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Wo drei Flüsse sich kreuzen (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
432 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44006-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wo drei Flüsse sich kreuzen -  Hannah Kent
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'Wo drei Flüsse sich kreuzen' von Bestseller-Autorin Hannah Kent ist ein mitreißendes Drama um die Macht von Angst und Aberglaube - basierend auf einer wahren Geschichte aus dem 19. Jahrhundert. Irland 1825: Die 14-jährige Mary soll der verwitweten Bäuerin Nora mit deren schwer behindertem Enkel Michael zur Hand gehen. Der kleine Junge, so munkelt man im Dorf, sei ein Wechselbalg, ein Feenkind, und mache die Kühe krank. Mary gibt nichts auf das Gerede, doch als Nora davon hört, reift in der einsamen, verzweifelten Frau eine ungeheuerliche Idee: Wenn es ihr gelingt, den Wechselbalg zu vertreiben, würde sie den gesunden Michael wiederbekommen und endlich wieder eine echte Familie haben. Getrieben von Angst und Aberglaube und unterstützt durch die geheimnisvolle Kräuterfrau Nance ist sie bald bereit, alles zu versuchen - und Mary fällt es immer schwerer, sich gegen die beiden Frauen durchzusetzen. Hannah Kent gelingt es durch ihre kristallklare Sprache erneut, eine grausame und wahre Geschichte eindringlich zu erzählen; die raue Schönheit Irlands verschmilzt mit dem Seelenleben ihrer Figuren, die dem Leser, wie schon in ihrem Debüt-Roman 'Das Seelenhaus', ganz nahe kommen.

Hannah Kent, geboren 1985 in Adelaide, Australien, ist die Mitbegründerin der australischen Literaturzeitschrift 'Kill Your Darlings'. 2011 gewann sie den Writing Australia Unpublished Manuscript Award für ihr Debüt 'Das Seelenhaus'. Seit seiner Publikation 2013 ist der Roman in fast dreißig Sprachen übersetzt worden, stürmte die Bestsellerlisten und gewann weitere zahlreiche Preise. 'Wo drei Flüsse sich kreuzen' ist Hannah Kents lang erwarteter zweiter Roman, mit dem sie ihrer Faszination für archaische Mythen des Nordens treu bleibt.

Hannah Kent, geboren 1985 in Adelaide, Australien, ist die Mitbegründerin der australischen Literaturzeitschrift 'Kill Your Darlings'. 2011 gewann sie den Writing Australia Unpublished Manuscript Award für ihr Debüt 'Das Seelenhaus'. Seit seiner Publikation 2013 ist der Roman in fast dreißig Sprachen übersetzt worden, stürmte die Bestsellerlisten und gewann weitere zahlreiche Preise. 'Wo drei Flüsse sich kreuzen' ist Hannah Kents lang erwarteter zweiter Roman, mit dem sie ihrer Faszination für archaische Mythen des Nordens treu bleibt.

1


Huflattich

Als sie ihr die Leiche brachten, war Nóras erster Gedanke, dass dies unmöglich ihr Mann sein konnte.

Sie starrte die Männer ungläubig an, die Martins Last in der beißenden Kälte auf ihren schwitzenden Arbeiterschultern trugen, und dachte, dass diese Leiche eine grausame Unterschiebung sein musste: eine Missgeburt, ein Wechselbalg, dessen Ähnlichkeit mit Martin etwas Brutales an sich hatte. Martins Mund und Augen standen offen, sein Kopf war auf die Brust gesunken, aber da war kein Funken in ihm. Der Schmied und der Knecht hatten ihr lebloses Gut gebracht. Das konnte nicht ihr Mann sein. Das war er nicht.

Martin war am Schaufeln gewesen, sagte Peter O’Connor. Neben den Feldern, die sich ins Tal hinunterzogen, hatte er einen Graben ausgehoben. Er, Peter, hatte gesehen, wie Martin plötzlich innegehalten und sich mit der Hand an die Brust gefasst hatte, wie ein Mann, der einen Schwur leistet, und dann war er zu Boden gestürzt, auf die weiche Erde. Gestürzt war er, ohne einen Schmerzenslaut von sich zu geben. Gegangen war er, ohne sich zu verabschieden, ohne Angst.

Peters rissige Lippen zitterten, seine tiefliegenden Augen waren rot umrandet. »Mein aufrichtiges Beileid«, flüsterte er.

Da gaben Nóras Beine unter ihr nach, und während der Lehm und das Stroh im Hof auf sie zurasten, spürte sie, wie ihr Herz sich in grausamem Verstehen verkrampfte.

John O’Donoghue, dessen breite Unterarme von seiner Arbeit als Schmied mit Narben übersät waren, hievte Martin auf seine Schulter, damit Peter Nóra aus dem Schlamm aufhelfen konnte. Beide Männer blickten sie aus schmerzverdunkelten Augen an, und als Nóra ihren Mund zum Schrei öffnete und merkte, dass er ihr im Hals steckengeblieben war, senkten die Männer die Köpfe, als hätten sie ihn dennoch vernommen.

Peter löste Nóras verkrallte Finger vom Hühnerfuttersack und scheuchte die gackernden Tiere von der Türschwelle fort. Er legte Nóras Arm um seine Schultern und geleitete sie zurück in die Kate, zur Feuerstelle, wo ihr Enkel Micheál auf einer zusammengeschobenen Schlafbank schlief. Als sie den Raum betraten, regte sich der kleine Junge mit den schmalen, vom Torffeuer geröteten Wangen, und Nóra sah, wie Peters Blick ihn neugierig streifte.

John folgte ihnen ins Innere der kleinen Bauernkate, das Gesicht verzerrt unter der Last von Martins Körper. Schlammkrumen begleiteten seine Schritte auf dem gestampften Lehmboden. Er ächzte vor Anstrengung, als er Martin auf das Bett in dem kleinen Schlafraum legte, der vom Wohnraum abging. Von der Strohmatratze wirbelte eine Staubwolke auf. Der Schmied bekreuzigte sich bedächtig und gewissenhaft, und als er sich unter den steinernen Türrahmen zum Gehen duckte, brummte er, man habe den neuen Priester rufen lassen, und seine Frau, Áine, sei auch gleich da.

Nóra spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte. Sie erhob sich und wollte zu Martins Leiche in den Schlafraum gehen, aber Peter hielt sie am Handgelenk zurück.

»Warte, bis er gewaschen ist«, sagte er sanft.

John warf dem Jungen einen beunruhigten Blick zu, bevor er die Kate ohne ein weiteres Wort verließ und nur den unteren Flügel der Klöntür hinter sich zuzog.

Das Dunkel dehnte sich aus.

»Und du hast ihn fallen sehen, ja? Mit eigenen Augen, ja?« Nóras Stimme klang fremd, zittrig und matt. Sie hielt Peters Hand so fest, dass ihre Finger schmerzten.

»Aye, das hab ich«, murmelte er und sah dabei zu Micheál. »Ich habe ihn auf dem Feld gesehen und meine Hand zum Gruß erhoben, und dann ist er zu Boden gestürzt.«

»Diese Gräben, das musste sein. Er hat mir noch gestern gesagt, dass diese Gräben ausgehoben werden müssen, damit der Regen …« Nóra spürte, wie der Tod ihres Mannes sich schleichend in ihr ausbreitete, bis er sie zu schütteln begann. Peter legte ihr etwas Schweres über die Schultern, und sie erkannte am vertrauten Geruch nach verbranntem Huflattich, dass es Martins Mantel war. Sie mussten ihn mit seiner Leiche zurückgebracht haben.

»Jemand anderes muss jetzt diese Gräben zu Ende graben«, stieß sie keuchend hervor und rieb ihr Gesicht an dem rauhen Material des Mantels.

»Darum musst du dich jetzt nicht kümmern, Nóra.«

»Und dann ist da das Reetdach. Wir müssen das Dach neu decken …«

»Wir kümmern uns schon darum, mach dir da mal jetzt keine Sorgen.«

»Und Micheál. Der Junge …« Sorge durchzuckte sie, als sie auf den Jungen hinabschaute, dessen Haar kupfern im Feuerlicht glänzte. Sie war dankbar, dass er schlief. Seine Andersartigkeit war dann weniger offensichtlich. Seine verkrampften Gliedmaßen entspannten sich, und er konnte nichts Dummes von sich geben. Martin hatte immer gesagt, Micheál sehe ihrer Tochter am ähnlichsten, wenn er schlief. »Fast könnte man ihn für gesund halten«, hatte er einmal gesagt. »Man kann sehen, wie er sein wird, wenn die Krankheit überstanden ist. Wenn wir ihn davon befreit haben.«

»Soll ich jemanden herholen, Nóra?«, fragte Peter. Sein zerfurchtes Junggesellengesicht war voller Besorgnis.

»Micheál. Ich will ihn nicht hier haben.« Ihre Stimme klang heiser. »Bring Micheál zu Peg O’Shea.«

Peter wand sich sichtlich. »Aber … möchtest du ihn nicht lieber um dich haben?«

»Schaff ihn hier weg.«

»Ich möchte dich nicht allein lassen, Nóra. Nicht solange Áine noch nicht da ist.«

»Und ich werde nicht zulassen, dass Micheál angegafft wird.« Nóra bückte sich, packte das schlafende Kind unter den Achseln und zog es hoch, um es Peter hinzuhalten. Der Junge runzelte die Stirn, blinzelte, die Augen schlafverkrustet.

»Nimm ihn. Bring ihn zu Peg. Jetzt. Sofort. Solange noch niemand hier ist.«

Micheál begann, sich in Nóras Griff zu winden und zu kreischen. Seine Beinchen, voller Ausschlag und schuppig über den Knochen, zuckten.

Peter verzog das Gesicht. »Der Junge deiner Tochter, nicht wahr? Gott hab sie selig.«

»Bring ihn fort, Peter. Bitte.«

Er sah sie lange und traurig an. »Die Leute werden sich unter diesen Umständen nicht an ihm stören, Nóra. Ihre Gedanken werden dir gelten.«

»Sie werden ihn anstarren und sich das Maul über ihn zerreißen, und das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«

Micheáls Kopf fiel nach hinten, und der Junge begann zu greinen, die Hände zu Fäusten geballt.

»Was fehlt ihm?«

»Um Himmels willen, Peter, nimm ihn einfach.« Ihre Stimme brach. »Schaff ihn fort!«

Peter nickte und hob Micheál auf seinen Schoß. Der Junge war in ein Wollkleid gehüllt, das ihm zu lang war, und Peter wickelte den abgewetzten Stoff unbeholfen um die Beine des Kindes, darauf bedacht, dass auch die Zehen eingeschlagen waren. »Draußen ist es kalt«, erklärte er. »Hast du keinen Schal für ihn?«

Mit zitternden Fingern nahm Nóra den eigenen ab und reichte ihn Peter.

Dieser erhob sich und drückte den jaulenden Jungen an seine Brust. »Es tut mir aufrichtig leid, Nóra, wirklich.«

Die Haustür schwang noch kräftig hin und her, als Peter schon verschwunden war.

Nóra wartete, bis das Geräusch von Micheáls Weinen verhallt war und sie wusste, dass Peter die Straße erreicht hatte. Dann erhob sie sich von ihrem Schemel und ging, Martins Mantel fest um sich gezogen, in den Schlafraum.

»Oh, süßer, leidtragender Herr Jesus.«

Ihr Mann lag auf ihrem Ehebett, die Arme eng an seinen Körper gelegt. Gras und Schlamm klebten an seinen schwieligen Händen. Seine Augen standen ein wenig offen, so dass das Weiße im Licht der geöffneten Tür leicht schimmerte.

Beim Anblick von Martins Reglosigkeit in dem stillen Raum begann der Schmerz, sie in Wellen zu überrollen. Sie ließ sich auf dem Bett nieder, legte ihre Stirn an seine Wange und fühlte die Kälte seiner stoppeligen Haut. Sie zog den Mantel über sie beide, schloss die Augen, und ihren Lungen entwich jede Luft. Schmerz, schwer wie Wasser, senkte sich auf sie herab, bis sie das Gefühl hatte zu ertrinken. Ihre Schultern bebten, und sie weinte an Martins Hals, tränkte mit ihren Tränen seine Kleidung, die nach Erde roch und nach Kuhmist und nach dem weichen, süßen Duft des Tals, torfrauchgeschwängert wie immer in den herbstlichen Abendstunden. Sie weinte wie ein verzweifelter Hund, mit dem angespannten, hohen Jaulen der Verlassenheit.

Noch vor wenigen Stunden hatten sie zusammen in diesem Bett gelegen, beide wach in der Dunkelheit der Morgendämmerung, die Wärme von Martins Hand auf ihrem Bauch.

»Ich glaube, es wird heute regnen«, hatte er gesagt, und Nóra hatte sich von ihm an das harte Rund seiner Rippen ziehen lassen, hatte ihre Atmung der seinen angepasst.

»Es hat heute gestürmt.«

»Und du bist davon aufgewacht?«

»Der Junge hat mich geweckt. Er hat vor Angst geweint.«

Martin hatte angespannt gelauscht. »Jetzt ist von ihm nichts zu hören.«

»Arbeitest du heute im Kartoffelfeld?«

»Nein. An den Entwässerungsgräben.«

»Und wirst du auf dem Heimweg beim neuen Priester vorbeischauen und mit ihm über Micheál reden?«

»Das werde ich.«

Nóra streckte sich neben ihrem toten Mann aus und dachte an all die Nächte, die sie einträchtig miteinander verbracht hatten, an die Wärme seines Fußes, der den ihren berührte, eine jener selbstverständlich gewordenen Gepflogenheiten ihrer Ehe, und sie begann zu schluchzen, bis sie das Gefühl hatte, sie müsse sich erbrechen.

Allein der Gedanke, dass ihr Weinen womöglich all die Teufel wecken könnte, die sich seiner Seele bemächtigen wollten, ließ sie innehalten. Sie stopfte sich den Ärmel von Martins Mantel in den Mund und bebte lautlos.

Wie kannst du es wagen, mich zurückzulassen,...

Erscheint lt. Verlag 25.8.2017
Übersetzer Leonie Reppert-Bismarck
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Aberglaube • anspruchsvolle Romane • Behindertes Kind • County Kerry • Dorfleben • fairy • Fee • Hannah Kent • Heilerin • Historischer Roman • historischer Roman Irland • irische Mythen • Irland • Kräuterfrau • Lähmung • wahre Begebenheiten • Wahre GEschichte • Wahre Geschichten • Wechselbalg
ISBN-10 3-426-44006-7 / 3426440067
ISBN-13 978-3-426-44006-3 / 9783426440063
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