Frühlingsstürme (eBook)
449 Seiten
Null Papier Verlag
978-3-96281-080-1 (ISBN)
Nataly von Eschstruth (1860-1939) war eine deutsche Schriftstellerin und eine der populärsten und berühmtesten Erzählerinnen der Gründerzeit. In ihren unterhaltsamen Romanen schilderte sie eingängig das Leben einer höflichen Gesellschaft, wie sie es aus eigener Erfahrung gelernt hatet.
Nataly von Eschstruth (1860-1939) war eine deutsche Schriftstellerin und eine der populärsten und berühmtesten Erzählerinnen der Gründerzeit. In ihren unterhaltsamen Romanen schilderte sie eingängig das Leben einer höflichen Gesellschaft, wie sie es aus eigener Erfahrung gelernt hatet.
Widmung
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXIII.
XXIV.
XXV.
XXVI.
XXVII.
I.
Die Sonntagsglocken läuteten.
Tiefe Stille lag über den Straßen der Hauptstadt, aber nicht die friedliche, erquickende Feiertagsruhe, wie sie voll heiliger Klarheit über Wald und Flur ausgebreitet liegt, sondern eine dumpfe Regungslosigkeit, ein Schweigen, wie dasjenige schwerster Erschöpfung, wie eine Todmüdigkeit, welche mit halboffenen Augen in bleiernen Schlaf sinkt. –
Glühend heiß brütete die Mittagssonne auf dem Häusermeer, – jeder Mauerquader schien unerträgliche Hitze auszuströmen, kein Hauch, – höchstens eine schwüle Duftwoge von Brand- und Gasgeruch, von all dem widerlichen Gemisch ungesunder Ausdünstungen, welche im Umkreis die Großstadtluft schwängern.
Die Droschkenpferde stehen mit tief geneigten Köpfen regungslos im Schatten, selbst der Futterbeutel hängt schlaff und noch halbgefüllt an den Mäulern, sie träumen melancholisch vor sich hin, und nur dann hebt sich müde lauschend ein Ohr am Kopfe, wenn der Kutscher das gewaltige Bierglas mit beiden Händen hebt und einen langen, gierigen Zug tut. –
Blasse, mattäugige Gestalten schleichen von Tür zu Tür, – an den Kellertreppen liegen und kauern elende Kinder, welche selbst zum spielen zu müde sind und mit zwinkerndem Blick an den Hausriesen emporstarren, deren grellbestrahlte Mauern mit den verhängten Fensterreihen die Augen blenden, dass sie schmerzen. –
Und hier ist noch ein besseres Stadtviertel, die elegantere Gegend, wo die Fabrikschornsteine noch nicht aufragen, wo Plätze mit bestaubten Anlagen die einförmigen Häuserreihen unterbrechen und kleine Vorgärten sich hier und da als wohltuende Abwechslung zu dem schier schmelzenden Asphalt vorschieben.
Es ist eine gute Gegend, aber doch nicht das »Geheimratsviertel«, wo prunkende Villen den Stadtpark säumen und luxuriöse Gärten hinter hohen Goldgittern eine Idylle inmitten der Prosa endloser Steinwüste zaubern! –
Und dennoch stehen auch sie jetzt leer und verlassen, lediglich ein Erholungsplätzchen der Portiers und daheimgebliebenen Dienerschaft, deren reiche Gebieter sich an den Strand der See oder in die Waldesschatten des Hochgebirges flüchteten, um in elegantem Bad zu vergessen, dass zu Hause in der Residenz das Thermometer von Tag zu Tag höher steigt, so hoch, dass die Wirtschafterin in ihrem Wochenbericht mit der verzweifelten Klage schließt: »Es ist kaum zu ertragen!« –
Wer dem Molochrachen dieses Häusermeeres entrinnen kann, der enteilt, und manch seufzender Familienvater bringt schwere Opfer, um Weib und Kind während der Ferienzeit in Licht und Luft hinaus zu retten. Da bleibt kaum noch eine Familie zurück, – selbst für die Ärmsten gibt es Ferienkolonien, wo Waldesschatten und Seeluft Leib und Seele erquicken. Wohl dem, welcher reisen kann, welchen weder Pflicht noch Armut unter diese Bleidächer bannt! –
Langsam, den Kopf nachdenklich gesenkt, schritt ein halbwüchsiger Knabe durch die sengende Glut der Straße. Groß und schlank aufgeschossen, ein wenig vornüber geneigt, wie ein junger Stamm, welchem noch die Kraft fehlt, sich markig aufzurecken, die Glieder eckig und etwas unbeholfen in der Bewegung, zeigte er dennoch in seinem ganzen Äußern und Wesen die gute Kinderstube, in welcher er groß geworden.
Der Anzug war einfach, aber tadellos, und gutsitzende Handschuhe bewiesen, dass ihr junger Träger es gewohnt war, äußeren Formen zu genügen.
Seine Augen, groß und tiefblau, von dunkeln Wimpern beschattet und sehr energisch gezeichneten Brauen überwölbt, blickten ernst, beinahe kummervoll aus dem blassen, großgeschnittenen Gesicht, welches trotz seines jugendlichen Aussehens dennoch den Eindruck eines ernstdenkenden, gereiften Mannes machte.
Es lag ein feiner Leidenszug um die Lippen, welchen nur die Erfahrung und der volle Ernst des Lebens in junge Gesichter schneiden kann.
Mehr denn je trat er in dem farblosen Antlitz hervor, als der Sekundaner tief aufatmend in den hochgewölbten, mit der modernen Eleganz der Großstadt ausgestatteten Hausflur trat, an dessen Decke reicher Stuck seine vergoldeten Muster zeigte, und Ölgemälde an den Wänden auf zierliche Blattpflanzenarrangements niederblickten.
Hier war es kühl! Hier konnnte man etwas aufatmen, und wenn die Luft auch noch immer erstickend auf die Lungen fiel und durch die verschlossenen Entreetüren ein hässlicher Geruch von Kampher und Naphthalin drang, es war doch nicht die nervenmordende Glut, welche die Straßen und südlich gelegenen Zimmer unerträglich machte!
Der junge Mann seufzte tief auf, nahm das kleine Gebetbuch aus der rechten in die linke Hand, und fuhr mit dem einfachen, weißen Taschentuch, in dessen Ecke jedoch ein elegantes Monogramm unter siebenzackiger Krone von fleißigen Händen erzählte, über die feuchtperlende Stirn. – Es lag etwas Gemessenes, beinahe Pedantisches in seinem Wesen, etwas Umständliches, was ihn älter erscheinen ließ, als er war. Müde, mit beinahe schleppenden Schritten stieg er die teppichbelegten Stufen empor – eine Treppe – noch eine – und abermals eine. – Mechanisch schweifte sein Blick über die Türschilder, an welchen er vorbeischritt. – Meist gute Namen – ein Oberst a. D. – ein Baumeister – ein Sanitätsrat – ein Hauptmann – glückliche Menschen, – sie sind alle fortgereist! – Hinaus in die schöne, – sommerliche, – herrliche Gotteswelt voll Harzduft und Vogelfang, voll Wellenrauschen und Seewind – ach, dass auch er die Arme ausbreiten und mit vollen Lungen einmal durchatmen könnte! – So wie früher in jenen besseren Zeiten, wo auch bei ihnen alljährlich die Koffer gepackt wurden, wo er auf die Berge steigen und im Dünensand wühlen konnte! O selige Erinnerung! Was gäbe er darum, könnte sie noch einmal wiederkommen, noch einmal Wahrheit werden!
Mit wehmütigem Lächeln bleibt er stehen und ruht einen Augenblick aus. Ja, auch für ihn wäre es eine Wohltat! Aber wie gerne würde er dennoch darauf verzichten, könnte er nur für sein so heißgeliebtes, herziges Mütterchen solch’ eine Erholung schaffen! – Für ihn wäre es nur eine Erquickung. Aber für sie wäre es neuer Lebensodem, für sie ist es eine Notwendigkeit! –
Mit beinahe bitterem Ausdruck mustert er das elegante Treppenhaus. Warum müssen sie in der teuren...
| Erscheint lt. Verlag | 1.7.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Klassiker bei Null Papier | Klassiker bei Null Papier |
| Verlagsort | Neuss |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Schlagworte | Hedwig Courths-Mahler • Heimat • Heimatroman • Herzschmerz • Liebesroman • Schnulze |
| ISBN-10 | 3-96281-080-3 / 3962810803 |
| ISBN-13 | 978-3-96281-080-1 / 9783962810801 |
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