahiti auszuwandern, aber dann war er gerade noch rechtzeitig wieder zu Verstand gekommen, hatte Sturm und Drang und sämtlichen Dichterfreunden den Rücken gekehrt und war ein angesehener Professor für Rechtsgeschichte geworden. Ihm konnte man das Kind guten Gewissens anvertrauen.

 

Sprickmann empfing Annette in seinem Arbeitszimmer, dessen Wände vom Boden bis zur Zimmerdecke mit Büchern tapeziert waren. Zumindest drei der vier Wände waren vollständig mit Wissen gefüllt, die vierte war es nur zu drei Vierteln. Auf dem letzten freien Streifen Putz hing in einem schlichten schwarzen Rahmen ein Kupferstich, der einen Strand voller Palmen und halb nackter Eingeborener zeigte. Die Eingeborenen schoben ein Boot ins Meer. Annette blieb davor stehen, und Sprickmann stellte sich sofort neben sie.

»Otaheite«, sagte er. Begrüßt hatten sie sich schon. »Ganz wunderbare Menschen sind das dort auf Otaheite, voll von kindlicher Unschuld, Anmut und Güte. Sie pflegen eine Lebensart …«

Er seufzte tief.

»Nicht so verzogen und überkultiviert wie wir Europäer. Aber, nun ja, es hat nicht sollen sein.«

Annette wusste bereits, dass Sprickmann in jüngeren Jahren vorgehabt hatte, mit Gleichgesinnten eine Poetenkolonie auf Tahiti zu gründen. Und er wusste, dass sie es wusste. Vermutlich...

Erscheint lt. Verlag 7.9.2018
Zusatzinfo 1 farbige Karte, 1 farbiger Stammbaum
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Adel • Annette von Droste-Hülshoff • Anständig essen • Biographie • Burg Meersburg • Dichterin • Fräulein Nettes kurzer Sommer • Gebrüder Grimm • Göttingen • Karen Duve • Katastrophe • Komponistin • Künstler • Liebesgeschichte • Regenroman • Schriftstellerin
ISBN-10 3-462-31741-5 / 3462317415
ISBN-13 978-3-462-31741-1 / 9783462317411
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