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Der Tanz auf der Weltkugel (eBook)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
83 Seiten
e-artnow (Verlag)
978-80-273-0152-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Tanz auf der Weltkugel -  Alfred Schirokauer
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Dieses eBook: 'Der Tanz auf der Weltkugel' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: 'Die Schreie des Grauens hatten die Estanzia geweckt. Aus dem Gesindeschuppen stürzten die Vaqueiros. Über den Hof eilte, dem Walde zu, Rudolf Gedon. Als der riesenhafte Neger mit seiner stillen Bürde auf die Hoflichtung trat, prallte er auf den Herrn. Die Angst um das geliebte Weib erwürgte dessen Fragen.' Alfred Schirokauer (1880-1934) war ein deutscher Schriftsteller, Drehbuchautor und Filmregisseur.

V.



Renate hoffte vergeblich, Gedon würde sich beim Schlafengehen über die Reise nach Norden äußern und entscheiden. Seit er den Brief Ortners gelesen, hatte er ihn nicht wieder erwähnt. Sie wagte nicht zu fragen, aus Furcht, durch ein Vibrieren ihrer Stimme ihr wehes Geheimnis zu verraten. Auch am nächsten Morgen sprach er nicht. Sie schlich abseits vom Hofe in den Urwald und probte, ob sie ihn fragen könne, ohne Verdacht zu erregen. Immer wieder sprach sie halblaut vor sich hin: »Wollen wir Ortners Einladung folgen?« Doch ihre Stimme schien ihr fremd, verschleiert, rauh, ganz unmöglich.

Fiebernd vor Ungeduld ging sie im Hause umher. Da hörte sie, wie draußen auf dem Platze Gedon mit dem Kaufherrn verhandelte. Ob er sie bis zum nächsten Rancho mitnehmen wolle. Ihr eigenes Boot würden sie zur Rückreise ins Schlepptau nehmen.

Senhor Luiz Barboso rechnete es sich zur Ehre an. Ausgeschlossen, von Bezahlung könne keine Rede sein.

Da mußte Renate sich niedersetzen. Die Beine trugen sie plötzlich nicht mehr. So matt wurde sie in den Kniegelenken.

Am Nachmittag noch stieß der Catelao vom Ufer. Gedon war der letzte Siedler am Castanho in der letzten Einsamkeit. Hinter ihm stromauf lag die unbekannte Weite.

Renate stand allein am Bug des Schiffes, das rasch in der Strömung, von langen Stangen im untiefen Wasser der Ufernähe wie eine Spreezille getrieben, dahinglitt. In ihr rangen Glück, Freude. Erwartung und Angst. Sie hatte sich bis zur Erschöpfung nach dem Wiedersehen gesehnt. Jetzt, da es Wirklichkeit werden sollte, schüttelte sie die Furcht, sie habe ihre Sehnsucht einem Phantom, einem Traume, einem Irrtum dargebracht.

Vor ihr dehnte sich der Fluß, eine breite Heerstraße von geschmolzenem Golde, die weit, weit dort hinten hineinstieß in den flammenden Horizont. Das flüssige Gold war eingefaßt von dem ragenden, dunklen Grün des Urwaldes zu beiden Seiten. Dicht an das Wasser drängte sich der Tropenwald wie eine dicke gleichförmige Mauer. Dann und wann aber sah Renate Einzelheiten: hohe Wawarapalmen, riesige Apfelsinenbäume, unbekannte, seltsame, gelbstämmige Waldriesen, alles verkettet, verwebt, verbrückt durch ein Gewirr von wuchernden Schlingpflanzen. Die Zweige hingen oft so dicht zum Flusse nieder, daß die Uferlinie hinter dem grünen Vorhang verschwand.

Die ungeheure Einsamkeit, die wilde Majestät der Natur griff Renate ins Herz und mehrte ihre angstvolle Beklommenheit.

Dann wurde die Landschaft belebter und bunter. In das gleichmäßige, lastende, dunkle Grün des Ufersaumes mischten sich Farbenflecke: Bäume mit märchenhaft großen, roten und gelben Blüten, deren Namen sie nicht kannte. Oft brannten in der blendenden Sonne die lila Blumen der Begonie.

Auf den Sandbänken inmitten des Stromes watschelten Kormorane, rote Flamingos, dunkelgesprenkelte Ibisse und weiße Störche mit schwarzen Flügeln stelzten umher, gravitätisch wie alte Lebemänner. Caymans lagen faul und häßlich im seichten Uferwasser.

