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Das Schloss (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
608 Seiten
Manesse (Verlag)
978-3-641-22364-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Schloss -  Franz Kafka
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«Die geheimnisvollste und schönste von Kafkas großen Dichtungen.» Hermann Hesse
In seinem wohl berühmtesten Buch nimmt Kafka die Fremdheits- und Ohnmachtserfahrungen des Totalitarismus vorweg. Obwohl bis ins Detail realistisch gezeichnet, entfaltet sich ein Szenario des Surrealen, von dem wie in einem Albtraum ein gebieterischer Sog ausgeht. «Das Schloss» spielt in einer undurchschaubaren Welt, die namenlosen Mächten gehorcht und in der es für den Landvermesser K. einfach kein Ans-Ziel-Kommen gibt. So sehr er sich auch abmüht, die spärlichen Fingerzeige seiner Umgebung zu deuten, er bleibt ein vergeblich Suchender, ein Abgewiesener mit Dulderstatus. Wer je das Zauberlabyrinth des Dr. Franz Kafka betreten hat, kommt nur als Verwandelter wieder heraus.

Franz Kafka wurde am 3. Juli 1883 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Prag geboren. Von 1901 bis 1906 studierte er zunächst kurze Zeit Germanistik, dann Jura und promovierte zum Dr. jur. Nach einer einjährigen »Rechtspraxis« ging er 1907 zu den »Assicurazioni Generali« und ein Jahr später als Jurist zur »Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt«, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1922 blieb. Ende 1917 erlitt Franz Kafka einen Blutsturz, es war der Beginn einer Tuberkulose, an der er am 3. Juni 1924 starb.

I

Es war spät abends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schlossberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloss an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in die scheinbare Leere empor.

Dann ging er ein Nachtlager suchen; im Wirtshaus war man noch wach, der Wirt hatte zwar kein Zimmer zu vermieten, aber er wollte, von dem späten Gast äußerst überrascht und verwirrt, K. in der Wirtsstube auf einem Strohsack schlafen lassen. K. war damit einverstanden. Einige Bauern waren noch beim Bier, aber er wollte sich mit niemandem unterhalten, holte selbst den Strohsack vom Dachboden und legte sich in der Nähe des Ofens hin. Warm war es, die Bauern waren still, ein wenig prüfte er sie noch mit den müden Augen, dann schlief er ein. Aber kurze Zeit darauf wurde er schon geweckt. Ein junger Mann, städtisch angezogen, mit schauspielerhaftem Gesicht, die Augen schmal, die Augenbrauen stark, stand mit dem Wirt neben ihm. Die Bauern waren auch noch da, einige hatten ihre Sessel herumgedreht, um besser zu sehen und zu hören. Der junge Mann entschuldigte sich sehr höflich, K. geweckt zu haben, stellte sich als Sohn des Schloss-Kastellans vor und sagte dann: «Dieses Dorf ist im Besitze des Schlosses, wer hier wohnt oder übernachtet, wohnt oder übernachtet gewissermaßen im Schloss. Niemand darf das ohne gräfliche Erlaubnis. Sie aber haben eine solche Erlaubnis nicht oder haben sie wenigstens nicht vorgezeigt.»

K. hatte sich halb aufgerichtet, hatte die Haare zurechtgestrichen, blickte die Leute von unten her an und sagte: «In welches Dorf habe ich mich verirrt? Ist denn hier ein Schloss?»

«Allerdings», sagte der junge Mann langsam, während hier und dort einer den Kopf über K. schüttelte, «das Schloss des Herrn Grafen Westwest.»

«Und man muss die Erlaubnis zum Übernachten haben?», fragte K., als wolle er sich davon überzeugen, ob er die früheren Mitteilungen nicht vielleicht geträumt hätte.

«Die Erlaubnis muss man haben», war die Antwort, und es lag darin ein grober Spott für K., als der junge Mann mit ausgestrecktem Arm den Wirt und die Gäste fragte: «Oder muss man etwa die Erlaubnis nicht haben?»

«Dann werde ich mir also die Erlaubnis holen müssen», sagte K. gähnend und schob die Decke von sich, als wolle er aufstehen.

«Ja von wem denn?», fragte der junge Mann.

«Vom Herrn Grafen», sagte K., «es wird nichts anderes übrig bleiben.»

«Jetzt um Mitternacht die Erlaubnis vom Herrn Grafen holen?», rief der junge Mann und trat einen Schritt zurück.

«Ist das nicht möglich?», fragte K. gleichmütig. «Warum haben Sie mich also geweckt?»

Nun geriet aber der junge Mann außer sich. «Landstreichermanieren!», rief er, «ich verlange Respekt vor der gräflichen Behörde! Ich habe Sie deshalb geweckt, um Ihnen mitzuteilen, dass Sie sofort das gräfliche Gebiet verlassen müssen.»

«Genug der Komödie», sagte K. auffallend leise, legte sich nieder und zog die Decke über sich. «Sie gehen, junger Mann, ein wenig zu weit, und ich werde morgen noch auf Ihr Benehmen zurückkommen. Der Wirt und die Herren dort sind Zeugen, soweit ich überhaupt Zeugen brauche. Sonst aber lassen Sie es sich gesagt sein, dass ich der Landvermesser bin, den der Graf hat kommen lassen. Meine Gehilfen mit den Apparaten kommen morgen im Wagen nach. Ich wollte mir den Marsch durch den Schnee nicht entgehen lassen, bin aber leider einige Mal vom Weg abgeirrt und deshalb erst so spät angekommen. Dass es jetzt zu spät war, mich im Schloss zu melden, wusste ich schon aus Eigenem, noch vor Ihrer Belehrung. Deshalb habe ich mich auch mit diesem Nachtlager hier begnügt, das zu stören Sie die – gelinde gesagt – Unhöflichkeit hatten. Damit sind meine Erklärungen beendet. Gute Nacht, meine Herren.» Und K. drehte sich zum Ofen hin.

«Landvermesser?», hörte er noch hinter seinem Rücken zögernd fragen, dann war allgemeine Stille. Aber der junge Mann fasste sich bald und sagte zum Wirt in einem Ton, der genug gedämpft war, um als Rücksichtnahme auf K.s Schlaf zu gelten, und laut genug, um ihm verständlich zu sein: «Ich werde telephonisch anfragen.» Wie, auch ein Telephon war in diesem Dorfwirtshaus? Man war vorzüglich eingerichtet. Im Einzelnen überraschte es K., im Ganzen hatte er es freilich erwartet. Es zeigte sich, dass das Telephon fast über seinem Kopf angebracht war, in seiner Verschlafenheit hatte er es übersehen. Wenn nun der junge Mann telephonieren musste, dann konnte er beim besten Willen K.s Schlaf nicht schonen, es handelte sich nur darum, ob K. ihn telephonieren lassen wollte, er beschloss, es zuzulassen. Dann hatte es aber freilich auch keinen Sinn, den Schlafenden zu spielen, und er kehrte deshalb in die Rückenlage zurück. Er sah die Bauern schon zusammenrücken und sich besprechen, die Ankunft eines Landvermessers war nichts Geringes. Die Tür der Küche hatte sich geöffnet, türfüllend stand dort die mächtige Gestalt der Wirtin, auf den Fußspitzen näherte sich ihr der Wirt, um ihr zu berichten. Und nun begann das Telephongespräch. Der Kastellan schlief, aber ein Unterkastellan, einer der Unterkastellane, ein Herr Fritz, war da. Der junge Mann, der sich als Schwarzer vorstellte, erzählte, wie er K. gefunden, einen Mann in den Dreißigern, recht zerlumpt, auf einem Strohsack ruhig schlafend, mit einem winzigen Rucksack als Kopfkissen, einen Knotenstock in Reichweite. Nun sei er ihm natürlich verdächtig gewesen, und da der Wirt offenbar seine Pflicht vernachlässigt hatte, sei es seine, Schwarzers, Pflicht gewesen, der Sache auf den Grund zu gehn. Das Gewecktwerden, das Verhör, die pflichtgemäße Androhung der Verweisung aus der Grafschaft habe K. sehr ungnädig aufgenommen, übrigens, wie sich schließlich gezeigt habe, vielleicht mit Recht, denn er behaupte, ein vom Grafen bestellter Landvermesser zu sein. Natürlich sei es zumindest formelle Pflicht, die Behauptung nachzuprüfen, und Schwarzer bitte deshalb Herrn Fritz, sich in der Zentralkanzlei zu erkundigen, ob ein Landvermesser dieser Art wirklich erwartet werde, und die Antwort gleich zu telephonieren.

Dann war es still, Fritz erkundigte sich drüben, und hier wartete man auf die Antwort. K. blieb wie bisher, drehte sich nicht einmal um, schien gar nicht neugierig, sah vor sich hin. Die Erzählung Schwarzers in ihrer Mischung von Bosheit und Vorsicht gab ihm eine Vorstellung von der gewissermaßen diplomatischen Bildung, über die im Schloss selbst kleine Leute wie Schwarzer leicht verfügten. Und auch an Fleiß ließen sie es dort nicht fehlen; die Zentralkanzlei hatte Nachtdienst. Und gab offenbar sehr schnell Antwort, denn schon klingelte Fritz. Dieser Bericht schien allerdings sehr kurz, denn sofort warf Schwarzer wütend den Hörer hin. «Ich habe es ja gesagt», schrie er, «keine Spur von Landvermesser, ein gemeiner lügnerischer Landstreicher, wahrscheinlich aber Ärgeres.» Einen Augenblick dachte K., alle, Schwarzer, Bauern, Wirt und Wirtin, würden sich auf ihn stürzen. Um wenigstens dem ersten Ansturm auszuweichen, verkroch er sich ganz unter die Decke. Da läutete das Telephon nochmals und, wie es K. schien, besonders stark. Er steckte langsam den Kopf wieder hervor. Trotzdem es unwahrscheinlich war, dass es wieder K. betraf, stockten alle, und Schwarzer kehrte zum Apparat zurück. Er hörte dort eine längere Erklärung ab und sagte dann leise: «Ein Irrtum also? Das ist mir recht unangenehm. Der Bureauchef selbst hat telephoniert? Sonderbar, sonderbar. Wie soll ich es dem Herrn Landvermesser erklären?»

K. horchte auf. Das Schloss hatte ihn also zum Landvermesser ernannt. Das war einerseits ungünstig für ihn, denn es zeigte, dass man im Schloss alles Nötige über ihn wusste, die Kräfteverhältnisse abgewogen hatte und den Kampf lächelnd aufnahm. Es war aber andererseits auch günstig, denn es bewies seiner Meinung nach, dass man ihn unterschätzte und dass er mehr Freiheit haben würde, als er hätte von vornherein hoffen dürfen. Und wenn man glaubte, durch diese geistig gewiss überlegene Anerkennung seiner Landvermesserschaft ihn dauernd in Schrecken halten zu können, so täuschte man sich; es überschauerte ihn leicht, das war aber alles.

Dem sich schüchtern nähernden Schwarzer winkte K. ab; ins Zimmer des Wirtes zu übersiedeln, wozu man ihn drängte, weigerte er sich, nahm nur vom Wirt einen Schlaftrunk an, von der Wirtin ein Waschbecken mit Seife und Handtuch und musste gar nicht erst verlangen, dass der Saal geleert werde, denn alles drängte mit abgewendeten Gesichtern hinaus, um nicht etwa morgen von ihm erkannt zu werden. Die Lampe wurde ausgelöscht, und er hatte endlich Ruhe. Er schlief tief, kaum ein-, zweimal von vorüberhuschenden Ratten gestört, bis zum Morgen.

Nach dem Frühstück, das nach Angabe des Wirts, wie überhaupt K.s ganze Verpflegung, vom Schloss bezahlt werden sollte, wollte er gleich ins Dorf gehn. Aber da der Wirt, mit dem er bisher in Erinnerung an sein gestriges Benehmen nur das Notwendigste gesprochen hatte, mit stummer Bitte sich immerfort um ihn herumdrehte, erbarmte er sich seiner und ließ ihn für ein Weilchen sich niedersetzen.

«Ich kenıne den Grafen noch nicht», sagte K., «er soll gute Arbeit gut bezahlen, ist das wahr? Wenn man, wie ich, so weit von Frau und Kind reist, dann will man auch etwas heimbringen.»

«In dieser Hinsicht muss sich der Herr keine Sorge machen, über schlechte Bezahlung hört man keine Klage.»

«Nun», sagte K., «ich gehöre ja nicht zu den Schüchternen und kann auch einem Grafen meine Meinung sagen, aber in Frieden mit den Herren...

Erscheint lt. Verlag 23.4.2018
Reihe/Serie Manesse Bibliothek
Nachwort Norbert Gstrein
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Booktok • dark academia • eBooks • Horror • kafakesk • Klassiker der Moderne • Klassiker für Anfänger • Labyrinth • Meisterwerk • Parabel • Phantasiereisen • Prozess • Surrealismus • TikTok • Verwandlung • Weltliteratur
ISBN-10 3-641-22364-4 / 3641223644
ISBN-13 978-3-641-22364-9 / 9783641223649
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