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Sieben leere Häuser (eBook)

Stories
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
149 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-75720-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sieben leere Häuser -  Samanta Schweblin
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Eine Frau kehrt in ihr ehemaliges Zuhause zurück, um ihre Kinder mitzunehmen, doch die sind verschwunden und stattdessen sieht sie die Eltern ihres Exmanns im Garten tanzen, nackt und kreischend wie wilde Tiere. Ein Mann und seine Tochter durchstreifen die Nachbarschaft, brechen in Häuser ein und stehlen persönliche Gegenstände, und als sie schließlich gefasst werden, eskaliert die Situation in unvorstellbarer Weise. Eine alte Frau wird von ihren Nachbarn auf perfide Weise bedroht - oder hat sie gar keine Nachbarn mehr?

Sieben leere Häuser seziert unsere Ängste und die kollektiven Alpträume unserer Zeit und lässt uns an dem zweifeln, was wir Normalität nennen. Sosehr wir uns auch dagegen wehren, in diesen meisterhaft lakonischen Erzählungen kommen wir dem Unheimlichen bedrohlich nahe.

Samanta Schweblin ist eine »Virtuosin der Verstörung« (New York Times). Sie führt uns durch sieben bewohnte und doch geisterhaft leere Häuser. Dorthin, wo das Alltägliche von den Schreckensgebilden unserer Fantasie kaum zu unterscheiden ist.



<p>Samanta Schweblin wurde 1978 in Buenos Aires geboren. F&uuml;r ihren Erz&auml;hlungsband <i>Die Wahrheit &uuml;ber die Zukunft</i> erhielt sie 2008 den Premio Casa de las Am&eacute;ricas sowie den Juan-Rulfo-Preis, f&uuml;r den Band <i>Sieben leere H&auml;user</i> erhielt sie den Premio de narrativa breve Ribera del Duero de Espa&ntilde;a. Ihre B&uuml;cher sind in 25 Sprachen &uuml;bersetzt. Zwei Mal stand sie bereits auf der Shortlist f&uuml;r den International Booker Prize. Samanta Schweblin lebt und arbeitet in Berlin.</p>

Samanta Schweblin wurde 1978 in Buenos Aires geboren. Für ihren Erzählungsband Die Wahrheit über die Zukunft erhielt sie 2008 den Premio Casa de las Américas sowie den Juan-Rulfo-Preis, für den soeben in spanischer Sprache erschienenen Band Siete casa vacías erhielt sie den Premio de narrativa breve Ribera del Duero de España. Das Gift ist ihr erster Roman, er erscheint in über zwanzig Ländern. Samanta Schweblin lebt und arbeitet in Berlin. Marianne Gareis, geboren 1957 in Illertissen, lebt als Übersetzerin, u. a. von José Saramago, in Berlin.

Nichts von all dem


»Wir haben uns verfahren«, sagt meine Mutter.

Sie bremst und beugt sich über das Lenkrad. Ihre knochigen alten Finger umklammern den Plastikbezug. Wir befinden uns eine gute halbe Stunde von zu Hause entfernt, in einem unserer Lieblingsviertel. Die Häuser sind hier groß und schön, die Straßen jedoch unbefestigt und matschig, weil es die ganze Nacht geregnet hat.

»Musstest du mitten im Matsch anhalten? Wie sollen wir da jetzt wieder rauskommen?«

Ich öffne meine Tür und sehe nach, wie tief sich die Räder eingegraben haben. Ziemlich tief, tief genug. Ich knalle die Tür zu.

»Was machst du eigentlich, Mama?«

»Wie, was mache ich eigentlich?« Ihre Verblüffung wirkt echt.

Ich weiß genau, was wir machen, aber gerade ist mir bewusst geworden, wie abartig das ist. Meine Mutter scheint nicht zu verstehen, doch als sie begreift, was ich meine, antwortet sie.

»Wir sehen uns Häuser an«, sagt sie.

Sie blinzelt mehrmals, hat zu viel Wimperntusche aufgetragen.

»Wir sehen uns Häuser an?«

»Ja. Wir sehen uns Häuser an.« Sie deutet auf die Häuser zu beiden Seiten.

Sie sind gigantisch. Strahlend erheben sie sich auf ihren im Abendlicht glänzenden Grashügeln. Meine Mutter seufzt und lehnt sich zurück, ohne das Lenkrad loszulassen. Viel mehr wird sie nicht sagen. Vielleicht weiß sie nicht, was sie noch sagen soll. Aber genau das machen wir. Wir fahren herum und sehen uns Häuser an. Wir fahren herum und sehen uns Häuser von anderen Leuten an. Würde man das jetzt näher analysieren, wäre es womöglich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, die Bestätigung dafür, wie rücksichtslos meine Mutter, seit ich denken kann, mit meiner Zeit umgeht. Meine Mutter legt den ersten Gang ein, und zu meiner Überraschung schafft sie es anzufahren, obwohl die Räder kurz durchdrehen. Ich blicke zurück auf die nächste Kreuzung und die wilde Zeichnung, die wir auf der matschigen Straße hinterlassen haben, und hoffe inständig, dass kein Wachmann mitkriegt, dass wir gestern, zwei Kreuzungen weiter, schon das Gleiche gemacht haben, und anschließend, fast an der Auffahrt zur Hauptstraße, nochmal dasselbe. Wir fahren weiter. Meine Mutter lenkt stur geradeaus, ohne vor einem der großen Häuser anzuhalten. Sie gibt keinen Kommentar zu den Umzäunungen, Hängematten oder Markisen ab. Sie seufzt nicht und trällert auch kein Lied, hält nicht an, um sich die Adressen aufzuschreiben. Sieht mich nicht an. Ein paar Straßen weiter werden die Häuser vornehmer, die Hügel flacher, und die großzügigen, gärtnergepflegten Rasenflächen beginnen ganz ohne Bürgersteig direkt an der unbefestigten Straße. Perfekt eingeebnet überziehen sie die Grundstücke wie ein grüner, ebenerdiger Wasserspiegel. Meine Mutter biegt nach links ab und fährt ein paar Meter weiter. Dann sagt sie laut, aber zu sich selbst:

»So kommen wir nicht weiter.«

Vor uns stehen noch ein paar Häuser, dann endet die Straße an einem Waldstück.

»Hier ist es ziemlich matschig«, sage ich, »wende besser, aber ohne anzuhalten.«

Sie sieht mich stirnrunzelnd an, fährt rechts dicht an den Rasen ran und versucht, über die linke Seite zu wenden. Das Ergebnis ist desaströs: An der linken Rasenfläche angelangt, hat sie gerade mal eine schlingernde Diagonale geschafft. Sie bremst.

»Scheiße«, sagt sie.

Sie beschleunigt, und die Räder drehen durch. Ich blicke nach hinten, um das Terrain zu erkunden. In dem Garten steht ein Junge, fast schon am Hauseingang. Meine Mutter gibt wieder Gas und schafft es, rückwärts loszukommen. Und dann macht sie Folgendes: Sie fährt im Rückwärtsgang quer über die Straße und auf den Rasen vor dem Haus des Jungen und zeichnet dort eine doppelte Schlammspur auf das breite, frisch gemähte Rasenstück. Vor den Panoramafenstern des Hauses kommt der Wagen zum Stehen. Der Junge, der einen Plastiklaster in der Hand hält, starrt uns fasziniert an. Ich hebe entschuldigend oder auch warnend die Hand, doch er lässt den Laster fallen und rennt ins Haus. Meine Mutter sieht mich an.

»Fahr los«, sage ich.

Die Räder drehen durch, und das Auto bewegt sich nicht von der Stelle.

»Langsam, Mama!«

Eine Frau taucht hinter den Vorhängen auf und sieht uns durchs Fenster an, sieht auf ihren Garten. Der Junge steht neben ihr und deutet auf uns. Der Vorhang geht wieder zu, und meine Mutter versenkt das Auto immer tiefer. Die Frau kommt aus dem Haus. Sie will zu uns, will aber nicht auf ihren Rasen treten. Also legt sie die ersten Schritte auf dem lackierten Holzweg zurück, ändert dann die Richtung und kommt, fast auf Zehenspitzen, zu uns herüber. Meine Mutter sagt noch einmal Scheiße, ganz leise. Sie nimmt den Fuß vom Gas und lässt schließlich auch das Lenkrad los.