Stunde um Stunde stand sie dort, umraunt von der Einsamkeit und ihrer stillen Liebe. Wie aus unwirklicher Ferne hörte sie hinter sich das Gespräch der Männer, das Rufen der Schiffer, das Eintauchen und Ziehen der schweren Stangen durch das Wasser. Man lud sie zu einem Imbiß. Sie schüttelte den Kopf. Gedon ließ sie gewähren. Er wußte, daß sie fremd und träumerisch war. Und liebte sie, wie sie war.

Ohne Übergang kam die Tropennacht. Der Mond stand plötzlich inmitten der jähen Dunkelheit voll und hoch am Himmel. Das Wasser wurde zu Glas. Die Palmen am Ufer spiegelten sich weiß in dem Strome. Geisterhaft stand der Wald. Mit einer leichten Brise erwachten die Nachtgeräusche der Wildnis: der Schrei des jagenden Jaguars, das Kreischen der Affen, kleine, scharfe Rufe, ein süßes Flöten und Klagen und das Rauschen des Windes in den Kronen der Bäume. Der Duft der Tropen segelte auf der schweren Märzluft.

Über der einsamen Frau stand im Zenith der Orion, hinter ihr das Kreuz des Südens und Myriaden unbekannter Lichter tropften aus dem samtdunklen Blau des Firmaments.

Unbeweglich, eine weiße Statue, stand Renate am Bug des Schiffes, fühlte das Glück ihrer Liebe überwältigend, herzzerspringend wie nie zuvor und ihre Wangen herab sickerten Tränen des Schmerzes und der Verzweiflung über ihr Geschick, das ihr die Liebe erst beschieden hatte, als sie Frevel und Unrecht geworden war.

Hastig trocknete sie das Gesicht, als Gedon sie zum Nachtmahle rief. Die klugen, etwas vorgewölbten, prüfenden Augen Senhor Luiz Barbosos bedrängten sie. Es war ihr, als durchschaue er sie. Sie empfand einen Stich in der Brust, als sie den spöttischen Blick voller Schadenfreude bemerkte, mit dem er ihren Mann während der Mahlzeit streifte.

Die vierte Nacht der Stromfahrt schloß Renate kein Auge. Leise schlich sie von Gedons Seite – man schlief auf Deck – und lugte aus durch die langen Stunden. Doch erst am Morgen, als das Hausboot eine Biegung des Flusses überwunden hatte, glänzte in dem Grün des Ufers ein heller Fleck auf, noch weit und fern. Da klammerte sie sich an die Reeling und grub die Nägel tief hinein in das Holz. Denn neben ihr stand Gedon und hielt Ausschau. Wortlos hob er deutend den Arm. Sie nickte und wandte den Kopf ab. Denn sie fühlte kalt die verräterische Leichenblässe ihres Gesichtes.

Als sie näher kamen, sahen sie in dem Weiß einen kleinen schwarzen Punkt. Sie wußte: das war Walter Ortner. Dort also hatte er gestanden durch die langen Monate, und sich verzweifelnd gesehnt den Strom hinauf …

Aber als sie ihn am Ufer stehen sah, im ersten Lichte des Tages, hochgewachsen, das blonde Haar in der Morgenluft leise wehend, mit freudeverklärten Augen, ward alles in ihr still. Der Aufruhr schwieg plötzlich. Es war wie eine Flaute, die jählings einfällt. Sie hatte sich ausgegeben in der Erwartung, der Vorfreude, im tausendfachen Durchleben dieses Augenblickes des Wiedersehens, Die Wirklichkeit fand sie ohne die Kraft zum Erleben.

Sie lächelte fast konventionell, als sie ihm die Hand bot. Da brach aus seinen blauen Augen ein so ungezügelter Schmerz, ein so fassungsloses Unbegreifen, daß die Stille der Erschöpfung in ihr zum Sturme ausbarst. Sie war die erste, die vom Boote über die Laufplanke an Land gelaufen war. Ihr Mann war hinter ihr. Sprechen durfte sie nicht. Doch ihre grauen hellen Augen wurden zu Fenstern ihres Empfindens. Sie fühlte es. Sie fühlte, wie alle Seligkeit, die plötzlich orgiastisch in ihr aufwallte, in ihren Blicken lebte. Jubel und Taumel der Erlösung brauste in ihr. Er liebte sie, ihre Sehnsucht war kein Traum, keine Phantasie! Er hatte ihre Hand schon freigegeben. Sie berührten sich nicht mehr. Aber ihre Blicke hatten sich in dieser kleinen Sekunde alles gebeichtet, alles Glück, alles Leid, alle Martern des Entbehrens.

