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Nach vielen Sommern (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
270 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-97663-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nach vielen Sommern -  Aldous Huxley
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Dieser Roman ist eine vielschichtige Satire über die Suche nach dem ewigen und glückseligen Leben Der kalifornische Multimillionär Joe Stoyt hat sich in seinem protzigen Palast mit einer Sammlung närrischer Menschen umgeben, die sich gegenseitig zum Schicksal werden. Allen voran Dr. Obispo, der eine Formel für das ewige Leben entwickeln soll. Bei der Sichtung einiger Papiere zeigt sich, dass ein exzentrischer englischer Adliger das Rezept schon vor zweihundert Jahren gefunden hat - doch der Preis für die Ewigkeit ist hoch ...

Aldous Leonard Huxley, geboren 1894 in Godalming/Surrey, in Eton erzogen, studierte nach einer schweren Augenkrankheit englische Literatur in Oxford und war ab 1919 zunächst als Journalist und Theaterkritiker tätig. 1921 begann er mit der Veröffentlichung seines ersten Romans »Die Gesellschaft auf dem Lande« seine literarische Laufbahn. Von 1938 an lebte er in Kalifornien. Huxley starb 1963 in Hollywood.

ERSTES KAPITEL


Alles war telegrafisch vereinbart worden: Jeremy Clayton sollte nach einem schwarzen Chauffeur in grauer Livree mit einer Nelke im Knopfloch Ausschau halten und der Chauffeur nach einem Engländer von etwa fünfzig Jahren, der einen Band Wordsworth-Gedichte in der Hand trüge. Trotz der Menschenmenge auf dem Bahnhof fanden sie einander ohne Schwierigkeit.

»Sind Sie Mr. Stoyts Chauffeur?«

»Mistah Clayton?«

Jeremy nickte und hob, in der einen Hand den Wordsworth, in der anderen seinen Schirm, die Arme ein wenig seitwärts, mit der abbittenden Gebärde eines Probierfräuleins, das, der eigenen Mängel bewusst, eine klägliche Figur in lächerlichen Kleidern vorführt. »Ein armselig Ding«, schien die Gebärde zu sagen, »doch ich selbst«. Jeremy Clayton hatte sich eine sozusagen vorbeugende Selbstherabsetzung zur Gewohnheit gemacht und griff bei jedem Anlass zu diesem Schutzmittel. Aber, so fragte er sich plötzlich besorgt, müsste man im demokratischen Fernen Westen dem Chauffeur nicht die Hand schütteln, umso mehr, als er ein Mohr war? Schon um darzutun, dass man, wenngleich das Vaterland des weißen Mannes Bürde zu tragen hatte, kein Sahib war? Schließlich entschied er sich dafür, nichts zu tun; genauer gesagt, die Entscheidung wurde ihm aufgezwungen – wie gewöhnlich, stellte er mit einer eigenartigen säuerlichen Befriedigung über diesen neuerlichen Beweis seiner Unzulänglichkeit fest. Denn während er noch unschlüssig war, zog der Chauffeur, wobei er ein wenig übertrieben die Rolle des altväterischen Familienerbstücks spielte, die Mütze, verneigte sich und sagte mit einem alle Zähne blinken lassenden Grinsen: »Willkommen in Los Angeles, Mistah Clayton!« Dann verfiel er mit seinem näselnden Singsang aus dem Dramatischen ins Vertrauliche: »Ich Sie an de Aussprache erkennen, Sir, auch wenn ohne de Buch.«

Jeremy lachte etwas unbehaglich. Eine Woche in den Vereinigten Staaten hatte ihm seine Stimme peinlich zu Bewusstsein gebracht; sie war das Erzeugnis seiner Cambridger Universitätszeit, zehn Jahre vor dem Weltkrieg; eine gedämpfte, flötende Stimme, die an Abendandachten in einer englischen Kathedrale gemahnte. Daheim in England fiel sie niemand sonderlich auf, und er hatte nie vorbeugende Witze über sie machen müssen, wie etwa über sein Äußeres oder sein Alter. Hier in Amerika war das anders. Er brauchte nur eine Tasse Kaffee zu verlangen oder nach der Toilette zu fragen – die übrigens hier in diesem verwirrenden Land nicht Toilette hieß – und alle Leute starrten ihn belustigt und neugierig an wie eine Missgeburt auf einem Jahrmarkt. Es war durchaus nicht angenehm.

»Wo ist mein Träger?«, fragte er geschäftig, um das Gespräch abzulenken.

Einige Minuten später saß er bereits in den Wagenfond geschmiegt und, wie er hoffte, außer Reichweite für eine Unterhaltung mit dem Chauffeur und gab sich dem Genuss reinen Betrachtens hin. Südkalifornien glitt an den Wagenfenstern vorüber, und er brauchte nur die Augen offen zu halten.

Als Erstes bot sich seinem Blick ein Armeleuteviertel von Negern und Filipinos, Japanern und Mexikanern. Diese Spielarten und Kreuzungen von Schwarz, Gelb und Braun! Diese vielfältigen Rassenmischungen! Und die Mädchen – wie hübsch sie waren in ihrer Kunstseide! »Und Negerdamen in weißen Musselingewändern.« Eine seiner Lieblingsstellen im »Prelude« von Wordsworth. Er lächelte vor sich hin. Und mittlerweile war das Armeleuteviertel den hohen Bauten eines Geschäftsbezirks gewichen.

Die Bevölkerung nahm eine mehr kaukasische Färbung an. Eine Drogerie mit Sodawasserbar an jeder Straßenecke. Zeitungsjungen verkauften Fettgedrucktes über Francos Vormarsch auf Barcelona. Fast alle vorübergehenden Mädchen schienen in stilles Gebet vertieft zu sein, aber, so überlegte Jeremy, es war wohl nur Kaugummi, was sie unablässig bewegte. Gummi – nicht Gott!

Der Wagen glitt in einen Tunnel und tauchte in einer anderen Welt wieder auf, einer weiten, unordentlichen Vorstadtwelt von Benzinpumpen und Reklametafeln, niedrigen, von Gärten umgebenen Häusern, Baustellen und Abfallpapier, vereinzelten Läden, Bürogebäuden und Kirchen – Methodistenkirchen, überraschenderweise im Stil der Cartuja von Granada, katholischen Kirchen nach dem Muster der Kathedrale von Canterbury, Synagogen, als Moscheen aufgemacht, Kirchen der Christian Science mit Säulen und Giebeln gleich Bankpalästen.

Es war ein früher Wintervormittag, aber die Sonne strahlte und der Himmel war wolkenlos. Das Auto fuhr westwärts; wie Scheinwerfer beleuchteten die von hinten einfallenden Sonnenstrahlen jedes Gebäude, jede Dachreklame und jede Plakatwand, als wollten sie dem Ankömmling alle Sehenswürdigkeiten vorführen.

GABELBISSEN. COCKTAILS. GANZE NACHT GEÖFFNET.

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Das Auto sauste dahin. Mitten auf einer Baustelle stand ein Restaurant in Gestalt einer sitzenden Bulldogge, die Eingangstür zwischen den Vorderpfoten, die Augen erleuchtet. »Zoomorph«, murmelte Jeremy, »zoomorph!« Er hegte eine Gelehrtenliebe für Wörter. Die Bulldogge blieb in der Vergangenheit zurück.

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Was immer ein Nutberger sein mochte, er beschloss, bei der nächsten Gelegenheit einen zu bestellen; und dazu eine Jumbo-Malzade.

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Wirklich hielt der Chauffeur. »Zehn Gallonen SuperSuper« verlangte er. Dann wandte er sich an Jeremy: »Diese Firma gehören uns. Mistah Stoyt sein Präsident.« Er wies auf eine Reklametafel. BARDARLEHEN IN FÜNFZEHN MINUTEN las Jeremy. AUSKÜNFTE: GEMEINNÜTZIGE FINANZ-GESELLSCHAFT. »Gehören auch uns«, erklärte der Chauffeur stolz.

Sie fuhren weiter. Aus einem riesigen Plakat starrte das Gesicht eines schönen Mädchens, verzerrt wie das einer zerknirschten Magdalena. ZERSTÖRTES GLÜCK verkündete die Beschriftung. DIE WISSENSCHAFT HAT NACHGEWIESEN, DASS 73 PROZENT ALLER ERWACHSENEN AN MUNDGERUCH LEIDEN.

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SHEILAS SCHÖNHEITSSTÜBCHEN.

Neben Sheilas Schönheitsstübchen war ein Western-Union-Kabelbüro. Himmel, die Depesche an seine Mutter – beinahe hätte er es vergessen! Jeremy beugte sich vor und befahl dem Chauffeur in dem abbittenden Ton, dessen er sich gegenüber Dienerschaft bediente, den Wagen anzuhalten. Einen geschäftigen Ausdruck auf seinem sanften Kaninchengesicht, eilte er über den Gehsteig in das Kabelbüro.

»Mrs. Clayton, Lindenruh, Woking, England«, schrieb er mit leisem Lächeln. Die auserlesene Ungereimtheit dieser Anschrift erheiterte ihn immer aufs Neue. »Lindenruh, Woking.« Seine Mutter hatte beim Ankauf des Hauses diesen Namen ändern wollen, weil er zu freimütig mittelständisch sei, aber Jeremy hatte widersprochen; das sei gerade das Schöne daran; darin liege sein besonderer Reiz. Er hatte sie zu überzeugen gesucht, wie richtig eine solche Anschrift für sie beide wäre, wie köstlich komisch der Gegensatz zwischen dem Namen des Hauses und dem Wesen seiner Bewohner! Wie paradox passend es wäre, dass Oscar Wildes alte Freundin, die witzige, hochgebildete Mrs. Clayton, ihre geistsprühenden Briefe aus »Lindenruh« in der Londoner Provinz schrieb, wo auch die aus Belesenheit und eigenartig verfeinertem Witz gemengten Werke entstanden, denen ihr Sohn seinen Ruf verdankte! Mrs. Clayton hatte es fast sofort verstanden. Ihr brauchte man, Gott sei Dank, nichts mühselig zu beweisen; ein paar Andeutungen und halbe Sätze genügten, und sie verstand. Bei »Lindenruh« war es geblieben.

Nachdem er die Anschrift hingemalt hatte, hielt Jeremy inne, die Stirn nachdenklich gerunzelt, und wollte aus alter Gewohnheit am Bleistift zu kauen beginnen, entdeckte aber, dass dieser Bleistift ein Messingende hatte und an einer Kette befestigt war. »Mrs. Clayton, Lindenruh, Woking, England«, las er laut, weil er hoffte, diese Worte würden ihn zu der angemessenen, vollendet stilisierten Nachricht anregen, die seine Mutter von ihm erwartete; zu einer zugleich zärtlichen und witzigen Nachricht, von ironisch ausgedrückter echter Ergebenheit durchdrungen, ihre mütterliche Herrschaft anerkennend, jedoch auf scherzhafte Weise, damit die alte Dame ihr Gewissen beruhigen könnte, ihr Sohn sei vollkommen unabhängig und sie selbst alles eher als eine tyrannische Mutter. Es war nicht leicht, dieses Kabelgramm, zumal der Bleistift an einer Kette hing. Nach mehreren Fehlversuchen entschied er sich für folgenden, immer noch recht unbefriedigenden Wortlaut:

»TROPISCHEN KLIMAS WECEN GELÜBDE BEZÜGLICH UNTERWÄSCHE UNERFÜLLBAR STOP WÜNSCHE DU WÄREST HIER IN MEINEM INTERESSE NICHT DEINEM DENN DU HÄTTEST SCHWERLICH ETWAS ÜBRIG FÜR DIESES ÜBERLEBENSGROSSE UNVOLLENDETE BOURNEMOUTH STOP«

»Unvollendete was?«, fragte die junge Dame am Schalter.

»B-o-u-r-n-e-m-o-u-t-h«, buchstabierte Jeremy den englischen Badeort. Er lächelte; seine blauen Augen blinzelten hinter den Bifokalgläsern, und mit einer unbewussten Gebärde, die er jedesmal machte, wenn er eins seiner Witzchen anbringen wollte, tätschelte er sich die kahle Stelle auf seinem Kopf. »Sie wissen doch«,...

Erscheint lt. Verlag 15.12.2017
Übersetzer Herberth E. Herlitschka
Sprache deutsch
Original-Titel After Many a Summer
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Downton Abbey • Gesellschaftskritik • Gesellschaftsroman • Huxley Biografie • Klassiker • klassiker buch • Klassiker Bücher • Klassiker der Moderne • Klassiker der Weltliteratur • Klassiker englisch • klassiker romane • Literatur 20. Jahrhundert • Literatur des 20. Jahrhunderts • Literatur Klassiker • Preisträger • Schöne neue Welt
ISBN-10 3-492-97663-8 / 3492976638
ISBN-13 978-3-492-97663-3 / 9783492976633
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