Rendezvous am Silbermoor (eBook)
100 Seiten
Blattwerk Handel GmbH (Verlag)
978-3-7409-2338-9 (ISBN)
Norbert von Pletten schaute auf die Uhr, während er wieder in den vierten Gang schaltete. Wie ein silbernes Band lag die Landstraße vor ihnen, und die Bäume flogen wie huschende Schatten in dem gleißenden Sonnenlicht an ihnen vorüber.
»Es ist gleich zwölf Uhr«, sagte Norbert. »Wann fährt dein Zug?« Ein rascher Blick streifte das blonde Mädchen mit dem zarten Profil, das neben ihm im Wagen saß. Ihr langes helles Haar, das sonst in lockeren Wellen bis fast auf die Schultern fiel, flatterte jetzt lustig im Wind der raschen Fahrt. Wenn sich eine Strähne über die Augen legte, pustete sie dagegen und warf lachend den Kopf zurück.
Sie sieht aus wie ein Kind, dachte Norbert, und obwohl seine Aufmerksamkeit dem Fahren galt, nahm er doch Beates leicht geöffneten Mund und die zart geröteten Wangen mit leiser Bewunderung wahr. Wer sie nicht kennt, würde niemals glauben, daß dieses unbeschwert heitere Mädchen so energisch und ehrgeizig sein kann. Eine gute Mischung für die künftige Herrin auf dem Plettenschen Besitztum!
»Wir haben noch genug Zeit«, unterbrach ihre helle klingende Stimme seine Betrachtungen. »Der Zug fährt erst zwölf Uhr zwanzig, und du brauchst uns also nicht in den Tod zu fahren!« mahnte sie lachend und legte leicht ihre Hand auf seinen rechten Arm.
Doch ohne das Tempo zu verlangsamen, fuhr Norbert von Pletten über die staubige Landstraße, bis in der Ferne das Bahnhofsgebäude vor ihnen auftauchte. Staubwolken wirbelten auf, als der blaue Sportwagen durch die flirrende Hitze dieses Maitages raste. Doch durch das geöffnete Verdeck spürten Norbert und Beate nicht die drückende Wärme. Erst als der Wagen vor dem Bahnhofsgebäude hielt, und Norbert Beate beim Aussteigen behilflich war, wurde ihnen beiden die lastende Schwüle bewußt.
»Ziemlich heiß«, seufzte Beate und fächelte sich mit einem dünnen Batisttüchlein Kühlung zu, während Norbert ihren Koffer aus dem Gepäckraum nahm.
Ich liebe ihn, dachte sie, als sie seine breite, kraftvolle und doch schlanke Gestalt beobachtete. Mein Mann! stellte sie in kindlicher Besitzerfreude fest, um sofort über sich selbst zu lächeln, denn ihre Träume waren wieder einmal mit ihr davongeeilt.
»Hoffentlich ist im Zug die Hitze nicht so arg«, meinte Norbert und legte seinen Arm um ihre Schulter, während sie auf den Bahnsteig gingen.
»Da kommt ja schon das Bimmelbähnchen!« rief Beate munter aus. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab Norbert rasch einen Kuß auf die Wange. Sie war groß und schlank, aber neben der hünenhaften Gestalt des jungen Mannes wirkte ihre biegsame Figur kleiner und schmaler als sie eigentlich war.
»Nun kommt wieder einmal der schreckliche Trennungsschmerz«, sagte sie mit einem Anflug von zärtlichem Spott, während sie gleichzeitig dachte: Warum sage ich das eigentlich so ironisch, ich bin doch wirklich traurig, daß ich jetzt wieder von ihm wegfahre, oder rede ich mir das nur ein? »Wie lange sehen wir uns nicht?« fragte sie ihn.
»Ich denke, daß ich in zwei oder drei Wochen mal einen kurzen Abstecher in die Stadt machen kann, um dich zu besuchen. Ist’s recht?« Er hob ihr Kinn ein wenig empor. »Ich glaube, du freust dich schon wieder auf die Stadt nach vier Wochen Landluft, stimmt’s?« Er schaute forschend in ihr lachendes Gesicht, aus dem sofort das Lächeln verschwand.
»Aber Norbert«, wehrte sie fast ein wenig erschrocken ab, als hätte er ihre Gedanken erraten. »Es war sehr schön bei euch, aber natürlich freue ich mich auch wieder auf meine Schwester und auf zu Hause!«
»Zu Hause?« Er dehnte das Wort bedeutsam. »Ich wollte, du fühltest dich bei uns schon richtig zu Hause, mein Lieb! Es soll ja schließlich bald deine Heimat werden!«
»Ach, Norbert, bis zum Herbst ist noch so lange Zeit!« Beate lachte unbekümmert auf. »Und bis dahin muß ich das betriebsame Stadtleben noch richtig genießen, bis ich mich dann in die Einsamkeit der Natur zurückziehe!« Sie sagte es heiter, mit zärtlichen Augen, doch Norbert spürte einen leisen, schmerzhaften Stich bei ihren Worten.
»Beate, ich fürchte, du nimmst diese Dinge zu sehr auf die leichte Schulter«, warnte er. »Eine Ehe ist kein Kinderspiel! Du mußt genau wissen, was du tust, denn ich will, daß du glücklich wirst.« Seine Stimme klang warm und eindringlich, und der Blick seiner blaugrauen Augen suchte den ihren.
»Mach dir keine Sorgen, Norbert«, sagte sie leise und drückte fest seinen Arm. »Ich liebe dich, das mußt du immer wissen, und darum werde ich alles für dich tun, auch das, was mir schwerfällt!« Und nun lächelte sie zu ihm auf und lehnte sich für einen Augenblick zärtlich an ihn. Warme Freude pulste in ihm hoch, als er sie fester an sich zog. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und preßte ihre Wange an die seine. »Leb wohl, Liebling«, flüsterte sie, »und vergiß mich nicht!«
Er küßte zart ihre kühlen, weichen Lippen und gab sie dann frei. »Leb wohl, Beate, leb wohl, mein Schatz!«
»Bis bald, Norbert!« sagte sie, als der Zugschaffner die letzte Tür geschlossen hatte und das Abfahrtssignal gab. Als der Zug langsam anrollte, warf sie ihm eine Kußhand zu und schwenkte ein winziges Nichts von einem Tüchlein. Ein zarter Hauch ihres Parfüms wehte noch einmal zu Norbert hin, dann entschwand sie bald darauf seinen Blicken.
Gedankenvoll verließ er den Bahnsteig. Er fühlte eine eigentümliche Leere in sich und schob dies auf Beates Abreise. Hatte er sich schon so an sie gewöhnt, daß er sich jetzt einsam und verlassen vorkam? Oder lag es daran, daß sie vier Wochen lang das große, ein wenig kühle Haus der Plettens mit ihrer lebendigen, sprudelnden Gegenwart erfüllt hatte und ihn von morgens bis abends in Anspruch genommen hatte? War ihr mädchenhaft kühler Zauber, der sich bis zum überschäumenden Temperament steigern konnte und doch noch immer eine letzte Distanz zwischen ihnen ließ, diesmal besonders stark gewesen?
Als er aus dem Stationsgebäude in die glühende Sonnenhitze des späten Mittags trat, spürte er brennenden Durst und beschloß, im Gasthaus – dem einzigen im Dorf – ein Glas Bier zu trinken.
Anton Mirbach, der schon in dritter Generation das Gasthaus »Zur Sonne« betrieb, stand hinter der Theke. Er grüßte freundlich erstaunt, als er Norbert hereinkommen sah, denn Norbert war ein seltener Gast bei ihm.
»Ein Bier bitte, Herr Mirbach«, sagte er, als er plötzlich einen heftigen Schlag auf seine Schulter spürte.
»Norbert, alter Junge – ist das eine Überraschung!« rief eine laute und fröhliche Männerstimme aus, und als Norbert sich umwandte, brach er in die gleichen Überraschungsrufe aus wie der kleine vierschrötige Mann, der braungebrannt und stämmig vor ihm stand.
