Der Besitzstreber (eBook)
450 Seiten
edition oberkassel (Verlag)
978-3-95813-121-7 (ISBN)
Der Engländer Galsworthy lebte von 1867 bis 1933. Wohlhabende Eltern, Jura-Studium in Oxford. Ein für ihn uninteressantes Fach. Er ging zur See. Von dem polnischen Schriftsteller Joseph Conrad, den er dabei kennenlernte, wurde er für die Literatur begeistert. Seine ersten Werke erschienen unter einem Pseudonym. Seine »Forsyte-Saga« katapultierte ihn in den höchsten Olymp der Literatur. Er erhielt 1932 den Nobelpreis für Literatur. Der Stoff ist Grundlage für Kinofilme und Fernsehserien.
Der Engländer Galsworthy lebte von 1867 bis 1933. Wohlhabende Eltern, Jura-Studium in Oxford. Ein für ihn uninteressantes Fach. Er ging zur See. Von dem polnischen Schriftsteller Joseph Conrad, den er dabei kennenlernte, wurde er für die Literatur begeistert. Seine ersten Werke erschienen unter einem Pseudonym. Seine »Forsyte-Saga« katapultierte ihn in den höchsten Olymp der Literatur. Er erhielt 1932 den Nobelpreis für Literatur. Der Stoff ist Grundlage für Kinofilme und Fernsehserien.
Empfang beim alten Jolyon
Wer bereits die Ehre hatte, bei einer der Familienfeiern der Forsytes zu Gast zu sein, der weiß, was für ein faszinierender und aufschlussreicher Anblick sich einem dort bietet – der Anblick einer Familie der gehobenen Mittelschicht in voller Pracht. Doch diejenigen dieser privilegierten Gäste, die in Besitz psychoanalytischer Fähigkeiten sind (eine Gabe ohne finanziellen Wert und somit eine, der die Forsytes keine Beachtung schenken), werden Zeuge eines Schauspiels, das nicht nur an sich schön anzusehen ist, sondern auch ein tiefliegendes, kompliziertes menschliches Problem verdeutlicht. Um es einfacher auszudrücken: Das Zusammenkommen dieser Familie, von der keiner der Zweige den anderen leiden konnte und keine drei Mitglieder etwas füreinander empfanden, das es verdient, als Sympathie bezeichnet zu werden, zeigt diesem Gast jenen eigenartigen zähen Zusammenhalt, der eine Familie zu einer solch beeindruckenden gesellschaftlichen Einheit werden lässt, einem so deutlichen Abbild der Gesellschaft im Kleinformat. Ihm wurde Einblick gewährt in die dunklen Wege des gesellschaftlichen Aufstiegs, er hat Erkenntnisse über patriarchalisches Leben gewonnen, über das Schwärmen wilder Horden, den Aufstieg und Untergang von Nationen. Er ist wie jemand, der das Wachsen eines Baumes von seiner Pflanzung an beobachtet hat – ein Paradebeispiel für Zähigkeit, Abwehr äußerer Einflüsse und Erfolg inmitten von hunderten anderen, sterbenden Pflanzen, die weniger faserig, kräftig und ausdauernd sind -, um schließlich eines Tages zu sehen, wie er mit vollem, zartem Blattwerk am Höhepunkt seiner Blüte in fast schon abstoßender Üppigkeit gedeiht.
Womöglich könnte am 15. Juni 1886 gegen vier Uhr nachmittags ein zufällig im Haus des alten Jolyon Forsyte anwesender Beobachter die Familie Forsyte am Höhepunkt ihrer Blüte gesehen haben.
An diesem Tag fand ein Empfang statt, um die Verlobung von Miss June Forsyte, der Enkelin des alten Jolyon, und Mr Philip Bosinney zu feiern. Herausgeputzt mit hellen Handschuhen, dunkelbeigen Anzugwesten, Federn und Kleidern, war die gesamte Familie anwesend. Sogar Tante Ann, die nur noch selten ihre Ecke im grünen Empfangszimmer ihres Bruders Timothy verließ, wo sie im Schutz eines Straußes von gefärbtem Pampasgras in einer hellblauen Vase den ganzen Tag saß und las oder strickte, umgeben von einer drei Generationen der Forsytes umfassenden Ahnengalerie. Sogar Tante Ann war da, ihr unbeugsamer Rücken und die Würde ihres ruhigen alten Gesichtes eine Personifikation des unnachgiebigen Besitzanspruchs auf ihre Idee der Familie.
Wann immer ein Forsyte sich verlobte, heiratete oder geboren wurde, waren die Forsytes anwesend. Wann immer ein Forsyte starb – aber bis jetzt war noch keiner der Forsytes gestorben, sie starben nicht. Der Tod widersprach ihren Prinzipien, und so trafen sie Vorkehrungen gegen ihn, die instinktiven Vorkehrungen von vor Lebenskraft strotzenden Menschen, die empfindlich auf Übergriffe auf ihr Eigentum reagieren.
Die Forsytes, die sich an diesem Tag unter die anderen anwesenden Gäste mischten, sahen noch gepflegter als gewöhnlich aus und strahlten dabei eine wachsame, neugierige Selbstsicherheit aus, eine würdevolle Autorität, als ob sie sich einer Sache zum Trotz zurechtgemacht hätten. Das Naserümpfen, das sich üblicherweise in Soames Forsytes Gesicht zeigte, hatte sich auch in ihren Reihen ausgebreitet. Sie waren auf der Hut.
Die unterbewusste Offensivität ihres Verhaltens hat diesen Empfang beim alten Jolyon zum entscheidenden Moment der Familiengeschichte werden lassen, zu dem Vorspiel ihres Dramas.
Die Forsytes waren über etwas verärgert, nicht als Einzelpersonen, sondern als Familie. Dies äußerte sich in ihrer betont makellosen Kleidung, einer überschwänglichen Herzlichkeit innerhalb der Familie, einer übertriebenen Betonung der Bedeutung von Familie und – dem Naserümpfen. Was die Forsytes witterten, war Gefahr – so unerlässlich, wenn es darum geht, den grundlegenden Charakter einer jeden Gesellschaft, Gruppe oder Einzelperson zutage zu bringen. Die Vorahnung einer drohenden Gefahr ließ ihre Rüstung erstrahlen. Zum ersten Mal schienen sie als Familie das Gefühl zu haben, mit etwas Unbekanntem und Unsicherem in Verbindung zu sein.
Drüben am Klavier stand ein großer und fülliger Mann, der zwei Westen über seiner breiten Brust trug, zwei Westen und eine Rubinnadel, statt, wie bei gewöhnlicheren Anlässen üblich, einer Atlasweste und einer Diamantnadel. Sein glattrasiertes, kantiges, altes Gesicht mit seinen hellen Augen und der Haut, die die Farbe hellen Leders hatte, thronte mit seinem ehrwürdigsten Ausdruck über seiner Atlashalsbinde. Dieser Mann war Swithin Forsyte. In der Nähe des Fensters, wo er mehr als genug frische Luft abbekam, brütete sein Zwillingsbruder James mit seinem stets gebeugten Rücken über der Szene. Wie der massige Swithin war er größer als eins achtzig, doch er war sehr schlank, als ob er von Geburt an dazu bestimmt gewesen wäre, den Mittelweg zu finden und den Durchschnitt zu wahren – der alte Jolyon nannte die Brüder den Dicken und den Dünnen. In James’ grauen Augen lag ein Ausdruck von starrer Versunkenheit in einen geheimen sorgenvollen Gedanken, von Zeit zu Zeit unterbrochen, um mit schnellem, wandelndem Blick die wirklichen Geschehnisse um sich herum zu überprüfen. Seine Wangen, die durch zwei parallele Falten schmäler erschienen, und seine breite, glattrasierte Oberlippe wurden von vollen, langen Koteletten umrahmt. In seinen Händen drehte und wendete er eine Porzellanschale. Nicht weit von ihm entfernt stand sein einziger Sohn Soames, blass und gut rasiert, dunkelhaarig, ziemlich kahl, und lauschte einer Dame in Braun. Dabei streckte er sein Kinn schräg nach oben und rümpfte seine Nase auf die zuvor beschriebene Art, als ob er ein Ei verschmähe, das ihm ohnehin nicht bekommen würde. Hinter ihm stand sein Cousin, der großgewachsene George, Sohn von Roger, dem fünften Forsyte, mit einem sardonischen Ausdruck auf dem fleischigen Gesicht und dachte über einen seiner boshaften Scherze nach. Irgendetwas in Verbindung mit diesem Empfang hatte sie alle betroffen.
Drei Frauen saßen dicht nebeneinander in einer Reihe – die Tanten Ann, Hester (die beiden alten Jungfern der Familie Forsyte) und Juley (kurz für Julia), die – auch nicht mehr die Allerjüngste – sich so weit vergessen hatte, Septimus Small zu heiraten, einen Mann von schwächlicher Konstitution. Sie hatte ihn um viele Jahre überlebt. Jetzt lebte sie mit ihrer älteren und ihrer jüngeren Schwester im Haus Timothys, ihres sechsten und jüngsten Bruders, in der Bayswater Road. Alle drei Frauen hatten einen Fächer in der Hand und durch feine Farbwahl oder eine vielsagende Feder oder Brosche drückte jede von ihnen aus, wie feierlich dieser Anlass war.
In der Mitte des Raumes, unter dem Kronleuchter, stand, wie es sich für einen Gastgeber gehörte, das Oberhaupt der Familie, der alte Jolyon selbst. Mit seinen achtzig Jahren, dem schönen, weißen Haar, der hohen, gewölbten Stirn, den kleinen dunkelgrauen Augen und dem gewaltigen weißen Schnurrbart, der seitlich bis zu seinem kräftigen Kiefer herabhing, hatte er ein patriarchalisches Äußeres, und trotz seines hageren Gesichts und der eingefallenen Schläfen schien er im Besitz ewiger Jugend zu sein. Er hielt sich sehr gerade und seine klugen, wachsamen Augen hatten noch immer ihren strahlenden Glanz. Und so erweckte er den Eindruck, über den Zweifeln und Abneigungen unbedeutenderer Menschen zu stehen. Er hatte ein präskriptives Recht dazu, da er seit unzähligen Jahren das Sagen hatte. Es wäre dem alten Jolyon nie in den Sinn gekommen, dass es angebracht wäre, Zweifel oder Auflehnung auszustrahlen.
Zwischen ihm und den vier anderen ebenfalls anwesenden Brüdern, James, Swithin, Nicholas und Roger, gab es sowohl große Unterschiede als auch viele Ähnlichkeiten. Jeder dieser vier Brüder war wiederum ganz anders als der andere, und dennoch waren auch sie sich sehr ähnlich.
Bei all den unterschiedlichen Gesichtszügen und -ausdrücken dieser fünf Personen ließ sich doch bei allen eine gewisse Entschlossenheit des Kinns feststellen, die den äußeren Unterschieden zugrunde lag, ein Stempel ihrer Art, der so prähistorisch war, dass man ihn nicht mehr zurückverfolgen konnte, so subtil und immerdar, dass man nicht darüber sprechen konnte – Qualitätszeichen eines echten Forsyte und Garant für Erfolg und Wohlstand der Familie.
Unter der jüngeren Generation, dem großen, bulligen George, dem blassen, energischen Archibald, dem jungen Nicholas mit seiner liebenswerten, zaghaften Hartnäckigkeit und dem ernsten, fast schon lächerlich unbeirrbaren Eustace, gab es diesen Stempel ebenfalls - vielleicht etwas weniger deutlich, aber dennoch unverkennbar. Es war ein Zeichen von etwas Unauslöschlichem in der Seele der Familie. Immer wieder im Laufe dieses Nachmittags konnte man in all diesen so unterschiedlichen wie ähnlichen Gesichtern einen Ausdruck von Misstrauen erkennen und das galt zweifellos dem Mann, dessen Bekanntschaft zu machen sie hier zusammengekommen waren. Philip Bosinney war bekanntermaßen ein junger Mann ohne Vermögen, doch es hatte schon zuvor Verlobungen und auch Hochzeiten zwischen Mädchen der Familie Forsyte und solchen Männern gegeben. Das war also nicht der Grund, warum die Forsytes Schlimmes befürchteten. Sie hätten nicht erklären können, was die Ursache ihres unguten, durch das Gerede in der Familie vernebelten Gefühls war. Es hieß auf alle Fälle, er habe bei seinem Anstandsbesuch bei den Tanten Ann, Juley und Hester einen weichen grauen Hut getragen – einen weichen grauen Hut, noch nicht mal einen neuen, ein...
| Erscheint lt. Verlag | 23.6.2022 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Die Forsyte Saga | Forsyte |
| Übersetzer | Johanna Bönisch |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker | |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 19. Jahrhundert • Britisch • Downton • England • Epos • Familie • Familiensaga • forsyte • galsworthy • Historie • Historischer Liebesroman • Historischer Roman • Liebesroman • Literaturnobelpreis • London • Nobelpreis • Saga • Südengland • viktorianich • viktorianisch • Viktorianische Zeit |
| ISBN-10 | 3-95813-121-2 / 3958131212 |
| ISBN-13 | 978-3-95813-121-7 / 9783958131217 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich