Am Tiberufer (eBook)
93 Seiten
Null Papier Verlag
978-3-96281-107-5 (ISBN)
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen - Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen – Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
Am Tiberufer
Am Tiberufer
Es war tief im Januar. Der erste Schnee hing am Gebirge, und die Sonne, die hinter dem Nebel stand, hatte nur einen geringen Streif am Fuß der Höhen weggeschmolzen. Aber die Öde der Campagne grünte wie Frühling. Nur die gelichteten Zweige der Ölbäume, die hie und da in Reihen die gelinden Senkungen der Ebene hinab stehen oder eine einsame Capanne1 umgeben, und das niedere Gestrüpp, das bereift an den Straßen wuchert, empfanden den Winter. Um diese Zeit sind die zerstreuten Herden in die Hürden nahe bei der Hütte des Campagnuolen gesammelt, die gewöhnlich, im Schutz eines Hügels errichtet, mit Stroh bis auf den Boden dürftig genug vor dem Wetter verwahrt ist, und wer von den Hirten zu singen oder Flöte und Sackpfeife zu spielen versteht, hat sich aufgemacht, in Rom nachzügelnd als Pifferaro, den Malern zum Modell zu dienen, oder mit anderm Erwerb das arme, frierende Leben zu fristen. Herren der Campagne sind nun die Hunde, die in großen Rudeln die verlassene Weite durchstreifen, vom Hunger verwildert, von den Hirten nicht mehr streng bewacht, deren Armut sie nur zur Last fallen.
Gegen den Abend, als der Wind stärker wurde, schritt ein Mann durch die Porta Pia und wanderte den Fahrweg zwischen den Landhäusern hin. Der Mantel hing ihm nachlässig um die starken Schultern und der breite graue Hut saß tief im Nacken. Er sah nach den Bergen hinüber, bis der Weg tiefer ward und nur ein geringes Stück der Ferne zwischen den Gartenmauern durchblickte. Die Enge schien ihn zu beklemmen. Er verlor sich wieder unmutig in seine Gedanken, denen zu entrinnen er das Freie gesucht hatte. Eine stattliche Eminenz trippelte mit ihrem Gefolge an ihm vorbei, ohne dass er sie gewahrte und grüßte. Erst der nachfolgende Kardinalswagen erinnerte ihn an seinen Verstoß. Von Tivoli her rollten Karossen und leichtere Fuhrwerke voll Fremder, die es gelüstet hatte, die Berge und Kaskaden im Schnee zu sehen. Er warf keinen Blick auf die zierlichen Gesichter der jungen Engländerinnen, mit deren blauen Schleiern die Tramontane spielte. Hastig bog er von der Straße ab, links in einen Feldweg hinein, der erst Mühlen und Schenken vorüber lief und dann mitten in die Wildnis der Campagne hinaus führte.
Nun stand er einen Augenblick, tief atmend, und genoss die Freiheit des weiten winterlichen Himmels. Die gedämpfte Sonne schien rötlich herüber, hauchte die Trümmer der Wasserleitung an und färbte den Schnee am Sabinergebirge. Hinter ihm lag die Stadt. Aber nicht fern von ihm begann eine Glocke zu läuten, nur leise durch den widrigen Wind. Das machte ihn unruhig. Als wolle er dem letzten Laut des Lebens verwehren, zu ihm zu dringen, ging er vorwärts. Er verließ bald den schmalen Pfad, die Wellen der Ebene auf und ab kreuzend, schwang sich über die Stangen, die im Sommer die weidenden Rinder eingehegt hatten, und vertiefte sich mehr und mehr in die einsame Dunkelheit.
Es war eine tiefe Stille dort, wie mitten auf dem ruhigen Meer. Fast hörte man den Flügelschlag der Krähen, die über den Boden hin hüpften. Keine Grille sang, kein Ritornell eines heimwandernden Weibes drang von der fernen Straße bis zu ihm. Da ward ihm wohl. Er stieß den Stock mehrere Male hart gegen den Boden und freute sich an dem Ton, der ihm antwortete. – Sie spricht nicht viel, sagte er vor sich hin im Dialekt des gemeinen römischen Volks, aber sie meint es ehrlich und sorgt im Stillen für ihre plappernden Kinder, die sie mit Füßen treten. Dass ich sie nie wieder zu hören brauchte, diese windigen Schufte! Meine Ohren sind wund von ihren glatten Phrasen. Als wär’ ich nichts, als wüsst’ ich es nicht besser, woran diese Dinge hängen, von denen sie zu schwatzen wissen, während ich nichts verstehe, als sie zu schaffe. Und doch leb’ ich von ihnen und muss eine gute Miene machen, wenn die Fratzen mein Werk beschnüffeln! Accidenti! fluchte er in den Bart. – Ein Echo kam zurück. Er sah betroffen umher. Keine Hütte, kein Hügel war auf eine halbe Stunde im Umkreis zu sehen, noch konnte er einen Menschen nahe glauben. Er ging endlich weiter und dachte, ein Windstoß äffe ihn. Da klang es plötzlich wieder, näher und lauter. Er stand und horchte scharf. Bin ich einer Capanne nah, oder einem Schuppen, aus dem die Rinder brüllen? Es kann nicht sein – es klang anders – es klingt anders – und jetzt, jetzt – und ein Schauder schüttelte ihn – es sind die Hunde! sagte er dumpf.
Das Geheul kam näher, heiser wie von Wölfen, kein Bellen und Kläffen, sondern ein Gestöhn, rau vorgestoßen, das die Stimme des Windes in Eine ununterbrochene furchtbare Melodie zusammenwehte. Eine lähmende Kraft schien in ihr zu liegen. Denn der Wanderer stand regungslos, den Mund und die Augen starr geöffnet, das Gesicht der Seite zugewendet, von der der Schlachtruf der wütenden Tiere heranschwoll. Endlich richtete er sich gewaltsam in seinen Gliedern auf und sagte: Es ist zu spät, sie haben längst die Witterung, und bei dem falschen Zwielicht stürzt’ ich nach dem zehnten Schritt, wenn ich laufen wollte. Nun denn, wie ein Hund gelebt und von meinesgleichen umgebracht – es ist doch Sinn darin. Hätt’ ich ein Messer, macht ich’s meinen Gästen leichter. So aber – und er prüfte die starke Eisenspitze seines Stockes – wenn es ihrer wenige sind – wer weiß, ob mein Hunger nicht den ihren überlebt?
Er schlug sich den Mantel um, dass der rechte Arm frei wurde, und der linke, vielfach umwunden, zur Abwehr gerüstet war, und fasste den Stock. Mit kaltblütiger Entschlossenheit untersuchte er den Boden, wo er stand. Er fand ihn von Gras entblößt, steinig und hart. Sie mögen kommen, sagte er, und stellte sich fest gegen die Erde. Er sah sie jetzt und zählte in der Dämmerung, Fünf! zählte er, und da ein sechster! Sie rasen heran, wie der höllische Feind, dürre, hochbeinige Bestien. Wart! – und er hob einen starken Stein – man muss doch den Krieg ankündigen, wie es Brauch ist.
Damit schleuderte er den Stein gegen den vordersten, auf fünfzig Schritt hinaus. Ein verdoppeltes Geheul antwortete. Das Rudel hielt einen Augenblick im Jagen inne. Einer von ihnen lag zuckend am Boden.
Waffenstillstand! sagte der Mann. Seine Lippe zitterte, das Herz schlug tobend gegen den linken Arm, der den Mantel krampfhaft festhielt. Aber die Wimper über dem scharfen Auge zuckte nicht. Er sah seine Feinde wieder losbrechen und ihre Augen glänzen durch die Schatten. Zu Paaren kamen sie, der größte voran. Ein zweiter Stein, der diesen anflog, sprang von der knochigen Brust ab, und das gereizte Tier stürzte heiser aufmurrend gegen die dunkle Gestalt. Ein Ruck, und er lag rücklings auf dem Gestein, und der im Wirbel geschwungene Stock fuhr ihm gewaltsam gegen den offenen Rachen. – –
Ein Reiter...
| Erscheint lt. Verlag | 1.7.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | 99 Welt-Klassiker | 99 Welt-Klassiker |
| Verlagsort | Neuss |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Schlagworte | Adel • Adolf Friedrich von Schack • Betrug • Doge • Dogen • Emanuel Geibel • Felix Dahn • Franz von Kobell • Friedrich Bodenstedt • Gondel • Hermann Lingg • Italien • Kaiser • König • Robert von Hornstein • Tyrannei • Untergang • Verrat • Wilhelm Heinrich Riehl • Wilhelm Hertz |
| ISBN-10 | 3-96281-107-9 / 3962811079 |
| ISBN-13 | 978-3-96281-107-5 / 9783962811075 |
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