Es war nicht immer so ... (eBook)
100 Seiten
Blattwerk Handel GmbH (Verlag)
978-3-7409-2395-2 (ISBN)
»Was willst du hier allein? Deine Idee ist doch schwachsinnig. Wir haben zehn herrliche Tage gehabt, wir haben viel gesehen, aber das war’s. Die Reise ist zu Ende.«
Anita Krüger musterte ihre Freundin ärgerlich, nervös sah sie auf die Uhr. »Einfach hierbleiben, aus der Reihe tanzen, allein hierbleiben, das ist doch eine Schnapsidee, einfach verrückt. Ich habe beinahe das Gefühl, Monika, du hast Angst, nach Hause zu kommen. Ja, das ist es. Dein Entschluß ist Feigheit.«
Monika saß auf der Fensterbank des unpersönlich eingerichteten Hotelzimmers. Ihre blauen Augen musterten die Freundin gereizt. Aber die energische Anita ließ sich dadurch nicht aus dem Konzept bringen, im Gegenteil, sie redete sich immer heftiger in Rage.
»Jawohl, Feigheit. Funkele mich ruhig so entrüstet an. Diese Fahrt mit der Reisegesellschaft in die neuen Bundesländer hast du überhaupt nur so spontan gebucht, weil dir die Aufmerksamkeit deines Chefs auf die Nerven ging. Jawohl! Du hast mir selbst gesagt, wie sehr dich sein Interesse belastet.«
Monika Reber fuhr sich mit allen zehn Fingern durch ihr braunes Haar. Im Licht der geschmacklosen Stehlampe bekam es einen rötlichen Schimmer.
»Du hast wirklich den richtigen Beruf, Anita. Du kennst es ja, du bohrst und bohrst, bis du den Nerv triffst. Ja, ja, Richard Steiners Benehmen paßt mir einfach nicht. Ist es das, was du hören willst? Ja, er geht mir auf den Geist, oder muß ich mich noch deutlicher ausdrücken? Ich arbeite wahnsinnig gern in der Firma. Meinst du, ich merke nicht, wie die anderen hinter meinem Rücken tuscheln? Und wie sie mitten im Gespräch aufhören zu reden, wenn ich zu ihnen komme?«
Anitas Ärger schmolz. Sie konnte nie lange böse auf Monika sein. Sie war allerdings nur zwei Jahre älter als die Freundin, aber als Monika eine Klasse im Gymnasium übersprungen hatte und in ihre Klasse kam, hatte sie das schüchterne Mädchen sofort unter ihre Fittiche genommen. Wehe, jemand trat der Neuen, die auch in dieser Klasse bald die Beste war, zu nahe. Dann bekam man es mit Anita Kürger zu tun, die tonangebend war. Nicht nur darum, weil sie einen reichen Vater hatte und immer die neueste Garderobe trug, sie war einfach Anita, die den Mut hatte, den Mund aufzumachen, sogar beim Direktor. Und außerdem stiegen in der Villa Krüger die tollsten Feten, und natürlich rissen sich alle drum, bei ihr eingeladen zu werden.
»Man ist eben nicht ungestraft so hübsch wie du, Kleine. Wir können ja unsere Figur tauschen, meine Liebe. Du nimmst die Rettungsringe, die sich in meiner nicht vorhandenen Taille angesiedelt haben, dafür ist mein Busen zu mickerig, da könnten ruhig ein paar Pfunde mehr sein. Aber nein, sie müssen sich zu dem Fett auf meinen Hüften gesellen. Und du futterst, was dir schmeckt und bleibst schlank und rank. Wirklich, das Schicksal kann schon ungerecht sein.
Ist doch kein Wunder, daß dich Friedrich Lohse mit den Augen verschlingt und am liebsten in deiner Nähe ist. Ich frage mich überhaupt, was macht d e r mit seinem Aussehen und in seinem Alter in dieser Reisegruppe, in der es von Senioren wimmelt? Ihr nennt euch ja schon beim Vornamen. Ich wette, der hatte auch einen besonderen Grund, diese Reise zu machen.«
»Laß doch diesen Mann aus dem Spiel«, Monika wandte den Kopf, damit die Freundin nicht in ihrem Gesicht lesen konnte. Denn Anita hatte nicht nur scharfe Augen, es war auch leider so, daß man in Monikas Gesicht lesen konnte wie in einem Buch. Das behaupteten jedenfalls Freunde.
