Beatrice (eBook)
92 Seiten
Null Papier Verlag
978-3-96281-116-7 (ISBN)
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen - Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen – Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
Beatrice
Beatrice
(1867)
Wir hatten bis in die tiefe Nacht hinein geplaudert, unser drei, bei einigen Flaschen Astiweins, die wir durch einen glücklichen Zufall aufgetrieben hatten und nun im kühlen Gartenhaus auf das Wohl des eben aus Italien heimgekehrten Freundes leerten. Er war der älteste von uns und schon ein fertiger Mann, als wir ihn vor zwölf Jahren auf einer Reise im Süden kennenlernten. Auf den ersten Blick hatte uns seine männliche Gestalt, der Adel seines Wesens und eine gewisse melancholische Anmut seines Lächelns für ihn eingenommen. Sein Gespräch, seine ungewöhnliche Bildung und die Bescheidenheit, mit der er sie geltend machte, gewannen uns vollends, und die drei Wochen, die wir miteinander in Rom zubrachten, befestigten eine so warme Freundschaft, wie sie nur je zwischen Ungleichaltrigen bestanden hat. Dann musste er plötzlich nach Genf, seiner Heimat, zurück, wo er an der Spitze eines ansehnlichen Handlungshauses stand. Aber in den folgenden Jahren hatten wir keine Gelegenheit versäumt, uns wiederzusehen, und auch jetzt war ihm der Umweg über unsere Stadt nicht zu weit gewesen, um uns wenigstens auf vierundzwanzig Stunden zu begrüßen.
Wir fanden ihn in seinem Aussehen unverändert; er war noch immer ein schöner Mann, das Haar kaum mit dem ersten Grau angesprengt, die hohe Stirn glatt und weiß. Aber er schien uns schweigsamer als bei unserem letzten Begegnen, manchmal so in sich versinkend, dass er unsere Fragen überhörte, während er minutenlang unverwandt die Perlen des Weins im Glase aufquellen sah oder ein Stück Eis langsam am Kerzenlicht zertauen ließ. Wir dachten ihn gesprächig zu machen, wenn wir ihn nach seiner letzten Reise ausfragten. Aber als auch dieses Lieblingsthema nicht sonderlich einschlug, ließen wir ihn gewähren und sprachen unter uns, froh, dass wir ihn wenigstens leiblich bei uns hatten, und ruhig abwartend, wann er auch geistig zu uns zurückkehren würde.
Indessen kramte ich allerlei Gedanken aus, die mich seit kurzem lebhaft beschäftigt hatten und die, unreif und schroff, wie ich sie hinwarf, den Widerspruch unseres Freundes, der ein scharfer Dialektiker war, zu jeder anderen Zeit gereizt haben würden. Der Zustand des Theaters in Italien hatte den Anstoß gegeben. Ich behauptete, es sei durchaus nicht wunderbar, dass es die Italiener, so pathetisch und leidenschaftlich sie sich gebärdeten, nicht zu einer tragischen Literatur gebracht hätten, die sich neben die griechische, englische und deutsche stellen könnte. Im Grunde sei es bei den Spaniern und Franzosen, trotz ihrer hochberühmten dramatischen Blüteperioden, nicht viel besser damit bestellt. Denn das Temperament der Romanen, ihre Natur wie ihre Kultur, seien nun einmal so streng an das Konventionelle gebunden, dass die eigentlichsten tragischen Probleme, die alle auf der Selbstherrlichkeit des Individuums beruhten, ihnen kaum verständlich würden; dazu komme noch, dass sie auch in der Form sich nie zu befreien und die rücksichtslosen Naturlaute anzuschlagen wagten, die allein den tragischen Schauder in uns erregen könnten. – Wie jedes ästhetische Gespräch, das nicht bloß an der Schale herumtastet, führte auch dieses bald in die rätselhaften Tiefen der Menschennatur, und während Amadeus scheinbar teilnahmslos mit seinem silbernen Stift Figuren in den verschütteten Wein zeichnete, nahm Otto