Lassiter 2368 (eBook)
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-5562-8 (ISBN)
Nicht eine Wolke schwebte am blauen Himmel über Wichita. Auf der Mainstreet wälzte die milde Abendbrise Staubwolken vor sich her und aus den offenen Fenstern des Saloons tönten Musik, Gelächter und das Klatschen und Stampfen der Tanzenden. Kein Tag zum Sterben eigentlich.
Jimmy sprang vom Sidewalk, rannte über die Straße und nahm die Stufen zum Store mit einem einzigen Satz. Sein Vater hatte ihn losgeschickt, um Tabak zu kaufen. Eine schwarze Katze saß vor der halb geöffneten Ladentür. Jimmy hockte sich neben das Tier und streichelte es.
Jimmy Walker war zehn Jahre alt damals, und nichts, was an jenem Sommerabend geschah, sollte er jemals wieder vergessen...
Im Laden drinnen hörte er zwei Männer reden. »Walker ist im Saloon«, sagte die eine, »er tanzt.«
»Und Lester?«, fragte die andere.
»Sitzt an der Theke«, antwortete die erste Stimme. »In der nächsten Tanzpause geht’s los. Wie komme ich aufs Dach?«
Jimmy schlich in den Store. Seinen Familiennamen zu hören – Walker – hatte ihn stutzig gemacht. Hinter einem Regal mit Stoffballen versteckt, spähte er zur Ladentheke. Mr. Kensington – so hieß der Ladeninhaber – erklärte einem Mann den Weg aufs Dach.
Sicher, der Name Walker war nicht gerade selten. Doch weil seine Eltern sich unter die Tanzenden gemischt hatten, nachdem sein Vater ihm das Geld für den Tabak in die Hand gedrückt hatte, glaubte Jimmy, dass von ihm die Rede sein müsse. Und gleich zwei Männer namens Walker zur selben Zeit auf der derselben Tanzfläche? Das erschien ihm unwahrscheinlich.
Den Mann vor der Ladentheke hatte Jimmy Minuten zuvor aus dem Saloon gehen sehen. Er war jung, mittelgroß und hager und hatte langes schwarzes Haar. Er hatte den Saloon ohne Gewehr verlassen – jetzt hielt er eines in den Händen und lud es.
An seiner linken Hand fehlte der kleine Finger. Jimmy sah es genau, als der Mann die Kugeln in die Waffe steckte. »Bringen wir’s hinter uns«, sagte er, klemmte das Gewehr unter den Arm und verschwand durch die Hintertür.
Jimmy stand ganz still, wagte kaum zu atmen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er dachte an die vier Fremden, mit denen sein Vater zu Beginn des Monats auf der Veranda gestritten hatte. Es war um die Ranch gegangen. Dad wollte sie nicht verkaufen.
Jimmys Herz schlug plötzlich schneller.
Die Katze strich um seine Füße und schnurrte. Jimmy nahm sie hoch und ging zur Ladentheke. Mr. Kensington runzelte die Stirn; er schien überrascht. »Was zum Teufel hast du hier verloren?«, zischte er. Er war groß und dürr und hatte riesige Ohren. Eine Hakennase beherrschte sein langes Gesicht.
»Ich soll Tabak für meinen Dad kaufen.« Ohne die Katze loszulassen, öffnete Jimmy die Faust und ließ die beiden Münzen auf die Ladentheke fallen, die sein Vater ihm mitgegeben hatte. Während er Mr. Kensington ins Gesicht schaute und ihm die Tabakmarke seines Vaters nannte, drückte er das Tier an sich, als könnte es ihn vor dem Unglück beschützen, das Jimmy nahen fühlte.
»Lass die Katze los, Junge!« Mr. Kensington legte ihm den Tabak hin. »Die hat’s nicht gern, wenn man sie rumschleppt.« Jimmy setzte die Katze ab, nahm den Tabak und lief aus dem Store. Er hatte es eilig, zurück in den Saloon zu kommen – irgendetwas stimmte nicht.
Vor der Schwingtür blieb er stehen und lauschte: Statt Pianoklänge und Gelächter, tönte jetzt Männergeschrei von drinnen. Und zu tanzen schien auch niemand mehr.
Unter den lauten Stimmen erkannte Jimmy die seines Vaters. Dad stritt sich mit jemandem. Jimmy drehte sich um und blickte zurück zum Store. Hinter dem Ladenschild auf dem Vordach tauchte ein Hut ab.
Das Geschrei aus dem Saloon näherte sich der Schwingtür, beide Flügel wurden aufgestoßen, Jimmy wich zur Seite aus. Ein gutes Dutzend Männer quollen aus dem Saloon, darunter sein Vater. Und ein großer Blonder mit aufgeplatzter Lippe.
Die meisten blieben auf dem Sidewalk stehen, oder lehnten gegen die Hausfassade. Nur sein Vater und ein zweiter Mann marschierten auf die Mainstreet – sein Vater in Richtung Store, der mit dem blutenden Mund in die andere Richtung.
»Steve!« Jimmys Mutter stürzte aus dem Saloon. Sie nahm ihn gar nicht wahr, wollte weiter auf die Mainstreet laufen. Ein sehr junger Bursche und ein drahtiger Kahlkopf mit vernarbtem Gesicht hielten sie fest. »Nicht doch, Steve!«, schrie sie. »Lass dich doch nicht provozieren, Darling!«
»Hier geblieben, Ma’am!« Der sehr junge Bursche zog sie zurück auf den Sidewalk. »Das ist Männersache.« Jimmy erkannte ihn an der Augenklappe: Er war einer der Männer, mit denen Dad zuhause auf der Veranda gestritten hatte. Auch der Kahlkopf mit den Pockennarben im Gesicht war dabei gewesen.
»Wenn Lester King meine Frau eine ›Hure‹ genannt hätte, wäre er nicht mal mehr lebend auf die Mainstreet hinaus gekommen«, sagte ein anderer. »Den hätte ich schon im Saloon mit Blei gespickt.«
Später erfuhr Jimmy, dass der Mann namens Lester King seine Mutter nicht nur als Hure bezeichnet, sondern sich bei ihr auch für »die heiße Nacht« bedankt hatte. In jenen Augenblicken vor dem Saloon jedoch begriff er nur, dass sein Dad den großen Blonden geschlagen hatte, weil der die Mutter beleidigt hatte.
Nach vielleicht zwanzig Schritten blieben beide Männer stehen und drehten sich um. Jeder ließ seine Rechte über dem Kolben seines Revolvers schweben. Jimmy wurde angst und bange – sein Vater war tatsächlich im Begriff, sich mit dem großen Blonden zu duellieren!
»Nicht doch, Steve!«, schrie seine Mutter. »Komm von der Straße! Komm schon, Darling!« Sie strampelte in den Armen des Einäugigen. »King will dich töten!«
»Hey, Baby!«, rief der große Blonde. »Ich wusste ja nicht, dass du verheiratet bist!« Das konnte nur dieser Lester sein, der Mann von dem die Männer im Store gesprochen hatten. »Tausend Dank noch mal für den heißen Fick!«
»Lügner!«, schrie Jimmys Mutter. »Verdammter Lügner!«
Sie zogen nahezu gleichzeitig. Lester King ließ sich zur Seite und in den Staub fallen, während er schoss. Und Jimmys Vater schlug mit dem Gesicht voran im Staub der Mainstreet auf.
Jimmy glaubte zu spüren, wie der Sidewalk unter seinen Sohlen bebte, und alles Geschrei drang auf einmal wie von sehr weit weg an seine Ohren. Er stand wie festgewachsen, starrte zu seinem reglos im Staub liegenden Vater hinüber. Und vergaß zu atmen. Die Zeit stand still.
Die kreischende Mutter wollte hinaus auf die Straße stürzen, doch die Männer hielten sie fest. Jemand rief nach dem Totengräber, jemand nach dem Townmarshal. Auf Jimmy achtete niemand.
Der löste sich endlich aus seiner Starre und stelzte vom Sidewalk auf die Mainstreet. Nur wenige Schritte trennten ihn noch von seinem Vater, als zwei Männer sich über den Toten beugten. Die hoben ihn aus dem Staub, um ihn auf einen heranrollenden Wagen zu werfen.
Ein Blutfleck, schon größer als Jimmys Hand, prangte auf Dads Rücken. Im Straßenstaub, da wo Dad zuletzt gelegen hatte, sah Jimmy kein Blut. Er drehte sich um und spähte zum Vordach des Stores hinüber.
Ein paar Wochen danach wurde Jimmys Mutter sehr krank. So krank, dass sie sich nie wieder richtig erholte. Sechs Monate später verkaufte sie die Ranch und ging mit Jimmy nach Denver. Und nicht ganz zwanzig Jahre später stand Jimmy den Mördern seines Vaters gegenüber.
***
Der Arzt hieß Henderson, war Colonel der US-Kavallerie und empfing Lassiter in einem Sprechzimmer des Militärlazaretts von Kansas City. Henderson war Mittelsmann der Brigade Sieben.
Sein Sprechzimmer war mit alten weißen Möbeln ausgestattet – Schreibtisch, Stühle, Liege, Waschtisch, Schränke mit Glastüren – alles weiß und abgestoßen. An der Wand über dem Schreibtisch hing ein riesiges Ölgemälde – eine Prärielandschaft mit Büffeln und indianischen Jägern. Eine schmutzige Glühbirne flackerte unter der Decke.
Wirklich schön an diesem Sprechzimmer war nur eines: die junge Frau, die vor Henderson am Boden kniete und ihm den Fuß verband. Sie hatte energische Gesichtszüge und einen großen Mund mit vollen Lippen. Das kastanienrote Haar trug sie zu einem Dutt geflochten.
»Verfluchte Gicht.« Schmerzen verzerrten das Gesicht des Colonels. »Eine Kugel im Knie ist eine Wohltat dagegen. Nehmen Sie Platz Lassiter.« Er wies auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch.
Lassiter setzte sich. Es roch nach Schnaps und Jod. Wahrscheinlich hatte die Frau dem Doc irgendeine Salbe auf seine gichtigen Zehengelenke geschmiert. Jetzt schnürte sie ihm eine Art Sandale unter den verbundenen Fuß.
»Am Arkansas draußen tun sich Dinge, die uns nicht gefallen können«, sagte Henderson. »Ein Townmarshal wird aus dem Hinterhalt erschossen, brave Farmer geben scheinbar grundlos Haus und Hof auf, ein halbes Dutzend Männer findet man mit einer Kugel im Kopf, und hin und wieder brennt eine Ranch ab.«
»Wo genau, Sir?« Lassiter betrachtete den schlanken Hals der Schönen. Sie hatte schneeweiße Haut.
»In der Gegend von Wichita.« Der Colonel entkorkte eine halbvolle Whiskyflasche. »Unsere gemeinsamen Freunde in Washington wollen, dass ein erfahrener Mann sich dort mal umschaut. Hinter den Vorfällen scheint System zu stecken, und wir wüssten gern, wer hinter dem System steckt.«
Die Frau stand auf, ging zum Waschtisch und wusch sich die Hände. »Danke, Meryl.« Henderson goss Whisky in zwei Gläser und schob Lassiter eines über den Schreibtisch. »Tut nur noch halb so weh. Das muss an Ihren göttlichen Fingern liegen, Meryl.« Wohlgefällig betrachtete er die Rückenansicht der Frau.
Die Frau antwortete nicht. Überhaupt kam sie Lassiter eigenartig schweigsam und verschlossen vor. Das machte sie noch interessanter. Kaum konnte er seine Blicke von ihrer schlanken Gestalt lösen.
Sie trug eine weiße Schürze über ihrem schwarzen Kleid. Das war nicht direkt eng geschnitten, doch auch nicht weit genug, um die geschwungenen Linien ihres Körpers zu verbergen. Lassiter war ziemlich angetan.
»Alles, was man aus Wichita hört, klingt ganz so, als wollte sich dort jemand Land unter den Nagel reißen.« Der Militärarzt riss sich vom Anblick der schönen Frau los....
| Erscheint lt. Verlag | 5.12.2017 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Lassiter |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer-Geschichte • Abenteuer-Roman • Abenteurer • alfred bekker • alfred-bekker • Anna Basener • Bahnhofsroman • Bestseller • Cassidy • Cora • Country • Cowboy • Deutsch • Die Abenteurer • eBook • eBooks • erotisch • Erwachsene • erwachsene Romantik • Exklusiv • für • g f barner • G. F. Barner • g f unger • G. F. Unger • Groschenheft • Heft • Heftchen • Heftchen-Roman • Heftroman • Heft-Roman • Indianer • Karl May • Kindle • Klassiker • Krimi • Laredo • Lassiter • Liebesroman • Männer • Mira • Nackt • Neuerscheinung • Neuerscheinungen • Pulp • Pulp Ficition • Reihe • Ringo • Romanheft • Roman-Heft • serial content • Serial Novel • Serial Novels • Serie • Serien • Seriennovellen • Sexy • Unger • Western • western-bestseller • western country exklusiv • western deutsch • Western ebooks deutsch • western ebooks deutsch kindle • Western-Erotik • western exklusiv • Western-reihe • Western-roman • Westernromane • Western-Serie • western serie deutsch • Wilder Westen • Winnetou • Wyatt Earp |
| ISBN-10 | 3-7325-5562-3 / 3732555623 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-5562-8 / 9783732555628 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich