Maria Francisca (eBook)
84 Seiten
Null Papier Verlag
978-3-96281-173-0 (ISBN)
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen - Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen – Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
Maria Francisca
Maria Francisca
(1858)
Wir hatten den sommerheißen Tag in der engen, trägen Postkutsche fast ganz verschlafen. Denn die Fenster waren zu schmal, um uns bequem an den wolkenlosen Linien des Gebirges, dem wir entgegenfuhren, zu weiden, und Sonnenbrand und Staub hatten das flache Vorland seit Wochen übel heimgesucht. In einer Art von trotziger Müdigkeit und wehmütiger Verstocktheit aller Sinne saß mein Freund, der Maler, mir gegenüber, und mit einem kräftigen Freudenfluch sprang er Abends aus dem schwülen Kasten, als wir vor dem Posthause des letzten Städtchens an der Schwelle des Gebirges hielten. Er warf seinen Mantelsack neben den meinigen in einen Winkel der Gaststube und zog mich sogleich wieder auf die kühle Straße hinaus.
Der Ort hatte jenes gemischte Ansehen, wie man es nur bei solchen an das Vorgebirge gerückten Vorposten der Ebene findet. Die Häuser zeigten sich gegen das Hochlands-Klima wohl verwahrt, manche ganz in einen Schuppenpanzer von Schindeln gekleidet, die Dächer mit Felsstücken beschwert, andere wiederum mit aller flachen Zierlichkeit großstädtischer Bauten ausgerüstet. Mitten aber durch die Stadt lief ein rascher Bach, so klar, dass wir der Lockung nicht widerstanden, die staubigen Hände darin zu kühlen. Dabei nahm sich mein Freund sehr befremdlich und gefährlich aus, da ihm beim Bücken die Haare tief übers Gesicht fielen und mit dem Bart zusammenflossen, wie ein mächtiger Stromgott, von dessen Haupt und Angesicht die Quellen entspringen. Bei näherer Betrachtung erkannte man freilich, dass dieser einschüchternde Haarwuchs zu dem kindlich-sinnlichen Ausdruck seines Gesichts nicht passte. Er hätte, geschoren, trotz seiner sechsunddreißig Jahre noch immer ein ganz artiges Mädchen vorstellen können. Und so war es auch mit seinem inneren Wesen bestellt. Man konnte wohl sagen, dass er Haare auf den Zähnen hatte, denn wo es galt, sich nach außen hin Respekt zu verschaffen, war er allezeit unverlegen. Im Übrigen teilte er mit jenem alten lockenberühmten Helden die Schwäche, dass manch ein Philister ihn zu überlisten und manche Delila seine arglose Seele zu schädigen verstanden hatte.
Als er nun den Tagesstaub von sich getan hatte und sich aufrichtend den reinen, heiteren Abendwind empfand, der durch die Gassen streifte, wurde er ganz aufgeräumt und lachte über die verdrießliche Fahrt. Er nahm mich unter den Arm und schlenderte, das ergrauende Blau des Himmels studierend, längs dem Bach die Straße hinunter. Mir ist wohl, sagte er, wie der Raupe, die aus der Schachtel eines Schulbuben entwischt und in einen frischen Strauch gerät, wo sie sich zu Verpuppen denkt, ohne den Wissensdrang irgend eines zuschauenden Menschenauges dadurch zu befriedigen. Du sollst sehen, wie gut ich morgen erst, wo es ans Wandern geht, zu brauchen sein werde.
Ich freute mich seiner guten Stimmung; denn als ich ihn vor vier Wochen nach einer langjährigen Trennung wiederfand, hatte mich der Druck, der sein Gemüt belastete, nicht wenig geschmerzt. Durch entferntes Hörensagen wusste ich wohl, dass er inzwischen seine Frau verloren hatte. Ich war ihm in den Jahren seiner Ehe nie begegnet, und da man von geliebten Toten nur zu denen sprechen mag, denen wenigstens die äußere Gestalt des Abgeschiedenen nicht fremd war, so vermied ich es, nach seinem Kummer zu fragen. Vornehmlich um ihn zu zerstreuen, hatte ich die Gebirgsreise eifrig veranstaltet, und sah nun mit großer Genugtuung, dass Alles nach Wunsch zu gehen versprach.
Während wir so planlos uns ergingen und mit der Aufmerksamkeit, die man bei Beginn einer Reise auch den geringsten neuen Gegenständen schenkt, uns nach allen Seiten umsahen, entdeckten wir ziemlich am Ende der Stadt ein niedriges Haus von Einem Stockwerk, nach Art der italienischen mit einem flachen Dache gedeckt. Ein Zelt war oben ausgespannt, unter dem ein Haufe von Männern beim Weine saß. Über der Tür aber schwankte ein metallenes, wunderlich ausgeschnittenes Schild mit der kunstlosen Inschrift: Marionetenspil und Rosolio, ausgeübt durch Alessandro Tartaglia. Uns beide gelüstete nach dem luftigen Platz in der Höhe, wo wir auch das Volk, in dem schon viele romanische Elemente spuken, zu beobachten hofften, und da sich kein Aufgang von außen erspähen ließ, traten wir in die nicht gar saubere Schenke ein.
Ein Gewirr wunderlicher Stimmen drang uns entgegen, zugleich ein unfeiner Mischgeruch der verschiedensten gebrauten und gebrannten Getränke, der uns fast den Atem benahm. Links vom Eingang war ein schwerfälliger Schenktisch aufschlagen, hinter dem eine blasse Frau mit dunklen und lose aufgedeckten Haaren saß, einen Säugling an der offenen Brust. Sie starrte teilnahmslos in ein Glas mit rotem Wein, das vor ihr stand und aus dem sie von Zeit zu Zeit trank. Auf den Gestellen an der Wand hinter ihr sah man verschiedenartige Flaschen, deren Inhalt in allen Farben spielte. Ein Spinnrad lehnte im Winkel, eine gelbe Katze schlief auf dem Fußgestell und hielt einen herausgezupften Faden im Traume fest. Auch die Frau schien halb zu schlafen. Wenigstens sah sie uns Eintretende mit einem zerstreuten, ungastlichen Blicke an, nickte kaum mit dem Kopf und machte sich mit dem Kinde zu tun, das die Brust verloren.
Unsere Aufmerksamkeit wurde auch bald von der übrigen Ausstattung der Schenke in Anspruch genommen. Da saßen und standen eine große Zahl von Landleuten und Gebirgsbewohnern vor dem ziemlich umfangreichen Marionettenkasten, der aus dem Hintergrunde des Zimmers mit seinen zwei trüben Seitenlichtern und dem von oben erhellten Bühnenraum allerdings fantastisch genug hervorsah. Es war sehr geschickt so veranstaltet, dass, wer nur im Vorübergehen am Hause einen Blick in die Schenke warf, die grell bemalten Puppengesichter erkennen musste. Den Text des Schauspiels verstand man aber nur, wenn man eingetreten war und scharf zuhörte. Denn die Stimme des Schenkwirtes Alessandro Tartaglia schien durch den Umstand, dass er mit dem Marionettenspiel das Rosoliogeschäft verband, an Tonfülle nicht wenig eingebüßt zu haben, zu geschweigen, dass die Sprache, die aus der heiseren Kehle kam, ein bedenkliches Gemengsel deutscher, französischer und italienischer Phrasen war, dem man erst nach einiger Übung Sinn abgewinnen konnte.
Wie wir nun, unschlüssig, ob wir bleiben oder gehen sollten, die Treppe zum Dach hinauf umsonst mit den Augen suchten, hatten die Letzten der andächtigen...
| Erscheint lt. Verlag | 1.7.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | 99 Welt-Klassiker | 99 Welt-Klassiker |
| Verlagsort | Neuss |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Schlagworte | Adel • Adolf Friedrich von Schack • Betrug • Doge • Dogen • Emanuel Geibel • Felix Dahn • Franz von Kobell • Friedrich Bodenstedt • Gondel • Hermann Lingg • Italien • Kaiser • König • Robert von Hornstein • Tyrannei • Untergang • Verrat • Wilhelm Heinrich Riehl • Wilhelm Hertz |
| ISBN-10 | 3-96281-173-7 / 3962811737 |
| ISBN-13 | 978-3-96281-173-0 / 9783962811730 |
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