»Er ist an den wunderschönen Dingen, die wir hier sehen konnten, genauso interessiert wie ich, während du ja schon nach der zweiten Kirche gestöhnt hast und wir dich in einem Café auflesen mußten. Er weiß besser Bescheid als unsere Reiseleiterin, die kennt sich nur mit den hiesigen Baudenkmälern aus, während Friedrich in der Geschichte zu Hause ist und sofort das Ganze sieht.«
»Oh, Himmel«, Anita ließ sich auf den Rand des kleinen Tisches sinken, der unter ihrem Gesicht ächzte. »Warum bist du bei deinen Interessen und deinem Wissen nur Sekretärin geworden?«
»Das weißt du ganz genau«, antwortete Monika gelassen. »Weil ich meiner Tante nicht länger auf der Tasche liegen wollte. Natürlich hätte ich gern studiert, aber dazu braucht man nun mal Geld.«
Schon schwammen Tränen in Anitas braunen Augen. Wenn es um Monika ging, war Anitas Herz weich wie Butter.
»Das war der Grund, warum ich dich sofort unter meine Fittiche nahm, als du in unsere Klasse kamst. Eltern verunglückt, das Mädchen lebt bei seiner Tante. Damals wußte ich ja noch nicht, daß deine Tante eine ganz patente Person ist. Ich hatte nur Mitleid mit dir.«
Monikas Gesicht entspannte sich. Anita musterte die Freundin wie immer voll Bewunderung. Monika hätte nicht in einem nüchternen Büro arbeiten sollen, sie hätte als Fotomodell oder Mannequin mit Leichtigkeit viel mehr Geld verdienen können. Sie war … ja, sie war einfach schön. Die großen blauen Augen, umrahmt von dichten schwarzen Wimpern, beherrschten das schmale ausdrucksvolle Gesicht. Bei Monika stimmte einfach alles. Der Mund war nicht zu groß, die Augen hatten den richtigen Abstand. Vielleicht waren die Wangenknochen ein wenig zu hoch, aber gerade das gab ihrem Gesicht die aparte Note. Viel wichtiger jedoch war wohl einfach Monikas Ausstrahlung. Sie war sich ihrer Schönheit offensichtlich gar nicht bewußt, sie war das bescheidenste Mädchen, das Anita kannte. Und sie besaß einen umwerfenden, warmherzigen Humor. Es war wirklich kein Wunder, daß sich die Männer in Monika verliebten und keine Frau neben ihr bestehen konnte.
»Jedenfalls hat dein Friedrich den Marktplatz von Wismar weniger häufig gefilmt als dich. Er ist zu deinem Schatten geworden und geht mir langsam auf die Nerven.«
Mit einem amüsierten Lachen setzte sie hinzu: »Ich hätte allerdings nichts dagegen einzuwenden, wenn er mir so schöne Augen machen würde wie dir. Ich könnte langsam wirklich ein wenig männliche Bewunderung vertragen. Aber wenn du an meiner Seite bist, verwandele ich mich sofort in eine Null.«
»Sag so etwas nicht«, Monikas Augen weiteten sich erschrocken. »Du hast doch wirklich keinen Grund, unter Minderwertigkeitskomplexen zu leiden. Du hast das erreicht, was du wolltest. Du bist Zahnärztin, hast eine eigene Praxis. Du bist auf keinen Menschen angewiesen…«
»Nur auf meine Patienten«, warf Anita spöttisch ein.
»Die werden sich schon einstellen. Deine Praxis ist supermodern, du bist tüchtig… Jedes berufstätige Mädchen muß dich beneiden. Du bist du… du hast es geschafft.«
»Hab’ ich. Und ich leide auch nicht unter Komplexen. Meine Sorgen drehen sich nur um deine Person. Du bist zwar von Mutter Natur überreich gesegnet worden. Aber du verstehst überhaupt nicht, aus deiner Schönheit Kapital zu schlagen. Im Gegenteil. Wenn mehr als zwei Männer sich um dich bemühen, hast du schon das Gefühl, es ist ein Gedränge. Statt es zu genießen, möchtest du dich am liebsten verkriechen. Ich will dir etwas sagen, Kleine.«
»Nenn mich nicht immer Kleine. Ich bin drei Zentimeter größer als du.«
»Dafür bin ich zehn Pfund schwerer. Das hebt sich also auf. Und für mich bist du immer die Kleine gewesen und geblieben, die ich beschützen muß. Weißt du noch, Moni?« Anitas braune Augen glänzten. »Deine Tante war wirklich nett. Aber in puncto Kleidung furchtbar altmodisch. Ich bin einfach mit Klamotten bei euch aufgekreuzt und hab’ behauptet, daß ich die Sachen nicht mehr tragen könnte. Und deine Tante ist auf den Schwindel hereingefallen und war froh, daß sie kein Geld ausgeben und sich nicht den Kopf zerbrechen mußte, was ihre Nichte anziehen sollte. Mir hat es Spaß gemacht. Und seitdem bist du für mich das Mädchen, um das ich mich kümmern muß.«
»Ach, du armer Kümmerer.«
»Du weißt genau, daß ich diese Aufgabe brauchte. Mich erstickte man ja mit Fürsorge. Es lebten ja nicht nur meine Eltern in unserer Villa, sondern auch die Eltern meiner Mutter und die von meinem Vater. Zwei Großväter und zwei Großmütter – und ich das einzige Kind!«
Sie schüttelte sich in der Erinnerung und meinte treuherzig: »Ein Wunder, daß ich bei so viel Liebe überhaupt normal geblieben bin. Aber das habe ich dir zu verdanken. Du hast mir gezeigt, wie die andere Seite des Lebens ist. Das hat mir gutgetan, und darum bin ich nicht abgehoben wie so einige andere.
Du siehst also, daß ich die Verantwortung für dich übernommen habe. Eigentlich kannst du es dir wirklich leichtmachen und alles mir überlassen. Und darum meine ich, laß diesen verrückten Gedanken. Pack deinen Koffer und fahr mit uns zurück. Bitte.«
Monika hockte noch immer auf der Fensterbank. Hinter ihr geisterte eine Lichtreklame über den Himmel. Das rote Licht wetteiferte mit dem Licht der Stehlampe, bizarre Schatten huschten über die Tapeten.
»Nein, bitte, sei nicht sauer. Ich möchte hierbleiben. Allein. Die Gegend hier ist so wunderschön, so geschichtsträchtig. Ich will sie in Ruhe genießen. Ich habe noch vierzehn Tage Urlaub. Warum soll ich sie in meiner Wohnung verbringen? Geld habe ich auch in der Tasche, so viel kostet das Leben hier nicht. Sieh mich nicht an, als wäre ich ein Aussteiger«, versuchte sie zu spotten. »Ich will nur den Rest meiner Ferien genießen, bevor ich wieder das Joch der Arbeit auf mich nehme. Dann werde ich auch Richard Steiner und seiner penetranten Aufmerksamkeit besser gewachsen sein.«
»Richard Steiner ist ein Mann, der Karriere machen wird, meine Liebe. Außerdem sieht er gut aus. Er wird seiner Frau einiges bieten können.«
Monika machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich werde nie heiraten, um versorgt zu sein. Die...
| Erscheint lt. Verlag | 29.11.2017 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Mami | Mami |
| Verlagsort | Hamburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | Familiengeschichte • Familiensaga • Karin Bucha • Leni Behrendt • Mama • Mammi • Martin Kelter Verlag • Mutter • Mutti • Sonnenwinkel • Sophienlust • Sorgerecht • Sorgerechtsstreit |
| ISBN-10 | 3-7409-2395-4 / 3740923954 |
| ISBN-13 | 978-3-7409-2395-2 / 9783740923952 |
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