Im Grafenschloss (eBook)
116 Seiten
Null Papier Verlag
978-3-96281-161-7 (ISBN)
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen - Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen – Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
Im Grafenschloss
Im Grafenschloss
Einen Sommer lang hatte ich auf der Universität häufigen und vertrauten Verkehr mit einem jungen Manne, dessen seelenvolles Gesicht und edle Sitten auf jeden, der ihm nur flüchtig nahe kam, einen gewinnenden Eindruck machten. Vertraut darf ich unser Verhältnis wohl nennen, weil ich der Einzige aus unserem studentischen Kreise war, den er aufforderte, ihn zu besuchen, und der dann und wann seinen Besuch empfing. Aber von jener ungebundenen, überschwänglichen, nicht selten zudringlichen Verbrüderung, wie sie unter der studierenden Jugend hergebracht ist, waren wir, als wir uns im Herbst trennten, fast so weit entfernt, wie auf jenem ersten Spaziergange längs dem Rheinufer, wo uns der gleiche Weg und das gleiche Entzücken an der wundervollen Frühlingslandschaft zusammenführten.
Selbst in seine äußeren Verhältnisse hatte er mich nur notdürftig eingeweiht. Ich wusste, dass er aus einem alten gräflichen Hause stammte, seine Knabenzeit im Schloss seines Vaters unter der Leitung eines französischen Hofmeisters verlebt hatte, dann mit diesem auf Reisen geschickt und endlich auf seinen ausdrücklichen Wunsch zur Universität gegangen war. Hier erst hatte er klar erkannt, was ihm bisher nur als eine dunkle Ahnung nachgegangen war, dass es ihm an aller regelmäßigen Bildung fehlte. Nun schloss er sich Jahre lang mit Büchern und Privatlehrern ein, ließ draußen das wilde Burschenleben vorüberbrausen, ohne von seiner Arbeit aufzusehen, und war, da ich ihn kennen lernte, so weit gediehen, dass er mit der Politik des Aristoteles aufstand und mit einem Chorgesang des Euripides zu Bette ging.
Kein Hauch von pedantischem Notizenstolz, kein Anflug von unfruchtbarem Staube beschwerte seinen Geist nach diesen ernst angespannten Lehrjahren. So viele fleißige Leute arbeiten, um nur nicht leben zu müssen. Er erlebte alles, was er arbeitete, denn er arbeitete immer aus dem Vollen, mit allen Organen zugleich. Einen geistigen Gewinn, der nicht zugleich seinem Charakter zu Gute kam und mit den Bedürfnissen seines Gemüts im Widerspruch stand, kannte er nicht, erkannte er nicht an. In diesem Sinne war er vielleicht die idealste Natur, die mir je begegnet ist, wenn das Wort nicht in dem platten Sinne missbraucht wird, wo es eine weiche Schönseligkeit, eine Abkehr von der kalten und unsanften Wirklichkeit der Dinge bedeutet, sondern den freilich selteneren Trieb, aller engen, fachmäßigen Abrichtung, selbst um den Preis glänzender Erfolge, auszuweichen und ein Menschheits-Ideal mit festem Mut und bescheidener Hoffnung im Auge zu behalten.
So war es auch begreiflich, dass die gewöhnlichen studentischen Vergnügungen unseren jungen Einsiedler wenig lockten. Man legte es ihm als aristokratischen Hochmut aus, von dem er völlig frei war. Allerdings hatte seine Erziehung einen Widerwillen gegen das Rohe, Unsäuberliche und Maßlose in ihm befestigt. Aber das Bedürfnis äußerer Reinlichkeit war ihm schon angeboren, eben so sehr, wie ein fast weibliches Zartgefühl in allen sittlichen Dingen. Ich habe nie eine größere Willensstärke, eine männlichere Energie des Geistes mit so viel mädchenhafter Scheu, von Herzensangelegenheiten zu reden, vereinigt gefunden. Darum mied er die lauten Gelage, in denen zwischen Weindunst und Tabaksqualm über Vaterland, Freiheit, Liebe und Freundschaft, Gott und Unsterblichkeit mit gleichem breiten Behagen, wie über den letzten Ball oder den Schnitt einer neuen Korpsmütze verhandelt wurde. Ja, auch unter vier Augen, wo er über ein wissenschaftliches Problem aufs beredteste sich ergeben konnte, geriet er nur selten auf Fragen, über die nur die geheimste, persönlichste Natur im Menschen entscheidet. Politik, Historie, Staatswissenschaft und die Alten trieb er mit Leidenschaft; da wurde er in der Debatte oft so warm und überströmend, als spräche er zu einem ganzen Volk, das er mit fortzureißen trachtete. Die täglichen Dinge berührte er kaum. Von seiner Familie habe ich ihn niemals sprechen hören.
Nur einmal nannte er seinen Vater. Ich besuchte ihn eines Abends, um ihn zu einer Wasserfahrt aufzufordern, wie er sie sehr liebte, wo wir im kleinen Kahn uns zu einer Weinschenke eine Stunde unterhalb der Stadt hinunter ruderten, um dann nach einem einfachen Mahl unterm Sternenhimmel zurückzuwandern. Ich fand ihn, da er eben seine Feder weggeworfen hatte und mit dem Entschlusse rang, sich zu einer Gesellschaft anzukleiden. Beklagen Sie mich! rief er mir entgegen (zum »Du« haben wir es nie gebracht). Sehen Sie das prachtvolle Abendrot und stellen Sie sich vor, dass ich ihm den Rücken wenden muss, um mich an der Erhabenheit gestirnter Fracks zu weiden.
Dabei nannte er mir eines der ältesten adligen Häuser der Stadt, wo zu Ehren eines durchreisenden Gesandten eine Soiree veranstaltet war.
Und Sie müssen? fragte ich mit aufrichtigem Mitgefühl.
Ich muss wohl, seufzte er. Mein Vater, der mit Gewalt einen Diplomaten aus mir machen will, würde sehr ungehalten sein, wenn ich nach Hause käme und wüsste nicht zu sagen, ob die Soupers des Barons N., an den er mich angelegentlich empfohlen, noch immer ihren europäischen Ruf rechtfertigen. Darum habe ich mich sträflicher Weise zu wenig gekümmert und muss nun zu guter Letzt die Lücken in meinem Cursus ausfüllen.
Er sah mich lächeln und setzte schnell hinzu: Sie müssen wissen, mein Vater denkt über die galonierte Nichtigkeit, die in den meisten dieser Kreise sich spreizt, wo möglich noch unhöflicher als ich, wenn er auch Anderes dort vermisst, als was mir zu wünschen übrig bleibt. Er ist ein Mann der alten Schule, ein Diplomat des Empire; er hat die Welt in Flammen stehen sehen und kann die dämonische Beleuchtung nicht vergessen, in der damals Gut und Böse, schön und Hässlich, Hoch und Niedrig an ihm vorüberzog. Jetzt ist Alles friedlich, aber grau, zahm, aber schläfrig – wie es ihm vorkommt. Aber gleichviel, es ist immer noch eine Welt, und wer sie in seinem Kreise beherrschen will, muss sie kennen. Er hat mir nicht viel gute Lehren mit auf den Weg zur Universität gegeben, aber die eine mir in hundert Variationen eingeschärft: Lies mehr in Menschen, als in Büchern. Als ich in deinen Jahren war, pflegte er zu sagen, spielten die Bücher eine viel bescheidenere Rolle; ich kannte manchen genialen Mann, der seit seinem Eintritt in die Gesellschaft nie etwas Anderes las, als...
| Erscheint lt. Verlag | 1.7.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | 99 Welt-Klassiker | 99 Welt-Klassiker |
| Verlagsort | Neuss |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Schlagworte | Adel • Adolf Friedrich von Schack • Betrug • Doge • Dogen • Emanuel Geibel • Felix Dahn • Franz von Kobell • Friedrich Bodenstedt • Gondel • Hermann Lingg • Italien • Kaiser • König • Robert von Hornstein • Tyrannei • Untergang • Verrat • Wilhelm Heinrich Riehl • Wilhelm Hertz |
| ISBN-10 | 3-96281-161-3 / 3962811613 |
| ISBN-13 | 978-3-96281-161-7 / 9783962811617 |
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