»Hans Rettmann! Genosse aller meiner schlechten Streiche meiner Jugend – sei willkommen wieder daheim!« Und Norbert schlug ihm ebenfalls kräftig auf die Schulter. »Seit wann bist du denn wieder im Lande?«
»Eben gekommen«, erklärte Hans Rettmann lachend, »habe mich gerade hier einlogiert, dieweil ja das Haus meiner Väter für den ungeratenen Sohn verriegelt und versperrt ist!« Sein Lachen wurde noch breiter. Auf Norberts erstaunten Blick fügte er hinzu: »Nein, im Ernst! Mutter hat damals das Haus verkauft, um mir das Studium zu ermöglichen, und nach ihrem Tod sind eben fremde Leute hineingezogen.«
»Also gehört dir das Haus gar nicht mehr?« fragte Norbert, und als Hans Rettmann den Kopf schüttelte, fuhr er sogleich fort: »Hans, alter Freund, dann wohnst du doch selbstverständlich bei uns! Das wäre ja noch schöner, wenn du hier nicht mal ein richtiges Zuhause hättest!« Als Rettmann sich sträubte, wischte Norbert dessen Einwände mit einer bestimmten Handbewegung weg und sagte zu Anton Mirbach: »Seien Sie nicht böse, Herr Mirbach, daß ich Ihnen den Logiergast entführe – wir werden Sie anderweitig entschädigen, nicht wahr?«
Er blinzelte Hans zu, der ihm sofort beipflichtete.
»Dann gib mal gleich dein ganzes Gepäck her, ich habe den Wagen draußen, und dann auf nach Plettenhof!«
»Ich habe nur einen großen Koffer bei mir, der Rest kommt nach«, erklärte Hans und wies auf den Koffer, der noch unten in der Gaststube stand.
»Na, wunderbar, dann wollen wir gleich losfahren!« Norbert zahlte und ging danach mit Hans Rettmann zum Wagen hinaus. »Du mußt mir viel erzählen«, sagte Norbert, als er den Motor anließ. »Du Faulpelz hast ja nie geschrieben, und alles, was ich über dich erfahren habe, weiß ich nur vom Hörensagen!«
»Also hat man über mich getratscht?« Hans Rettmann grinste breit. »Das liebe alte Dorf – offenbar hat sich nicht viel verändert?« Er blickte Norbert von der Seite an.
Norbert schüttelte lachend den Kopf.
»Aber ich glaube, du hast auch eine Menge zu berichten.« Rettmann blinzelte listig. »Ich habe dich heute nämlich bereits auf dem Bahnhof gesehen, du warst sozusagen der erste, über den ich in der alten Heimat fiel. Aber just in dem Moment, als ich aus dem Zug stieg, küßtest du eine bildschöne blonde Dame. Und so steckte ich als schüchterner Mensch sofort mein Vorhaben zurück, dir spontan in überschwenglicher Wiedersehensfreude um den Hals zu fallen!«
»Was – du bist mit dem Zug um zwölf Uhr zwanzig hier angekommen?« meinte Norbert überrascht. »Wieso habe ich dich denn nicht gesehen, als du ausstiegst? Der Bahnhof ist doch wirklich nicht groß!«
»Weil deine ungeteilte Aufmerksamkeit der blonden Schönheit galt, mein Freund«, erwiderte Rettmann mit lustiger Herausforderung. »Und nun erzähl schon! Merkst du denn nicht, daß ich bald vor Neugier platze, wer besagte Dame war? Du kennst doch meine Schwäche für...
| Erscheint lt. Verlag | 9.11.2017 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Erika Roman | Erika Roman |
| Verlagsort | Hamburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Schlagworte | Beziehung • Drama • Emotionen • Geborgenheit • Gefühl • Gefühle • Liebe • Martin Kelter Verlag • Roman • Verlieben |
| ISBN-10 | 3-7409-2338-5 / 3740923385 |
| ISBN-13 | 978-3-7409-2338-9 / 9783740923389 |
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