Die Frau beugt sich zum Autofenster hinunter. Sie will wissen, was wir in ihrem Garten machen, und sie fragt es nicht im Guten. Der Junge späht zu uns rüber, eine der Säulen vor dem Eingang umarmend. Meine Mutter sagt, dass es ihr leidtut, dass es ihr sehr, sehr leidtut, und sie sagt es mehrmals. Doch die Frau scheint ihr gar nicht zuzuhören. Sie sieht nur ihren Garten, sieht die Räder, die sich in ihren Rasen gegraben haben, und fragt immer wieder, was wir dort machen, warum wir uns in ihren Garten gegraben haben, ob wir verstehen, was für einen Schaden wir da gerade angerichtet haben. Also erkläre ich es ihr. Ich sage, dass meine Mutter im Matsch nicht vernünftig fahren kann. Dass es meiner Mutter nicht gutgeht. Da schlägt meine Mutter mit der Stirn auf dem Lenkrad auf und verbleibt in dieser Stellung, als wäre sie tot oder gelähmt. Ihr Rücken zittert, und sie beginnt zu weinen. Die Frau sieht mich an. Sie weiß nicht so recht, was sie tun soll. Ich schüttle meine Mutter. Ihre Stirn lässt sich nicht vom Lenkrad lösen, und ihre Arme fallen leblos herab. Ich steige aus und entschuldige mich noch einmal bei der Frau. Sie ist groß und blond, riesig, wie auch der Junge, und Augen, Nase und Mund stehen für die Größe des Kopfes zu eng beisammen. Sie hat das Alter meiner Mutter.

»Wer bezahlt das alles?«, fragt sie.

Ich habe kein Geld, sage ihr aber, dass wir es bezahlen werden. Dass es mir leidtut und wir selbstverständlich bezahlen werden. Das scheint sie zu beruhigen. Sie wendet sich einen Augenblick meiner Mutter zu, ohne darüber ihren Garten zu vergessen.

»Señora, geht es Ihnen gut? Was hatten Sie vor?«

Meine Mutter hebt den Kopf und sieht sie an.

»Ich fühle mich schrecklich. Rufen Sie bitte einen Krankenwagen.«

Die Frau scheint nicht zu wissen, ob meine Mutter das ernst meint oder sie nur auf den Arm nehmen will. Sie meint es natürlich ernst, auch wenn der Krankenwagen nicht nötig ist. Ich bedeute der Frau, abzuwarten und nicht anzurufen. Die Frau tritt ein paar Schritte zurück, betrachtet das alte, verrostete Auto meiner Mutter und dann ihren erstaunten Sohn in einiger Entfernung. Sie will uns dort nicht haben, will, dass wir verschwinden, weiß jedoch nicht, wie sie das bewerkstelligen soll.

»Bitte«, sagt meine Mutter, »können Sie mir bitte ein Glas Wasser bringen, bis der Krankenwagen kommt?«

Die Frau setzt sich nur zögernd in Bewegung, offensichtlich möchte sie uns in ihrem Garten nicht allein lassen.

»Ja«, sagt sie schließlich.

Sie entfernt sich, packt den Jungen am T-Shirt und zieht ihn mit sich ins Haus. Die Eingangstür fällt krachend ins Schloss.

»Was hast du eigentlich vor, Mama? Steig aus, ich versuche, das Auto wieder in Gang zu kriegen.«

Meine Mutter setzt sich auf, bewegt vorsichtig ihre Beine und macht Anstalten auszusteigen. Ich suche nach mitteldicken Ästen oder Steinen, um sie unter die Räder zu legen und so das Auto frei zu bekommen, aber alles um mich herum ist sehr gepflegt und ordentlich. Nur Rasen und Blumen.

»Ich geh ein paar Äste holen«, sage ich zu meiner Mutter und deute auf den Wald am Ende der Straße. »Bleib, wo du bist.«

Meine Mutter, die schon halb ausgestiegen ist, hält kurz inne und lässt sich dann auf den Sitz zurückfallen. Mich beunruhigt, dass es Nacht wird, ich weiß nicht, ob ich das Auto im Dunkeln frei bekomme. Der Wald ist nur zwei Häuser entfernt. Ich laufe zwischen den Bäumen umher, und es dauert ein paar Minuten, bis ich gefunden...

Erscheint lt. Verlag 12.2.2018
Übersetzer Marianne Gareis
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Siete casas vacias
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alltag • Alltägliches • Alzheimer • Argentinien • Demenz • Erzählungen • Fantasie • Fantastik • fantastisch • geisterhaft • Horror • Kurzgeschichte • Normalität • Phantasie • Phantastik • Phantastisch • Realität • Surrealismus • Verstörendes • Verstörung
ISBN-10 3-518-75720-2 / 3518757202
ISBN-13 978-3-518-75720-8 / 9783518757208
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