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Die Liebenden vom Ende der Welt (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
352 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-18236-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Liebenden vom Ende der Welt -  Midge Raymond
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Nur hier, am Ende der Welt, zwischen schroffen Gletscherklippen und eisigen Gewässern, fühlt sich Deborah wirklich zu Hause. Nur in den paar Wochen im Jahr, in denen es das feindselige Klima der Antarktis zulässt, dass sie den Lebensraum der Pinguine erforschen kann - auf einer entlegenen Forschungsstation, abgekapselt vom Rest der Welt. Hier trifft Deborah auf Keller Sullivan, einen Abenteurer und Aussteiger - und die Mauer, die sie um sich gebaut hat, bekommt langsam Risse. Doch genau wie sie selbst ist auch Keller nicht ohne Grund hier ...

Midge Raymond hat lange im Verlagswesen in New York gearbeitet und in Boston kreatives Schreiben unterrichtet. »Die Liebenden vom Ende der Welt« ist ihr erster Roman. Midge Raymond lebt in Oregon und führt dort einen kleinen Verlag.

EINE WOCHE VOR SCHIFFSUNTERGANG

Drakestraße
(59°39’ S, 61°56’ W)

Dem Schwanken der MS Cormorant nach zu urteilen stecken wir in einer Fünf-Meter-Dünung. Für unseren Kapitän ist das gar nichts; als er vor gut zwei Wochen durch die Drakestraße getuckert ist, wo das Südpolarmeer auf den Pazifik und den Atlantik trifft und Schiffe wie Spielzeug herumschleudert, waren die Wellen zehn Meter hoch. Zur Routine wird diese Fahrt allerdings nie werden, auch wenn die Cormorant sie in dieser Saison sechs Mal absolviert. Die Drakestraße schenkt nie zweimal dieselbe Erfahrung.

Ich bin nicht annähernd so seekrank, wie ich vorgebe, aber die Pause hilft mir dabei, mich in meine Rolle als Reiseführerin einzufinden. Da neunzig Prozent der Passagiere krank in ihrer Kabine liegen und sich die nächsten zwei Tage dort abkapseln werden, hat unser Expeditionsleiter Glenn nichts dagegen, wenn ich mich im Mannschaftsbereich verstecke, bis wir die Südlichen Shetlandinseln erreichen.

Das Flaggschiff des Veranstalters, die Cormorant, wurde im selben Jahr gebaut, wie ich geboren bin, vor fast vierzig Jahren. Während ich eins fünfundsiebzig und alleinstehend bin, misst sie neunzig Meter und beherbergt einhundert Passagiere und fünfzig Crew-Mitglieder. Wir sind beide fürs Eis geschaffen: Ich habe eine dicke Haut und einen Hang zur Einsamkeit, sie Stabilisatoren und einen verstärkten Rumpf, dank dem wir in die schmalen Buchten der antarktischen Halbinsel schlüpfen und, wenn das Wetter es zulässt, den südlichen Polarkreis überqueren können – etwas, das unsere Gäste alle von ihrer Lebensliste abhaken wollen.

Die Broschüren für diese Kreuzfahrt werben nicht nur mit der Tierwelt, sondern auch mit Experten wie mir. Ich bin eine von sechs Naturkundlern auf dieser Reise, Tierforscher und Historiker, die von Glenn angeheuert wurden, um die Passagiere über Pinguine, Wale, Meeresvögel, Eis und die Geschichte des Kontinents aufzuklären. Zwar werden die meisten Naturkundigen die gesamte zweiwöchige Tour an Bord bleiben, aber mehrmals pro Saison steigen einer oder zwei von uns auf einer der unbewohnten Inseln aus, schlagen ihr Lager auf und erheben Daten für das Antarktis-Pinguin-Projekt. Nach weiteren zwei Wochen, wenn das Schiff mit einer neuen Fuhre Passagiere zurückkehrt, fahren wir wieder mit in die Zivilisation. Auf dem Schiff bin ich im Bereitschaftsdienst, immer verfügbar, um Fragen zu beantworten, Zodiacs zu steuern (die kleinen, aber robusten Schlauchboote, die uns vom Schiff an Land bringen), Touristen zu hüten, Wale zu entdecken und nach dem Essen in der Lounge Vorträge zu halten. Diesen Teil liebe ich: den Kontinent vorzustellen, wie er mir einst vorgestellt wurde. Wovor mir graut sind die Fragen, die den Bereich von Flora und Fauna weit überschreiten.

Mindestens ein Mal pro Fahrt fragt mich jemand, wie ich das mache – wie kann ich Wochen oder Monate am Stück hier unten leben, zwischen Schiff und Zelt, unter den rauen Bedingungen, so viel allein. Ich werde gefragt, ob ich verheiratet bin, ob ich Kinder habe – Fragen, die ich selten gegenüber einem männlichen Naturkundler geäußert höre. Aber weil ich diesen Job behalten will, beiße ich mir auf die Zunge und lächle. Ich erkläre, dass ich zwar mit dem Brutverhalten der Pinguine gut vertraut sei, menschliche Beziehungen aber eine gänzlich andere Sache und besonders kompliziert seien, wenn es um die Antarktis gehe. Ich steuere ein wenig von der Historie des Südkontinents bei, die vor desaströsen Liebesgeschichten nur so strotzt: Der Polarwissenschaftler Jean-Baptiste Charcot kehrte, nachdem er auf dem Eis überwintert hatte, nach Hause zurück und stellte fest, dass seine Frau ihn verlassen hatte. Robert Falcon Scott, der auf dem Kontinent starb, erfuhr nie von den Gerüchten, dass seine Frau ihm während seiner Abwesenheit untreu war. Und natürlich habe ich auch so einiges erlebt während meiner komplizierten und noch nicht abgeschlossenen Geschichte der Liebe auf dem Eis, aber das behalte ich für mich.

Die Broschüren weisen auch auf das gute Essen hin, auf das Fitnesscenter und die Sauna, die Bibliothek, das Kommunikationszentrum mit Computern und Satellitentelefon, all die Dinge, die unsere Passagiere daran erinnern, dass sie nie weit von den Bequemlichkeiten ihrer Heimat entfernt sind. Es ist ihnen unbegreiflich, dass ich einen Schlafsack auf hartem eisigem Untergrund weicher Bettwäsche in einer beheizten Kabine vorziehe. Dass ich lieber halb Gefrorenes esse als ein Fünf-Gänge-Menü. Dass ich mich auf jede Minute freue, in der ich nicht auf dem Schiff bin, in der ich Pinguine und Sturmvögel höre und mich weiter denn je zuvor von der Welt oberhalb des sechzigsten Breitengrades entfernt fühle.

***

Als ich früh am nächsten Morgen aufwache, ist die andere Koje in meiner Kabine leer. Meine Zimmergenossin Amy muss auf Deck sein, um nach Albatrossen und Sturmvögeln Ausschau zu halten. Amy Lindstrom ist die Unterwasserexpertin des Schiffs, aber sie ist genauso fasziniert von den Geschöpfen oberhalb des Meeres, und in der Drakestraße gibt es Vögel, die wir weiter südlich nicht sehen werden.

Ich sollte mich auch aus dem Bett hieven, aber ich stütze mich nur auf einen Ellbogen auf und beobachte einen genau vor dem Bullauge über meiner Koje vorbeiziehenden Albatros. Diese Vögel, die den Himmel über dem Südpolarmeer beherrschen, faszinieren mich immer wieder; sie verbringen Monate, manchmal Jahre auf dem Meer, umfliegen diesen Teil des Planeten, ohne jemals auf festem Land aufzusetzen. Ich sehe dem Albatros zehn Minuten lang zu, und er schlägt nicht ein Mal mit den Flügeln. Hin und wieder lässt er sich vom Wind über das Schiff heben, aus meinem Sichtfeld, aber die meiste Zeit gleitet er knapp über den Wellen dahin, gerade außer Reichweite der wirbelnden Schaumkronen.

Als ich die Tür quietschen höre, drehe ich den Kopf, weiß aber, dass es nicht der Mensch ist, den ich erwartet habe, derjenige, den ich am liebsten sehen möchte.

»Raus aus den Federn«, sagt Thom.

Seine wuscheligen Haare sind grauer als in meiner Erinnerung. Ich habe Thom nicht mehr gesehen, seit wir vor fünf Jahren im Auftrag des APP zwischen den Pinguinen auf der Petermann-Insel gecampt haben, und gestern in dem Chaos, die Passagiere an Bord und in ihre Kabinen zu verfrachten, hatten wir kaum Zeit, mehr als ein paar Worte zu wechseln. Wie die meisten Inseln, die wir in der nächsten Woche mit den Passagieren besuchen werden, ist die Petermann nur von einheimischen Antarktikern bewohnt – Vögeln und Robben, Flechten und Moosen und Algen, diversen Wirbellosen. Trotz der langen Arbeitstage dort, an denen wir Pinguine zählen und Daten erheben, ist es ein stilles, friedliches Leben. Und ich weiß, dass Thom und ich wieder in den gleichen Rhythmus verfallen werden, an Land und auf See, allein oder von Touristen umringt. Normalerweise arbeiten wir in einträchtigem Fast-Schweigen zusammen, da wir die Launen des anderen aus gemeinsamen Wochen am unteren Ende der Erde kennen.

»Lass mich raten«, sage ich. »Glenn schickt dich.«

Er nickt. »Showtime.«

»Was kommt als Nächstes, Kostüme? Taktstock?«

»Ob wir uns jetzt blicken lassen oder später, ist doch egal«, sagte Thom. »Im Moment ist es ein Geisterschiff. Letzte Gelegenheit für eine einigermaßen ruhige Mahlzeit.«

Ich setze mich langsam auf und merke an meinem ruhigen Magen, wie stark der Wellengang nachgelassen hat; das Meer ist zwar nicht gerade spiegelglatt, aber ich habe keine Ausrede, mich weiter hier unten zu verstecken.

Ich lege die Beine über die Kante. Da ich abends dusche und angezogen schlafe, muss ich mir nur die Haare aus dem Gesicht binden, schon bin ich fertig.

Ich lasse Thom vorangehen in den Speisesaal und beobachte das leichte Hinken in seinem Gang, die Folge eines Sturzes in eine Gletscherspalte auf seiner ersten Reise nach Antarktika vor mehr als zehn Jahren. Trotz des schwankenden Schiffs, trotz meines eigenen Bedürfnisses, mich am Schott abzustützen, braucht er sich nirgends festzuhalten.

Wir setzen uns mit Toast und Obst auf dem Teller an einen freien Tisch, der Kaffee in den vollen Bechern schwappt. Der Speisesaal ist leer bis auf einen Steward mit einem Tablett, der mit Übelkeit lindernder Ingwersuppe auf dem Weg zu einem bettlägerigen Passagier ist.

»Du hast recht«, sage ich zu Thom. »Ein Geisterschiff ist was Tolles.«

Er nickt. Ich mustere ihn kurz, dann erkundige ich mich nach seinen Kindern, seiner Frau, wie es ist, zurück zu sein. Normalerweise reden wir nicht ausführlich über unser Privatleben. Aber ich muss ihn etwas fragen und möchte mich locker herantasten.

Nachdem Thom mir vom neuen Job seiner Frau erzählt hat, vom Wechsel seiner Kinder in die erste und dritte Klasse, spreche ich das Thema an. »Du wurdest also ziemlich kurzfristig engagiert?«

Er nickt. »Letztes Jahr hatte ich mich bei Glenn gemeldet, weil ich mir dachte, jetzt, wo die Kinder älter sind, wäre ich wieder bereit für hier unten. Er meinte, er hätte keine freie Stelle, aber dann hat er vor zwei Monaten angerufen und mich gebeten einzuspringen.«

»Für Keller?«

»Ja.«

»Hat er dir gesagt, warum?«

»Ich hab nicht gefragt.« Er sieht mich an. »Du weißt es nicht?«

Ich schüttle den Kopf. Aus dem Augenwinkel sehe ich einen Passagier den Raum betreten, und ich spüre meine Schultern absacken, ein Reflex, der Instinkt, sich zu verstecken. Aber der Mann sieht uns und steuert auf uns zu, den Teller hoch mit Eiern und Würstchen beladen, was mir auch den...

Erscheint lt. Verlag 10.9.2018
Übersetzer Astrid Finke
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel My Last Continent
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Antarktis • eBooks • ewiges eis • Kreuzfahrtschiff • Liebe • Liebesromane • Pinguine • Pinguin-Forscherin • raue Natur • Roman • Romane • schicksalshafte Liebesgeschichte • Schiffsunglück
ISBN-10 3-641-18236-0 / 3641182360
ISBN-13 978-3-641-18236-6 / 9783641182366
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