lebhaft Partei für das, was ich als Konvention zu verdammen schien, er aber als das streng waltende Sittengesetz auch in der Dichtung obenan stellte. Mein Satz schien ihm gefährlich, dass jeder tragische Fall das Naturrecht der Ausnahme gegen das bürgerliche Recht der Regel verherrlichen müsse, dass demnach der Begriff einer tragischen Schuld auf das Verbrechen hinauslaufe, einen Dämon im Busen zu haben, der den einzelnen über die engen Schranken der Alltagssatzung hinaushöbe und ihn darin bestärke, mit nichts sich abzufinden, nichts zu dulden, nichts zu verehren, was dem innersten Gefühl widerstreite. Damit lösest du, sagte er, die ganze Weltordnung, die doch wohl ihre guten Gründe hat, zu Gunsten eines unbegrenzten Individualismus auf und scheinst nur dem wahren Wert für die Poesie zuzuerkennen, was sich außer das Gesetz stellt. – Ich suchte ihn dabei festzuhalten, dass es sich hier nur um die eigentlich tragischen Kollisionsfälle handle, und dass große und starke, mit einem Wort, heroische Seelen den Streit der Pflichten anders zu lösen pflegten als der ängstliche, von kleinen Gewohnheiten und Rücksichten eingeengte Mittelschlag der Philister. Geniale Naturen, sagt’ ich, die auf sich selbst beruhten, erweitern durch ihre Handlungen, indem sie das Maß ihrer inneren Kraft und Größe als ein Beispiel vorleuchten lassen, ebenso sehr die Grenzen des sittlichen Gebiets, wie geniale Künstler die hergebrachten Schranken ihrer Kunst durchbrechen und weiter hinausrücken. Und was an Obermaß und Übermut des Selbstgefühls in jenen heroischen Seelen sich rühren mag, wird es nicht eben durch den tragischen Untergang geläutert und gebüßt? Wenigstens nach der Meinung der Philister, denen das Leben das höchste Gut ist, die also auch schwerlich von Handlungen und Gesinnungen zu verführen sind, auf die nach dem Weltlauf der Tod gesetzt ist. Der Dichter aber und die, die ihn verstehen, wird sich das Recht nicht verkümmern lassen, sich der hohen Erscheinungen zu erfreuen, für welche die üblichen Zollstöcke der Moral nicht passen wollen. Und wer das unsittlich schilt, was bei unseren traurig mangelhaften bürgerlichen Einrichtungen starken und freien Menschen als eine heilige Notwehr übrig bleibt, für den ist Schönes nie geschaffen worden, und vom Guten kennt er nur das Nützliche.
Dieses und ähnliches hatt’ ich gesagt, als auf einmal Amadeus aus seinem Hinbrüten zu mir aufsah und mir über den Tisch hinüber die Hand reichte. Ich danke dir, sagte er; du hast da ein gutes Wort gesprochen, das mir wohltut. Unter uns Dreien kann ja auch kein Streit darüber sein, dass die Sitte nicht das Maß der Sittlichkeit ist, und dass die höchsten Aufgaben der Poesie an den Grenzen der Menschheit liegen. Aber gegen eins muss ich Einsprache erheben: dass du den Mangel eines wahrhaft großen tragischen Poeten in Italien aus der konventionellen Gebundenheit des Volkscharakters erklären willst. Als ob Gemüts- und Geschmacksanlagen,...
| Erscheint lt. Verlag | 1.7.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | 99 Welt-Klassiker | 99 Welt-Klassiker |
| Verlagsort | Neuss |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Schlagworte | Adel • Adolf Friedrich von Schack • Betrug • Doge • Dogen • Emanuel Geibel • Felix Dahn • Franz von Kobell • Friedrich Bodenstedt • Gondel • Hermann Lingg • Italien • Kaiser • König • Robert von Hornstein • Tyrannei • Untergang • Verrat • Wilhelm Heinrich Riehl • Wilhelm Hertz |
| ISBN-10 | 3-96281-116-8 / 3962811168 |
| ISBN-13 | 978-3-96281-116-7 / 9783962811167 |
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