Herzlich begrüßte Gedon den alten Kameraden. Bedrückt und belastet sah Ortner zu Boden.

Nach einem kurzen Frühstück blieben die Gäste sich überlassen. Es gab Arbeit auf der Estanzia. Denn Senhor Luiz Barboso brachte nicht nur Waren, er war auch ein guter Käufer. Er nahm den Siedlern zu ehrlichen Preisen ihre Produkte ab. Auch Gedon hatte auf den Catelao verladen, was er an Orangen, Kaffee, Bananen und Reis verkaufen wollte.

Jetzt brachte Ortner mit seinen Leuten die erste Ernte an Bord. Ihre Größe bewies seinen rastlosen Fleiß. Während Gedon mit zufriedenem Kennerblicke den Ertrag abschätzte, wanderte Renate über den Rancho mit einem seltsamen Zugehörigkeitsgefühl, einer wohligen Zärtlichkeit für jede gerodete Lichtung, jede Pflanzung, jeden blühenden Baum.

Viel war hier in den zehn Monaten geschaffen. Das kleine Haus aus Palmenstämmen mit dem spitzen Dach aus Palmenblättern war sauber und blank. Es verriet, daß sein Erbauer Fachmann war. Dicht dabei war ein Feld mit Korn und Mandioc, mit Zuckerrohr und Bananen.

Als Ortner einmal an ihr vorübereilte, rief sie mit einem warmen Lächeln: »Sie haben hier tüchtig gearbeitet!« Er erwiderte und aus seinen Augen brach seine unterdrückte Liebe: »Was kann ein einsamer Mann anderes tun?!«

Dann war die Ernte verstaut und Senhor Luiz lichtete seinen Anker. Als er vor den drei Menschen stand, war in seinen listigen Augen wieder jener allzuwissende Schimmer. Es war, als habe er jetzt des Rätsels Lösung gefunden.

»Das nächste Mal, Senhora, bringe ich die feinsten Sachen von Monaos. Sie sollen mit mir zufrieden sein. Diesmal wußte ich ja nicht, welche Schönheit dort oben in der Einöde blüht. Also – auf gutes Wiedersehen, nächstes Jahr.«

Man schüttelte sich die Hände. Renate blickte dabei geistesabwesend ins Leere. »Nächstes Jahr?« dachte sie, wie eine Ahnung war es, »wer weiß, was dann sein wird, wer weiß?!«

Jetzt wurde das Zuckerrohrfeld mit seiner neuen Bebauungsart besichtigt. Ortner gab bescheiden und sachlich seine Erläuterung. Gedon hörte aufmerksam zu und nickte dann und wann begreifend mit dem kurzgeschorenen Schädel.

Neben den beiden Männern stand Renate unter dem dunstig heißen Himmel. Ihr Blick wanderte vergleichend zwischen ihnen. Sie sah, daß Ortner körperlich ihrem Mann überlegen war, wie er ihn an Größe überragte. Gedon war kaum mittelgroß, gedrungen, breitgebaut, seine Züge von dem wuchernden schwarzen Bart verwischt und beschattet. Aber sie kannte seinen Mut, seine Ehrlichkeit, seine Gradheit, seine schlichte Klugheit. Und sie wußte, wie scheu und zärtlich er sie liebte. Und da kam ihr der Gedanke, daß er zum Freunde geboren war, zum zuverlässigsten ehrlichsten Freunde.

Sie erschrak vor dieser...

Erscheint lt. Verlag 16.12.2017
Verlagsort Prague
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 1920s • adults • Dämonenkuss • Das weiße Blut der Erde • descriptive • Die Australierin • Die Perlenschwester • Estanzia • german author • herman hesse • Herzen auf Reisen • historical fiction • Kein Himmel ohne Sterne • Küsse unter dem Mistelzweig • Mystery • Portugal • Stefan Zweig • Thomas Mann • Vaqueiros • vivid setting
ISBN-10 80-273-0152-1 / 8027301521
ISBN-13 978-80-273-0152-2 / 9788027301522
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