Wolf unter Wölfen (eBook)
1457 Seiten
Null Papier Verlag
978-3-96281-338-3 (ISBN)
Hans Fallada (21. Juli 1893-5. Februar 1947), eigentlich Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen, war ein deutscher Schriftsteller. Sein nüchterner, objektiver Stil, in dem er seine fiktionalen Berichte über meist scheiternde Gestalten verfasste, macht ihn zu einem der wichtigsten Vertreter der 'Neuen Sachlichkeit'.
Hans Fallada (21. Juli 1893–5. Februar 1947), eigentlich Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen, war ein deutscher Schriftsteller. Sein nüchterner, objektiver Stil, in dem er seine fiktionalen Berichte über meist scheiternde Gestalten verfasste, macht ihn zu einem der wichtigsten Vertreter der "Neuen Sachlichkeit".
ERSTES KAPITEL – Man erwacht in Berlin und anderswo
1. Mädchen und Mann
2. Das Mädchen erwacht halb
3. Ein Rittmeister kommt nach Berlin
4. Berlin macht sich Frühstück
5. Förster Kniebusch trifft Holzdiebe
6. Hungerrevolte im Zuchthaus Meienburg
7. Die Zofe Sophie schreibt einen Brief
8. Mädchen und Mann erwachen
ZWEITES KAPITEL – Berlin macht sich schwach
9. Der Rittmeister sucht Leute
10. Warten auf ein Frühstück
11. Petra wird von einem Spieler gebildet
12. Der Rittmeister engagiert Leute
13. Frau Pagel frühstückt
14. Ehe und Einsamkeit der Frau Pagel
15. Ein erfolgloser Spielabend
16. Auseinandersetzung zwischen Liebenden
DRITTES KAPITEL – Jäger und Gejagte
17. Inspektor Meier macht eine Bekanntschaft
18. Besuch auf einer Pfandleihe
19. Der Rittmeister trifft einen Kameraden
20. Petra macht eine Entdeckung
21. Prackwitz findet Berlin ekelhaft
22. Pagel zögert vor Zecke
23. Pagel bekommt kein Geld
24. Pagel lässt sich mitnehmen
25. Frau Pagel hört von einer Heirat
VIERTES KAPITEL – Nachmittagsschwüle über Stadt und Land
26. Ein Interview im Zuchthaus
27. Petras Austreibung
28. Inspektor Meier macht sich beliebt
29. Der Rittmeister auf dem Präsidium
30. Pagel bei reichen Leuten
31. Negermeier als Liebesbote
32. Frau Pagel besucht Frau von Anklam
33. Petra im Torweg
FÜNFTES KAPITEL – Das Gewitter bricht los
34. Oberwachtmeister Gubalke nimmt Petra fest
35. Wolfgang auf dem Wege zur Mutter
36. Streit mit der Mutter
37. Entlassung der Zofe Sophie
38. Förster Kniebusch erfährt Neues
39. Beim Schulzen Haase
40. Von Studmann fällt die Treppe hinunter
41. Pagel verkauft sein Bild
42. Petra auf der Wache
43. Pagel erfährt Neues über Petra
SECHSTES KAPITEL – Das Gewitter ist vorbei, aber es bleibt schwül
44. Prackwitz erledigt den Fall Studmann
45. Negermeier schenkt sein Essen der Hartig
46. Weio im Komplott mit Räder und Kniebusch
47. Petra als Pflegerin der Hühnerweihe
48. Geheimrat von Teschow schreibt eine Rechnung
49. Amanda in der Abendandacht
50. Frau Pagel und Minna packen
51. Sophie im Christlichen Hospiz
52. Prackwitz engagiert Studmann
53. Die beiden Freunde treffen Pagel
SIEBENTES KAPITEL – Schwüle Vollmondnacht
54. Amanda und Frau Hartig einigen sich wegen Meier
55. Geheimrats gehen schlafen
56. Negermeier besorgt sich einen Rausch
57. Der Leutnant steigt ein, aber Amanda passt auf
58. Der Leutnant findet einen Brief
59. Förster Kniebusch fängt einen Wilderer
60. Auf der Straße vor dem Spielklub
61. Pagel spielt erfolglos
62. Der Rittmeister wird Pagels Schüler
ACHTES KAPITEL Es verwirrt sich in der Nacht
63. Amanda überredet Hänseken zur Flucht
64. Der Leutnant besucht Herrn Meier
65. Meier schießt
66. Der Leutnant hat es eilig
67. Frau Krupaß erklärt ihren Standpunkt
68. Petra wird Stellvertreterin von Frau Krupaß
69. Streit mit dem Valutenvamp
70. Von Studmanns Irrfahrt
71. Pagel spielt das große Spiel
72. Drei auf dem Alex
73. Pagel an der Pforte
NEUNTES KAPITEL – Ein neuer Start am neuen Tag
74. Sophie erwacht
75. Negermeier knapp am Tod vorbei
76. Pagel holt sein Gepäck
77. Liebschner verschafft sich Außenarbeit
78. Auch Petra steht auf
79. Weio berichtet wilde Dinge
80. Der Rittmeister und seine Leute
81. Sophie rettet den Rittmeister
ZEHNTES KAPITEL – Friede der Felder
82. Studmann zeigt Frau Hartig Fensterputzen
83. Studmann und der Geheimrat in Streit
84. Da gehen sie!
85. Übermut eines Oberleutnants
86. Räder, der tiefe Diplomat
87. Sophies Abenteuer
88. Der Geheimrat findet Bilderchen
89. Pagel findet einen Brief
90. Fang von Felddieben
91. Zeitungen, Zeitungen
ELFTES KAPITEL – Es kommen des Teufels Husaren
92. Der Rittmeister schreit wegen eines Briefes
93. Die Entlassung Pagels
94. Pagel küsst Weio
95. Studmann erläutert einen Pachtvertrag
96. Einrücken der Husaren
97. Der Geheimrat macht Schwierigkeiten
98. Backsteinkreuz und Gänsemord
99. Nach dem Gänsemord
100. Der Rittmeister und Weio machen eine Entdeckung
101.
10. Warten auf ein Frühstück
Die Flamme steigt empor und sinkt, das Feuer, das eben noch brannte, ist erloschen – glücklich der Herd, der die Glut lange bewahrt! Funken laufen über die Asche, die Flamme sank zusammen, die Glut verglomm, aber noch ist Wärme da.
Wolfgang Pagel sitzt in seinem feldgrauen, schon arg verbrauchten Waffenrock am Tisch. Er hat die Hände auf die leere Wachstuchplatte gelegt. Nun deutet er mit dem Kopf zur Tür. Sein eines Auge zwinkert, er flüstert: »Pottmadamm hat’s auch schon gewittert.«
»Was?« fragt Petra, und: »Du sollst doch nicht zu Frau Thumann Pottmadamm sagen! Sie setzt uns noch raus.«
»Bestimmt!« sagt er. »Heute gibt’s schon kein Frühstück mehr. Sie hat’s schon gewittert.«
»Soll ich fragen, Wolf?«
»I wo. Wer viel fragt, kriegt keinen Kaffee. Warten wir.«
Er kippt den Stuhl zurück, wippt und fängt an zu pfeifen: Erhebt euch von der Erde, ihr Schläfer allzumal …
Er ist ganz unbekümmert, ganz ohne Sorgen. Durch das Fenster – der Vorhang ist nun zurückgezogen – kommt etwas Sonne in die graue, öde Höhle, was man so in Berlin Sonne nennt, was die Dunstschicht dem Sonnenlicht noch gelassen … Wie er hin- und herschaukelt, leuchten einmal die breiten, leicht welligen Haarsträhnen auf, einmal das Gesicht mit den hellen, jetzt lustig funkelnden Augen, graugrünen.
Petra, die sich nur seinen abgeschabten Sommermantel übergezogen hat, einen noch aus der Vorkriegszeit – Petra sieht ihn an, sie wird es nie müde, ihn anzusehen, sie bewundert ihn. Sie fragt sich, wie er es fertigbringt, sich in einem Schüsselchen mit einem halben Liter Wasser zu waschen und doch auszusehen, als habe er sich eine Stunde lang in einer Wanne geschrubbt. Sie kommt sich alt und verbraucht gegen ihn vor, obwohl sie ein Jahr jünger ist als er.
Plötzlich hält er mit dem Pfeifen inne, er lauscht zur Tür: »Der Feind naht. Gibt es Kaffee? Ich habe Kohldampf noch und noch.«
(Sie möchte sagen, dass sie auch Kohldampf hat, schon seit Tagen, denn das bisschen Frühstück mit den zwei Semmeln ist seit vielen Tagen ihre einzige Nahrung – nein, sie möchte es nicht sagen!)
Der Schlurfeschritt auf dem Flur ist verhallt, die Etagentür klappt zu. »Siehst du, Peter! Pottmadamm ist bloß wieder mit dem Pott aufs Klo gegangen. Auch ein Zug der Zeit: alle Geschäfte werden auf Umwegen erledigt. Pottmadamm läuft mit ihrem Pott.«
Er hat den Stuhl wieder zurückgekippt, er fängt wieder an zu pfeifen, unbekümmert, lustig.
Er täuscht sie nicht. Sie versteht lange nicht alles, was er erzählt, sie hört nicht einmal so genau darauf hin. Es ist der Klang seiner Stimme, die leiseste Schwingung, kaum ihm selbst bewusst, sie hört’s doch: er ist nicht so lustig, wie er tut, nicht so unbekümmert, wie er sein möchte. Wenn er sich doch ausspräche – mit wem soll er sich denn aussprechen, wenn nicht mit ihr?! Vor ihr braucht er sich doch nicht zu schämen, sie braucht er doch nicht zu belügen, sie versteht alles von ihm – nein, nicht! Aber sie billigt alles, von vornherein und blindlings! Verzeiht es. Verzeiht? Unsinn! Es ist alles recht, und wenn es ihn jetzt überkäme, zu toben, sie zu schlagen – es wäre schon notwendig gewesen.
Petra Ledig (es gibt solche Namen, die ein Schicksal zu sein scheinen) war ein lediges Kind gewesen, ohne einen Vater. Später eine kleine Verkäuferin, von der nun verheirateten Mutter gerade noch gelitten, solange sie ihr Monatsgehalt bis auf den letzten Pfennig als Kostgeld ablieferte. Aber es kam der Tag, da die Mutter sagte: »Mit dem Dreck beköstige dich selbst!« und nachrief: »Und wo du schlafen kannst, wirst du auch wissen!«
Petra Ledig (es ist anzunehmen, dass der anspruchsvolle Name Petra der einzige Beitrag ihres unbekannten Vaters für ihre Lebensausrüstung war) – Petra Ledig war kein unbeschriebenes Blatt mehr mit ihren zweiundzwanzig Jahren. Ihre Reife war in keine geruhsame Zeit gefallen, Krieg, Nachkrieg, Inflation. Sie wusste schon, was es hieß, wenn die Herren im Schuhgeschäft der Verkäuferin den Schuh so bedeutungsvoll gegen den Schoß drückten. Manchmal nickte sie, traf den und jenen am Abend, nach Geschäftsschluss; und sie steuerte ihr Schifflein ein ganzes Jahr recht mutig durch, ohne völlig zu sinken. Sie brachte es sogar fertig, eine gewisse Auswahl zu treffen, eine Auswahl, die nicht so sehr von ihrem Geschmack als von der Furcht vor Krankheit bestimmt war. Stieg der Dollar einmal ganz schlimm, und entwertete sich alles für die Miete Zurückgelegte zu einem Nichts, so bummelte sie auch einmal durch die Straßen, immer in Angst vor der »Sitte«. Bei einem solchen Bummel hatte sie Wolfgang Pagel kennengelernt.
Wolfgang hatte seinen guten Abend gehabt. Er hatte ein wenig Geld, er hatte ein wenig getrunken. Dann war er immer vergnügt, zu tausenderlei Dingen aufgelegt. »Komm mit, kleine Dunkle, komm mit!« hatte er über die ganze Straße gerufen, und es hatte so etwas wie ein Wettrennen zwischen einem schnurrbärtigen Sittenpolizisten und ihr gegeben. Aber die Autotaxe, eine fürchterliche Karre, hatte sie doch entführt zu einem Abend, nett, aber doch eigentlich einem Abend wie alle solche Abende.
Dann war der Morgen gekommen, dieser graue, trostlose Morgen in dem Zimmer eines Absteigehotels, der immer so mutlos machte. Wo es einem wirklich einmal in den Kopf kommt zu fragen: Was soll das alles? Wozu lebst du?
Wie es sich gehörte, hatte sie sich noch schlafend gestellt, als der Herr sich eilig anzog, auch er recht leise, um sie nicht zu wecken. Denn Morgengespräche danach waren unbeliebt, unerquicklich, weil man entdeckte, dass man sich plötzlich nicht das Geringste mehr zu sagen hatte, ja, meistens, dass man sich unausstehlich war. Sie hatte nur durch die Lider zu blinzeln, ob er ihr auch das Geld auf das Nachtkästchen legte. Nun, er hatte das Geld hingelegt. Es nahm alles seinen ordnungsgemäßen Verlauf, es war kein Wort von Wiedersehen gesagt worden, er war schon an der Tür.
Sie weiß nicht, wie es geschehen ist, was über sie gekommen ist, sie hat sich aufgesetzt im Bett und mit stockender Stimme leise gefragt: »Würdest du – würden Sie – ach, darf ich nicht mitkommen?«
Er hatte erst nicht verstanden, ganz verblüfft hatte er sich umgedreht. »Wie bitte?!«
Dann hatte er gemeint, dass sie sich, neu in solcher Lage, vielleicht schämte, an Pensionsmutter und Portier vorbeizugehen. Er hatte sich bereit erklärt zu warten, wenn sie schnell machte. Aber, während sie sich hastig anzog, hatte es sich herausgestellt, dass es sich nicht um etwas so Einfaches, wie unbelästigt auf die Straße zu kommen, handelte. Das sei sie gewöhnt. (Sie war von der ersten Minute an völlig ehrlich zu ihm.) Nein, sie wollte ganz mit ihm mitkommen, überhaupt. Ob es denn nicht ginge? O, bitte, bitte!
Wer weiß, was er sich dachte. Plötzlich...
| Erscheint lt. Verlag | 1.7.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Hans Fallada bei Null Papier | Hans Fallada bei Null Papier |
| Verlagsort | Neuss |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Schlagworte | Alkohol • Alkoholismus • Armut • Berlin • Berlinerisch • Drittes Reich • Hyperinflation • Inflation • Knast • Weimarer Republik |
| ISBN-10 | 3-96281-338-1 / 3962813381 |
| ISBN-13 | 978-3-96281-338-3 / 9783962813383 |
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