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Eisige Tage (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
432 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-22801-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eisige Tage -  Alex Pohl
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Die Welt des Verbrechens beginnt vor deiner Haustür ...
Winter in Leipzig, die Stadt erstarrt in Eiseskälte. In einem Auto am Elster-Saale-Kanal wird die steifgefrorene Leiche eines Anwalts gefunden. Was für die smarte Kommissarin Hanna Seiler und ihren starrköpfigen Kollegen Milo Novic zunächst nach einem Routine-Mordfall aussieht, entpuppt sich rasch als ein Dickicht krimineller Verstrickungen: Im Besitz des Toten finden sie skandalträchtiges Material, darunter das Foto eines minderjährigen Mädchens, das seit einer Woche vermisst wird. Während die Stadt im Schnee versinkt, müssen die Ermittler eine düstere Welt betreten, in der schon die Jüngsten gefährliche Spiele treiben ...

Alex Pohl begeisterte unter dem Pseudonym L.C. Frey ein riesiges Thrillerpublikum. Mit »Eisige Tage«, »Heißes Pflaster« und »Stumme Hölle« erscheint seit 2019 eine neue Krimireihe um das charakterstarke Ermittlerduo Hanna Seiler und Milo Novic - und um den Tatort Leipzig, seine Heimatstadt. Alex Pohl ist außerdem Teil des erfolgreichen Autorenduos Oliver Moros.

Das Mädchen

14. Dezember

Leipzig, Hauptbahnhof

Mittlerweile ist sie sicher, dass der Mann zu ihr herüberschaut. Dass er sie schon seit einer ganzen Weile beobachtet, aus dem Schatten neben dem Eingang zum Bahnhof heraus, wo er sich eine Kippe nach der anderen ansteckt. Ob er glaubt, dass sie ihn dort nicht sehen kann?

Jetzt geht er zur Straße hinüber, wartet sogar an der Fußgängerampel, obwohl das lächerlich ist, weil um diese Uhrzeit sowieso kaum noch Autos unterwegs sind. Der Mann schlingt den Mantel fester um seinen Körper, während er darauf wartet, dass die Ampel auf Grün springt. Das Mädchen weiß, was sein Ziel ist, noch bevor er sich in Bewegung setzt.

Er überquert die Straße, dann kommt er direkt auf sie zu. Sie spürt, wie ihr Puls sich beschleunigt. Warum sind ihr Kerle wie der da eigentlich früher nie aufgefallen? Weil sie nie nach ihnen Ausschau gehalten hat, lautet die ebenso simple wie einleuchtende Antwort. Manche Schatten sieht man erst, wenn man weiß, wo man hinschauen muss. Das hat sie schon vor langer Zeit begriffen.

Er setzt sich auf den freien Sitz neben sie, unter dem Vordach der Straßenbahnhaltestelle. Er schaut sie nicht an, als er zu sprechen beginnt. Dennoch ist klar, dass seine Worte nur ihr gelten können. Es ist sonst niemand in der Nähe.

»Bist du öfter hier?«, fragt er, und das Mädchen muss beinahe kichern. Sie hat schon originellere Anmachen gehört.

»Kann sein«, sagt sie. Nicht einmal abweisend. Neutral. Abwartend. Und hofft, dass er das Zittern in ihrer Stimme nicht bemerkt.

»Verstehe«, sagt der Mann.

Als ob, denkt sie.

Dann holt er eine Zigarette aus der Tasche, steckt sich den Filter in den Mund, zündet sie mit einem Feuerzeug an. Seine Bewegungen wirken irgendwie achtlos, als würde auch er nur einem vorher festgelegten Spielplan folgen. Als seine Zigarette endlich brennt, nimmt er einen tiefen Zug und stößt den Rauch in die kalte Nachtluft.

»Bekomm ich auch eine?«, fragt sie und wundert sich ein bisschen, weil er nicht von selbst auf die Idee gekommen ist, ihr eine anzubieten. Wäre doch eine prima Gelegenheit.

Der Mann erwidert nichts, aber er holt die Packung wieder aus der Innentasche seines Mantels hervor, klappt den Deckel auf und streckt sie ihr hin. Sie nimmt eine Zigarette.

Als er ihr sein Feuerzeug reichen will, sagt sie: »Für später«, und steckt sich die Kippe hinters Ohr.

Dazu muss sie die Kapuze abnehmen. Jetzt zuckt sein Blick herüber, wandert für den Bruchteil einer Sekunde über ihr Gesicht, das lange glatte Haar, bevor sie die Kapuze wieder aufsetzt. Sie weiß, dass ihm dieser eine Blick vorerst genügen wird. Sie ist hübsch, und ihr ist klar, wie sie das bei ihm einsetzen muss, es ist beinahe wie ein Instinkt. Sie liebt es, ihren Instinkten nachzugeben. Das redet sie sich zumindest ein.

Er sitzt schweigend da, zieht an seiner Kippe, und dann kommt der Moment, an dem es nicht mehr so läuft wie geplant.

Der Mann wirft die halb gerauchte Zigarette vor sich auf den Boden und macht sich nicht einmal die Mühe, sie auszutreten. Dann zieht er etwas aus seiner Manteltasche. Das Mädchen erkennt, dass er ein Foto in der Hand hält, und sie wirft einen Blick darauf. Das Foto zeigt ein Mädchen, etwa in ihrem Alter, vielleicht ein bisschen jünger. Die Kleine auf dem Foto lächelt, aber man kann sogar bei diesem miesen Licht erkennen, dass sie das ziemlich gezwungen tut. Es ist eins von diesen professionellen Porträts, wie man sie bei einem Fotografen machen lassen kann. Die Art Fotografen, die einen aus unerfindlichen Gründen immer zum Lächeln zwingen. Auch wenn einem gar nicht danach zumute ist.

»Hast du sie gesehen?«, fragt der Mann. Scheiße, denkt das Mädchen, ist der Kerl vielleicht ein Bulle? Oder ein Gestörter, also … über das zu erwartende Maß hinaus gestört, oder …

»Ich meine, hier irgendwo?«, sagt der Mann, und jetzt klingt er echt verzweifelt. Nie und nimmer ist der ein Bulle. Also ein Gestörter? Vielleicht.

Shit.

»Ist sie …« Der Mann räuspert sich. Dann versucht er es noch mal. »Ich meine, treibt sie sich hier irgendwo herum? Hast du sie gesehen?«

Das Mädchen hebt den Blick von dem Foto und schüttelt langsam den Kopf. Dabei streift sie seine Alkoholfahne. Er muss sturzbetrunken sein. Dass der überhaupt noch einigermaßen vernünftig laufen und reden kann, grenzt an ein Wunder.

»Nee«, sagt sie und rückt ein Stück von ihm weg.

Ihr Körper spannt sich, ist sprungbereit. Instinktiv. Mit dem Kerl stimmt ganz entschieden etwas nicht, und das hat nicht allein mit dem Alkohol zu tun. Es hat vor allem mit dem Foto in seiner Hand zu tun und damit, wie diese Hand jetzt zittert und wie ihm vorhin die Stimme beim Reden versagt hat und …

»Bist du sicher?«, fragt er, gleichzeitig schnellt seine Hand vor und packt ihr Handgelenk, bevor sie noch eine Chance hat, dem zu entgehen.

»Sieh es dir doch mal genau an«, jammert er und greift noch fester zu. »Bist du wirklich sicher?«

»Hey, Mann!«, schreit sie. »Lass mich los!«

»Aber …«

Sie reißt sich los und springt von ihrem Sitz auf. Er rührt sich nicht, guckt sie aus großen, feuchten Augen an, eine Hand ausgestreckt wie ein Bettler, in der anderen das Foto. Beinahe könnte man Mitleid mit ihm bekommen, aber das Mädchen weiß es besser. Ihr Instinkt sagt ihr, dass irgendetwas mit dem Kerl nicht stimmt und dass es im Moment ihre oberste Priorität sein sollte, möglichst viel Abstand zwischen sich und ihn zu bringen.

Sie greift in die Jackentasche, zieht ihr Handy hervor und hält es ans Ohr.

»Ja?«, sagt sie, obwohl niemand am anderen Ende der Leitung ist. Sie keucht, denn jetzt wummert ihr das Herz in der Brust, ihr ganzer Kopf dröhnt, sodass sie ihre eigene Stimme kaum hören kann. »Ja, ich bin noch hier, aber hier ist so ein Kerl. Oh, ihr seid gleich da? In Ordnung, ich warte.« Dann drückt sie auf das Display und beendet das fiktive Gespräch.

»Das war mein Freund«, sagt sie und geht noch einen Schritt auf Abstand. »Er und ein paar seiner Kumpels werden jeden Moment hier sein.«

Da begreift der Mann endlich. Er steht von dem Sitz auf, langsam. Ohne ein weiteres Wort dreht er sich um und entfernt sich in Richtung Ampel. Diesmal wartet er nicht, bis sie auf Grün schaltet, sondern geht gleich hinüber, um kurz darauf im Schneetreiben und in der Dunkelheit zu verschwinden.

Das Mädchen atmet erleichtert auf.

»Alles in Ordnung hier?«, fragt eine feste Stimme hinter ihr. Sie fährt herum. Die Bullen, denkt sie, weil die Stimme selbstsicher und irgendwie professionell klingt, ganz anders als die des Spinners von eben.

Verdammt, wieso hab ich die blöden Bullen nicht kommen sehen?

Es ist nicht die Polizei, sondern ein älterer Mann, der sie jetzt von oben herab anschaut. Auch er trägt einen Mantel, aber seiner sieht wesentlich teurer aus als das abgetragene Kaufhausmodell des Spinners. Und er lächelt. Sein Gesicht, leicht gerötet von der Kälte, wirkt gepflegt. Glatt rasiert. Freundlich. Sie schätzt ihn auf Ende fünfzig. In der Hand hält er einen Kaffeebecher aus Pappe, aus dem ein verführerischer Duft aufsteigt. Noch verführerischer ist allerdings das kleine Dampfwölkchen über dem Deckel des Bechers.

Alles klar, denkt sie und lächelt dem Mann zu. Viel besser.

Etwas Heißes könnte sie jetzt gut gebrauchen, und aus irgendeinem Grund pocht ihr Herz jetzt nicht mehr ganz so stark.

»Wollte der Typ was von dir?«, fragt der Mann, und ihr fällt auf, dass er das »R« ein bisschen rollt.

»Ach, das war nur so ein Spinner«, sagt sie.

»Verstehe«, sagt der Mann, lächelt und wirft einen flüchtigen Blick in Richtung Bahnhof. Dorthin, wo der andere Mann im Dunkel verschwunden ist.

Der hier bietet ihr keine Zigarette an und auch keinen Schluck von seinem Kaffee, leider. Er setzt sich auch nicht neben sie.

Er fragt: »Bist du allein?«

Sie nickt, und keiner von ihnen hört auf zu lächeln, während sie sich gegenüberstehen. Er flirtet, denkt sie, und das macht er nicht mal schlecht. Ganz beiläufig.

»Du weißt nicht, wo du hinsollst, hm?«, fragt er und lässt es wie unverbindliche Fürsorge klingen. Nicht zu bedauernd. Nur eine Frage im Vorübergehen.

»Doch, schon, na klar«, sagt sie. »Ich wohne bei einem Freund. Darf seine Wohnung benutzen, während er nicht da ist, wissen Sie?«

»Verstehe«, sagt der Mann, und sie glaubt, dass er das wirklich tut. Er macht das hier, im Gegensatz zu ihr, ganz bestimmt nicht zum ersten Mal.

Dann schweigt er eine Weile, vermutlich um ihr Zeit für den nächsten Schritt zu lassen. Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Denn bis jetzt ist das hier nur ein zufälliger Dialog zwischen einem netten Mann und einem frierenden Kind.

»Dahin war ich gerade unterwegs«, sagt sie. »Also, zu der Wohnung. Aber dann hab ich die Bahn verpasst, und die nächste ist auch nicht gekommen. Scheiß Straßenbahn.«

»Verstehe«, sagt er wieder. Sein Lächeln wird eine Winzigkeit breiter. Er hat sehr weiße Zähne.

Er sieht auf seine Armbanduhr, es ist eine goldene. Sie sieht teuer aus, bemerkt das Mädchen. Vielleicht eine Rolex. Ja, ganz bestimmt eine Rolex. Umso besser.

»Es wird keine Bahn mehr kommen«, sagt er und betritt damit nach kurzem Zögern das Drahtseil, das sie ihm soeben gespannt hat.

»Aber ich habe ein Auto.«

Natürlich hat er ein Auto, die normalste Sache der Welt, und vermutlich ein ziemlich cooles, wenn man dem Eindruck trauen darf, den sein Mantel und seine Armbanduhr erwecken. Auch wenn das vielleicht nicht erklärt, wieso er mitten in der Nacht am Bahnhof unter einem...

Erscheint lt. Verlag 24.12.2018
Reihe/Serie Ein Fall für Seiler und Novic
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Alleinerziehende • Alleinerziehende Mutter • Andreas Franz • darknet • eBooks • Ermittlerduo • Farbsynästhesie • Krimireihe • L C Frey • Russenmafia • Straßenkinder • Tatort Leipzig • Thriller • Verbrechen
ISBN-10 3-641-22801-8 / 3641228018
ISBN-13 978-3-641-22801-9 / 9783641228019
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