Das Berghotel 149 (eBook)
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-5226-9 (ISBN)
Lena ist am Boden zerstört, seit ihr Mann Thomas bei einem Autounfall gestorben ist. Alle in ihrem Umfeld erwarten, dass sie nach zwei Trauerjahren endlich wieder 'funktioniert' und nach vorn blickt - aber das kann sie nicht! Die junge Frau steckt in einem tiefen dunklen Loch. Als sie zunehmend das Gefühl hat, an den in sie gesetzten Erwartungen zu zerbrechen, nimmt sie kurzerhand Reißaus. Sie flieht ins Berghotel nach St. Christoph, wo sie damals mit Thomas die Flitterwochen verbracht hat. Hier will sie sich vor der Welt verstecken und ihrem verstorbenen Mann nahe sein.
Doch dann kommt alles anders: Bei einem Spaziergang entdeckt die junge Witwe einen Hund, der in einen Bach gefallen ist und zu ertrinken droht. Ohne lange nachzudenken, springt Lena ins Wasser, um ihm zu helfen. Es gelingt ihr tatsächlich, das geschwächte und völlig abgemagerte Tier zu retten. Natürlich bringt sie es nicht übers Herz, den Streuner mit den treuen bernsteinfarbenen Augen allein zu lassen. Aber wie soll sie ihn jetzt bloß ungesehen in ihr Hotelzimmer schmuggeln?
Gleichmäßig brummte der Motor, als das Auto über die Landstraße rollte. Bäume und Sträucher, die vom Scheinwerferlicht gestreift wurden, zogen wie Schemen am Straßenrand vorbei.
Lena unterdrückte ein Gähnen und stellte das Autoradio lauter, um sich wach zu halten. Mit ihrem Mann Thomas war sie auf der Geburtstagsfeier eines guten Freundes gewesen, die bis spät abends gedauert hatte. Es war ein lustiger Abend gewesen, aber jetzt konnte Lena es kaum erwarten, sich endlich ins Bett fallen zu lassen.
Thomas, der neben ihr auf dem Beifahrersitz saß, war sogar schon eingedöst. Schmunzelnd blickte sie kurz zu ihm hinüber, bevor sie sich wieder auf die Straße konzentrierte. Normalerweise machte er sich gern über sie lustig, weil sie abends oft so früh einschlief. Liebevoll pflegte er sie als Murmeltier zu bezeichnen. Dass ihm heute im Auto die Augen zugefallen waren, würde sie ihm bei Gelegenheit genüsslich unter die Nase reiben.
Einen Moment lang verschwamm alles vor ihrem Blick. Irritiert blinzelte sie, schloss die Hände fester um das Lenkrad und starrte angestrengt nach vorne auf die Fahrbahn. Ein seltsames Gefühl hatte sie beschlichen: Fast so, als träumte sie mit offenen Augen vor sich hin. Alles ringsumher erschien ihr plötzlich merkwürdig surreal.
Sie versuchte, die Beklommenheit abzuschütteln, die sich ihrer bemächtigte, und sich auf die Straße und den Verkehr zu konzentrieren. Am liebsten hätte sie Thomas geweckt und sich mit ihm unterhalten, um das unheimliche Gefühl zu vertreiben, doch ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen. Sie konnte den Mund nicht öffnen und nichts sagen.
Ehe sie darüber nachdenken konnte, was das zu bedeuten hatte, kam ihr auf der Gegenfahrbahn ein LKW entgegen. Mit einem Mal wusste sie genau, was gleich passieren würde. Irgendetwas sagte ihr mit absoluter Bestimmtheit, dass etwas Entsetzliches geschehen würde – doch sie war nicht in der Lage, es zu verhindern.
Schreckensstarr und mit weit aufgerissenen Augen blickte sie ihrem Schicksal entgegen.
Als sie fast auf gleicher Höhe mit dem entgegenkommenden Lastwagen war, tauchte plötzlich ein weiteres Scheinwerferpaar auf: Ein roter Mercedes erschien hinter dem LKW und setzte zum Überholen an. Die grellen Scheinwerfer blendeten Lena. Ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, doch kein Ton kam heraus.
Sie trat das Bremspedal ganz durch, ein brutaler Ruck ging durch das Auto und schleuderte sie in den Gurt. Die Reifen quietschten, doch es war zu spät: Das rote Auto, das den LKW überholte und ihr auf ihrer Spur direkt entgegenkam, war schon viel zu nah und raste viel zu schnell heran. Es war unmöglich, noch rechtzeitig anzuhalten.
Verzweifelt riss Lena das Lenkrad herum. Das Blut in ihren Adern schien sich schlagartig in flüssiges Eis zu verwandeln. Nur haarscharf entging sie einem Zusammenstoß, im allerletzten Moment konnte sie ausweichen. Doch entsetzt stellte sie fest, dass sie die Kontrolle über ihr Auto verlor. Der Wagen begann, wild über den Asphalt zu schlingern.
Thomas war aufgewacht und stieß einen dumpfen Schreckenslaut aus. Lena brachte nach wie vor keinen Ton hervor, obwohl der stumme Schrei ihre Brust schier zum Bersten bringen wollte. Panik schnürte ihr die Kehle zu.
Alles schien in quälender Zeitlupe abzulaufen und doch viel zu schnell, um zu reagieren oder einen klaren Gedanken zu fassen. Das Auto durchbrach die Leitplanke und stürzte die Böschung hinab. Das Geräusch von brechendem Metall brannte sich unauslöschlich in Lenas Gedächtnis ein.
Sie wusste nicht, wo oben und wo unten war. Mehrmals überschlug sich der Wagen. Hilflos wie Stoffpuppen hingen Lena und Thomas in ihren Sicherheitsgurten und wurden dennoch so brutal umhergeschleudert, dass Lena beinahe das Bewusstsein verlor. Hart schlugen ihre Zähne aufeinander. Von einer Sekunde auf die andere war das Auto zu einer Todesfalle geworden, aus der es kein Entrinnen gab.
Als das Auto endlich zum Stillstand kam, herrschte einen Moment lang eine unheimliche Stille. Dann löste sich die Blockade in Lenas Kehle, und endlich konnte sie schreien. Aus Leibeskräften schrie und schluchzte sie Thomas’ Namen, wieder und wieder. Doch ihr Mann reagierte überhaupt nicht, er hob nicht einmal den Kopf. Leblos hing er im Gurt.
»Thomas!«, stieß sie verzweifelt hervor, »Oh Gott, Thomas, sag doch was! Liebling, rede mit mir!«
Die Angst spülte jeden klaren Gedanken fort und stürzte sie in einen tiefen Abgrund. Plötzlich merkte Lena, dass sie sich nicht rühren konnte. Ihr ganzer Körper war wie gelähmt – sie konnte nur schreien, und das tat sie aus ganzer Kraft, bis sie glaubte, ihre Lunge müsste bersten.
***
Mit einem Schrei auf den Lippen fuhr Lena aus dem Schlaf hoch. Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie in die Dunkelheit, beide Hände auf ihr rasendes Herz gepresst. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass sie zu Hause in ihrem Schlafzimmer war – und nicht im Auto.
Ihr Atem ging rasselnd und stoßweise. Ihre Kehle schmerzte vom lauten Schreien, und sie hoffte inständig, nicht wieder die Nachbarn aus dem Schlaf gerissen zu haben. Viel zu oft wurde sie von diesem entsetzlichen Traum gequält, und viel zu oft wachte sie schreiend und weinend daraus auf.
Seufzend wischte sie sich die Tränen von den Wangen. Ihr Nachthemd war schweißnass. Ihr Puls wollte sich gar nicht beruhigen, ihr Herz pochte unregelmäßig wie ein kaputtes Uhrwerk.
Sehnlich wünschte sie sich, es wäre wirklich nur ein Traum, nichts weiter. Aber es war viel mehr als das: die Realität. Eine schreckliche Erinnerung an das, was vor zwei Jahren wirklich geschehen war.
Obwohl Lena wusste, dass die andere Betthälfte leer und kalt war, tastete sie unwillkürlich nach ihrem Mann. Doch Thomas war nicht hier, er würde nie wieder bei ihr sein. Vor zwei Jahren war er bei dem Autounfall gestorben, der Lenas Leben für immer verändert hatte.
Wieder schossen ihr Tränen in die Augen, schluchzend schlang sie die Arme um sich. Ihr Herz schmerzte. An jenem verhängnisvollen Tag war es gebrochen und heilte seither nicht.
»Es tut mir leid, Thomas«, brachte sie unter Tränen hervor. »Es tut mir so schrecklich leid.«
Lena machte sich schreckliche Vorwürfe, weil sie beim Unfall hinter dem Steuer gesessen hatte. Obwohl es nun schon so lange her war, konnte sie nicht aufhören, sich zu fragen, ob sie anders reagieren und Thomas’ Leben retten hätte können. Ihr Verstand wusste, dass der Unfall nicht ihre Schuld gewesen war. Das hatte das Unfallgutachten auch zweifelsfrei ergeben. Doch tief in ihrem Herzen hatte die junge Frau das Gefühl, sie hätte ihren eigenen Mann auf dem Gewissen.
Weinend rollte sie sich im Bett zusammen, zog sich die Decke über den Kopf und versuchte, die grausamen Bilder aus ihrem Kopf zu vertreiben. An Schlaf war in dieser Nacht freilich nicht mehr zu denken. Lena schluchzte in ihr Kissen, bis draußen vor dem Fenster die Sonne aufging.
***
Als Lena später beim Frühstück saß, steckte ihr der verstörende Traum noch in den Knochen. Vergeblich versuchte sie, die Traurigkeit abzuschütteln, die in den vergangenen zwei Jahren ihr dauerhafter Begleiter geworden war.
Unglücklich starrte sie durch das schmale Küchenfenster hinaus in den feinen Nieselregen, der die Welt in einen grauen Schleier hüllte. Wie so oft wanderten ihre Gedanken zu Thomas, und unwillkürlich krümmte sie sich unter der Last der Schuldgefühle.
Sie zwang sich, eine Scheibe Brot mit Butter hinunterzuwürgen, und ein wenig Kirschsaft zu trinken. Nach dem Unfall hatte sie so stark abgenommen, dass ihre Familie und ihre Freunde sich große Sorgen gemacht hatten. Mittlerweile zwang sie sich aus Vernunftgründen regelmäßig zum Essen, doch Appetit oder Hunger verspürte sie selten.
Das Klingeln des Telefons ließ sie zusammenzucken. Seufzend nahm sie den Anruf entgegen.
»Grüß dich, Lena! Na, wie steht’s?« Die Stimme ihrer älteren Schwester Rosi klang unbeschwert.
Im Hintergrund hörte Lena Trubel und Kindergeschrei. Toni, Rosis jüngster Sohn, beschwerte sich bitterlich darüber, dass sein Bruder ihm sein Lieblingsspielzeug geklaut hätte. Max ließ diese Anschuldigung nicht auf sich sitzen und leugnete alles empört. Gleich darauf hörte man die Buben wild durchs Haus toben.
»Geht schon«, erwiderte Lena schwach.
Sie wollte ihre Schwester nicht belasten, indem sie ihr vom wiederkehrenden Traum erzählte. Also versuchte sie sich nicht anmerken zu lassen, wie traurig sie war.
»Sapperlott, Burschen, jetzt ist’s aber genug. Vertragt’s euch wieder!«, rief Rosi. Der gedämpfte Klang ihrer Stimme verriet, dass sie dabei das Telefon mit der Hand abdeckte. Dann sagte sie zu Lena: »Hör mal, ich ruf wegen Mamas und Papas Hochzeitstag an. Das hast du eh net vergessen, gell?«
»Freilich net«, versicherte Lena. Der Hochzeitstag war groß in ihrem Kalender eingetragen.
»Sehr gut«, meinte Rosi. »Ich war mir net sicher, ob du’s vielleicht wieder verschwitzt hast.«
Lena verzog den Mund. Im ersten Jahr nach dem Unfall hatte sie tatsächlich vergessen, ihren Eltern zu gratulieren, obwohl sie wusste, dass diese großen Wert darauf legten und ihren Hochzeitstag Jahr für Jahr zelebrierten. In ihrer Trauer hatte sie einfach nicht an solche Dinge gedacht. Sie hatte geglaubt, ihre Familie verstände das, doch Rosi schien es ihr noch übel zu nehmen.
»Ich hab dran gedacht«, betonte sie noch einmal, weil sie auf einmal den Eindruck hatte, sich verteidigen zu müssen....
| Erscheint lt. Verlag | 19.9.2017 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Das Berghotel |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
| Schlagworte | Alpen • Alpenroman • Anna Basener • Arztroman • arztroman ebook • arztromane deutsch • arztromane kindle • arztromane kindle deutsch • arztromane kindle ebooks • Arzt-Serie • Baccara • Bahnhofsroman • Bastei • Bergdoktor • Berge • Bergpfarrer • Bergroman • Bianca • Cora • Der Bergdoktor • Der Bergpfarrer • dr daniel • Dr. Daniel • dr laurin • Dr. Laurin • dr norden • Dr. Norden • Dr Stefan Frank • Dr. Stefan Frank • feelgood • Gefühle • Groschenheft • Happy End • Hedwig Courths Mahler • Hedwig Courths-Mahler • Heft • Heftchen • Heftchen-Roman • Heftroman • Heft-Roman • Heimat • Heimatroman • heimatroman berge • Heimatromane kindle • heimatromane kindle ebook • Herzschmerz • Historical • Hollywood • Julia • Kelter • Klassiker • Landarzt • Landschaft • Liebe • Liebesgeschichte • Liebesroman • Liebesromane • Mira • Nicholas Sparks • Nostalgie • PS ich liebe dich • Pulp • Pulp Ficition • Romance • Romanheft • Roman-Heft • romantisch • Romantische Komödie • serial content • Serial Novel • Serial Novels • Serie • Serien • Seriennovellen • Stefan Frank • tatsächlich liebe • Tiffany • Toni-Hüttenwirt • wohlfühlen • Wohlfühlroman |
| ISBN-10 | 3-7325-5226-8 / 3732552268 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-5226-9 / 9783732552269 |
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