Die Erlkönigin (eBook)
218 Seiten
Null Papier Verlag
978-3-96281-077-1 (ISBN)
Nataly von Eschstruth (1860-1939) war eine deutsche Schriftstellerin und eine der populärsten und berühmtesten Erzählerinnen der Gründerzeit. In ihren unterhaltsamen Romanen schilderte sie eingängig das Leben einer höflichen Gesellschaft, wie sie es aus eigener Erfahrung gelernt hatet.
Nataly von Eschstruth (1860-1939) war eine deutsche Schriftstellerin und eine der populärsten und berühmtesten Erzählerinnen der Gründerzeit. In ihren unterhaltsamen Romanen schilderte sie eingängig das Leben einer höflichen Gesellschaft, wie sie es aus eigener Erfahrung gelernt hatet.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
1.
Das Mondlicht glänzt auf der Großmutter weißem Scheitel. Droben in den Lindenzweigen duftet’s und blüht’s, surrt’s und summt’s, und streift die Blumensterne herab auf die lauschenden Blondköpfchen. Großmütterchen aber erzählt:
»Es war einmal ein Königssohn, der wusste nicht, was die Liebe war. Er lehnte an dem Marmorfenster seines Nordlandschlosses und blickte hinaus in die tanzenden Schneeflocken und fragte sie um Rat, aber die schüttelten die weißen Gesichtchen und stoben davon. Darauf blickte er empor zu den Wolken, die mit mächtigen Flügeln über die Schlosstürme flogen, seufzte tief auf und rief: ›Ihr Kinder des Sturmwinds, wisst ihr vielleicht, wo ich die Liebe finde?‹ Aber die Wolken waren düster und stumm, und zogen in wilder Hast zu ihrem Mutterhaus, dem klüftigen Gebirg, dessen Scheitel die Pfosten des Himmels trägt. ›Ich weiß, wo die Liebe ist!‹ sagte ein schüchterner Sonnenstrahl, sich durch das Gewölk stehlend, ›hier oben ist es zu kalt und einsam, hier wohnt nur die Melancholie mit ihren tränenfeuchten Wangen, und der Sturm entblättert die Rose, ehe sich ihr voller Kelch erschloss, die Liebe aber will Glut und Blüten, die Liebe will Licht und Zauberpracht. Komm! Folge mir zur Wiege der Poesie, atme den Duft der flüsternden Musenhaine, bekränze Dein Haupt mit ihrem Lorbeer, und küsse die Lippen, deren Seele ein Lied glühendsten Empfindens ist, blicke empor zu dem leuchtenden Himmelsdom, versinke in dem Auge, dessen Rätselnacht das Geheimnis des Glückes birgt, und Du hast die Liebe gefunden, die Liebe im Glanze des Lichts!‹ Da fasste Sehnsucht das Herz des nordischen Prinzen, er stürmte davon durch Schnee und Eis, und wanderte ohne Rast und Ruh, bis er das Land der Sonne fand! Aber die Glut blendete sein Auge, der Blütenduft betäubte ihn, und der Klang der Mandoline trieb ihm Tränen unverstandenen Wehes in die Augen, der Himmel blitzte und funkelte wie ein stolzes Auge, das kein Mitleid kennt, und die Lippen mit ihrem Hauch der Leidenschaft vergifteten sein Herzblut, wähnte er. Da lag er inmitten der paradiesischen Pracht, unter blühendem Gezweig und jubelnder Vogelschar wie ein Verschmachtender, welcher die Hände gegen die Brust presst und seufzt: ›nur einen Hauch der frischen Nordlandsluft!‹ Heimweh quälte ihn und trieb ihn aus dem Land des Glückes, in welchem er vergeblich nach Liebe gesucht! Da brauste von neuem der Sturm der Heimat um des Jünglings aufatmende Brust, da schäumte und donnerte das Meer um die einsamen Klippen, und dennoch sproßte an den Zweigen das erste teure Eichengrün! Aufjubelnd schlang der Königssohn die Arme um den deutschen Baum und breitete sich nach dem mächtigen Turmbau seines Vaterhauses aus, und wie er dann vorwärtsstürmend die knospenden Zweige auseinander biegt, da steht er plötzlich wie gebannt vor der schlanken Maid, welche ihm lautlosen Schrittes entgegentritt. Von ihrem Scheitel fließt eitel Sonnengold, ihr weißer Nacken leuchtet wie die Myrthenblüte des Südens und in den Augen strahlte ein tiefblauer Himmel lächelnder Unschuld. Der Königssohn aber fühlt es wie einen Schauer süßer Andacht durch seine Seele wehen, und wie er klopfenden Herzens näher tritt, tief und glückselig in dieses treue Auge schaut, da jubelt er voll wonnigen Entzückens: ›Ja, das bist Du, o Liebe!‹«
Großmutter schwieg. Mit glänzendem Blick lauschte die Enkelin, aber das kleine Blondköpfchen auf dem Schoß der Alten war leise herabgesunken, die seidenen Wimpern malten lange Schatten auf die rosigen Wangen und lautlos erhob sich die Erzählerin, um den kleinen Schläfer drinnen im Forsthaus auf weiche Kissen zu betten.
Im Schatten der Linde stand Norbert und blickte noch unverwandt nach der mondhellen Front des Försterhauses, in dessen Tür Großmutter soeben eintrat. »Ja, das bist Du, o Liebe!« klang es vor seinen Ohren, und er strich langsam mit der Hand die vollen Haarlocken aus der Stirn. Er hatte sie also gefunden!
»Norbert!« flüsterte ein frisches Stimmchen neben ihm, »gehst Du noch nicht mit uns herein? es ist schon spät, Vater wird gleich nach Hause kommen, und dann müssen wir Alle im Bettchen liegen.«
»Du bist auch noch ein kleines Mädchen, das zeitig zur Ruhe muss!« entgegnete der junge Mann mit dem Stolz eines Primaners, »ich bleibe noch auf und werde dem Onkel durch den Wald entgegen gehen; gute Nacht, Ännchen!«
Ännchen stellte sich auf die Fußspitzen und reichte mit den kleinen Armen in die Höhe, um sie zärtlich um seinen Hals zu schlingen, »Gute Nacht, Norbert«, und ein herzhafter Kuss krönt den Abschied, »musst mich aber morgen früh gewiss aufwecken, wenn Du fort willst! – ja?«
»Ei versteht sich!« nickt der Vetter, sich wieder zu voller Höhe empor richtend, »und wenn ich dann von meinen Reisen zurückkomme, bringe ich Dir schöne Muscheln und einen Papagei mit!«
Ännchen jauchzte leise auf, und huschte hierauf wie ein heller Mondstrahl über den Kiesplatz in das Försterhaus. – Norbert aber überlegte noch einen Augenblick, dann schritt er gedankenvoll in den stillen Wald hinein.
»… und siehst Du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düsteren Ort?«
Die Buchenzweige flüsterten ganz leise, als sprächen sie im Traum. Der Waldweg war breit und moosig, malerisches Gestein baute sich hier und da zur Seite auf, umnickt von schlanken Farrenblättern, oder überwuchert von großblättrigen Brombeerranken, welche sich in dichtem Gewirr an den Abhängen hinzogen. Die Heckenrosen blühten und der Duft versteckter Waldblumen wehte süß und schmeichlerisch durch die laue Sommernacht; ein Flöten, Zirpen und Rascheln ging durch die Laubholzwipfel, und fern im Tal lockte noch eine Nachtigall in den Haselnußstauden.
Norbert schritt langsam bergab; »Unsinn mit den Märchen!« dachte er und pfiff kopfschüttelnd eine unklare Melodie vor sich hin, »Liebe! bah, was geht mich Liebe an!« und er stimmte mit seiner vollen Baritonstimme an: »Liebchen ade! scheiden tut weh, morgen da geht’s in die wogende See!«
Das Mondlicht flimmerte wie Nebelduft um die dunkeln Tannenhäupter, ein Nachtschmetterling strich mit schwerfälligem Flügel quer über den Weg, und aus dem Tal kam frischer Windzug, welcher die Gräser der Halde wie Seewellen auf- und niederwogen ließ. Der Wald ward licht und hörte mit rauschender Eichenfront plötzlich auf. Ein enges Tal zog sich am Fuß der Anhöhe hin, durchschnitten von den sprudelnden Wellen eines Gewässers, der Niederkleen, deren ausgespülte Wiesenufer von silbernen Erlen und Weiden beschattet wurden. Man sah die Stämme wie dunkle Gestalten aus dem grauen Nebelmeer tauchen, abenteuerlich und seltsam, wie kleine, bucklige Gnomen, oder...
| Erscheint lt. Verlag | 1.7.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Klassiker bei Null Papier | Klassiker bei Null Papier |
| Verlagsort | Neuss |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Schlagworte | Hedwig Courths-Mahler • Heimat • Heimatroman • Herzschmerz • Liebesroman • Schnulze |
| ISBN-10 | 3-96281-077-3 / 3962810773 |
| ISBN-13 | 978-3-96281-077-1 / 9783962810771 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich