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Ermordung des Glücks (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
240 Seiten
Suhrkamp Verlag
9783518731574 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ermordung des Glücks - Friedrich Ani
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Das Glück wird ermordet, als der 11-jährige Lennard Grabbe nicht nach Hause kommt und später als Mordopfer aufgefunden wird. Exkommissar Jakob Franck überbringt den Eltern die schrecklichste aller Nachrichten. Während die Sonderkommission auf der Stelle tritt und die Familie keinen Weg findet, mit dem Verlust umzugehen, vergräbt Franck sich in Zeugenaussagen und Protokollen, verbringt Stunden am Tatort. Angetrieben wird er dabei nicht nur von dem Bedürfnis, der Familie zu Klarheit zu verhelfen, sondern auch von den schmerzhaften Erinnerungen an die ungelösten Mordfälle seiner Karriere.

Nach dem mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichneten Auftakt der Reihe um Jakob Franck, Der namenlose Tag, folgt nun der langerwartete zweite Teil. Friedrich Ani vereint erneut grenzenlose Traurigkeit, menschliche Abgründe und atemlose Spannung.



Friedrich Ani, geboren 1959, lebt in München. Er schreibt Romane, Gedichte, Hörspiele, Theaterstücke und Drehbücher. Sein Werk wurde in zehn Sprachen übersetzt und vielfach prämiert, u. a. sieben Mal mit dem Deutschen Krimipreis, dem Crime Cologne Award, dem Burgdorfer Krimipreis, dem Adolf-Grimme-Preis, dem Bayerischen Fernsehpreis und der Goldenen Romy. Friedrich Ani ist Mitglied des PEN-Berlin.

Friedrich Ani, geboren 1959, lebt in München. Er schreibt Romane, Gedichte, Jugendbücher, Hörspiele, Theaterstücke und Drehbücher. Sein Werk wurde mehrfach übersetzt und vielfach prämiert, u. a. mit dem Deutschen Krimi Preis, dem Adolf-Grimme-Preis und dem Bayerischen Fernsehpreis. Seine Romane um den Vermisstenfahnder Tabor Süden machten ihn zu einem der bekanntesten deutschsprachigen Kriminalschriftsteller. Friedrich Ani ist Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und des Internationalen PEN-Clubs. Sein Roman Der namenlose Tag (2015), ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimi Preis und dem Stuttgarter Krimipreis, markierte Anis Wechsel zu Suhrkamp. Seit 2015 ist Friedrich Ani auch mit seinen Theaterstücken im Suhrkamp Theater Verlag vertreten.

I


In Reichweite das Meer
1

Aus der Spiegelung der Eingangstür schaute ihr eine abblätternde Frau entgegen.

Je länger sie hinsah, desto stärker wurde ihre Verwunderung darüber, dass sie noch da war, nach so vielen Tagen absoluter Abwesenheit in ihrer Welt; genau vierunddreißig Tage waren es heute.

Hier stand sie, nah an der Scheibe, als wäre es das Allereinfachste, nach der Klinke zu greifen und die Tür zu öffnen. Leute gafften sie an; Feiglinge, die keinen Finger rührten, die stehen blieben und den Schnee störten, der ihr allein gehörte.

Das war schon so gewesen, als sie noch ein kleines Mädchen war: Wenn der erste Schnee fiel, dann nur für sie; sie sammelte die Flocken in ihrer Schürze und brachte sie nach Hause und sagte, schau, Mama, ich hab dir Sterntaler mitgebracht, die sind noch ganz frisch.

Daran dachte sie fast jedes Jahr. Sie erzählte niemandem davon, nicht einmal Lennard.

Der Gedanke an ihn entfachte einen Brand in ihr. Sie sog die kalte Luft ein und vermisste den Geschmack nach Schnee. Da stimmt doch was nicht, rief sie, aber ihre Stimme erhörte sie nicht.

Sie legte den Kopf schief und lauschte; lautlos klopften die Flocken an die Tür. Die Gesichter verschwanden, eins ums andere. Schließlich kam niemand mehr die Straße entlang, kein Auto fuhr; in wabernder Dunkelheit wirbelte Schnee an den Häuserwänden empor. Wie ein unverdienter Segen erschien ihr die Stille.

Für ein paar Sekunden vergaß sie den Schmerz und kehrte noch einmal zu dem Mädchen mit der Schürze voller geschmolzener Sterntaler zurück.

Da tauchte der Mann vor ihr auf und verscheuchte ihr Spiegelbild und jede flüchtige Geborgenheit.

Unwillkürlich machte sie einen Schritt nach hinten in Richtung Kuchentheke. Das Gesicht des Mannes auf der Straße wirkte alt und grau und bedrohlich. Der schwarze Schal quoll aus dem Kragen der braunen Lederjacke, der Riemen seiner Umhängetasche verlief quer über die Jacke, wie eine schwarze Narbe.

Nachdem sie das alles registriert hatte, drückte sie die Augen zu und ballte die Fäuste. Als ihr bewusst wurde, was sie tat, riss sie die Augen wieder auf. In einem Anfall von Panik glaubte sie, der Fremde hätte in der Zwischenzeit das Café betreten. Dann fiel ihr ein, dass die Tür verriegelt war, der Schlüssel steckte. Sie sah hin. Im selben Moment klopfte der Mann an die Tür.

Wieder zuckte sie zusammen; diesmal aber bewegte sie sich nicht von der Stelle. Im Nebenraum mit den Tischen, dem Zeitungsständer und dem Strandkorb brannte Licht, ein milchiger Schein fiel bis zur Kuchentheke. Die zitternde Frau kam sich vor wie auf einem Präsentierteller.

Der Mann klopfte erneut an die Tür, nicht laut, beinah behutsam und ohne seine ausdruckslose Miene zu verändern oder ein Zeichen von Ungeduld erkennen zu lassen. Gleichzeitig vermittelte er den Eindruck unbedingter Entschlossenheit, dachte die Frau und wagte einen Schritt nach vorn.

Sofort streckte der Mann, auf dessen Haaren und Wangen sich Schneeflocken sammelten, den Rücken und faltete die Hände vor dem Bauch. Diese Geste irritierte die Frau.

Sie zögerte. Aus einem geschäftsmäßigen Impuls heraus überlegte sie, wie spät es sein mochte und ob sie um die Zeit gewöhnlich noch geöffnet hatten; lächerlich; das Café hatte seit einer Woche geschlossen.

Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie an jenem Freitag vor mehr als einem Monat schon zugesperrt; Stephan war dagegen gewesen, und Claire, ihre Angestellte, hatte versprochen, jeden Tag von morgens bis abends durchzuarbeiten.

Fast hatte sie die Tür erreicht, da erschrak sie ein drittes Mal. Ihr Blick krallte sich in das Gesicht hinter der Glasscheibe. Sie kannte die Sorte von Mann, die Art, wie er sie ansah, wie er dastand, aufrecht, selbstbewusst, zielstrebig; sein gepflegtes Äußeres, das perfekt rasierte Gesicht, die kurz geschnittenen Haare; die Lederjacke.

Männern in solchen Lederjacken, mit dieser Körperhaltung, diesen ebenso ruhigen wie lauernden Augen war sie in den zurückliegenden Wochen häufig begegnet, anfangs täglich. Meist traten sie zu zweit auf, und jedes Mal fühlte sie sich von ihnen eingekreist und eingeengt. Obwohl sie sich Mühe gaben, freundlichen Frieden zu verbreiten, feuerten sie damit das Toben ihrer Angst erst an.

Der Mann da draußen war ein Kripomann.

Sie hatte ihn nie zuvor gesehen. Vermutlich gehörte er nicht zu der Abteilung, die nach ihrem verschwundenen Sohn suchte; andernfalls hätte der Chefermittler, dessen Name ihr gerade nicht einfiel, seinen Kollegen telefonisch angekündigt.

Das bedeutete, dachte sie und streckte die Hand nach dem Schlüssel aus, der Mann war für die Suche nach Lennard nicht direkt zuständig, sondern hatte andere Fragen auf Lager – wie schon einmal ein Kommissar, der sich für Belange aus Lennards Schule interessiert hatte.

Mit einem Seufzer fast vergessener Erleichterung öffnete sie die Tür.

Schneeflocken wehten ihr in die Augen; sie blinzelte und lächelte und rieb hastig über ihr Gesicht, wie die neugierigen Leute, die sie von drinnen beobachtet hatte. Mit unerwarteter Munterkeit wollte sie den Polizisten begrüßen und hereinbitten. Doch er kam ihr zuvor.

»Sie sind Tanja Grabbe?«

Seine Stimme hatte nichts vom Übermut des Schnees.

»Ja, natürlich, ich bin Frau Grabbe, und Sie sind von der Polizei?«

»Mein Name ist Jakob Franck. Ich bin ein ehemaliger Kripobeamter. Können wir reingehen und uns an einen Tisch setzen? Ich habe Ihnen und Ihrem Mann eine schlimme Nachricht zu überbringen.«

Dann verschwand die Welt um sie herum.

Als die Welt wieder da war, gehörte Tanja Grabbe nicht mehr dazu. Neben ihr saß Stephan und hielt ihre Hand. Warum er das tat, begriff sie nicht. Er hatte den Arm auf den Tisch gelegt und schaute sie an, als würde er sie nicht erkennen; fast hätte sie ihm ihren Namen gesagt.

Wahrscheinlich, dachte sie vage, war der Mann gar nicht Stephan, sondern einer, der ihm ähnlich sah, mit den lockigen, silbrig schimmernden schwarzen Haaren, die schon wieder zu lang waren und bis auf den Kragen seines weißen Hemdes fielen. (Seit Jahr und Tag musste sie ihn ermahnen, regelmäßig zum Friseur zu gehen und darauf zu achten, dass dieser nicht nur wieder eine seiner Geschichten erzählte, vielmehr einen ordentlichen Schnitt zustande brachte; ein Konditor hatte gepflegt auszusehen; wehe, ein Haar landete in der Glasur oder im Teig oder sonst wo in der Auslage). Rasiert war er auch nicht.

Wer war dieser Mann neben ihr, der unaufhörlich ihre Hand hielt?

Erschrocken wandte sie den Blick von seinem Gesicht ab zum Tisch; aus dem Ärmel ihres blauen Kleides ragte eine farblose Hand, umklammert von Fingern mit sehr kurz geschnittenen Fingernägeln; ihre Hand; Stephans Hand. Sie glaubte nicht, was sie sah. Sie hob den Kopf und geriet in das Blickfeld eines Mannes, den sie schon einmal gesehen hatte. Sie überlegte, wann das gewesen sein mochte. Sie kam nicht drauf.

Dann fiel ihr auf, dass sie die einzigen Gäste waren. Sie saßen am ersten Tisch beim Durchgang zum Verkaufsraum, der halb im Dunkeln lag, und niemand kam herein. Etwas stimmte mit der Stille nicht, die gehörte nicht hierher, genauso wenig wie sie, dachte Tanja Grabbe und sah wieder auf ihre Hand, die in den Fingern mit den dunklen Härchen eingeschlossen war, als hätte der Mann ein Recht dazu.

Allmählich kehrte die Zeit in sie zurück.

Sie erinnerte sich, wie sie dagestanden hatte, ungefähr in der Mitte des Raumes, zwischen Kuchentheke und Tür, und die Leute auf der Straße im wirbelnden Schnee innegehalten hatten, um sie anzustarren wie ein Tier im Zoo. Sie hatte keine Reaktion gezeigt, das wusste sie noch, und der Gedanke daran löste sekundenlang Genugtuung in ihr aus; die Gaffer verschwanden, und die Schneeflocken tanzten für sie allein, wie sie es gernhatte.

Der Mann mit der ledernen Umhängetasche hatte das zaubrische Spiel vor ihren Augen zerstört, und alles war tot.

»Sie sind schuld.«

»Sollen wir nicht doch einen Arzt verständigen?«, sagte der Mann ihr gegenüber. Ihn anzusehen, schaffte sie nicht. Die Umklammerung durch die fremde Hand löste eine Starre in ihr aus, die ihr bis in den Nacken reichte.

Ihr wurde schwindlig; seltsamerweise befürchtete sie nicht, ohnmächtig zu werden, so, wie es ihr früher in verwirrenden Situationen passiert war, wofür sie sich hinterher maßlos geschämt hatte.

Stattdessen breitete sich eine ungeahnte Ruhe in ihr aus, als habe sie ein Medikament von Doktor Horn eingenommen oder zwei Gläser des schweren Rotweins getrunken, mit dem sie ihre Hochzeitstage feierte.

Auch wenn sie fürchtete, einen peinlichen Eindruck zu machen, so schief, wie sie dasaß, in ihrem abgetragenen Kleid und mit den splissigen Haaren – die plötzliche Tonlosigkeit ihrer Gedanken versöhnte sie fast mit der Anwesenheit der beiden ungebetenen Gäste.

Nur die Stille, drinnen wie draußen, störte sie immer noch, sie traute ihr nicht, sie kam ihr verlogen vor.

»Frau Grabbe«, sagte der Mann in der Lederjacke. Er sprach in ihr linkes Ohr; sie sah ihn aus den Augenwinkeln. »Haben Sie verstanden, was ich Ihnen und Ihrem Mann mitgeteilt habe?«

»Mein Sohn ist tot.«

Tanja Grabbe hörte ihre Stimme und war gleichzeitig überzeugt, nicht gemeint zu sein. Unvermittelt sah sie den Mann neben sich an und hätte ihn am liebsten umarmt, weil er...

Erscheint lt. Verlag 13.9.2017
Reihe/Serie Jakob-Franck-Serie
Jakob-Franck-Serie
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Andreas Hoh Krimifestival-Preis 2024 • Bayern • Bestseller • Bestseller 2017 • Bestseller bücher • Bestsellerliste • buch bestseller • bücher neuerscheinungen • Crime Cologne Sonderpreis 2017 • Deutsche Krimi-Autoren • Deutsche Krimis • Deutscher Krimi Preis • Deutschland • Ermittler-Krimi • Ermittlungen • Geschenk für Männer • Jakob Franck • Krimi • Krimi-Bestenliste • Krimi-Bestseller • Krimi-Serie • Mitteleuropa • Mordkommission • München • neuer Fall • Page Turner • Polizeiarbeit • Polizei-Krimi • Spannung • ST 4931 • ST4931 • Stuttgarter Krimipreis 2016 • Südostdeutschland • suhrkamp taschenbuch 4931 • Thriller
ISBN-13 9783518731574 / 9783518731574
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